Mahabharata

Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 120 -2

Arten von Söhne


Vaisampayana erzählte weiter:
Nach diesen Worten der Asketen dachte Pandu tiefgründig über den Verlust seiner Zeugungskraft und den Fluch des Hirsches nach. Dann rief er seine Frau Kunti zu sich und sprach mit ihr im Geheimen.

Pandu sagte:
Bemühe du dich um Kinder in dieser Zeit der Not. Die Weisen der ewigen Religion erklären, daß ein Sohn, oh Kunti, der Grund für tugendhaften Ruhm in den drei Welten ist. Es wird gesagt, daß Opfer, Almosen, asketische Buße und eingehaltene Gelübde einem Mann ohne Söhne keinen bleibenden Verdienst übertragen. Oh du mit dem süßen Lächeln, ich weiß das alles und bin mir daher sicher, daß ich ohne Söhne niemals in die Gefilde wahrhafter Glückseligkeit gelange.

Oh du Zarte, ich war ein Lump und süchtig nach grausamen Taten. So verdarb ich mein Leben und meine Zeugungsfähigkeit wurde vom Fluch des Hirsches zerstört. Dharma kennt sechs Arten von Söhnen, welche als Erben und Nachfolger gelten, und weitere sechs, welche das nicht sind. Ich werde dir sie aufzählen, oh Pritha, höre mir zu.

Als erstes gibt es den Sohn, den man mit seiner anvertrauten Ehefrau bekommt (Aurasha).
Als zweites gilt der Sohn, wenn eine fähige Person aus Freundlichkeit ihn mit der eigenen Frau zeugt (Pranita).
Als drittes gilt der Sohn, den jemand mit der Ehefrau für Geld zeugt (Parikrita).
Als viertes gilt der Sohn, den die Gattin nach dem Tode des Gatten bekommt (Paunarvava).
Zum fünften gibt es den Sohn, der als unverheiratet geboren wird (Kanin, Putrika-putra).
Als sechstes gilt als Sohn, wenn ihn eine unkeusche Frau geboren hat (Dutt: Kunda, wenn die Frau mit vier Personen Verkehr hatte).

Als siebtes gibt es den geschenkten Sohn (Dattya).
Als achtes zählt der von anderen gekaufte Sohn (Krita).
Als neuntes zählt der Sohn, der zu einem aus Dankbarkeit von selbst kommt (Upakrita).
Als zehntes gibt es den Sohn einer schwangeren Braut.
Als elftes den Sohn eines Bruders.
Und als zwölftes den Sohn, den man mit einer Gattin aus einer niederen Kaste bekommt (Hina Jonidritha).

Wenn es nicht gelingt, in der gleichen Kaste einen Sohn zu bekommen, sollte die Mutter ein Kind in der nächsten Kaste suchen.
In Zeiten der Not erbitten Männer Kinder von fähigen jüngeren Brüdern.
Der selbstgezeugte Manu hat gesagt, wenn es Männern nicht gelingt, eigene Kinder legitim zu zeugen, dann sollten ihre Frauen mit anderen Kindern haben, denn Söhne bewahren den höchsten DharmaVerdienst.

Da ich, oh Kunti, keinen Sohn zeugen kann, bitte ich dich, gute Kinder zu bekommen mit einem Mann, der mir gleicht oder höher steht.

Oh Kunti, lausche der Geschichte, in der die Tochter von Sharadandayana von ihrem Herrn gebeten wurde, für Kinder zu sorgen. Die Dame des Kriegers badete, als ihre Zeit kam, ging in die Nacht und wartete an einem Ort, an dem sich vier Straßen kreuzten. Sie mußte nicht lange warten, da kam ein mit asketischem Erfolg gekrönter Brahmane vorbei. Die Tochter von Sharadandayana bat ihn um Nachkommen. Dann goß sie geklärte Butter in das Opferfeuer Pungshavana und brachte drei Söhne zur Welt, welche mächtige Wagenkrieger waren. Durjaya war der Älteste, den sie mit dem Brahmanen bekam. Oh du mit dem guten Schicksal, folge dem Beispiel dieser Kriegerdame auf mein Wort hin, und sorge schnell für Nachkommen aus dem Samen eines Brahmanen mit hohem asketischem Verdienst.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 121

Kunti erzählt die Geschichte von Vyushitaswa

Doch Kunti antwortete ihrem Herrn:
Oh Tugendhafter, sprich nicht so zu mir. Ich bin deine dir anvermählte Frau, oh Lotusäugiger, und dir zugetan. Oh Bharata mit den starken Armen, du selbst solltest mit mir Kinder zeugen, denn du bist höchst mächtig. Und dann gehe ich mit dir in den Himmel ein. Oh Kuru Prinz, empfange mich in deiner Umarmung, damit wir Kinder zeugen. Ich werde niemals, nicht einmal in meiner Phantasie, einen anderen Mann außer dir akzeptieren. Denn welch anderer Mann in dieser Welt ist dir überlegen? Du Tugendhafter, lausche der folgenden Geschichte aus den Puranas, die ich einst gehört habe, oh du mit den großen Augen. Ich werde sie dir erzählen.

Es war einmal ein König im Geschlecht des Puru, der unter dem Namen Vyushitaswa bekannt war. Er war der Wahrheit und der Tugend sehr zugetan. Einmal führte der Starkarmige ein Opfer durch, zu dem Indra, die Götter und die großen Rishis kamen. Indra wurde so berauscht vom Somasaft, den er trank, und die Brahmanen wurden so euphorisch über die reichen Geschenke, daß sowohl die Götter als auch die großen Rishis begannen, alles zum Opfer Gehörige selbst auszuführen.

Dies ließ Vyushitaswa über alle anderen Menschen erstrahlen, wie die Sonne in doppeltem Glanz erscheint, wenn die frostige Zeit vorüber ist. Der mächtige Vyushitaswa war mit der Kraft von zehn Elefanten gesegnet. Schon bald führte er das Pferdeopfer aus, besiegte alle Könige in Nord, Ost, West und Süd und forderte von ihnen Tribut. Es gibt ein Loblied, oh bester Kuru, das von allen Erzählern der Puranas gesungen wird, und was diesen Ersten der Männer, den ruhmreichen Vyushitaswa betrifft: Nachdem er die ganze Erde bis an die Ufer des Meeres erobert hatte, beschützte Vyushitaswa alle Klassen seiner Untertanen wie ein Vater und schätzte sie wie seine eigenen Söhne.

