Im Westen nichts Neues (Das letzte Buch)

Die Geschichte Arimas und Silas, die uns offenbart wurde, ist mehr als abenteuerlich. Ich habe mich entschlossen, sie hier ein wenig zu erzählen; zumindest das wichtigste, damit man weiß, um wen es sich bei diesen beiden Doppelwesen handelt.

Es gibt übrigens noch ein Doppelwesen, ein tierisches, wie mir Sila einmal erzählte. Sie hat es, als sie noch kein Doppelwesen war, vor dem Fenster ihrer Wohnstatt gesehen, - es war ein Affe und eine Kater, die sich zum Doppel entschieden haben. Warum, das weiß niemand. Bei Arima schien es die wahre Liebe gewesen zu sein und bei Sila vielleicht Geschwisterliebe. Aber viel mehr wird angenommen, dass es einfach nur an der Energie liegt und absolut nichts mit Gefühlen oder Vorlieben zu tun hat. Dass es an der Energie liegt, scheint schon Arimas Leben zu zeigen, denn erst, als er seine wahre Liebe kennen gelernt hat, erkannte er seine wahre Bestimmung.



Aber mal langsam. Arimas Name war damals Kim, als er auf der alten Erde in einem ärmlichen Land unter sehr mystischen Umständen geboren wurde. Seine Mutter gab ihm den Namen seines Vaters, der angeblich ein Außerirdischer war.

Schon hier müssten sich die Gehirnwindungen kräuseln, denn Kims Vater Kim war kein Außerirdischer, sondern kam aus der Zukunft von der Leuchtenden Welt. Verstanden? Nein? Dann wieder mal langsam. Es heißt ja, die alte Erde entwickelte sich zur Leuchtenden Welt und die Menschen auf ihr, die noch übrig geblieben sind, zu Leuchtenden Wesen. Dass gewisse Erddimensionen übrig geblieben sind, um den anderen Wesen eine Chance zu geben, lassen wir mal beiseite, denn was sind Erddimensionen?


„Nichts anderes als die Dimensionen des Universums, der Gedanken, der Phantasie, der Märchen, der Götter, Engel und Dämonen“, antwortete mir Arima, als wir wieder einmal ein Gespräch unter vier Augen führten.

Aber wie kommt es dann, dass sich genau in dieser Dimension wieder Menschen entwickelt haben, - Menschen, zu denen Selma, Abram und ich gehören?

„Wenn etwas notwendig ist, entwickelt es sich aus dem Nichts. Deine Frage ist sinnlos, denn egal, woraus sich etwas entwickelt, - ob real oder illusionär – wenn es wichtig ist, entsteht es auch aus dem Nichts.“

Das kann ich als Antwort nicht akzeptieren, denn ich möchte wissen, ob diese Erddimension, auf der ich geboren wurde, ein Planet ist, wie es die alte Erde einst war.

„Natürlich ist sie das. Du konntest doch den festen Boden unter deinen Füßen spüren. Oder etwa nicht?“

Ja, sicher konnte und kann ich den festen Boden unter meinen Füßen spüren, aber das sagt nichts aus, denn es kann durchaus sein, dass ich mir den festen Boden unter meinen Füßen nur einbilde.

„Wenn du so denkst, vergisst du wieder einmal das Wahre. Das Wahre unterscheidet sich von nichts. Es ist einfach.“

So einfach kann es nicht sein.

„Doch, das ist es, Paolo. Wenn es sich auch haarsträubend anhört, - egal, wie etwas wahrgenommen wird, - ob real oder illusionär, es ist immer Energie. Es geht aus der Energie hervor, so wie alles aus der Quelle der Kraft hervor geht. Solange die Vollkommenheit nicht erreicht ist, solange sich alles immer wieder verändert, kannst du sagen, dass alles illusionär ist. Aber wir streben etwas an, das dem Sinn ergibt, was bisher keinen Sinn ergeben hat.“

Stimmt, wir fragten uns viel zu oft, wozu die Welt da ist, wenn sie sich stets verändert und wir immer wieder sterben müssen. Aber was, wenn das Ziel erreicht ist? Ist der Weg das Ziel, oder das Ziel der Weg? Darauf gab er mir keine Antwort, sondern lächelte nur.


Kim wurde also in der sechsten Erddimension geboren, nachdem ein Leuchtendes Wesen aus der siebten Erddimension ihn mit einer irdischen Frau gezeugt hat. Aufgewachsen ist er jedoch in einem anderen Land, da die Mutter zu arm war, um ihren Sohn selbst aufzuziehen. Die Zieheltern waren jedoch nicht gut zu dem Kind und quälten es grundlos. Das qualvolle Leben setzte sich so lange fort, bis Kim seine wahre Liebe, Maria, traf.



