Mahabharata

Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 135

Arjuna erhält die Waffe Brahma-shira

Vaisampayana erzählte:
Etwas später begab sich Drona mit seinen Schülern an das Ufer der Ganga, um im heiligen Strom zu baden. Nachdem Drona in den Strom eingetaucht war, packte ihn ein starker Alligator am Oberschenkel, als ob ihn der Tod selbst gesandt hätte. Obwohl er durchaus selbst dazu in der Lage war, rief Drona in scheinbarer Eile seine Schüler zur Hilfe. Er rief: „Oh tötet das Monster und rettet mich!“ Gleichzeitig mit seinen Worten traf Arjuna den Alligator unter Wasser mit fünf spitzen und auf ihrem Kurs unbeirrbaren Pfeilen, während alle anderen Schüler verwirrt herumstanden.

Als Arjuna auf diese Weise seine Achtsamkeit bewiesen hatte, betrachtete ihn Drona als den Besten seiner Schüler und war höchst zufrieden. Und der von den Pfeilen Arjunas in Stücke geschnittene Alligator gab sterbend das Bein des ruhmreichen Drona wieder frei. Da sprach der Sohn von Bharadvaja zum mächtigen Wagenkrieger Arjuna: „Akzeptiere diese außerordentlich überlegene und unbezwingbare Waffe namens Brahma-shira nebst dem Wissen, sie zu entlassen und wieder zurückzurufen, oh du mit den mächtigen Armen.

Du darfst sie niemals gegen einen menschlichen Feind einsetzen. Denn wenn sie auf einen Gegner mit niedriger Energie gewirbelt wird, kann sie das ganze Universum verbrennen. Es wird gesagt, mein Sohn, daß diese Waffe nichts Ebenbürtiges in den drei Welten kennt. Bewahre sie mit großer Sorgfalt und achte meine Worte. Doch falls jemals ein nichtmenschlicher Feind gegen dich kämpfen sollte, dann wende sie an, um ihm den Tod in der Schlacht zu bringen.“ Arjuna versprach, der Bitte seines Lehrers zu folgen und empfing mit gefalteten Händen die Waffe. Noch einmal sprach sein Lehrer zu ihm: „Niemand in dieser Welt wird je als Bogenschütze über dir stehen. Du wirst nie von einem Feind besiegt werden, und deine Taten werden groß sein.“
 
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Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 136

Die Prinzen zeigen ihre Künste vor dem Hof

Als Drona die Söhne von Pandu und Dhritarashtra als fähige Krieger einschätzte, sprach er zu König Dhritarashtra in Anwesenheit von Kripa, Somadatta, Valhika, dem weisen Sohn der Ganga (Bhishma), Vyasa und Vidura: „Oh du Bester der Kuru Könige, deine Kinder haben die Ausbildung abgeschlossen. Erteile ihnen nun die Erlaubnis, ihr Können zu zeigen.“

Mit freudigem Herzen antwortete ihm der König: „Oh bester Brahmane, du hast eine große Tat vollbracht. Bestimme du Zeit und Ort, wo, wann und wie die Prinzen ihre Vorführung darbringen sollen. Nun überkommt mich Trauer ob meiner Blindheit, und ich beneide jeden, der mit Augenlicht gesegnet ist und den Heldenmut meiner Kinder sehen kann. Oh Vidura, sorge für alles, was Drona befiehlt. Oh du der Tugend Hingegebener, es gibt nichts, was mir lieber wäre.“

Vidura gab seine Zustimmung und ging hinaus, um alles zu regeln. Der weise Drona vermaß ein Stück Land ohne Bäume und Dickicht, dafür mit Quellen versehen. Dann wählte Drona einen glücksverheißenden Tag aus und opferte den Göttern vor den Augen der dafür zusammengerufenen Bürger. Die Handwerker des Königs bauten eine lange und elegante Bühne gemäß den Schriften, welche mit allen Arten von Waffen versehen wurde. Dann wurde noch eine schöne, erhöhte Halle für die zuschauenden Damen errichtet. Die Bürger bauten sich viele Tribünen, während die Wohlhabenderen unter ihnen geräumige und hohe Zelte errichteten.

Als der Tag der Vorführung kam, begaben sich der König mit seinen Ministern nebst Bhishma und Kripa, diese Besten der Lehrer, zum Vorführplatz von himmlischer Schönheit, der mit reinem Gold, Perlenschnüren und Lapislazuli verziert war. Die mit einem guten Schicksal gesegnete Gandhari, Kunti und die anderen Damen des königlichen Haushalts kamen in prächtigen Gewändern und wurden von ihren Dienerinnen begleitet. Sie bestiegen die Tribünen wie himmlische Damen, welche den Berg Sumeru erklimmen. Alle vier Kasten inklusive der Brahmanen und Kshatriyas verließen eilig die Stadt, denn jeder wollte das Geschick der Prinzen sehen. Alle waren so ungeduldig, das Spektakel nicht zu verpassen, daß sich die riesige Menge in wenigen Augenblicken versammelte. Trompeten wurden geblasen, Trommeln geschlagen, und der Klang vieler Stimmen sorgte dafür, daß die Menschenmenge einem aufgewühlten Ozean glich.

Schließlich betrat Drona mit seinem Sohn den Platz. Er war ganz in Weiß gekleidet, mit weißer heiliger Schnur, weißem Bart, weißen Locken, weißer Blumengirlande und weißer Sandelpaste eingeschmiert. Es war, als ob der Mond selbst vom Planeten Mars begleitet den wolkenlosen Himmel betrat. Bei seinem Eintritt führte er die rechte Anbetung aus und ließ die Brahmanen mit Mantras die glücksverheißenden Riten abhalten. Dann wurden feierliche und lieblich klingende Instrumente als besänftigende Einführung gespielt, und es betraten verschiedene Männer mit diversen Waffen ausgerüstet die Arena.

Ihnen folgten die Bharata Prinzen, diese mächtigen Krieger. Sie hatten ihre Lenden gegürtet, den Fingerschutz angelegt und trugen Bogen und Köcher. Nach Alter geordnet zeigten die kräftigen Prinzen ihre Künste, und Yudhishthira führte sie an. Manche der Zuschauer zogen die Köpfe ein, weil sie die herabfallenden Pfeile fürchteten. Doch andere schauten furchtlos und voller Staunen zu. Auf schnell reitenden Pferden, welche sie geschickt meisterten, schossen die Prinzen mit Pfeilen, welche ihren Namen trugen. Als die Zuschauer bewundernd die heldenhafte Kraft der Prinzen sahen, da meinten viele, sie würden Gandharvas betrachten.