Er hielt viele Opfer ab und verteilte viel Reichtum an die Brahmanen. Er sammelte Juwelen und kostbare Steine ohne Zahl, und arrangierte noch viel größere Opfer. So führte er das Agnistoma und andere vedische Opfer aus, die große Mengen Somasaft hervorbrachten. Und, oh König, Vyushitaswa hatte Vadra, die Tochter von Kakshivana, zu seiner lieben Ehefrau, die auf Erden wegen ihrer Schönheit unvergleichlich war. Es wurde erzählt, daß sich das Paar herzlich liebte. Selten war König Vyushitaswa von seiner Gattin getrennt.

Doch übermäßiger, sinnlicher Genuß hatte einen Anfall von Schwindsucht zur Folge, und der König starb innerhalb weniger Tage, wie die Sonne in ihrer ganzen Pracht untergeht. Da versank Vadra, seine schöne Königin, in tiefer Trauer. Sie war ohne Söhne und weinte bitterlich. Höre mir zu, oh König, wie ich dir alles erzähle, was Vadra sprach, während große Tränen ihre Wangen herabtropften. Sie sagte: „Oh Tugendhafter, Frauen verlieren ihren Sinn, wenn der Ehemann tot ist. Wenn eine Frau nach dem Tode ihres Gatten weiterlebt, schleppt sie sich nur in einer elenden Existenz dahin, die kaum noch Leben genannt werden kann.

Oh du Bulle unter den Kshatriyas, der Tod ist ein Segen für Frauen ohne Ehemann. Ich möchte dir auf deinem Wege folgen. Sei freundlich, und nimm mich mit! Ohne dich bin ich nicht fähig, das Leben nur für einen Moment zu ertragen. Sei mir lieb, und nimm mich bald von hier fort. Oh Tiger unter den Männer, ich werde dir auf leichtem und auf schwerem Boden folgen. Du bist gegangen, oh Herr, um nicht wiederzukommen. Ich werde dir als dein Schatten folgen, oh König. Ich werde dir gehorchen und immer tun, was dir angenehm ist und zu deinem Wohle gereicht.

Oh du mit den Augen wie Lotusblüten, ohne dich werden mich die Qualen des Geistes peinigen und mein Herz auffressen. Oh ich Arme, zweifellos wurde ein liebendes Paar in einem früheren Leben von mir getrennt, weil ich jetzt die Schmerzen der Trennung von dir erleiden muß.

Oh König, die arme Frau, die nur für einen Moment von ihrem Mann getrennt ist, lebt voller Gram und erleidet die Qualen der Hölle auf Erden. Oh König, ich werde mich auf ein Lager aus Kusa Gras legen und mich allem Luxus enthalten, denn ich will dich noch einmal wiedersehen. Oh Tiger der Männer, zeig dich mir! Oh König, oh Herr, sprich zu deiner bitterlich weinenden und qualvoll leidenden Gattin!“

Kunti fuhr fort:
So beklagte die wunderschöne Vadra den Tod ihres Herrn, und weinend umarmte sie den Leichnam mit gepeinigtem Herzen. Da ertönte eine Stimme und sprach zu ihr: „Oh Vadra, erhebe dich und verlasse diesen Ort. Oh du mit dem lieblichen Lächeln, ich gewähre dir einen Segen. Ich werde mit dir Nachkommen zeugen. Lege du dich am achten Tag der Mondhälfte mit mir in dein Bett, nachdem du zuvor gebadet hast.“ Die keusche Dame tat, wie ihr die Stimme geheißen. Und so, oh Bulle des Bharata Geschlechts, zeugte der Leichnam ihres Ehemannes mit ihr sieben Kinder, die sie zur Welt brachte, nämlich drei Shalwas und vier Madras. Oh du Bulle unter den Bharatas, zeuge auch du Kinder mit mir wie der ruhmreiche Vyushitaswa, und übe die asketische Macht aus, die du besitzt.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva
122

Wie Swetaketu die Ehe einführte
früher gingen die Frauen nach Belieben überall hin und vergnügten sich
und das wurde doch nicht als sündig angesehen

Die Sünde des Tötens eines Embryos

Nach diesen Worten seiner liebenden Frau, gab König Pandu wohl gelehrt in den Regeln der Moral mit tugendhaften Worten folgende Antwort.
Pandu sprach: Oh Kunti, was du gesagt hast, ist wahr. So handelte Vyushitaswa vor langer Zeit, wie du es erzählt hast. Ja, er war den Himmlischen ebenbürtig. Doch ich erzähle dir nun von den Handlungen ruhmreicher Rishis vor langer Zeit, die voll und ganz mit allen Geboten der Tugend vertraut waren.

Oh du mit dem schönen Gesicht und dem lieben Lächeln, früher wurden die Frauen nicht in häusliche Banden eingeschlossen und hingen nicht vom Ehemann oder anderen Verwandten ab. Sie gingen nach Belieben überall hin und vergnügten sich, wie es ihnen gefiel. Oh du mit den hervorragenden Eigenschaften, sie blieben keinem Ehemann treu, hatten ein ausschweifendes Leben und wurden doch nicht als sündig angesehen, denn dies war der übliche Brauch zu jener Zeit, du Schöne.

Genauso halten es noch heute manche Vögel und Tiere, ohne dabei irgendwelche Eifersucht zu zeigen. Und diese Praxis wird im Ausnahmefall noch heute von den großen Rishis gelobt. Oh du mit den schwellenden Schenkeln, die Kurus im Norden achten und respektieren sie. Ja, im Altertum wurde dieser freizügige Brauch für Frauen gebilligt. Die Art, wie wir heute leben, wurde erst später eingeführt. Ich werde dir genau erzählen, von wem und warum.

Es wird erzählt, daß es einst einen großen Rishi namens Uddalak gab, welcher einen asketischen Sohn mit Namen Swetaketu hatte. Oh du mit den Lotusaugen, aus Ärger wurde von Swetaketu die nun heute bei uns übliche Praxis eingeführt. Höre den Grund. Eines Tages kam in Anwesenheit von Swetaketus Vater ein Brahmane, ergriff Swetaketus Mutter bei der Hand und sprach: „Laß uns gehen.“ Als der Sohn sah, wie seine Mutter bei der Hand scheinbar mit Gewalt fortgeführt wurde, war er sehr empört. Uddalak bemerkte den Zorn seines Sohnes und sprach zu ihm: „Sei nicht wütend, mein Sohn. Das ist die seit alters her übliche Praxis. Die Frauen aller Kasten in dieser Welt sind frei, und mischen sich mit allen Männern wie alle anderen Wesen auch. (Und die Männer, mein Sohn, handeln in dieser Sache gemäß ihrer Kaste wie die Kühe.)