Maria – Arima – die selben Buchstaben, nur anders aneinander gereiht. Dies war das Geschenk von Kim an Maria, denn das Aussehen behielt er aus menschlicher Sicht Jahrmillionen, da sie darauf bestand, dass eine Schönheit wie er niemals vergehen darf. Das heißt nicht, dass Maria nicht wunderschön gewesen wäre. Arima zeigte sich einmal in ihrer Gestalt. Aber es stimmte – kein Wesen besitzt eine derartige Ausstrahlung, die mit dem Äußeren wohl kaum etwas zu tun hat.



Erst mit Maria erkannte Kim seinen Ursprung und setzte dem falschen König auf der Leuchtenden Welt ein Ende. Der falsche König nannte sich Ake und war verantwortlich für das furchtbar qualvolle Leben Kims, indem er alle Menschen in seiner Nähe manipulierte, um ihn zu Tode zu quälen. Der Grund? Es gab eine Prophezeiung, dass der größte König der Leuchtenden Welt, der sogar König des Universums genannt wird, einst auf der Erde von einem einstigen König der Leuchtenden Welt mit einer irdischen Frau gezeugt wird. Der einstige und von Ake gestürzte König war Kims Vater.



Das Leben Kims und Marias war abenteuerlich und bestand aus vielen Kämpfen in der so genannten Unterwelt. Sie nahmen Energie als fürchterliche Dämonen wahr, bis sie erkannten, dass es einen Endkampf geben muss, den sie anstrebten und dafür Lebewesen aus allen Gegenden des Universums anheuerten. Ihre Reisen bestanden also nicht nur aus Kämpfen in der Unterwelt, sondern auch aus Reisen auf andere Planeten des Universums.



Kims Familie war immer reich. Das lag daran, dass er der wohl berühmteste Musiker der gesamten Weltgeschichte war. Es handelte sich um jene Musik, die auch in die anderen Erddimensionen gelangte und sie ein wenig beschützte, wenn es zu gefährlich wurde. Gefährlich wurde es ohnehin nur durch die Menschen, wenn mal einer von ihnen auf den falschen Knopf drückte.



Das sei mal im Großen und Ganzen, das aufs kleinste zusammen gefasste Leben der beiden. Sie hatten eine leibliche Tochter, namens Manola auf der Erde und einen leiblichen Sohn, namens Thygyrill, auf der Leuchtenden Welt. Thygyrill entstand genau in dem Moment, als sich Kim und Maria zum Doppelwesen entschlossen. Manola durchlebte zwar noch einige Aspekte ihrer Ganzheit und wurde zwischendurch auch Ysil genannt, die zur mutigen Drachenreiterin wurde. Und erst aus Ysil und Thygyrill, der ebenso als Bela zum Drachenreiter wurde (es wäre zu langatmig, auch diese Leben genauer zu beschreiben) wurde das Doppelwesen Sila.
 
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Sila ist ein Thema für sich. Sie ist da. Mitten unter uns. Und doch tendiert sie nicht wirklich zu unserer Seite. Mich macht ihre Aussage nachdenklich, dass Lebewesen alleine durch ihren Glauben, aus Fleisch und Blut zu sein, dies auch wirklich wurden. Der Glaube kann Berge versetzen. Ein alter Spruch, den man gerne glauben möchte.

„Ich habe diesem Spruch lange nicht getraut“, sagt Sila, als wir an einem Regentag (auch das gibt es hier, denn Wasser ist für pflanzliche Lebewesen genauso wichtig wie Sonne) zusammen mit Selma, Mephan und Shiran in unserem Wohnzimmer sitzen. „Das liegt daran, weil ich als Mensch mehr meinem Verstand als meiner Intuition traute. Ich glaubte auch nicht an so etwas wie ein Weiterleben nach dem Tod. Für mich war es das aus und vorbei.“

„Im Grunde genommen ist oder war es das ja auch“, meldet sich Selma zu Wort. „Das sagen übrigens viele hier. Unser Bewusstsein geht den Bach runter. Übrigens, letztens lernte ich ein sehr seltsames Wesen kennen, das angeblich von einem anderen Planeten stammt, das mir Wundersames erzählte. Es sind also nicht nur Wesen der Anderen Seite hier, sondern auch Wesen von anderen Planeten, also auch Wesen Dieser Seite, wie wir es sind.“

„Dennoch tendierst du noch immer zur Energie der Anderen Seite“, wirft Shiran mit leicht vorwurfsvoller Stimme ein.