Immer wieder riefen hunderte, ja tausende der Zuschauer zugleich und mit geweiteten Augen: „Gut gemacht! Hervorragend!“ Nachdem die Krieger viele Male ihre Kraft und ihr Geschick mit Pfeil und Bogen, auf dem Rücken von Pferden und Elefanten und im Lenken von Streitwagen gezeigt hatten, ergriffen sie ihre Schwerter und Schilde, stellten sich in der Arena auf und zeigten viele Arten des Schwertkampfes. Mit Bewunderung sahen die Zuschauer ihre Beweglichkeit, die Harmonie ihrer Körper, ihre Anmut und Ruhe, die Festigkeit ihres Griffs und ihre Art, Schwert und Schild zu führen.

Dann betraten Bhima und Duryodhana die Arena mit deutlicher Vorfreude auf den Kampf. Sie glichen zwei Bergen und trugen Keulen in den Händen. Sie hatten ihre Hüften umgürtet, sammelten all ihre Kräfte, brüllten wie zwei wilde Elefanten im Streit um eine Elefantenkuh und begannen zu kämpfen. Makellos wichen sie nach links und rechts aus und durchquerten so die Arena. Und Vidura beschrieb Dhritarashtra, Kunti und Gandhari alle Fähigkeiten der Prinzen.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 137


Arjunas Künste in der Arena

Als der Kuru Prinz Duryodhana und der Stärkste aller Helden, Bhima, die Arena durchquerten, spalteten sich die Zuschauer in zwei Parteien und ihre Zuneigung folgte ihrer Parteilichkeit. Manche riefen: „Schaut auf den heldenhaften Prinzen der Kurus!“, und andere schrien: „Schaut auf Bhima!“ Die Rufe gipfelten schnell in ein lautes Gebrüll. Da die Menge zum aufgewühlten Ozean wurde, sprach der kluge Drona zu seinem Sohn Aswatthaman: „Halte die beiden mächtigen und tüchtigen Krieger zurück. Ihr Kampf soll nicht den Zorn der Menge heraufbeschwören.“

Vaisampayana fuhr fort:
So gebot der Sohn des Lehrers den Prinzen mit den erhobenen Keulen Einhalt, die zwei schwellenden Meeren glichen, welche von den Winden zur Auflösung des Universums aufgepeitscht wurden. Dann betrat Drona selbst den Platz, hieß die Musiker aufhören und sprach mit tiefer, wolkenschwerer Stimme diese Worte: „Schaut nun auf Arjuna, den Sohn Indras (Jehovas), der dem jüngeren Bruder von Indra gleicht (Vishnu), diesem Meister aller Waffen, und der mir lieber ist als mein eigener Sohn.“

Nachdem er alle beruhigenden Riten ausgeführt hatte, betrat der junge Arjuna die Arena. Er trug seinen Fingerschutz, hatte den Bogen in der Hand, den Köcher voller Pfeile, seine goldene Rüstung angelegt und erschien auf dem Platz wie eine abendliche Wolke, welche die Strahlen der sinkenden Sonne reflektiert und dabei von den Farben des Regenbogens und hellen Blitzen erleuchtet wird. Alle Zuschauer waren bei seinem Anblick entzückt. ...

Nachdem sich die Zuschauer wieder etwas beruhigt hatten, begann Arjuna vor seinem Lehrer seine Leichtigkeit in der Handhabung der Waffen zu zeigen.
Mit der Agneya Waffe schuf er Feuer
, und
mit der Varuna Waffe erzeugte er Wasser.
Mit der Vayavya Waffe schuf er Wind und
mit der Paryanya Waffe erzeugte er Wolken
.
Mit der Bhauma Waffe schuf er Land, und mit der Parvatya Waffe kamen Berge ins Sein.
Und mit der Antardhana Waffe ließ er all das wieder verschwinden.

Einmal erschien der Liebling des Lehrers groß, dann wieder winzig.
Eben war er noch auf dem Joch seines Wagens zu sehen, dann auf dem Wagen selbst,
und im nächsten Moment stand er auf der Erde.

Dann traf der Held mit ausgeprägter Geschicklichkeit mehrere Zielscheiben, einige zart, andere fein und andere von kräftiger Beschaffenheit.
Er entließ fünf Pfeile gleichzeitig von der Sehne, welche den Mund eines sich bewegenden Eisenebers trafen, als wäre es nur ein Pfeil. Der Held mit der gewaltigen Energie entließ einundzwanzig Pfeile in die Höhlung eines an einem Seil hin- und herschwingenden Kuhhorns. Auf diese Weise zeigte Arjuna seine umfassenden Fertigkeiten im Gebrauch von Schwert, Bogen und Keule und bewegte sich in Kreisen über die Arena.

Dann, oh Bharata, als das Turnier beinah beendet war, die Aufregung der Zuschauer sich gelegt hatte, und die Musiker fast verstummt waren, hörte man vom Eingang her das Klirren von Waffen als ein Zeichen von Stärke und Kraft, als ob der Donner grollte. Als die versammelte Menge diesen Klang hörte, dachte jeder: „Teilen sich die Berge? Spaltet sich die Erde? Oder hallt der Himmel von Wolkenbergen wider?“ Alle Augen wandten sich dem Eingang zu. Drona stand fest, von den fünf Söhnen der Kunti umgeben, und erschien wie der Mond in Konjunktion mit dem Sternbild Hasta (fünf Sterne). Auch Duryodhana, der Feindebezwinger, erhob sich hastig mit seinen hundert Brüdern und Aswatthaman mit erhobenen Waffen. Er erschien wie Indra in alter Zeit, der von den himmlischen Heerscharen umgeben zur Schlacht mit den Asura-Götter rüstete.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 138

Karna tritt auf

Da trat der heldenhafte Karna in seiner natürlichen, goldenen Rüstung ein. Sein Gesicht leuchtete mit den goldenen Ohrringen. Er trug Schwert und Bogen und betrat den weiten Platz wie ein wandelnder Berg. ... Dieser berühmte Zerstörer feindlicher Städte mit den großen Augen war von Kunti in ihrer Jugend heimlich geboren worden und ein Teil der heiß glühenden Sonne. ... Vom Sonnengott selbst gezeugt, war er hochgewachsen wie eine goldene Palme und verfügte über die Energie der Jugend, so daß er in der Lage war, einen Löwen zu töten... Der mächtige Krieger schaute sich in der Arena um und verbeugte sich unbewegt vor Drona und Kripa.

