Serenade
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Nach diesem Gespräch kreisten meine Gedanken um das Thema, woher all das Wissen kam und vor allem, wie lange die Menschen schon in derartig abgeschirmten Ballungszentren leben. Man sagte uns in den Schulen stets, es sei schon sehr lange her, seit dem letzten Krieg. Viggo meinte, er habe als Kind den Krieg noch erlebt, aber vielleicht täuscht er sich und es waren bloß einige Menschen, die mit Waffengewalt über die Stadtmauern wollten. Rike hingegen meinte, sie, wie auch ihre Eltern, die sie, wie ich, in der Stadt zurück gelassen hat, nicht einmal ihre Eltern können sich an so etwas wie Krieg erinnern.
Rike sagte, ihre Eltern, die bereits an die 100 Jahre alt sind, werden ihr Verschwinden nicht überleben. Sie erwähnte das so nebenbei, als würde es sie kalt lassen. Mir hingegen kamen wieder die Tränen, da ich an meine Eltern denken musste.
Meine Gefühle spielten ohnehin verrückt. Es war mit Injektionen schon schlimm genug, da ich mich über alles möglich aufregen konnte und jetzt war es doppelt so schlimm. Es war ein ständiges Auf und Ab. Mal war ich überglücklich, es geschafft und mich auf ein Abenteuer eingelassen zu haben, dann war ich wieder todtraurig und wollte am liebsten liegen bleiben und auf der Stelle sterben. Ich war wohl der einzige in unserer Runde, der solche Schwierigkeiten hatte.
Viggo und Rike waren kühl wie immer. Die anderen drei, die sich zu uns gesellt haben, kannte ich zu wenig und sie ließen es auch nicht wirklich zu, kennen gelernt zu werden. Auch wenn sie sofort mit ihrem Ziel heraus rückten, so blieben sie während der gesamten Reise eher schweigsam.
Am schweigsamsten jedoch war Selma. Sie ging stets alleine voraus und blockte jedes Gespräch ab. Sogar mit Viggo sprach sie kaum mehr. Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie war eifersüchtig, da er sich mehr um Rike kümmerte, aber das konnte es auch nicht sein, da mir Selma dazu viel zu gefühlskalt erschien. Sie würde sich doch niemals in einen Menschen verlieben, so wie ich mich in sie verliebt hatte. Jetzt war nicht einmal mehr Händchen halten drinnen. Wenn ich es versuchte, schubste sie meine Hand weg.
Als ich wieder einmal versuchte, mit ihr ein Gespräch zu beginnen, wurde sie ein deutlicher und ich wünschte mir etwas später, sie wäre es nicht gewesen.
„Glaubst du wirklich, auf der anderen Seite der Kluft leben andere Menschen?“ fragte sie mich.
„Man erzählt es sich so. Du hast selbst von den friedlichen Tempelmenschen erzählt. Oder war das Viggo, der es mal in den Lagern aufgeschnappt hat? Egal, es muss sich um andere Menschen handeln, sonst hat unsere Reise nichts gebracht. Dann hätten wir auch gleich bleiben können“, gab ich zur Antwort und freute mich, wenigstens einen Satz aus ihr heraus bekommen zu haben.
„Was meinst du eigentlich zu dem Thema, woher wir all das Wissen haben und wann der letzte Krieg war?“
„Krieg war und ist immer, da sich die Menschen stets gegenseitig bekämpfen. Deshalb sollten wir vorsichtig sein, wenn wir anderen Leuten begegnen“, sagte Selma und warf mir einen kurzen Blick zu, den ich nicht deuten konnte.
„Und das Wissen?“ fragte ich. Es dauerte einige Schritte, bis Selma mir eine Antwort gab,. Es war, als würde sie mit sich kämpfen, ob sie weiter sprechen sollte oder nicht.
„Das kam von Außerirdischen, die uns in ihrer Macht haben. Sie machen, dass wir das tun, was wir tun.“
Ich blieb stehen und hielt Selma am Arm zurück, wo sie sich sofort wieder los riss. Diesmal war ihr Blick ziemlich finster, um sogleich wieder die puppenartige Maske aufzusetzen.
„Sag das noch einmal, Selma!“
„Es ist wahr und ich weiß es schon die ganze Zeit“, sprudelte es auf ihr heraus. Viggo und Rike hatten uns eingeholt und auch die anderen drei gesellten sich zu uns dazu, während Selma mich schwer atmend anstarrte.
„Was weißt du schon die ganze Zeit?“ fragte ich und die anderen umringten uns neugierig.