Doch der Sohn des Rishi tadelte diesen Brauch und führte die heute noch geltenden Regeln für Männer und Frauen ein. Und es wird auch gesagt, du Tugendhafte, daß diese Praxis bis heute nur für Menschen gilt und nicht für andere Wesen. Ja, heutzutage ist es für Frauen eine Sünde, nicht bei ihrem Ehemann zu bleiben. Frauen, welche die Grenzen übertreten, die der Rishi aufgestellt hat, werden der Sünde des Tötens eines Embryos für schuldig betrachtet. Und auch Männer, die einer keuschen und liebenden Ehefrau, welche in ihrer Jugend dem Gelübde der Reinheit folgte, Gewalt antun, werden der gleichen Sünde bezichtigt. Und es ergeht der Ehefrau ebenso, welche die Bitte ihres Ehemannes abschlägt, Kinder zu bekommen.

So wurde, oh Zarte, der heutige Brauch von Swetaketu, dem Sohn von Uddalaka, eingeführt. Oh du mit den wohlgeformten Schenkeln, es ist auch bekannt, daß Madayanti, die Gattin von Saudasa, von ihrem Ehemann gebeten wurde, Kinder zu bekommen. Die Schöne ging zu Rishi Vasishta und erhielt von ihm einen Sohn namens Asmaka. Sie tat dies, um ihrem Ehemann Gutes zu erweisen. Oh du mit den Lotusaugen, du weißt, wie wir vom inselgeborenen Vyasa gezeugt wurden, damit die Kuru Linie nicht ausstirbt.

Und, du Makellose, überdenke alle diese Beispiele und folge meiner Bitte, die nicht unvereinbar mit der Tugend ist. Oh Prinzessin, die du deinem Gatten zugetan bist, es wird auch gesagt, daß eine Frau in ihrer fruchtbaren Phase immer ihren Ehemann aufsuchen sollte, aber in der anderen Zeit Freiheit verdient. Das wird von den Weisen seit langer Zeit verkündet. Doch sei die Tat sündig oder nicht, die Veden-kundigen betonen immer, daß es die Pflicht der Frauen ist, den Wünschen ihrer Gatten zu folgen.

Oh du mit dem makellosen Antlitz, besonders weil ich meiner Zeugungsfähigkeit beraubt bin und mir nun Nachkommen wünsche, verdiene ich umsomehr, daß du mir gehorchst. Oh Liebenswerte, ich falte meine Hände mit den rosigen Fingern, forme mit ihnen eine Schale aus Lotusblättern und halte sie über meinen Kopf, um dich milde zu stimmen. Oh du mit den schönen Locken, bekomme mit einem asketischen Brahmanen Kinder auf mein Wort hin. Denn dann gehe ich dank dir, oh du mit den schönen Hüften, auf dem Weg, der für jene bestimmt ist, die mit Kindern gesegnet sind.

Da sprach die schöne und ihrem Gatten stets ergebene Kunti:
Als ich noch ein Mädchen war, oh Herr, war ich im Hause meines Vaters für die Bewirtung der Gäste zuständig. Ich bediente respektvoll die Brahmanen mit strengen Gelübden und großem asketischen Verdienst. Und eines Tages stellte ich einen Brahmanen, den die Leute Durvasa nannten, der seinen Geist unter völliger Kontrolle hatte und der das Wissen über alle Mysterien der Religion besaß, mit meiner Aufmerksamkeit zufrieden. Er gewährte mir einen Segen in Form eines Mantras, mit dem ich jeden Himmlischen zu mir rufen kann, den ich möchte.

Der Rishi sprach zu mir: „Jeder Himmlische, den du mit diesem Mantra herbeirufst, wird kommen, liebes Mädchen, und deinem Willen folgen, ob er es mag oder nicht. Und, oh Prinzessin, durch seine Gnade wirst du Kinder haben.“ Oh Bharata, das sprach der Brahmane damals zu mir, als ich in meines Vaters Hause lebte, und seine Worte können niemals falsch sein. Und nun ist wohl die Zeit gekommen, daß seine Worte Früchte tragen sollen. Wenn du es mir befiehlst, oh königlicher Weiser, dann kann ich mit diesem Mantra einen Gott herbeirufen, und wir können gute Kinder haben. Nun sage mir, du wahrhafter Mann, welchen Himmlischen ich rufen soll. Ich erwarte deine Befehle.

Da sagte Pandu:
Oh du Schöne, tu noch heute alles, um unsere Wünsche zu erfüllen. Du Glückliche, ruf den Gott der Gerechtigkeit zu dir. Er ist der Tugendhafteste in der Welt. Der Gott der Gerechtigkeit und der Tugend wird uns niemals mit Sünde beflecken. Und auch die Welt, du wunderschöne Prinzessin, wird unser Handeln niemals für unheilig halten. Und der Sohn, den wir von ihm bekommen, wird bezüglich der Tugend sicher der Beste unter den Kurus sein. Vom Gott der Tugend und Gerechtigkeit gezeugt, wird dieser Sohn niemals sein Herz etwas Sündigem oder Unheiligem zuwenden. Also, du mit dem süßen Lächeln, halte dir die Pflicht vor Augen, folge deinen heiligen Gelübden und rufe mithilfe von Gebeten und Mantras den Gott Dharma zu dir.

Vaisampayana fuhr fort:
Darauf antwortete Kunti, diese Beste der Frauen, ihrem Herrn: „So sei es“. Sie verbeugte sich vor ihm, umschritt ihn verehrend und beschloß, seiner Bitte nachzukommen.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 123 -1


Die Geburt von Yudhishthir und Bhima

Vaisampayana sprach:
Es war zu der Zeit, als Gandharis Empfängnis genau ein Jahr zurücklag, daß Kunti den Gott der Gerechtigkeit zu sich rief, um von ihm einen Sohn zu empfangen. Ohne Zeit zu verlieren, opferte sie dem Gott und wiederholte das Mantra, das ihr Durvasa einst übergeben hatte. Von ihrer Anrufung überwältigt erschien der in einem sonnenhellen Wagen fahrende Gott vor ihr. Lächelnd fragte er: „Oh Kunti, was soll ich dir geben?“ Kunti lächelte zurück und antwortete ihm: „Gib mir einen Sohn.“

Da vereinte sich der Gott der Gerechtigkeit in seiner spirituellen Form mit der schönen Kunti, und sie empfing von ihm einen Sohn, der dem Wohle der Wesen zugetan war. Sie brachte das vorzügliche, zum Ruhme geborene Kind im achten Muhurta, genannt Avijit, zur Mittagsstunde am fünften Tag der hellen Monatshälfte zur Welt, also an diesem glücksverheißenden Tag im achten Monat (Kartika), als der Stern Jeshtha in Konjunktion mit dem Mond aszendent war.