... Da sprach der redegewandte Karna, dieser Sohn der Sonne, zu Arjuna, dem ihm unbekannten Bruder, mit tiefer, donnernder Stimme: „Oh Partha, ich werde vor dieser staunenden Menge Kunststücke vollführen, die deine bei weitem übertreffen. Schau sie dir an und staune ebenfalls.“ ... In Duryodhana regte sich Entzücken, während Arjuna sich sofort verlegen ärgerte. Mit Erlaubnis Dronas wiederholte der kampfeslustige Karna alles, was Arjuna zuvor gezeigt hatte. Da umarmte Duryodhana den Karna voller Freude und sprach zu ihm: „Willkommen, du Krieger mit den starken Armen! Durch dich kam ein glückliches Schicksal zu mir, du Held. Das Königreich der Kurus und ich stehen ganz zu deiner Verfügung.“

Karna erwiderte: „Erachte deine Worte, als wären sie bereits vollbracht. Doch ich begehre nur deine Freundschaft. Und, oh Herr, mein Wunsch ist ein Einzelkampf mit Arjuna.“ Da sprach Duryodhana: „Erfreue dich mit mir an den angenehmen Dingen des Lebens. Sei der Wohltäter deiner Freunde, und stelle deinen Fuß auf die Häupter deiner Feinde.“

Vaisampayana sprach:
Arjuna wähnte sich unwürdig behandelt und sprach zu Karna, der mitten unter den Kuru Brüdern wie ein Felsen herausragte: „Der Pfad der unwillkommenen Eindringlinge und ungebetenen Sprecher sei dein, oh Karna, den ich schon besiegt habe.“ Karna erwiderte: „Diese Arena ist für alle offen und nicht nur für dich allein, oh Phalguna. Es gibt Könige von höherer Energie und wahrlich, ein Kshatriya achtet allein die Macht. Wozu mit Worten streiten, ist dies doch eine Übung für Schwache. Oh Bharata, sprich mit deinen Pfeilen, bis ich mit meinen Geschossen vor den Augen deines Lehrers deinen Kopf zum Fallen bringe.“

Schnell wurde da Arjuna von seinen Brüdern umarmt und mit Erlaubnis Dronas machte er sich hastig zum Kampf bereit. Auf der anderen Seite wurde Karna von Duryodhana und seinen Brüdern umarmt. Auch er nahm seinen Bogen auf und stand bereit zum Kampf. Da verdunkelte sich das Firmament mit blitzenden Wolken und Indras Bogen (der Regenbogen) überflutete alles mit seinen leuchtenden Strahlen. Weiße Vakas (Kraniche) segelten vorüber und schienen die Wolken zum Lachen zu bringen.

Als der Sonnengott sah, wie Indra die Arena aus Zuneigung für seinen Sohn besuchte, da zerteilte er die Wolken über seinem Sohn. Während Arjuna unter dem Mantel der Wolken tief versteckt blieb, war Karna von den Strahlen der Sonne umgeben allen sichtbar. Die Söhne Dhritarashtras standen bei Karna, und Drona, Kripa und Bhishma blieben bei Arjuna. Die ganze Menge und auch die weiblichen Zuschauer teilten sich. Kunti verstand die Situation voll und ganz und wurde ohnmächtig. Ihre Dienerinnen und der pflichtbewußte Vidura erfrischten die Ohnmächtige mit Wasser und Sandelpulver und belebten sie wieder. Und so sah Kunti ihre beiden gerüsteten Söhne voller Furcht, doch sie konnte nichts tun.

Duryodhana verleiht Karna ein Königreich und sie werden Freunde

Als Kripa die beiden Krieger mit gespannten Bogensehnen sich gegenüber stehen sah, sprach er um die Pflichten und Regeln von Duellen wissend zu Karna: „Dieser Pandava ist der jüngste Sohn von Kunti. Er gehört zum Geschlecht der Kurus. Er wird sich mit dir schlagen. Doch auch du, oh Starkarmiger, mußt uns deine Abstammung und die Namen von Vater und Mutter sagen, und die königliche Linie, deren Zierde du bist. Wenn er all dies vernommen hat, wird Arjuna mit dir kämpfen oder auch nicht. Söhne von Königen duellieren sich niemals mit Männern aus unrühmlichen Familien.“ Da erbleichte Karna schamvoll, und sein Gesicht glich einem verwelkten Lotus, der von den reißenden Strömen der Regenzeit zerrissen wurde.

Und Duryodhana sprach: „Oh Lehrer, wahrlich, die Schriften sprechen von drei Arten von Männern, welche die Königswürde fordern können: Männer mit königlichem Blut, Helden und Heeresführer. Wenn Arjuna nicht bereit ist, mit einem zu kämpfen, der kein König ist, so werde ich Karna als König von Anga einsetzen.“ Sogleich wurde der mächtige Krieger Karna von mantra-gelehrten Brahmanen auf einem goldenen Thron mit geröstetem Reis, Blumen, Wassergefäßen und viel Gold zum König gesalbt.

Der königliche Schirm wurde über sein Haupt gehalten und prächtige Wedel umfächelten das Gesicht des unzweifelhaften Helden mit der würdevollen Miene. Nachdem die Jubelgesänge verstummt waren, sprach Karna zu Duryodhana: „Oh Tiger unter den Monarchen, was soll ich dir geben, was sich mit deinem Geschenk eines Königreiches vergleichen kann? Oh König, ich werde alles tun, worum du mich bittest.“ Und Duryodhana antwortete ihm: „Ich wünsche mir dringend deine Freundschaft.“ Karna sprach: „So sei es.“ Die beiden umarmten sich freudig und waren sehr glücklich.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 139

Bhima verhöhnt Karna und Duryodhana verteidigt ihn

Kurz darauf kam Atiratha, Karnas Adoptivvater, in die Arena. Seine Kleidung hing lose, er schwitzte und zitterte und hielt sich mit einem Stabe aufrecht. Als Karna ihn sah, ließ er seinen Bogen los und beugte sein von den Weihetropfen feuchtes Haupt in elterlicher Liebe vor seinem Vater. Schnell bedeckte Atiratha, der Wagenlenker, seine Füße mit dem lose hängenden Tuch und sprach den mit Erfolg gekrönten Karna als seinen Sohn an. Er umarmte Karna und weinte Freudentränen über seinem Haupt, die sich mit den königlichen Weihetropfen mischten.