„Kommt zur Sache und besprecht mal ein Thema zu Ende“, meint Mephan. „Was ist nun mit diesem Glauben, der Berge versetzen kann? Ich meine, es muss sich um einen bedingungslosen Glauben handeln, der stärker als Wissen ist, wo es keinen Zweifel mehr geben kann.“

„Genau so ist es“, gibt Sila ihm recht, die wieder einmal mehr denn je einem Hippiemädchen aus der uralten Zeit gleicht.

„Was das Bewusstsein betrifft“, spricht sie weiter, „es geht nichts verloren, bis auf die Individualität. Das heißt, energetisch wird alles gespeichert, wie in einer Art Chronik, aber die einst individuelle Energie der Wesen Dieser Seite bleibt nicht bestehen. Entweder wird sie als neuer Körper bewusst, ohne sich an den oder die älteren Körper zu erinnern, oder sie wird eins mit der Quelle, was einst in einer der vielen Religionen Nirwana genannt wurde.

Ich glaubte, wenn man das so sagen kann, nicht an ein bewusstes Energiewandern, wie Arima dies tat. Schon als Mensch erkannte er die Ganzheit seines Selbst und war in dieser Hinsicht bewusster als ein Wesen der Anderen Seite. Irgendwie kann man ihn mächtiger nennen als das mächtigste Wesen der Anderen Seite.“

„Und wer soll das sein?“ wage ich zu fragen.

„Im Grunde genommen niemand. Das war nur so eine Redensart. Zu Arima haben wir alle schon immer aufgeschaut“, gibt mir Sila zu verstehen und alle pflichten ihr bei. Sogar bei Selma kann ich ein leichtes Nicken erkennen.

„Arima ist eine Thema für sich“, meint Sila – genauso wie ich es vorhin über sie schrieb.

Sie sind beide ein Thema für sich, Vorreiter aus einer uralten Zeit, die Zeit und Raum auflösen werden.



Gespräche dieser Art gab es unzählige, auch mit anderen Wesenheiten, wie unseren Nachbarn und deren Nachbarn. Das seltsame Wesen, von dem Sila erzählte, sah auch sehr wundersam aus. Es war ein Mittelding zwischen Mensch und Insekt und erzählte uns, dass Arima, als er sich noch Kim nannte, schon früher einmal bei ihnen war und sie für den Endkampf rekrutierte.

Diesen Wesen ist die Wiedergeburt bewusst. Sie haben nach dem so genannten Tod so etwas wie eine Vorbereitungszeit und wissen, wo und wann sie wieder geboren werden. Der Planet, von dem das Insektenwesen stammt, nennt sich Golin und einer seiner Vorfahren, Sien genannt, war einst Mitstreiter in Arimas Armee.



Es gab noch andere wundersame Wesen, die wir kennen lernten, was wahrscheinlich notwendig war, denn wir waren eine verbindende Armee, die für eine gemeinsame Sache kämpfte, bzw. etwas in Bewegung setzte. Ja, es ging viel mehr darum, etwas in Bewegung zu setzen – Energien umzukehren, in eine andere Richtung lenken. Aber Energiearbeit lässt sich nicht so einfach beschreiben, genauso wenig wie der sogenannte Kampf, der ja nichts anderes war.



Was bewirkte Arimas erster Kampf, als er noch Kim war und Maria an seiner Seite kämpfte? Gerechte Aufteilung der Energien. Sie bekämpften nicht das Böse, denn Gut und Böse sind stets Ansichtssache und vor allem etwas, das dem Egoismus dient.

Man könnte Egoismus sogar mit freiem Willen gleichsetzen. Dies ist zwar hart, aber meines Erachtens kommt es so hin. Wenn wir uns frei entscheiden, geht es doch stets ums eigene Wohl, es sei denn, wir wissen, was richtig ist. Aber auch hier kann man es Ansichtssache nennen, denn richtig oder falsch ist fast dasselbe wie gut oder böse. Und doch kommt der Ausdruck „richtig“ näher an Authentizität. Man handelt wie man ist – vor allem dann, wenn man seine Richtigkeit, seine Echtheit erkannt hat und das ist stets die Ganzheit des Selbst, die immer eins mit der Quelle der Kraft ist.