Sobald das Kind geboren war, hörte man eine Stimme sagen: „Dieses Kind wird der Beste und Tugendhafteste der Männer werden. Mit großem Heldenmut und wahrhafter Rede gesegnet wird er sicher der Herrscher der Erde sein. Dieses erste Kind des Pandu soll den Namen Yudhishthir tragen. Mit heroischer Kraft und der Wahrheit zugeneigt wird er ein berühmter König werden und in allen drei Welten bekannt.“

Nach diesem ersten, tugendhaften Sohn sprach Pandu erneut zu seiner Frau Kunti: „Die Weisen haben gesagt, daß ein Kshatriya mit körperlicher Kraft ausgestattet sein muß. Sonst ist er kein Kshatriya. Bitte um einen Sohn von überragender Stärke.“ Auf diese Worte ihres Mannes hin, rief Kunti Vayu zu sich. Als der mächtige Gott des Windes auf einem Hirsch zu ihr geritten kam, fragte er sie: „Was, oh Kunti, kann ich dir geben? Sag mir, was in deinem Herzen ist.“ Bescheiden lächelnd sagte sie: „Gib mir, oh bester Himmlischer, ein Kind mit großer Kraft und gewaltigen Gliedern, das in der Lage ist, den Stolz eines jeden zu brechen.“

So zeugte der Gott des Windes mit ihr einen Sohn, der später als Bhima mit den mächtigen Armen und der schrecklichen Heldenkraft bekannt wurde. Zur Geburt dieses außerordentlich kräftigen Kindes sprach wieder jene Stimme: „Dieses Kind soll der Erste unter allen Starken sein.“ Und ich muß dir erzählen, oh Bharata, daß nach der Geburt von Bhima noch ein wunderbares Ereignis stattfand. Kunti war damals aus Furcht vor einem Tiger plötzlich aufgesprungen, ohne darauf zu achten, daß das Kind in ihrem Schoß schlief.
So fiel er seiner Mutter vom Schoß auf den Boden am Hang des Berges, und durch die Heftigkeit seines Falls zerbrach der Felsen unter ihm in tausend Stücke, doch der Körper des Neugeborenen nahm keinerlei Schaden. Als Pandu den Fall und den zertrümmerten Felsen sah, staunte er sehr. Am selben Tag, als Bhima geboren wurde, kam auch Duryodhana zur Welt, der später der Herrscher der ganzen Erde wurde.

Nach der Geburt von Bhima begann Pandu wieder zu sinnen: „Wie kann ich einen überragenden Sohn bekommen, der weltweiten Ruhm erringen wird? Alles in der Welt hängt von Schicksal und Bemühen ab. Das Schicksal kann ohne rechtzeitige Anstrengung nicht erfüllt werden. Es wird gesagt, daß Indra der Anführer der Götter ist. Er ist wahrlich mit unvergleichlicher Macht, Energie, Heldenmut und Herrlichkeit gesegnet. Wenn ich ihn mit meiner Askese erfreue, werde ich von ihm einen Sohn von großer Stärke bekommen. Ja, sein Sohn muß alles überragend sein und alle Menschen und andere Wesen in der Schlacht besiegen können. Ich werde dafür die härteste Enthaltsamkeit im Herzen, in Taten und Worten üben.“

Danach beriet sich König Pandu mit den großen Rishis und bat Kunti, für ein Jahr einem besonderen Eid zu folgen. Er selbst stand in diesem Jahr auf einem Bein vom Morgen bis zum Abend und übte schwerste Buße mit einem in Meditation versunkenen Geist, um den Herrn der Himmlischen freundlich zu stimmen. Nach langer Zeit erschien Indra zufrieden vor Pandu und sprach zu ihm: „Ich werde dir einen Sohn geben, oh König, der in allen drei Welten berühmt und das Wohl von Brahmanen, Kühen und allen ehrbaren Menschen fördern wird. Der Sohn, den ich dir geben werde, wird der Vernichter der Niedertracht und das Entzücken seiner Freunde und Verwandten sein.

Und als Bester der Männer wird er ein unwiderstehlicher Bekämpfer aller Feinde werden.“ Nach reiflicher Überlegung dieser Worte sprach Pandu zu Kunti: „Du Glückliche, dein Gelübde war erfolgreich. Der Herr der Himmlischen ist zufrieden und willig, dir einen Sohn zu geben, wie du es wünschst: mit übermenschlichen Taten und großem Ruhm. Er wird der Bezwinger seiner Feinde sein, eine große Seele besitzen und tiefe Weisheit. Er wird der Sonne an Herrlichkeit gleichen, unbesiegbar in der Schlacht sein und außerordentlich schön. Oh du mit der schönen Taille und dem lieben Lächeln, der Herr der Himmlischen ist dir gewogen. Ruf ihn an und bring einen Jungen zur Welt, der die Heimat aller Kshatriya Tugenden wird.“
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 123 -2

Die Geburt von Arjuna
Die Weisen erlauben keine vierte Geburt, nicht einmal in Zeiten der Not


Vaisampayana fuhr fort:
So rief die gefeierte Kunti auf Geheiß ihres Herrn den Gott Indra (alias Jehova, siehe Jehova der Wettergott des Regens und Donnerkeils - Zeus) zu sich, der sofort erschien und mit ihr einen Sohn zeugte, der Arjuna genannt wurde. Sogleich nach der Geburt des Kindes verkündete eine deutliche Stimme laut und tief und erfüllte dabei das Himmelsgewölbe, so daß es jeder in der Einsiedelei vernahm: „Dieses Kind von dir, oh Kunti, wird Kartavirya (dem tausend-armigen) an Energie und Shiva an Heldenmut gleichen. Unbesiegbar wie Indra selbst wird sich sein Ruhm weit verbreiten.

Wie Vishnu die Freude seiner Mutter Aditya war, so soll dieses Kind deine Freude sein. Er wird die Madras, Kurus, Somakas, die Völker von Chedi, Kasi und Karusha unterwerfen und den Wohlstand der Kurus sichern. Gott Agni wird große Dankbarkeit durch die Macht seiner Arme erfahren, wenn der Gott den Khandava Wald und alles Leben darin verschlingt. Der mächtige Held wird alle feindlichen Monarchen auf Erden besiegen und mit seinen Brüdern drei mächtige Opfer zelebrieren.

In heldenhafter Kraft wird er wie Jamadagnis Sohn oder Vishnu sein. Dieser beste Mann wird großen Ruhm gewinnen. Im Zweikampf wird er Shankar (Shiva) gefallen, diesem Gott der Götter (Mahadeva, Shiva), und wird von ihm eine gewaltige Waffe namens Pashupata erhalten. Auf Befehl von Indra wird dein Sohn mit mächtigem Arm die dämonischen Nivatakavachas vernichten, welche die Feinde der Sura-Götter sind. Er wird alle Arten von himmlischen Waffen erhalten und das verlorene Glück seines Geschlechts zurückholen.“

Kunti hörte diese außerordentlichen Worte auf ihrem Lager, die Asketen vernahmen sie auf dem ganzen Berg mit den hundert Gipfeln, und auch Indra und die Götter in ihren Wagen freuten sich darüber sehr. Der Klang von unsichtbaren Trommeln erfüllte das Himmelsgewölbe. Überall hörte man Freudenrufe, und es regnete Blumen, die unsichtbare Hände gerne ausstreuten. Alle Himmlischen versammelten sich und ehrten respektvoll Kuntis Kind.