Die Pandavas hatten all das beobachtet und hielten Karna für den Sohn eines Wagenlenkers. Voller Hohn sprach daraufhin Bhimasena: „Du Sohn eines Wagenlenkers, du verdienst nicht den Tod von Arjunas Hand in der Schlacht. Halte dich lieber an die Peitsche, denn dies paßt zu deiner Geburt. Oh du Schlimmster der Sterblichen, du bist es nicht wert, das Königreich von Anga zu beherrschen, wie ein Hund nicht die Butter verdient, die man vor das Opferfeuer stellt.“ Karna seufzte nur tief mit leicht bebenden Lippen und schaute auf den Gott des Tages am Himmel. Doch der mächtige Duryodhana erhob sich zornig inmitten seiner Brüder wie ein aufgestörter Elefant in einem Lotusteich. Er wandte sich an Bhima, diesen Vollbringer von fürchterlichen Taten.

Und Duryodhana sprach:
Oh Vrikodara, es ziemt sich nicht für dich, so zu sprechen! Macht ist die höchste Fähigkeit eines Kshatriya, und auch ein Kshatriya von niederer Geburt verdient den Kampf. Die wahre Herkunft eines Helden ist uns unbekannt wie die Quelle eines herrschaftlichen Stroms. Das Feuer, welches die ganze Welt verschlingen kann, entstammt dem mystischen Wasser. Der Donnerblitz, welcher die Asura-Götter schlägt, wurde aus den Knochen des Sterblichen Dadhichi gemacht. Die Herkunft der ruhmreichen Gottheit Guha (Kartikeya), welche in sich die Anteile aller anderen Götter vereint, liegt ebenfalls im Geheimnisvollen. Manche nennen ihn den Sohn von Agni, manche von Krittika, Rudra oder Ganga.

Es wurde sogar von uns vernommen, daß Männer, die als Kshatriyas geboren, später Brahmanen wurden, denn Vishvamitra und andere haben das ewige Brahma erlangt. Unser Lehrer Drona wurde (auf mystische Weise) in einem Wassertopf geboren und Kripa aus dem Geschlecht von Gotama in einem Häufchen Heidekraut, diese Besten von allen Waffenträgern. Doch eure Geburten, ihr Pandavas, sind mir bestens bekannt. Aber wie könnte eine Hirschkuh einen Tiger wie Karna hervorbringen, der mit dem Glanz der Sonne, mit allen glückverheißenden Zeichen und natürlicher Rüstung nebst Ohrringen gesegnet ist?

Dieser Prinz unter den Männern verdient die Herrschaft nicht nur über Anga, sondern über die ganze Welt, wegen der Kraft seiner Arme und meiner Neigung, ihn in allem zu folgen. Wenn es hier irgend jemanden gibt, der nicht ertragen kann, was ich Karna gab, dann möge er seinen Streitwagen besteigen und mithilfe seines Fußes seinen Bogen spannen.“

Vaisampayana fuhr fort:
Da erhob sich undeutliches Gemurmel unter den Zuschauern, welche Duryodhanas Rede billigten. Jedoch die Sonne ging unter, und Duryodhana ergriff Karnas Hand und führte ihn aus der Arena, die nun mit zahllosen Laternen erleuchtet war. Auch die Pandavas, von Drona, Kripa und Bhishma begleitet, kehrten in ihre Häuser zurück. Das Volk strömte in die Stadt, und manche nannten Karna, andere Duryodhana und wieder andere Arjuna den Sieger des Tages.

Kunti war auch sehr zufrieden. Sie hatte Karna an seinen besonderen Zeichen als ihren Sohn erkannt und freute sich voller mütterlicher Liebe nun sehr, daß er König von Anga geworden war. Duryodhana, welcher sich Karna zum Freund gewonnen hatte, verbannte seine Ängste, die er vor Arjunas Können im Waffenhandwerk hatte. Der heldenhafte Karna jedoch sprach von nun an immer mit lieber Rede zu Duryodhana, während Yudhishthira sicher war, daß kein Krieger auf Erden Karna glich.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 140 - I

Der Einmarsch der Kauravas in Panchala

Nach einiger Zeit war Drona überzeugt, daß es jetzt angebracht war, von seinen Schützlingen das Dakshina (den Lohn des Lehrers) zu fordern. Er rief alle seine Schüler zu sich, erbat sich seine Entlohnung und sprach: „Ergreift König Drupada, den König von Panchala, in der Schlacht und bringt ihn zu mir. Dies wird mein willkommenster Lohn sein.“ Die Krieger sprachen: „So sei es.“, bestiegen ihre Wagen und marschierten von ihm begleitet los.

Auf ihrem Weg schlugen diese Bullen unter den Männern alle Panchalas und belagerten dann die Hauptstadt des großen Drupada. Duryodhana, Karna, der mächtige Yuyutsu, Dushasana, Vikarna, Jalasandha, Sulachana und viele andere hervorragende Kshatriya Prinzen wetteiferten im Angriff miteinander, denn jeder wollte der Beste sein. Sie fuhren auf erstklassigen Streitwagen und hinter ihnen folgte die Kavallerie. So drangen sie in die feindliche Stadt ein und fuhren die Straßen entlang.

In der Zwischenzeit hatte König Drupada die mächtige Armee bemerkt und ihr lautes Getöse vernommen. Er kam wohlgerüstet und von seinen Brüdern begleitet aus seinem Palast heraus. Doch die Armee der Kurus griff ihn mit einem Pfeileschauer an und ließen lautes Kriegsgeschrei vernehmen. Und auch der schwer zu besiegende Drupada schoß viele schreckliche Pfeile von seinem weißen Streitwagen auf die Kurus ab. Noch bevor die Schlacht begann, hatte Arjuna den Stolz der anderen Prinzen auf ihre Heldenkraft bemerkt, und er sprach zu seinem Lehrer Drona: „Wir werden erst eingreifen, wenn die anderen ihren Heldenmut gezeigt haben.