„Natürlich weiß ich es nicht genau, aber ich habe schon so viele Menschen davon sprechen hören, die meinten, dass sie niemals in die Städte rein gehen würden, weil die Menschen dort von Außerirdischen überwacht werden und sie durch irgendwelche Mitteln zwingen, das zu tun, was sie tun. Nur wenige können sich dem entziehen, wenn überhaupt. Schaut euch doch an, du, Paolo, Viggo und Rike. Wisst ihr überhaupt, warum ihr aus der Stadt geflohen seid? War ich es, die euch dazu ermutigt hat? Oder war es Paolo? Denkt nach und dann sagt mir, warum ihr euch auf diese Reise gemacht habt.“
Viggo und Rike sahen sich groß an.
„Es war wohl die Ungerechtigkeit“, meinte Rike schließlich und Selma lachte hell auf.
„Was meinst du mit Ungerechtigkeit? Denkst du, weil die Menschen in den Städten ein besseres Leben haben als jene hinter den Stadtmauern? Ihr habt gar nicht bemerkt, dass ihr bisher wie Roboter gelebt habt. Sogar du, Viggo, hast unbewusst dieses Spiel mitgemacht, das euch aufgezwungen wurde. Und ja, ich ebenso. Und ihr ebenso, Abram, Sam und Lea, obwohl ihr nie, laut eurer Aussage, in einer Stadt gelebt habt. Die Außerirdischen haben uns alle unter ihrer Kontrolle. Sie sind in unseren Köpfen und machen, dass wir das tun, was sie wollen. Egal, was wir tun, sie wissen es.“
Vergangenheits- und Gegenwartsform mögen sich sporadisch abwechseln. Manches ist mir, als würde ich es eben jetzt noch einmal und sogar wie zum ersten Mal erleben. Anderes, das mir genauso fest in Erinnerung geblieben ist, wie ich schon einmal schrieb, wäre mir lieber gewesen, es nicht zu erleben, es nicht zu wissen, wie in diesem Moment, als Selma mir von den Außerirdischen berichtete.
Es war etwas dran, das wussten wir alle, denn die Menschen hatten keinen Grund mehr, etwas zu erfinden oder gar zu lügen. Gewiss, manche Notlügen blieben uns erhalten, aber so etwas, einfach Außerirdische erfinden oder uns damit zu erschrecken, gab es nicht mehr.
„Wer erzählte dir das?“ fragte Abram, der während der letzten Tage um Selma buhlte, was mich etwas nervös machte.
Dazu möchte ich erwähnen, ich hatte nie wirklich vor, Selma zu meiner Ehefrau zu machen. Ich hatte noch keine Erfahrungen mit Frauen, weshalb ich es ohnehin vermied, ihr zu nahe zu treten. Wenn sich unsere Hände berührten, wir uns an den Händen einander festhalten, was sie ohnehin nicht mehr zuließ, das war schon das höchste der Gefühle. Niemals hätte ich gewagt, sie küssen, wie das Viggo und Rike taten, als ich sie letzte Nacht zufällig beobachtete.
Vielleicht sollte ich kurz darüber schreiben, da ich ziemlich glücklich für die beiden war, denn Viggo bemühte sich schon sehr lange um die „eiskalte“ Rike. Er nannte sie einmal „eiskalt“, als wir noch in der Stadt lebten. Wir beide saßen auf dem Balkon seiner Wohnung, als er mir einiges über sein Leben erzählte, darunter auch, dass er Arzt werden wollte, aber das Studium aufgab, da er dafür zu sensibel sei und bei den kleinsten Wunden ohnmächtig wird. Ich musste damals über ihn lachen, da ich ihn stets für einen ziemlich harten Kerl hielt. Viggo war das typische Beispiel für raue Schale, weicher Kern. Er sagte dann auch, dass er Rike bewundere, weil sie nicht einmal mit einer Wimper zuckt, wenn man ihr Verletzte bringt und deshalb ist sie auch anderweitig eiskalt. Damals gestand er mir, dass er schon lange ein Auge auf sie geworfen habe. Jetzt endlich schien sein Wunsch in Erfüllung gegangen zu sein.
Als ich nun letzte Nacht munter wurde, weil ich Wasser lassen musste, ging ich ins Gebüsch, hinter dem ein Bach dahin plätscherte. Das Plätschern war schließlich nicht das einzige, was ich hörte. Es war da noch Viggos eindringliche Stimme und Rikes leises Lachen. Sie kühlten sich im Bach ab, weil es diese Nacht ziemlich warm war. Über ihnen stand der volle Mond, weshalb ich sie erkennen konnte. Sie hielten sich an den Händen und neigten langsam ihre Köpfe einander zu. Dann geschah es. Ihre Lippen berührten sich und dann war es um beide geschehen. Sie krallten sich ineinander, stürzten in den Bach und ließen ihren Leidenschaften freien Lauf.