Es kamen die Söhne von Kadru (die Nagas), die Söhne der Vinata, die Gandharvas, die Apsaras, die Herren der Schöpfung, die sieben großen Rishis Bharadvaja, Kasyapa, Gautama, Vishvamitra, Jamadagni, Vasishta und der ruhmreiche Atri, welche einst die Welt erleuchteten, als die Sonne verschwunden war. Auch kamen Marichi, Angiras, Pulastya, Pulaha, Kratu und der Stammvater der Schöpfung Daksha. Die vielen verschiedenen Apsaras kamen in himmlische Girlanden gehüllt und mit allen Ornamenten geschmückt. Sie tanzten freudig und sangen das Lob von Arjuna.

Die großen Rishis murmelten Segenswünsche. Tumburu begann zauberhafte Melodien zu singen und wurde dabei von den Gandharvas begleitet. Auch Bhimasena, Ugrasena, Urnayu, Anagha, Gopati, Dhritarashtra, Surya, Varcha der achte, Yugapa, Trinapa, Karshni, Nandi, Chitraratha, Shalishira der dreizehnte, Parjanya der vierzehnte, Kali der fünfzehnte, und Narada der sechzehnte in der Liste, Saddha, Vrihaddha, Vrihaka, Karala mit der großen Seele, Brahmachari, Vahuguna, der ruhmreiche Suvarna, Viswavasu, Bhumanyu, Suchandra, Sharu und die gefeierten Haha und Huhu, diese mit wunderbaren Stimmen gesegneten, waren alle da.

Von den schönen Apsaras mit den schwarzen Augen tanzten und sangen Anuchana, Anavadya, Gunamukhya, Gunavara, Adrika, Soma, Misrakeshi, Alamvusha, Marichi, Shuchika, Vidyutparna, Tilottama, Amvika, Lakshmana, Kshema, Devi, Rambha, Manorama, Ashita, Suvahu, Supria, Suvapu, Pundarika, Sugandha, Surasa, Pramathini, Kamya und Sharadhvati zusammen. Die himmlischen Sängerinnen mit den großen Augen: Menaka, Sahajanya, Karnika, Punjikasthala, Ritusthala, Ghritachi, Viswachi, Purvachiti, die gefeierte Umlocha, Pramlocha und Urvasi sangen im Chor.

Dhata, Aryama, Mitra, Varuna, Angsha, Vaga, Indra, Vivaswan, Pushan, Tashta und Parjanya - die elf Rudras kamen auch. Es waren die Aswin Zwillinge da, die acht Vasus, die mächtigen Maruts, die Viswadevas und die Sadhyas. Es kamen auch die großen, höchst asketischen Schlangen Karkotaka, Vasuki, Kachchapa, Kunda und der große Takshak. Weiterhin kamen Tarkshya, Arishtanemi, Garuda, Asitadhaja, Aruna und Aruni aus dem Geschlecht der Vinata.

Doch nur die großen Rishis, welche mit asketischem Erfolg gekrönt waren, konnten all die himmlischen Wesen sehen, wie sie in ihren Wagen saßen und über dem Bergesgipfel schwebten. Und diese besten der Munis staunten bei dem wunderbaren Anblick so sehr, daß sich ihre Liebe und Zuneigung für die Kinder des Pandu noch steigerte.

Der gefeierte Pandu wünschte sich allerdings noch mehr Kinder und fragte seine Frau Kunti erneut danach. Doch diesmal erwiderte Kunti: „Die Weisen erlauben keine vierte Geburt, nicht einmal in Zeiten der Not. Die Frau, welche sich mit vier verschiedenen Männern vereint, wird Swairini (schamlos und lüstern) genannt. Und mit fünf Männern wird sie zur Dirne. Warum, du in den Schriften wohl Gelehrter, fragst du mich gierig nach mehr Kindern und vergißt die Regeln?“
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 124

Die Geburt der Zwillinge Nakula und Sahadeva

Vaisampayana sprach:

Nach der Geburt von Kuntis und Gandharis Söhnen wandte sich Madri unter vier Augen an ihren Ehemann Pandu: „Oh du Feindebezwinger, ich möchte nicht klagen, auch wenn du mich benachteiligst. Ich möchte auch nicht klagen, oh du Sündenloser, daß ich zwar per Geburt höher stehe als Kunti, doch tatsächlich an Status niedriger bin. Ich möchte auch nicht trauern, oh du aus dem Geschlecht des Kuru, daß Gandhari hundert Söhne hat. Doch folgendes ist mein großer Kummer. Wenn Kunti und ich ebenbürtig sein sollen, wie kann ich dann kinderlos bleiben, wenn du mit Kunti Söhne hast?

Wenn die Tochter von Kuntibhoja dafür sorgen würde, daß ich auch Kinder bekomme, dann würde sie mir wirklich einen großen Gefallen tun und auch dir nützen. Doch sie ist auch meine Konkurrentin, und ich schäme mich, sie um einen Gefallen zu bitten. Wenn du mir geneigt bist, oh König, dann bitte sie, mir meinen Wunsch zu erfüllen.“ Darauf erwiderte Pandu: „Oh Madri, ich habe diese Sache schon oft in meinem Geist herumgewälzt. Doch bis jetzt habe ich gezögert, denn ich wußte nicht, wie du darauf reagieren würdest. Wisse nun, daß ich deine Wünsche kenne und mich um ihre Erfüllung bemühen werde. Ich denke, wenn ich sie bitte, wird sie es mir nicht verweigern.“

Vaisampayana fuhr fort:
Etwas später sprach Pandu zu Kunti allein: „Oh Kunti, gewähre mir noch mehr Nachkommen für die Vergrößerung meiner Familie und tue der Welt Gutes. Oh Gesegnete, sorge dafür, daß ich selbst, meine und auch deine Ahnen immer den Begräbniskuchen dargeboten bekommen. Oh handle zu meinem Wohl, und gewähre mir und der Welt den besten Gewinn. Tu etwas, was dir schwerfallen mag. Handle aus dem Wunsch heraus, unsterblichen Verdienst zu erlangen. Denn schau, sogar Indra, welcher die Herrschaft über die Himmlischen erlangt hat, führt des Verdienstes wegen immer noch Opfer durch.