Der König von Panchala kann niemals von ihnen auf dem Schlachtfeld ergriffen werden.“ So wartete der sündenlose Sohn der Kunti mit seinen Brüdern etwa eine Meile außerhalb der Stadt. Dort jedoch tobte darweil die Schlacht. König Drupada griff an und entließ schreckliche Pfeileschauer auf die schwer angeschlagenen Reihen der Kurus. Er bewegte sich so leicht auf dem Felde der Schlacht, daß die Kurus in ihrer Panik meinten, ihnen stünden viele Drupadas gegenüber, obwohl er ohne Unterstützung und nur auf einem Wagen kämpfte.

Die schrecklichen Pfeile des Monarchen stürzten von allen Seiten auf sie ein, bis schließlich von überall tausende Muschelhörner, Trompeten und Trommeln der Panchalas erklangen, welche die herannahende Armee ankündigten. Vom mächtigen Heer der Panchalas erhob sich ein so schreckliches Gebrüll, wie das eines Löwen, und das Sirren ihrer Bogensehnen schien die Himmel entzwei zu reißen.

Da wurden Duryodhana, Vikarna, Suvahu und Dushasana rasend und ließen Schauer von Pfeilen auf den Feind regnen. Doch obwohl der mächtige Bogenkrieger Drupada von vielen Pfeilen getroffen war, griff er die feindlichen Reihen mit noch größerer Entschlossenheit an. Er bewegte sich über das Schlachtfeld wie ein feuriges Rad und traf mit seinen Pfeilen Duryodhana, Vikarna und sogar den mächtigen Karna, nebst vielen anderen heldenhaften Prinzen und zahllosen Kriegern und stillte ihren Durst nach Schlacht.

Auch das Heer entließ nun auf die Kurus verschiedenste Geschosse, wie Wolken ihre Regentropfen auf die Erde fallen lassen. Jung und Alt stürmten in die Schlacht, und alle griffen die Kurus energisch an. Doch nun wurde den Kauravas die Schlacht zu fürchterlich. Sie kehrten sich ab und flohen jammernd zu den Pandavas. Als die Pandavas das gräßliche Geheul der geschlagenen Armee hörten, verneigten sie sich ehrfurchtsvoll vor ihrem Lehrer Drona und bestiegen ihre Streitwagen.

Arjuna bat Yudhishthira, sich nicht an der Schlacht zu beteiligen, und stürmte hastig voran. Die Söhne der Madri (Nakula und Sahadeva) hieß er die Räder seines Wagens beschützen, während der allseits an der Spitze kämpfende Bhima mit der Keule in der Hand vor ihm war. Inmitten des feindlichen Geschreis griff der sündenlose Arjuna von seinen Brüdern begleitet an und erfüllte die Gegend mit dem Gerassel seiner Wagenräder.

Wie eine Makara die Fluten des Ozeans zerteilt, so tauchte der mächtige Bhima mit seiner Keule wie ein zweiter Yama in die Reihen der Panchalas ein. Und er brüllte dabei so fürchterlich wie der sturmgepeitschte Ozean. Bhima griff mit seiner Keule die Elefantenkrieger der feindlichen Armee an, während der kampferprobte Arjuna das Heer mit starkem Arm bedrängte. Wie der große Zerstörer selbst tötete Bhima die Elefanten mit seiner Keule.

Diese riesigen Tiere, groß wie Berge, fielen unter Bhimas Keulenschlägen mit zertrümmertem Haupt blutüberströmt zu Boden wie Klippen, welche der Blitz fällt. Der Pandava schickte nicht nur Elefanten zu tausenden zu Boden, sondern auch Pferde, ganze Wagen, die Infanterie und viele Wagenkrieger. Wie ein Hirte in den Wäldern mit seinem Stab seine Herde vor sich her treibt, so trieb Bhima die Streitwagen und Elefanten des feindlichen Heeres vor sich her.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 140 - II

Drupada, der König von Panchala wird besiegt
Er herrschte dann nur über die südlichen Panchalas
Drona bekamm die andere Hälfte seines Landes

Arjuna hegte den Wunsch, seinem Lehrer Gutes zu tun, und griff Drupada an. Seine Pfeileschauer holten den König von seinem Elefanten herunter. Wie das Feuer am Ende eines Zeitalters kam Arjuna über tausende Pferde, Wagen und Elefanten des Gegners. Doch die Panchalas antworteten dem Pandava mit einem perfekten Geschoßhagel. Sie brüllten laut und kämpften verzweifelt mit Arjuna. Die Schlacht wurde rasend und war schrecklich anzusehen. Das Kriegsgeschrei des Feindes machte den Sohn Indras wütend. Er stürmte heftig voran und deckte das feindliche Heer kraftvoll mit dichten Pfeileschauern ein. Wer den ruhmreichen Arjuna in dieser Phase des Kampfes sah, konnte keine Pause zwischen Pfeilauflegen und Abschießen erkennen.

Überall erhob sich Geschrei mit Beifall vermischt. Doch dann griff der König der Panchalas von seinem Heeresführer Satyajit begleitet den Arjuna mit einer Schnelligkeit an, wie der Asura Samvara einst den Herrn der Himmlischen bestürmte. Arjuna empfing ihn mit einem dichten Schauer an Pfeilen. Und jeder Panchala Krieger brüllte so laut wie ein gewaltiger Löwe, wenn er einen Elefanten anspringt. Satyajit sah, wie Arjuna seinen König angriff, und warf sich mit großem Heldenmut dazwischen. Und die beiden Krieger standen sich wie Indra und der Asura Vali in der Schlacht gegenüber und verwüsteten die Reihen der jeweils anderen Seite.

Erst durchbohrte Arjuna Satyajit mit zehn scharfen Pfeilen, über deren Genauigkeit alle Beobachter nur staunen konnten. Doch ohne Zeit zu verlieren schoß Satyajit auf Arjuna hundert Pfeile ab. Mit bemerkenswerter Leichtigkeit in seinen Bewegungen rieb Arjuna an seiner Bogensehne, um seine Pfeile schneller zu machen, und zerschnitt den Bogen seines Gegners. Satyajit nahm schnell einen anderen Bogen zur Hand und traf Arjuna, seinen Wagen, die Pferde und seinen Wagenlenker. Das vergab ihm Arjuna nicht. Nun entschlossen, ihn sofort zu besiegen, durchbohrte er mit seinen Pfeilen die Pferde seines Gegners, seine Flagge, den Bogen nebst geballter Faust des Kämpfers, seinen Wagenlenker und den Helfer in seinem Rücken. Schon wieder ohne Bogen, und nun auch ohne Pferde trat Satyajit vom Kampf zurück.

