Serenade
Sehr aktives Mitglied
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Ich hab ihnen Flügel aufgeklebt. Ich hab aus ihren langen Schweifen Propeller geflochten. Sie flogen einfach nicht. Oftmals zeigte ich auf die Drachen, wenn sie sich erhoben und trotz ihrer Größe und Schwere wie Pfeile in den Himmel schossen. Die Einhörner blieben auf dem Boden und grasten wie Kühe auf ihrer Weide.
Von wegen edle, mystische und kluge Tiere! Begriffsstutzig und verfressen sind sie. Den ganzen langen Tag grasen sie und das Horn auf ihrer Stirn stört sie dabei keineswegs. Ich dachte immer, wenn sie ihren Kopf zum Boden beugen, würde das Horn Gras fressen nicht erlauben, weil für sie Besseres bestimmt sei. Aber sie fressen Gras. Nichts als Gras den lieben langen Tag. Zu etwas anderem sind sie nicht zu bewegen.
Also habe ich es mir neben der Wiese auf einem Liegestuhl bequem gemacht und lese in einem Buch, während sich die wunderschöne Landschaft ausbreitet – hinter mir das kleine Häuschen mit den kleinen Türmchen und Giebeldächer und Fensterbalken und all das in dezenten Blautönen. Ich liebe blau. Drinnen im Häuschen ist es etwas bunter. Aber dazu komme ich vielleicht noch. Vor mir erblüht ein wahrhaft kitschiges Panorama. Wie gesagt, die Wiese mit meinen sechs Einhörnern. Ein weiteres ist noch im Bauch seiner Mutter. Übrigens kann ich nicht sagen wie viel Stuten und wie viel Hengste darunter sind. Das Geschlecht lässt sich bei Einhörner nicht sichtbar erkennen. Hinter der Wiese erheben sich Berge und ein Gebirge wie der Himalaya.
Ich lese in einem Buch. Es trägt den Titel „Das Herz des Vedanta“ und ist die Zusammenfassung der Kerngedanken sämtlicher Upanischaden. Sri Sankaracarya (788-820 A.D.) selbst hat sie vor langer Zeit aufgeschrieben. Erklärungen dazu gibt es von Emanuel Meyer.
Folgende Erklärung lese ich eben unter Vers 461:
Wenn jemand sagt: „Ich bin ein Mann, eine Frau, ein Kind, so und so alt, mit diesen und jenen Merkmalen, heiße so und so und gehe zur Schule oder bin Ingenieur und arbeite in einer Maschinenfabrik, wo ich dieses und jenes mache“, dann ist das eine Projektion auf das Nicht.Selbst. Das Selbst ist der Inhalt des Wortes 'Ich', Punkt. Darum heißt Es der „ICH BIN“. Wenn man aber feststellt: „Manas, das Gemüt und Buddhi, das bin ich, dieser oder jener bin ich, dieses Haus habe ich gebaut und auch das habe ich gemacht“, dann ist das eine Projektion des Nicht-Selbst auf das Selbst.
Den Vergleich mit der Leinwand und dem Projektor habe ich vor langer Zeit schon einmal in einem Buch gelesen. Die Leinwand bleibt im Grunde genommen immer weiß. Egal, welche Bilder, welcher Film der Projektor auf ihr entstehen lässt, sie nimmt keines seiner Farben und Formen an und bleibt immer weiß. Genauso ist es mit unserem Selbst. Egal, was wir sagen oder tun, es zählt alles nichts. Es ist genauso Vergänglichkeit wie unsere Körper.
Eines der Einhörner hebt den Kopf und wiehert mir zu. Soll das ein Ja oder ein Nein bedeuten?
Eines der Einhörner hebt den Kopf und wiehert mir nicht nur zu, sondern beginnt zu sprechen und ich nehme alles zurück, was ich über Einhörner gesagt habe. Sie sind nicht begriffsstutzig und verfressen. Keineswegs! Einhörner sind edle, mystische und kluge Tiere.
Es ist auch noch nicht der 24. Dezember, denn wenn an diesem Tag Tiere zu einem sprechen, wird man im darauffolgenden Jahr sterben. So sagt es die alte Kultur. Oder war es eine Bauernregel? Egal, denn es ist ohnehin erst der 17. Dezember und auch keine dieser unheimlichen Raunächte. Ich liebe Unheimliches. Es zieht mich förmlich an. Geheimnisvoll alleine genügt mir nicht. Es muss auch unheimlich sein.