Ich sah nicht weiter zu, dazu hatte ich viel zu viel Respekt vor den beiden. Das war ihre Privatsache und sollte es auch bleiben. Da hatte kein dritter ein Recht, ihre Gefühle zu verunreinigen. Zweisamkeit muss immer Zweisamkeit bleiben. Also suchte in der anderen Richtung ein Gebüsch und erleichterte mich.
Rike sagte, ihre Eltern, die bereits an die 100 Jahre alt sind, werden ihr Verschwinden nicht überleben. Sie erwähnte das so nebenbei, als würde es sie kalt lassen. Mir hingegen kamen wieder die Tränen, da ich an meine Eltern denken musste.
Meine Gefühle spielten ohnehin verrückt. Es war mit Injektionen schon schlimm genug, da ich mich über alles möglich aufregen konnte und jetzt war es doppelt so schlimm. Es war ein ständiges Auf und Ab. Mal war ich überglücklich, es geschafft und mich auf ein Abenteuer eingelassen zu haben, dann war ich wieder todtraurig und wollte am liebsten liegen bleiben und auf der Stelle sterben. Ich war wohl der einzige in unserer Runde, der solche Schwierigkeiten hatte.
Viggo und Rike waren kühl wie immer. Die anderen drei, die sich zu uns gesellt haben, kannte ich zu wenig und sie ließen es auch nicht wirklich zu, kennen gelernt zu werden. Auch wenn sie sofort mit ihrem Ziel heraus rückten, so blieben sie während der gesamten Reise eher schweigsam.
Am schweigsamsten jedoch war Selma. Sie ging stets alleine voraus und blockte jedes Gespräch ab. Sogar mit Viggo sprach sie kaum mehr. Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie war eifersüchtig, da er sich mehr um Rike kümmerte, aber das konnte es auch nicht sein, da mir Selma dazu viel zu gefühlskalt erschien. Sie würde sich doch niemals in einen Menschen verlieben, so wie ich mich in sie verliebt hatte. Jetzt war nicht einmal mehr Händchen halten drinnen. Wenn ich es versuchte, schubste sie meine Hand weg.
Als ich wieder einmal versuchte, mit ihr ein Gespräch zu beginnen, wurde sie ein deutlicher und ich wünschte mir etwas später, sie wäre es nicht gewesen.
„Glaubst du wirklich, auf der anderen Seite der Kluft leben andere Menschen?“ fragte sie mich.
„Man erzählt es sich so. Du hast selbst von den friedlichen Tempelmenschen erzählt. Oder war das Viggo, der es mal in den Lagern aufgeschnappt hat? Egal, es muss sich um andere Menschen handeln, sonst hat unsere Reise nichts gebracht. Dann hätten wir auch gleich bleiben können“, gab ich zur Antwort und freute mich, wenigstens einen Satz aus ihr heraus bekommen zu haben.
„Was meinst du eigentlich zu dem Thema, woher wir all das Wissen haben und wann der letzte Krieg war?“
„Krieg war und ist immer, da sich die Menschen stets gegenseitig bekämpfen. Deshalb sollten wir vorsichtig sein, wenn wir anderen Leuten begegnen“, sagte Selma und warf mir einen kurzen Blick zu, den ich nicht deuten konnte.
„Und das Wissen?“ fragte ich. Es dauerte einige Schritte, bis Selma mir eine Antwort gab,. Es war, als würde sie mit sich kämpfen, ob sie weiter sprechen sollte oder nicht.
„Das kam von Außerirdischen, die uns in ihrer Macht haben. Sie machen, dass wir das tun, was wir tun.“
Ich blieb stehen und hielt Selma am Arm zurück, wo sie sich sofort wieder los riss. Diesmal war ihr Blick ziemlich finster, um sogleich wieder die puppenartige Maske aufzusetzen.
„Sag das noch einmal, Selma!“
„Es ist wahr und ich weiß es schon die ganze Zeit“, sprudelte es auf ihr heraus. Viggo und Rike hatten uns eingeholt und auch die anderen drei gesellten sich zu uns dazu, während Selma mich schwer atmend anstarrte.
„Was weißt du schon die ganze Zeit?“ fragte ich und die anderen umringten uns neugierig.
„Natürlich weiß ich es nicht genau, aber ich habe schon so viele Menschen davon sprechen hören, die meinten, dass sie niemals in die Städte rein gehen würden, weil die Menschen dort von Außerirdischen überwacht werden und sie durch irgendwelche Mitteln zwingen, das zu tun, was sie tun. Nur wenige können sich dem entziehen, wenn überhaupt. Schaut euch doch an, du, Paolo, Viggo und Rike. Wisst ihr überhaupt, warum ihr aus der Stadt geflohen seid? War ich es, die euch dazu ermutigt hat? Oder war es Paolo? Denkt nach und dann sagt mir, warum ihr euch auf diese Reise gemacht habt.“
Viggo und Rike sahen sich groß an.