Als nun Drupada seinen Heeresführer aufgeben sah, begann er selbst den Kampf gegen Arjuna, welcher ihm heftig entgegentrat. Schnell zerschnitt Arjuna den Bogen seines Feindes, ließ seinen Fahnenmast zu Boden stürzen, und mit fünf Pfeilen fielen die Pferde und der Wagenlenker von Drupada. Dann warf Arjuna seinen Bogen beiseite, nahm den Köcher ab, zog den Krummsäbel aus der Scheide und sprang mit lautem Schrei von seinem Wagen auf den von Drupada. Ohne jegliche Furcht ergriff er den König der Panchalas, wie Garuda eine riesige Schlange ergreift, nachdem sie die Wasser der Tiefe aufgewühlt hatte.

Bei diesem Anblick flohen die Panchala Truppen nach allen Seiten davon. Nachdem Arjuna vor beiden Heeren die Macht seiner Arme gezeigt hatte, verließ er die Reihen des Feindes mit einem lauten Schrei. Als Bhima ihn mit seinem Gefangenen zurückkehren sah, begann er die Stadt Drupadas zu verwüsten. Doch Arjuna sprach zu ihm: „Dieser beste Monarch ist ein Verwandter der Kuru Helden. Daher töte seine Soldaten nicht länger, oh Bhima. Laß uns nur den Lohn an unseren Lehrer auszahlen.“ Und obwohl der mächtige Bhima noch nicht gesättigt war vom Kampf, folgte er Arjunas Worten und hörte mit dem Schlachten auf. Dann nahmen die Prinzen Drupada mit sich und brachten ihn zu Drona.

Als Drona Drupada betrachtete - gedemütigt und bar allen Reichtums - da erinnerte er sich an dessen frühere Feindseligkeit und sprach: „Dein Königreich und deine Hauptstadt wurden von mir verwüstet. Doch fürchte nicht um dein Leben, auch wenn es jetzt vom Willen deines Feindes abhängt. Wünscht du nun, deine frühere Freundschaft mit mir zu beleben?“ Nach diesen Worten lächelte er ein wenig und fuhr dann fort: „Fürchte nicht um dein Leben, tapferer König. Wir Brahmanen vergeben immer. Und, du Bulle unter den Kshatriyas, meine Zuneigung und Liebe zu dir wuchsen damals in unserer gemeinsam verbrachten Knabenzeit in der Einsiedelei.

Darum bitte ich erneut um deine Freundschaft, oh König. Und als ungefragten Segen gewähre ich dir die Hälfte deines Königreiches. Denn du hast mir gesagt, daß einer, der kein König ist, nicht der Freund eines Königs sein kann. Darum gebe ich dir die Hälfte deines Königreiches wieder, oh Drupada. Du wirst der König sein von allen Ländern, die südlich der Bhagirathi liegen, und ich werde König nördlich vom Fluß sein. Und, oh Panchala, wenn du willst, kenne mich von nun an als deinen Freund.“ Drupada antwortete: „Du bist von edler Seele und großem Heldenmut. So bin ich nicht überrascht von deinen Taten, oh Brahmane. Ich freue mich sehr über dich und wünsche mir deine ewige Freundschaft.“

Danach entließ Drona den König von Panchala mit den üblichen Grüßen und übergab ihm die Hälfte des Königreichs. Von da an regierte Drupada traurig in der Stadt Kampilya in der städtereichen Provinz Makandi am Ufer der Ganga. Nach seiner Niederlage herrschte er über die südlichen Panchalas bis zum Fluß Charmanwati. Von diesem Tage an war Drupada zutiefst überzeugt, daß er durch Kshatriya Macht allein niemals Drona besiegen könne, denn die war dessen Brahma Macht deutlich unterlegen. So begann er über die Erde zu wandern und suchte nach Mitteln, einen Sohn zu erhalten (der Drona besiegen würde). Zu dieser Zeit residierte Drona schon in der Gegend von Ahichatra, deren Städte und Dörfer Arjuna mit dem Sieg über Drupada gewonnen und Drona übergeben hatte.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 141

Yudhishthira wird zum Thronerben ernannt
und seine Brüder erobern viele Königreiche


Vaisampayana sprach:
Nach Ablauf eines Jahres ernannte Dhritarashtra aus Güte zum Volk Yudhishthira, den Sohn des Pandu, zum Thronerben über das Königreich, wegen seiner Standhaftigkeit, inneren Stärke, Geduld, Wohltätigkeit, Freimütigkeit und der unerschütterlichen Ehrlichkeit seines Herzens. Schon nach kurzer Zeit überstrahlte der Sohn der Kunti, Yudhishthira, mit seinem guten Verhalten und seiner genauen Hingabe an die Pflichten die Taten seines Vaters.

Der zweite Pandava, Bhima, erhielt Unterricht von (dem Transzendentalen Herrn) Sankarshana (Bal-ram, dem älteren Bruder von Krishna) im Schwert- und Keulenkampf und mit dem Streitwagen. Zum Ende seiner Ausbildung verfügte Bhima über Kraft und Geschick wie Balarama selbst. Er lebte in Harmonie mit seinen Brüdern und wurde immer heldenhafter.

(Der dritte) Arjuna wurde berühmt für die Festigkeit seines Griffs, die Leichtigkeit seiner Bewegung, die Genauigkeit seines Zielens und seine Fähigkeiten im Gebrauch von Kshura, Naracha, Valla und Vipatha, also allen geraden, gekrümmten oder schweren Waffen. Drona bestätigte, daß niemand in der Welt Arjuna in der Leichtigkeit der Hand und der allgemeinen Trefflichkeit mit Waffen gleichkam.