Oh du Hübsche, nur des Verdienstes wegen nähern sich höchst asketische und vedenkundige Brahmanen ihren spirituellen Meistern nach wie vor mit großer Verehrung. Und nur für Verdienst vollbringen all diese königlichen Weisen und Brahmanen die schwersten asketischen Taten. Daher, oh du Tadellose, rette Madri wie mit einem Floß, und gewinne dir unvergänglichen Ruhm, indem du sie zur Mutter von Kindern machst.“

Kunti gab bereitwillig nach und ging zu Madri mit den Worten: „Denk sogleich an einen Himmlischen und du wirst von ihm ein Kind bekommen, welches ihm gleicht.“ Madri überlegte einen Moment und dachte dann an die Aswin Zwillinge. Die beiden Himmlischen kamen flugs herbei und zeugten mit ihr Zwillingssöhne, welche Nakula und Sahadev genannt wurden und denen niemand auf Erden an Schönheit gleichkam. Bei ihrer Geburt sprach die Stimme: „Diese beiden sollen sogar die Aswin Zwillinge an Energie und Schönheit übertreffen.“

Ja, mit ihrer Energie und ihrem Reichtum an Schönheit erleuchteten sie die ganze Gegend. Die Rishis, welche am Berg mit den hundert Gipfel lebten, sprachen die Segenswünsche, führten liebevoll die ersten Riten nach der Geburt aus und gaben den Neugeborenen ihre Namen. ... Diese Besten der Kurus wurden zwar in Abständen von etwa einem Jahr geboren, doch zusammen waren sie wie eine Verkörperung dieser fünf Jahre. König Pandu erfreute sich sehr an seinen Kindern, die mit himmlischer Schönheit, überreicher Energie, großer Stärke und Tapferkeit und einer großen Seele gesegnet waren. Und die Kinder wurden auch die Lieblinge der dort lebenden Rishis und ihrer Frauen.

Einige Zeit später bat Pandu Kunti noch einmal im Namen von Madri. Doch Kunti antwortete ihrem Ehemann unter vier Augen: „Ich gab ihr die Anrufungsformel nur einmal, doch sie, oh König, brachte es fertig, zwei Söhne zu bekommen. Bin ich nicht von ihr getäuscht worden? Ich fürchte, oh König, daß sie mich an Söhnen übertreffen wird. Oh, dies ist wirklich die Art von hinterhältigen Frauen. Ich war ein Narr. Ich dachte niemals daran, wenn ich die Aswin Zwillinge herbeirufen würde, daß ich dann mit einem Mal zwei Kinder gebären würde.

Ich flehe dich an, oh König, befiehl es mir nicht noch einmal. Laß dies der Wunsch sein, den du mir gewährst.“ So wurden dem Pandu fünf himmlische Söhne geboren, die mit großer Stärke gesegnet waren, um den Ruhm der Kurus zu vermehren. Jeder trug alle besonderen Zeichen an seinem Körper, war schön wie Soma, stolz wie ein Löwe, trefflich geübt mit dem Bogen, schritt wie ein Löwe aus und hatte dessen Brust, Herz, Augen, Nacken und Tapferkeit. Als sie heranwuchsen und sich ihre Tugenden mit den Jahren vergrößerten, da staunten die Rishis am schneebedeckten Berg sehr. Denn die fünf Söhne des Pandu und die hundert des Dhritarashtra wuchsen so schnell, wie die Lotusblumen in einem Teich.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 125

Tod des Pandu

Als Pandu seine fünf hübschen Söhne in diesem großen Wald am Fuße des bezaubernden Berges vor sich heranwachsen sah, da spürte er wieder die verlorengeglaubte Kraft seiner Arme. Und eines Tages im Frühling, welcher jedem Wesen die Sinne verwirrt, wanderte er mit seiner Frau Madri durch den Wald, als alle Bäume blühten. Er schaute auf die Blüten der Palasa, Tilaka, Mango, Champaka, Asoka und Kesara Bäume, und wie die schwärmenden, schwarzen Bienen im Sinnenrausch in den Atimuktas und Kuruvakas summten.

Dort waren die Blüten des Parijata, in denen der Kokila seine Melodien schmetterte, und jeder Ast gab das Lied auf seine Weise wieder. Hier schaute er auf die vielen Büsche, die sich unter der Last ihrer Blüten und Früchte beugten. Es gab viele entzückende Teiche, in denen hunderte duftende Lotusblüten schwammen. Und Pandu fühlte auf einmal den lieblichen Einfluß von Begehren. Mit leichtem Herzen wanderte er wie ein Gott durch den Wald und war mit seiner Frau Madri ganz allein, welche ein halbdurchsichtiges Gewand trug.

Er schaute auf seine jugendliche Madri mit den Augen wie Lotusblüten in diesem Gewand, und sein Verlangen flammte auf wie eine Feuersbrunst. Er war nicht in der Lage, dieses Begehren zu unterdrücken, und ergriff seine unwillige Frau. Madri zitterte vor Furcht und wehrte sich, so gut sie es vermochte. Doch von Wollust übermannt vergaß er völlig seine Lage. Keine Furcht vor dem Fluch des Rishi hielt ihn noch zurück, so trieb ihn das Schicksal.

Von Leidenschaft überwältigt zwang er seine Frau in die Umarmung, als ob er seinem Leben ein Ende machen wollte. Vom großen Zerstörer verleitet, verlor er erst seine Vernunft, und dann sogleich sein Leben, als er sich mit seiner Frau vereinigte. So unterlag König Pandu mit der tugendhaften Seele dem unvermeidbaren Einfluß der Zeit.

Madri begann laut zu weinen und umarmte den leblosen Körper ihres Herrn. Das Wehklagen hörten Kunti und alle Söhne, und sie rannten zu dem Platz, an dem der König lag. Da rief Madri mit herzzerreißender Stimme: „Komm allein hierher, Kunti, und laß die Kinder dort.“ So gebot Kunti, den Kindern stehenzubleiben, und rannte allein und wehklagend weiter. Als sie Madri und Pandu auf dem Boden liegen sah, weinte sie bitterlich und zutiefst bewegt und klagte:

„Oh Madri, ich habe immer sorgsam auf den selbstbeherrschten Helden aufgepaßt. Wie konnte er den Fluch des Rishi vergessen und dich in entflammter Lust berühren? Oh Madri, dieser beste Mann hätte von dir beschützt werden müssen. Warum hast du ihn in der Einsamkeit in Versuchung gebracht? Er war immer melancholisch beim Gedanken an den Fluch des Rishi. Wie kam es, daß er mit dir ausgelassen war im Wald? Oh Prinzessin von Valhika, du bist viel glücklicher als ich und wirklich beneidenswert, denn du hast unseren Herrn mit glücklichem und frohem Gesicht gesehen!“