„Es war wohl die Ungerechtigkeit“, meinte Rike schließlich und Selma lachte hell auf.
„Was meinst du mit Ungerechtigkeit? Denkst du, weil die Menschen in den Städten ein besseres Leben haben als jene hinter den Stadtmauern? Ihr habt gar nicht bemerkt, dass ihr bisher wie Roboter gelebt habt. Sogar du, Viggo, hast unbewusst dieses Spiel mitgemacht, das euch aufgezwungen wurde. Und ja, ich ebenso. Und ihr ebenso, Abram, Sam und Lea, obwohl ihr nie, laut eurer Aussage, in einer Stadt gelebt habt. Die Außerirdischen haben uns alle unter ihrer Kontrolle. Sie sind in unseren Köpfen und machen, dass wir das tun, was sie wollen. Egal, was wir tun, sie wissen es.“
Vergangenheits- und Gegenwartsform mögen sich sporadisch abwechseln. Manches ist mir, als würde ich es eben jetzt noch einmal und sogar wie zum ersten Mal erleben. Anderes, das mir genauso fest in Erinnerung geblieben ist, wie ich schon einmal schrieb, wäre mir lieber gewesen, es nicht zu erleben, es nicht zu wissen, wie in diesem Moment, als Selma mir von den Außerirdischen berichtete.
Es war etwas dran, das wussten wir alle, denn die Menschen hatten keinen Grund mehr, etwas zu erfinden oder gar zu lügen. Gewiss, manche Notlügen blieben uns erhalten, aber so etwas, einfach Außerirdische erfinden oder uns damit zu erschrecken, gab es nicht mehr.
„Wer erzählte dir das?“ fragte Abram, der während der letzten Tage um Selma buhlte, was mich etwas nervös machte.
Dazu möchte ich erwähnen, ich hatte nie wirklich vor, Selma zu meiner Ehefrau zu machen. Ich hatte noch keine Erfahrungen mit Frauen, weshalb ich es ohnehin vermied, ihr zu nahe zu treten. Wenn sich unsere Hände berührten, wir uns an den Händen einander festhalten, was sie ohnehin nicht mehr zuließ, das war schon das höchste der Gefühle. Niemals hätte ich gewagt, sie küssen, wie das Viggo und Rike taten, als ich sie letzte Nacht zufällig beobachtete.
Vielleicht sollte ich kurz darüber schreiben, da ich ziemlich glücklich für die beiden war, denn Viggo bemühte sich schon sehr lange um die „eiskalte“ Rike. Er nannte sie einmal „eiskalt“, als wir noch in der Stadt lebten. Wir beide saßen auf dem Balkon seiner Wohnung, als er mir einiges über sein Leben erzählte, darunter auch, dass er Arzt werden wollte, aber das Studium aufgab, da er dafür zu sensibel sei und bei den kleinsten Wunden ohnmächtig wird. Ich musste damals über ihn lachen, da ich ihn stets für einen ziemlich harten Kerl hielt. Viggo war das typische Beispiel für raue Schale, weicher Kern. Er sagte dann auch, dass er Rike bewundere, weil sie nicht einmal mit einer Wimper zuckt, wenn man ihr Verletzte bringt und deshalb ist sie auch anderweitig eiskalt. Damals gestand er mir, dass er schon lange ein Auge auf sie geworfen habe. Jetzt endlich schien sein Wunsch in Erfüllung gegangen zu sein.
Als ich nun letzte Nacht munter wurde, weil ich Wasser lassen musste, ging ich ins Gebüsch, hinter dem ein Bach dahin plätscherte. Das Plätschern war schließlich nicht das einzige, was ich hörte. Es war da noch Viggos eindringliche Stimme und Rikes leises Lachen. Sie kühlten sich im Bach ab, weil es diese Nacht ziemlich warm war. Über ihnen stand der volle Mond, weshalb ich sie erkennen konnte. Sie hielten sich an den Händen und neigten langsam ihre Köpfe einander zu. Dann geschah es. Ihre Lippen berührten sich und dann war es um beide geschehen. Sie krallten sich ineinander, stürzten in den Bach und ließen ihren Leidenschaften freien Lauf.
Ich sah nicht weiter zu, dazu hatte ich viel zu viel Respekt vor den beiden. Das war ihre Privatsache und sollte es auch bleiben. Da hatte kein dritter ein Recht, ihre Gefühle zu verunreinigen. Zweisamkeit muss immer Zweisamkeit bleiben. Also suchte in der anderen Richtung ein Gebüsch und erleichterte mich.