Einmal sagte ich zu Arima, dass manche Lebewesen, die früher gelebt haben, einen Nachteil haben, da sie von unserem Kampf nichts haben. Da lachte er hell auf und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter.

„Ja, meinst du denn, wir sind der Quelle voraus? All das, was hier passiert und noch passieren wird, all das ist schon längst passiert. Nur – wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, wie der Megafilm, den die Quelle der Kraft schon längst abgespult hat, ausgeht, lieber Paolo. Also sag mir nicht, dass irgend etwas in ihr oder von mir aus auch außer ihr einen Nachteil hätte.“

Gleichzeitigkeit – ein Thema, das wohl nur die Quelle selbst verstehen kann, auch wenn es hier nicht mehr um Verstehen geht. Also wäre es egal, ob nie etwas passiert ist, wie Sila das gerne nennt, oder ob bereits schon alles passiert ist. Auf jeden Fall sind wir mitten drin. Das ist es, was, laut Arima, zählt.



Meines Erachtens aber ist alles schon passiert. Und schließlich sehe ich Arima auf seinem Obsidianthron thronen, nachdem er und wir, seine Armee, den Tod ein für allemal besiegt haben. Schwarz und hoch aufragend die Lehne hinter ihm mit ebenso schwarzen Totenköpfen verziert, thront er in der Halle des ewigen und unendlichen Lebens, das sich endlich mit Reinheit und Unverwundbarkeit vereint hat.

Zuerst war es die Richtigkeit der Lebewesen und lange, nachdem sich eine zweite Generation Menschen entwickelt hat, ist es der Tod, dem sich Arima und seine Armee stellt.

Es ist noch nicht so weit, aber die Zeichen sind gesetzt. Die Wegweiser weisen in die richtige Richtung. Und wenn es auch noch so vieles zu schreiben geben würde, so ist doch schon alles, was gesagt werden kann, gesagt. Alles andere wären bloß Wiederholungen.



Das Ende? Das Ende wird der Anfang sein – der Anfang von allem und genau das war es, als Shiran sagte: „„Ich erinnere mich. Ja, ich erinnere mich.“



Nachtrag



Paolo ging im geschätzten Alter von etwa 500 Jahren. Er schrieb die letzten Sätze, setzte sich auf die Veranda und löste sich auf. Seines Erachtens wurde alles niedergeschrieben, was niedergeschrieben werden kann.



Der zweite „Kampf“ verlief erfolgreich. Die Energie bekam die richtige Richtung und das, was viele Lebewesen so fürchten, wurde besiegt – der Tod. Natürlich gab es ihn nie. Es ging und geht nur darum, bewusst und womöglich mit der gesamten (nicht erscheinender, wie auch erscheinender) Energie „hinüber“ zu gehen – wo immer das auch sein mag. Wenn man auf die Ganzheit seines Selbst hört, kennt man den Zeitpunkt wann und auch den Ort wohin.



Wir alle liebten Paolo. Wir liebten auch Selma, die sich wenige Tage nach Paolo am Flussufer vor Arimas Augen auflöste. Ich glaube, es war ihr Wunsch, dass Arima bei ihr war. Mit ihm an ihrer Seite fiel es ihr leichter zu gehen und den Ort zu finden, an dem Paolo vielleicht auf sie wartet. Ob aus den beiden einmal ein Doppelwesen wird, sei mal dahin gestellt. Ich vermute es auf jeden Fall.



Was wird weiter passieren? Es wird noch eine Weile – wobei es bei „Weile“ durchaus noch um Jahrtausende oder gar Jahrhunderte handeln kann – dauern, bis wir alle das „Ziel“ erreicht haben und sich die beiden Energie ein für alle mal vereinigt haben, bis die Veränderung (Energie Dieser Seite) abgeschlossen und der Stillstand (Energie der Anderen Seite) die wahre Vollkommenheit erreicht hat. Erklärungen helfen hierbei nicht viel, aber man könnte durchaus sagen, wir, Arimas Armee kämpften diesmal für die Andere Seite und nicht wie im letzten Kampf (noch mit der alten Generation der Menschen) für Diese Seite. Und ja, ich wusste es, deshalb waren auch mehr Wesen der Anderen Seite an seiner Seite. Diesmal bedeutet Stillstand nicht das Ende aller Welten, sondern den Anfang des wahren Paradieses – oder viel mehr das wahre Sein eines unerklärbaren Zustandes aller erscheinenden Energie, durch die sich die Quelle der Kraft offenbart.



Gezeichnet: Sila
 
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