Madri antwortete ihr: „Verehrte Schwester, mit Tränen in den Augen wehrte ich mich gegen den König, doch er konnte sich nicht beherrschen, als ob er den Fluch des Rishi wahr werden lassen wollte.“ Und Kunti sprach: „Ich bin die ältere Ehefrau, und der religiöse Hauptverdienst gebührt mir. Halte mich also nicht von dem zurück, oh Madri, was getan werden muß. Ich muß unserem Herrn ins Totenreich folgen. Erhebe dich, oh Madri, und überlaß mir seinen Körper. Zieh du unsere Kinder groß.“

Doch Madri entgegnete: „Ich umarme unseren Herrn immer noch und habe ihm nicht erlaubt zu gehen. Daher werde ich ihm folgen. Mein Appetit ist noch nicht gestillt. Du bist meine ältere Schwester. Oh laß mich deine Zustimmung haben. Dieser Beste der Bharata Prinzen hat mich ergriffen, weil er sich die Vereinigung mit mir wünschte. Auch sein Appetit ist nicht gestillt. Soll ich ihm da nicht in das Reich Yamas folgen, um ihn zu befriedigen?

Oh Verehrte, wenn ich dich überlebe, werde ich ganz sicher nicht in der Lage sein, deine Kinder wie die meinigen zu erziehen. Wird mich nicht Sünde deswegen überkommen? Aber du, oh Kunti, bist in der Lage, meine Söhne wie deine aufzuziehen. Lustvoll hat mich der König gesucht und ging in die Bereiche der Geister ein. Daher sollte mein Körper mit seinem verbrannt werden. Oh verehrte Schwester, verwehre nicht deine Zustimmung, die ich mir wünsche. Du wirst unsere Kinder sorgfältig großziehen. Und das wünsche ich mir sehr. Etwas anderes kann ich nicht sagen.“

Nach diesen Worten bestieg die Tochter des Königs von Madra, die angetraute Ehefrau von Pandu, diesem Bullen unter den Männern, den Scheiterhaufen ihres Herrn.
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 126
Yudhishthira und seine Brüder kommen nach Hastinapur

Nach dem Tode Pandus berieten sich die Götter-gleichen und weisen Rishis untereinander. Sie sagten: „Der tugendhafte und berühmte König gab sowohl Herrschaft als auch Königreich auf, um hier Askese und Enthaltsamkeit zu üben und sich unter den Schutz der Bewohner dieses Berges zu stellen. Nun ist er in den Himmel aufgestiegen und ließ seine Frau und seine kleinen Söhne als Pfand in unseren Händen. Es ist nun unsere Pflicht, seinen Körper und seine Ehefrau nebst Kindern in sein Königreich zu geleiten.“

Vaisampayana fuhr fort:
Also beschlossen die göttergleichen Rishis mit den großmütigen Herzen die Reise nach Hastinapua, um dort Pandus Kinder der Obhut von Bhishma und Dhritarashtra zu übergeben. Sofort begannen sie die Reise mit Kunti, den Kindern und den beiden toten Körpern. Und obwohl die liebevolle Kunti in ihrem ganzen Leben noch nie Anstrengung gewöhnt war, so schien ihr die lange Reise sehr kurz. In Kurujangala angekommen, tat die ruhmreiche Kunti am Haupttor ihre Anwesenheit kund, und die Asketen beauftragten die Wächter den König zu informieren. Im Nu trugen die Torwächter die Botschaft an den Hof. Als die Bürger von der Ankunft tausender Charanas und Munis hörten, wunderten sie sich sehr.

Gleich nach Sonnenaufgang kamen sie in Mengen mit ihren Familien herbei, um die vielen Asketen zu sehen. Auf allen Arten von Wagen und Fahrzeugen kamen die Kshatriyas in Scharen und auch die Brahmanen mit ihren Familien. In der Menschenmenge trafen sich auch viele Shudras und Vaisyas. Die große Ansammlung war sehr friedvoll, denn alle Herzen waren der Frömmigkeit zugeneigt. Dann kamen Bhishma, der Sohn von Shantanu, heraus, auch Somadatta von Valhika, der königliche und prophetische Dhritarashtra, Vidura persönlich, die ehrenwerte Satyavati, die ruhmreichen Prinzessinnen von Kosal, Gandhari mit den anderen Damen des Hofes und die mit allen Ornamenten geschmückten hundert Söhne von Dhritarashtra.

Die Kauravas wurden von ihrem Purohit (Priester) begleitet, beugten grüßend ihre Häupter vor den Rishis und nahmen Platz. Auch die Bürger grüßten die Asketen, berührten mit ihren Köpfen den Boden und setzten sich nieder. Als die riesige Menschenmenge völlig still geworden war, ehrte Bhishma die Asketen, bot ihnen Wasser zum Waschen der Füße und das traditionelle Arghya an und sprach zu ihnen über Herrschaft und Königreich. Danach erhob sich der Älteste der Asketen mit verfilzten Locken auf dem Kopf und die Lenden in Tierfelle gehüllt, und sprach im Namen der anderen Asketen: „Ihr wißt alle, daß der Inhaber der Königswürde, Pandu, die Lustbarkeiten der Welt verließ, um am Berg mit den hundert Gipfeln zu leben. Er nahm die Brahmacharya Art zu leben an. Und trotzdem, aus unergründlicher Absicht der Götter, wurde ihm dieser älteste Sohn, Yudhishthira, geboren, von Dharma selbst gezeugt.

Dann erhielt der Ruhmreiche von Vayu den zweiten und stärksten Sohn, genannt Bhima. Und der dritte Sohn, den Kunti von Indra (Jehova/Zeus) gebar, ist Arjuna, dessen Taten alle Bogenkämpfer der Welt demütigen werden. Nun schaut auch hier auf diese Tiger unter den Männern, die beiden trefflichen Bogenkrieger bekam Madri mit den Aswin Zwillingen. In Tugend lebte Pandu das Leben eines Einsiedlers im Walde und sorgte für die Fortführung der Linie seiner Großväter. Ihre Geburt, ihr Heranwachsen und das Studium der Veden dieser Kinder von Pandu wird euch zweifellos große Freude bereiten.