Eines Tages sprach Drona vor den versammelten Kaurava Prinzen zu Arjuna: „Es gab einmal einen Schüler von Agastya namens Agnivesha. Er war mein Lehrer und ich sein Schüler. Durch asketischen Verdienst erhielt ich von ihm die Waffe Brahmashira, welche niemals erfolglos ist, dem Blitzschlag selbst gleicht und in der Lage ist, die ganze Welt zu verschlingen. Diese Waffe, oh Bharata, ging nun von meiner Hand von Schüler zu Schüler.

Als er sie mir übergab, sprach mein Lehrer zu mir: „Oh Sohn des Bharadvaja, niemals darfst du diese Waffe auf einen Menschen richten, und schon gar nicht, wenn seine Energie gering ist.“ Du hast, oh Arjuna, diese himmlische Waffe erhalten, oh Held. Niemand sonst verdient sie. Doch folge den Worten meines Lehrers! Und übergib mir meinen Lohn für deinen Unterricht vor allen deinen Cousins und Verwandten.“

Arjuna gab sein Wort, dem Lehrer zu geben, was er forderte, und Drona sprach: „Oh du Sündenloser, ich möchte, daß du mit mir kämpft, wenn ich mit dir kämpfe.“ Dies versprach dieser Bulle unter den Kurus, berührte die Füße seines Lehrers und entfernte sich in nördlicher Richtung.

Und es erhob sich ein lautes Getöse, welches die ganze, meerumgürtete Erde umgab, denn es gab keinen Bogenkämpfer wie Arjuna. Mit der Keule, dem Schwert, auf dem Wagen und auch mit dem Bogen erlangte Arjuna ein wunderbares Geschick.

(Der vierte Pandava) Sahadev erhielt die ganze Wissenschaft von Moral und Pflicht vom spirituellen Anführer der Himmlischen und lebte in Hingabe an seine Brüder.

Und (der fünfte Pandava) Nakula, der Liebling seiner Brüder, wurde, von Drona unterrichtet, ein fähiger Krieger und großer Wagenkämpfer. So wurden Arjuna und seine Brüder so mächtig, daß sie in der Schlacht den großen Sauvira besiegten, welcher ein dreijähriges Opfer durchgeführt hatte, ohne sich von den Angriffen der Gandharvas einschüchtern zu lassen. Und auch der König der Yavanas, den der mächtige Pandu nicht unter seine Herrschaft bringen konnte, wurde nun von Arjuna besiegt.

Auch Vipula, dieser wahrhaft mächtige König, der den Kurus immer seine Mißachtung gezeigt hatte, spürte durch den klugen Arjuna die Grenzen seiner Macht. Dann besiegte Arjuna dank der Macht seiner Pfeile König Sumitra, der auch unter dem Namen Dattamitra bekannt war, und der entschlossen den Kampf mit ihm gesucht hatte. Dem Dritten der Pandava Prinzen wurde nur von Bhima geholfen, und er unterwarf mit einem einzigen Streitwagen alle Könige des Ostens, welche auf die Hilfe von tausenden Streitwagen zählen konnten. Auf die gleiche Weise eroberten sie den ganzen Süden und übergaben dem Königreich der Kurus eine beträchtliche Beute.

So unterwarfen diese Besten der Männer, die ruhmreichen Pandavas, die Länder anderer Könige und erweiterten die Grenzen ihres Reiches. Doch Dhritarashtras Gefühle für die Pandavas wurden durch die große und heldenhafte Macht dieser mächtigen Bogenkrieger vergiftet. Der Monarch wurde so ängstlich, daß er nicht mehr schlafen konnte.
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 142 - 1

Ratschlag von Kanika

Voller elender und ängstlicher Gefühle wegen der gewachsenen Macht der Pandavas rief Dhritarashtra Kanika zu sich, diesen Besten der Minister, der sehr gelehrt in Kriegskünsten und ein hervorragender Ratgeber war. Zu ihm sprach er: „Oh bester Brahmane, die Pandavas überschatten täglich die Erde. Ich bin so neidisch auf sie. Sollte ich mit ihnen Frieden halten oder gegen sie kämpfen? Oh Kanika, berate mich gut, denn ich werde tun, was du sagst.“ So antwortete der beste Brahmane in freien Worten, welche vorzüglich den Künsten der Staatsführung folgten.

Kanika sagte:
Höre auf meine Antwort, oh sündenloser König. Und sei nicht ärgerlich mit mir, du Bester der Kuru Könige, wenn du alles gehört hast, was ich dir sagen möchte. Könige sollten immer mit erhobenem Zepter bereitstehen und ihren Heldenmut vergrößern. Eigene Fehler sollten sie sorgfältig vermeiden, doch die Schwachstellen ihrer Feinde immerzu beobachten, um Vorteile daraus zu gewinnen. Wenn der König allseits zum Schlag bereit ist, dann wird er gefürchtet. Daher sollte der König in allen seinen Taten immer zum Zepter greifen. Er sollte sich immer so verhalten, daß sein Feind keine Schwäche an ihm erkennt. Doch wenn er eine Schwäche im Feind sieht, sollte er ihn verfolgen.

Kein Mensch möge die hohen Ziele ergründen, die in ihm verborgen sind, wie die Schildkröte ihren Körper verbirgt. Und so soll er auch die eigenen Schwächen vor den Augen anderer verbergen. Wenn er jemals etwas beginnt, sollte er es unter allen Umständen auch beenden. Denn denke daran, wenn ein Dorn nicht vollständig herausgezogen wird, ruft er eine eiternde Wunde hervor. Der Sieg über einen Feind, welcher dir Übles tut, ist immer lobenswert. Besitzt ein Feind große Macht und ist er ein vorzüglicher Krieger, dann sollte man auf die Stunde seiner Schwäche warten und ihn dann ohne Skrupel schlagen. Auch wenn er flieht, oder schwach und verächtlich ist, darf er niemals geschont werden.
Denn selbst der kleinste Funke kann einen großen Wald vernichten, wenn er von einem Baum zum anderen springt.

Manchmal dürfen Könige Taub- und Blindheit vortäuschen. Wenn sie nämlich nicht in der Lage sind zu strafen, dann sollten sie vorgeben, Taten, die nach Züchtigung verlangen, nicht zu bemerken. Zu solchen Gelegenheiten heißt es, ihre Bögen seien aus Stroh. Doch immer sollten sie wachsam sein, wie eine schlummernde Herde Rehe im Wald. Wenn der Feind in deiner Gewalt ist, dann schlage ihn mit allen Mitteln, ob offen oder geheim. Zeige ihm kein Mitleid, auch wenn er darum bettelt. Wenn es nötig ist einen Feind oder eine Kränkung zu besiegen, müssen die entsprechenden Mittel angewandt werden. Denn der Sieg über den Feind erleichtert und befreit von Furcht.