Und so spricht das Einhorn und es ist nicht nur ein Ja oder Nein: „Es waren einmal zwei Geschwister, ein Bruder und eine Schwester im selben Alter. Zwillinge sozusagen. Beide wollten ihr Leben in einem Kloster verbringen, aber nur einem von ihnen war es möglich. Da beide mit ihren Eltern abgeschieden in den Bergen lebten, musste einer von ihnen bei den Eltern bleiben und bis zu ihrem Tod für sie da sein. Es war ohnehin noch ziemlich unüblich, dass Frauen in einem Kloster aufgenommen wurden, um dort ihre Meisterschaft zu erlangen.
Also durfte der Bruder gehen und kam schließlich zu hohen Ehren. Innerhalb weniger Jahre studierte er alle heiligen Schriften mit Auszeichnung und wurde Meister. Er leitete schließlich das Kloster und hatte viele Schüler. Es kamen sogar von weit her welche ins Kloster, um von ihm unterrichtet zu werden.
Die Schwester hingegen war aufopfernd für ihre Eltern da und pflegte sie selbstlos bis zu ihrem Tod.
Wer von beiden erlangte wirklich die Meisterschaft?“
Man möchte meinen, es sei der Bruder. Immerhin kannte er alle Schriften, während die Schwester wahrscheinlich nicht einmal lesen oder schreiben konnte, da sie in den abgeschiedenen Bergen lebten.
„Stimmt, was die Schwester und ihren Analphabetismus betrifft, aber nicht das, was du meinen möchtest. Der Bruder mag schon die Meisterschaft und bis zu einem gewissen und wohl auch hohen Grad die Erleuchtung erreicht haben, aber das schmälert keineswegs das, was die Schwester geleistet hat. So würde doch die Antwort 'beide!' lauten.
Du hast über Selbst und Nicht-Selbst gelesen. Also stelle ich nochmal eine Frage: Wer von beiden erreichte sein wahres Selbst?“
Hier würde ich die Schwester nennen, da sie, wie du erzählt hast, liebes Einhorn, selbstlos ihre Eltern gepflegt hat. Was mir nicht so gefallen hat, war das Wort 'aufopfernd'. Sobald sich jemand aufopfert, ist er nicht selbstlos.
Dennoch würde ich sagen, es war die Schwester, die ihr wahres Selbst erreicht hat, da der Bruder sicher stolz auf seine Leistung war.
„Und du meist, die Schwester war insgeheim nicht stolz auf ihr Tun?“
Wie könnte man in Menschen reinschauen, um das zu wissen?
„Diese Frage ist nicht zu beantworten.“
Von wegen edle, mystische und kluge Tiere! Begriffsstutzig und verfressen sind sie. Den ganzen langen Tag grasen sie und das Horn auf ihrer Stirn stört sie dabei keineswegs. Ich dachte immer, wenn sie ihren Kopf zum Boden beugen, würde das Horn Gras fressen nicht erlauben, weil für sie Besseres bestimmt sei. Aber sie fressen Gras. Nichts als Gras den lieben langen Tag. Zu etwas anderem sind sie nicht zu bewegen.
Also habe ich es mir neben der Wiese auf einem Liegestuhl bequem gemacht und lese in einem Buch, während sich die wunderschöne Landschaft ausbreitet – hinter mir das kleine Häuschen mit den kleinen Türmchen und Giebeldächer und Fensterbalken und all das in dezenten Blautönen. Ich liebe blau. Drinnen im Häuschen ist es etwas bunter. Aber dazu komme ich vielleicht noch. Vor mir erblüht ein wahrhaft kitschiges Panorama. Wie gesagt, die Wiese mit meinen sechs Einhörnern. Ein weiteres ist noch im Bauch seiner Mutter. Übrigens kann ich nicht sagen wie viel Stuten und wie viel Hengste darunter sind. Das Geschlecht lässt sich bei Einhörner nicht sichtbar erkennen. Hinter der Wiese erheben sich Berge und ein Gebirge wie der Himalaya.
Ich lese in einem Buch. Es trägt den Titel „Das Herz des Vedanta“ und ist die Zusammenfassung der Kerngedanken sämtlicher Upanischaden. Sri Sankaracarya (788-820 A.D.) selbst hat sie vor langer Zeit aufgeschrieben. Erklärungen dazu gibt es von Emanuel Meyer.