Allseits dem Pfad der Tugend und Weisheit folgend ließ Pandu diese Kinder zurück und verstarb vor siebzehn Tagen. Seine Frau Madri erklomm seinen Scheiterhaufen, kurz bevor ihn die Flammen verschlangen, opferte ihr Leben und folgte ihrem Herrn in die Bereiche, die für keusche Ehefrauen bestimmt sind (Pati). Führt ihr nun alle Riten durch, die ihrem Wohle dienen. Hier sind die Reste ihrer Körper. Hier sind Pandus Kinder mit ihrer Mutter. Empfangt sie nun in allen Ehren. Und wenn die ersten Riten zu Ehren der Toten vorüber sind, dann gewährt dem tugendhaften Pandu, der immerzu die Stütze der Würde der Kurus war, im ersten jährlichen Sraddha die formelle Einsetzung unter den Ahnen.“

Als die letzten Worte des Asketen an die Kurus verklungen waren, verschwanden sämtliche Asketen nebst den Guhyakas vor aller Augen. Die Rishis lösten sich auf wie die Städte der Gandharvas (die Luftschlösser im Himmel), und die Bürger kehrten staunend in ihre Häuser zurück.
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 127

Die Begräbnisriten für Pandu

Dhritarashtra sprach:
Oh Vidura, sorge für die Begräbnisriten von diesem Löwen unter den Königen und von Madri in königlichem Stil. Verteile Kühe, Kleider, Edelsteine und viel Reichtum an jeden, der darum bittet, zum Wohle ihrer Seelen. Bereite auch für Kunti alles vor, damit sie die letzten Riten für Madri ausführen kann, wie sie es möchte. Und laß Madris Körper so sorgfältig umhüllen, daß weder Sonne noch Wind sie sehen können. Beweint nicht den sündenlosen Pandu. Er war ein würdiger König und hat fünf heldenhafte Söhne hinterlassen, die den Himmlischen gleichen.

Vidura sprach: „So sei es.“, beriet sich mit Bhishma und legte einen heiligen Platz für die Trauerriten fest. Der Familienpriester verließ sogleich die Stadt und trug das heilige Feuer mit sich, welches von geklärter Butter duftete. Dann umwanden Freunde, Verwandte und Anhänger den Körper des Monarchen mit Tüchern, bedeckten ihn mit frischen Blumen und sprühten ihn mit kostbaren Parfümen ein. Auch der Leichenwagen wurde mit Blumengirlanden und reichem Schmuck versehen. Dann legten sie die eingewickelten Leichname von König und Königin auf die stattliche Bahre und trugen sie auf menschlichen Schultern zum Wagen.

Der weiße Schirm (das Zeichen des Königs) wurde über den Wagen gehalten, es wurde mit Yak Schwänzen (Chouries, Chamaras) gewedelt, und Musikinstrumente erklangen. Die ganze Szenerie war hell, bunt und großartig. Hunderte Menschen begannen, Juwelen unter der Menge zu verteilen. Dann wurden noch mehr schöne Roben, weiße Schirme und größere Chamaras (Yak-Schwänzen-Wedel) für den großen Toten gebracht. Die weißgekleideten Priester schritten vor der Prozession und schütteten geklärte Butter ins heilige Feuer, welches in einem verzierten Gefäß loderte. Die Brahmanen, Kshatriyas, Vaisyas und Shudras folgten dem König zu tausenden und klagten laut: „Oh Prinz, wohin gehst du? Und läßt uns verloren und traurig zurück?“

Auch Bhishma, Vidura und die Pandavas weinten laut. Schließlich gelangten sie zu einem romantischen Wäldchen am Ufer der Ganga. Dort stellten sie den Leichenwagen ab, auf dem der wahrhafte Prinz mit dem Löwenherzen neben seiner Gefährtin lag. Dann schmierten sie den Körper des Prinzen mit vielen duftenden Salben ein, brachten Wasser in goldenen Gefäßen herbei und wuschen alles wieder ab, um dann den Körper erneut mit Sandelpaste einzureiben. Danach kleideten sie ihn in weiß ein. Mit dem neuen Kleid schien der König lebendig zu sein und nur zu schlafen. Als alle anderen, von den Priestern angeordneten Begräbnisriten beendet waren, setzten die Kauravas die toten Körper von König und Königin in Brand und warfen noch Lotusblüten, Sandelpaste und andere duftende Sachen auf den Scheiterhaufen.

Als die Körper in Flammen aufgingen, schrie Pandus Mutter (Ambalika) auf: „Mein Sohn, oh mein Sohn!“, und brach ohnmächtig zusammen. Alle treuen Bürger weinten voller Kummer mit ihr. Selbst die Vögel in der Luft und die Tiere im Feld fühlten mitleidvoll die Klagen der Kunti. Auch Bhishma und der weise Vidura waren untröstlich. Weinend führten Bhishma, Vidura, Dhritarashtra, die Pandavas und die Damen die Wasserzeremonie für den König aus. Als alles vorüber war, trösteten die Älteren die ihres Vaters beraubten Söhne Pandus. Dann schliefen alle auf dem Boden, und auch die Brahmanen und Bürger verzichteten auf ihre Betten. Ob jung, ob alt, alle fühlten Mitleid mit den Söhnen von König Pandu und verbrachten die nächsten zwölf Tage mit den klagenden Pandavas.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 1
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Satyavati zieht sich in den Wald zurück und steigt in den Himmel auf

Dann zelebrierten Bhishma, Kunti und alle Freunde das Sraddha für den verstorbenen Monarchen und opferten Pinda (Reiskuchen). Sie verpflegten die Bürger und tausende Brahmanen, denen sie viele Juwelen und reichlich Land überließen. Gesäubert von der Verunreinigung durch das Ableben ihres Vaters, kehrten die Pandavas und alle Bürger mit ihnen in die Stadt zurück. Das Volk beweinte den verstorbenen König, als ob sie ein Familienmitglied verloren hätten.

Nachdem das Sraddha vorüber war, sprach der ehrenwerte Vyasa eines Tages zu seiner Mutter Satyavati: „Mutter, die Tage des Glücks sind vorüber, und die Zeit des Elends beginnt. Die Sünde vermehrt sich Tag für Tag (Kaly-Yuga brach ein). Die Welt ist alt geworden. Das Imperium der Kauravas wird nicht mehr lange andauern und in Unrecht und Tyrannei verfallen. Begib dich in den Wald und widme dich der Kontemplation und dem Yoga.

Ab jetzt werden die Menschen zunehmend von Unwissenheit und Unrecht erfüllt sein. Die guten Werke verschwinden. Sei in deinem Alter nicht mehr der Zeuge des Untergangs deiner Familie.“ Satyavati willigte in Vyasas Vorschlag ein, betrat die inneren Gemächer und sprach zu ihrer Schwiegertochter: „Oh Ambika, ich habe gehört, daß durch die Taten deiner Enkelsöhne die Bharata Dynastie mitsamt ihren Untertanen vernichtet wird. Wenn ihr und Bhishma einverstanden seid, dann laß uns mit der um ihren Sohn trauernden Ambalika in den Wald gehen.“ Auch Bhishma war einverstanden und so zog sich Satyavati mit ihren beiden Schwiegertöchtern (Ambika und Ambalika) in den Wald zurück. Dort versenkten sie sich in tiefgründige Meditation und verließen zur rechten Zeit ihre Körper, um in den Himmel aufzusteigen.
 
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