Du mußt die drei, fünf und sieben Mittel und Auswege deiner Feinde vernichten, das heißt, die Feinde mitsamt ihren Wurzeln auslöschen. So müssen auch ihre Verbündeten und Sympathisanten geschlagen werden. Verbündete und Gefolgsleute können nicht lange überleben, wenn ihre Führer geschlagen sind, denn die Äste und Zweige eines Baumes können niemals weiterleben, wenn die Wurzeln zerstört sind. Achtsam sollst du deine Mittel und Ziele verbergen und immer die Schwächen deines Feindes beobachten. Beständig sollst du dein Königreich regieren, während du sorgsam deine Feinde im Auge behältst.

Indem du durch Opfer das ewige Feuer nährst, braune Kleidung und verfilzte Locken trägst und dich auf Tierfelle bettest, sollst du zuerst deinen Feind kennenlernen, um ihn dann wie ein Wolf anzuspringen. Denn es wird gesagt, daß für das Erlangen der rechten Mittel das Kleid der Heiligkeit angelegt werden sollte, wie ein gekrümmter Ast dazu benutzt wird, den Zweig mit den reifen Früchten zu beugen. Diese Methode der Auswahl von reifen Früchten sollte auch bei deinen Feinden angewandt werden. Trage du deinen Feind solange auf deinen Schultern, bis du ihn abwerfend zerbrechen kannst, wie ein tönerner Topf auf Steinboden zerschellt. Vom Feind darf niemals abgelassen werden, auch wenn er dich höchst mitleidvoll anfleht. Niemals darfst du ihm nachgeben. Schlage ihn mit einem Mal. Auch durch die Kunst der Überzeugung und Bestechung kann ein Feind vernichtet werden. Sei es, du säst Uneinigkeit unter seinen Verbündeten oder wendest Gewalt an, mit allen Mitteln müssen Feinde besiegt werden.

Dhritarashtra bat:
Erkläre mir genau, wie man einen Feind durch Versöhnung, Reichtum, Uneinigkeit oder Gewalt besiegen kann.
 
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Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 142 - 2

Die alte Geschichte vom Schakal

Kanika erwiderte:
Höre, oh Monarch, die alte Geschichte vom Schakal, der im Walde lebte und mit der Wissenschaft der Kriegsführung vertraut war. Er war ein weiser Schakal, handelte entsprechend seinem Wesen und lebte in Gesellschaft von vier Freunden: einem Tiger, einer Maus, einem Wolf und einem Mungo. Eines Tages trafen sie auf einen starken Hirsch, den Anführer einer Herde, den sie nicht fangen konnten, weil er so schnell und stark war. So berieten sie sich. Der Schakal schlug vor: „Oh Tiger, du hast dich vergebens bemüht, diesen Hirsch zu jagen, denn er ist jung, flink und sehr klug.

Wir sollten die Maus schicken, um seine Hufe anzufressen, wenn er schläft. Dann möge der Tiger wieder angreifen und ihn packen. Und wir werden uns vergnügt an ihm laben.“ Sie alle machten sich daran, seinen Worten achtsam zu folgen. Die Maus nagte an seinen Hufen, und der Tiger tötete den Hirsch wie vorhergesagt. Als der Körper der Beute bewegungslos am Boden lag, sprach der Schakal: „Gesegnet seid ihr. Geht und vollführt eure Waschungen. Ich werde solange auf den Hirsch aufpassen.“

Wieder folgten sie seinen Worten und gingen zum Fluß. Der Schakal wartete und dachte darüber nach, was er nun tun solle. Zuerst kam der starke Tiger von seinen Waschungen zurück und sah den Schakal in Gedanken versunken. Er fragte ihn: „Warum so nachdenklich, oh Weiser? Du bist der Klügste. Laß uns froh sein und mit diesem Fleisch ein Festmahl abhalten.“ Der Schakal antwortete: „Höre, oh Mächtiger, was die Maus gerade gesagt hat: „Pfui über die Kraft des Herrn der Tiere! Ich habe den Hirsch erlegt!

Durch meine Kraft wird er heute seinen Hunger stillen.“ Seit sie auf diese Weise prahlte, verspüre ich keinen Wunsch mehr, dieses Fleisch zu berühren.“ Der Tiger erwiderte: „Wenn die Maus das wirklich gesagt hat, dann bin ich nun zur Besinnung gekommen. Von nun an werde ich nur noch mit meiner eigenen Kraft die Tiere des Waldes jagen und mich von ihrem Fleisch ernähren.“ Sprach`s und ging davon.

Nachdem der Tiger fort war, kam die Maus zurück. Der Schakal sprach zu ihr: „Gesegnet seist du, oh Maus. Doch höre, was der Mungo eben gesagt hat: „Das Fleisch dieses Hirschs ist giftig. Ich werde es nicht essen. Doch wenn du, Schakal, es mir gestattest, dann töte ich die Maus und esse sie.“ Als die Maus das hörte, rannte sie alarmiert davon und verschwand in einem Loch. Dann kam der Wolf vom Fluß zurück.

Der Schakal sprach zu ihm: „Der König der Tiere ist wütend auf dich. Dir wird es sicher übel ergehen, denn er wird mit seiner Gefährtin bald zurückkommen. Doch tue, was du für richtig hältst.“ So wurde der Schakal auch den Wolf los, welcher sich sofort davon machte. Dann kam der Mungo zurück. Als der Schakal ihn erblickte, sprach er: „Die anderen habe ich dank meiner Kraft schon besiegt und in die Flucht geschlagen. Kämpfe mit mir und dann kannst du von diesem Fleisch essen.“

Der Mungo meinte daraufhin: „Wenn der heldenhafte Tiger, der starke Wolf und die kluge Maus von dir wirklich besiegt worden sind, dann mußt du ein noch größerer Held sein. Ich begehre keinen Kampf mit dir.“ Sprach`s und ging verängstigt davon. Und der Schakal freute sich sehr über den Erfolg seiner Strategie und aß ganz allein vom Fleisch.
 
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