Folgende Erklärung lese ich eben unter Vers 461:
Wenn jemand sagt: „Ich bin ein Mann, eine Frau, ein Kind, so und so alt, mit diesen und jenen Merkmalen, heiße so und so und gehe zur Schule oder bin Ingenieur und arbeite in einer Maschinenfabrik, wo ich dieses und jenes mache“, dann ist das eine Projektion auf das Nicht.Selbst. Das Selbst ist der Inhalt des Wortes 'Ich', Punkt. Darum heißt Es der „ICH BIN“. Wenn man aber feststellt: „Manas, das Gemüt und Buddhi, das bin ich, dieser oder jener bin ich, dieses Haus habe ich gebaut und auch das habe ich gemacht“, dann ist das eine Projektion des Nicht-Selbst auf das Selbst.
Den Vergleich mit der Leinwand und dem Projektor habe ich vor langer Zeit schon einmal in einem Buch gelesen. Die Leinwand bleibt im Grunde genommen immer weiß. Egal, welche Bilder, welcher Film der Projektor auf ihr entstehen lässt, sie nimmt keines seiner Farben und Formen an und bleibt immer weiß. Genauso ist es mit unserem Selbst. Egal, was wir sagen oder tun, es zählt alles nichts. Es ist genauso Vergänglichkeit wie unsere Körper.
Eines der Einhörner hebt den Kopf und wiehert mir zu. Soll das ein Ja oder ein Nein bedeuten?
Eines der Einhörner hebt den Kopf und wiehert mir nicht nur zu, sondern beginnt zu sprechen und ich nehme alles zurück, was ich über Einhörner gesagt habe. Sie sind nicht begriffsstutzig und verfressen. Keineswegs! Einhörner sind edle, mystische und kluge Tiere.
Es ist auch noch nicht der 24. Dezember, denn wenn an diesem Tag Tiere zu einem sprechen, wird man im darauffolgenden Jahr sterben. So sagt es die alte Kultur. Oder war es eine Bauernregel? Egal, denn es ist ohnehin erst der 17. Dezember und auch keine dieser unheimlichen Raunächte. Ich liebe Unheimliches. Es zieht mich förmlich an. Geheimnisvoll alleine genügt mir nicht. Es muss auch unheimlich sein.
Und so spricht das Einhorn und es ist nicht nur ein Ja oder Nein: „Es waren einmal zwei Geschwister, ein Bruder und eine Schwester im selben Alter. Zwillinge sozusagen. Beide wollten ihr Leben in einem Kloster verbringen, aber nur einem von ihnen war es möglich. Da beide mit ihren Eltern abgeschieden in den Bergen lebten, musste einer von ihnen bei den Eltern bleiben und bis zu ihrem Tod für sie da sein. Es war ohnehin noch ziemlich unüblich, dass Frauen in einem Kloster aufgenommen wurden, um dort ihre Meisterschaft zu erlangen.
Also durfte der Bruder gehen und kam schließlich zu hohen Ehren. Innerhalb weniger Jahre studierte er alle heiligen Schriften mit Auszeichnung und wurde Meister. Er leitete schließlich das Kloster und hatte viele Schüler. Es kamen sogar von weit her welche ins Kloster, um von ihm unterrichtet zu werden.
Die Schwester hingegen war aufopfernd für ihre Eltern da und pflegte sie selbstlos bis zu ihrem Tod.
Wer von beiden erlangte wirklich die Meisterschaft?“
Man möchte meinen, es sei der Bruder. Immerhin kannte er alle Schriften, während die Schwester wahrscheinlich nicht einmal lesen oder schreiben konnte, da sie in den abgeschiedenen Bergen lebten.
„Stimmt, was die Schwester und ihren Analphabetismus betrifft, aber nicht das, was du meinen möchtest. Der Bruder mag schon die Meisterschaft und bis zu einem gewissen und wohl auch hohen Grad die Erleuchtung erreicht haben, aber das schmälert keineswegs das, was die Schwester geleistet hat. So würde doch die Antwort 'beide!' lauten.
Du hast über Selbst und Nicht-Selbst gelesen. Also stelle ich nochmal eine Frage: Wer von beiden erreichte sein wahres Selbst?“
Hier würde ich die Schwester nennen, da sie, wie du erzählt hast, liebes Einhorn, selbstlos ihre Eltern gepflegt hat. Was mir nicht so gefallen hat, war das Wort 'aufopfernd'. Sobald sich jemand aufopfert, ist er nicht selbstlos.
Dennoch würde ich sagen, es war die Schwester, die ihr wahres Selbst erreicht hat, da der Bruder sicher stolz auf seine Leistung war.
„Und du meist, die Schwester war insgeheim nicht stolz auf ihr Tun?“
Wie könnte man in Menschen reinschauen, um das zu wissen?
„Diese Frage ist nicht zu beantworten.“