Serenade
Sehr aktives Mitglied
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Es spitzt sich eher im Osten zu.
Die Ballungszentren aber liegen im Norden. Riesige Städte, in denen es keine Grünanlagen mehr gibt und die Menschen nur mehr mit Mundschutz ihre Wohnungen oder Häuser verlassen. Rund um den Kern der Städte wurden Zelte für die Armen und großteils Kranken errichtet. In manchen Ballungszentren, besonders in den Zeltlagern, brechen Seuchen aus, die man für längst ausgestorben hielt.
Der Süden ist ausgetrocknet. Wüste, so weit das Auge reicht. Nicht mal mehr Beduinen streifen mit ihren Kamelen durch die heißen, sandigen Länder des Südens.
Im Westen liegen die Meere und einstigen Länder, die bereits vor Jahrzehnten überschwemmt wurden. Hier gibt es tatsächlich nichts Neues.
Aber der Osten ist ein Geheimtipp. Dort stehen noch die alten Tempel hoch oben in den Bergen und das Land ist teilweise sogar so fruchtbar, dass die Menschen Selbstversorger sind und anbauen und ernten können.
Leider lassen sich diese Orte kaum, wenn überhaupt, erreichen. Es liegt nicht nur an den hohen Bergen und an der eher sauerstoffarmen Luft, sondern an der breiten Kluft, die beim letzten Erdbeben vor einigen Jahrzehnten entstand und die Länder vom Osten trennte. Für die Tempelmenschen – man nennt sie so – ist dies ein Segen, - meint man ja auch, dass es sie gar nicht gibt und der Osten ohnehin unbewohnt und wegen der vielen hohen Berge auch unwirtlich ist.
In dem Ballungszentrum, das dem Osten am nächsten ist und von wo man vom Rand aus, an schöneren Tagen, die jedoch sehr selten sind, die breite, riesige Kluft sehen kann, leben ein noch junger Mann und eine noch junge Frau.
Die junge Frau ist der Kluft näher, da sie am Rande der Stadt in einem der zerfledderten Zelte mit ihrem kranken Vater und den zwei älteren Schwestern lebt. Menschen in Zeltlagern sind der schlechten Luft ständig ausgesetzt und sie sind von den Almosen der Stadtmenschen abhängig. Täglich verhungern Menschen in den Zelten. Nicht nur ältere und kranke, sondern auch junge Menschen, mitunter Babys.
Täglich am Morgen kommen alte Lastwagen in die Zeltlager und teilen Wasser, Brot und andere Lebensmittel aus. Es reicht nie für alle und meist entstehen um einen der Wägen harte Kämpfe.
Auch an diesem Morgen hat Selma, die jüngste in der Familie, keine Chance, wenigstens einen halben Laib Brot zu ergattern. Der Vater kann sich von seinem Lager nicht mehr erheben und auch die Schwestern, Zwillinge, liegen krank darnieder.
Niedergeschlagen geht sie ins Lager zurück, bis ein älterer Mann sie an der schmalen Schulter berührt und ihr seine Flasche Wasser entgegen hält und auch das Brot, der er ergattert hat, mit ihr teilt. Selma will es zuerst nicht annehmen, aber der Mann lässt das nicht zu und begleitet sie sogar bis zu ihrem Zelt. Er erzählt ihr, dass er mal Arzt war und alles durch den Krieg verloren hat. Aber was soll ein Mann, der mal Arzt war, helfen können, wenn es hier keine Medikamente gibt? Dennoch sieht er nach dem Vater und den beiden 20jährigen Mädchen.
Mit dem Vater geht es zu Ende und mit den beiden Mädchen sieht es auch nicht gut. Sie haben beide den Virus, der in den Zeltlagern so gefürchtet ist. Selma sollte sich nicht mehr neben ihnen aufhalten und versuchen, in die Stadt zu gelangen. Ein so hübsches Mädchen wie sie, würde man überall aufnehmen. Die Reichen in den Städten sind ohnehin immer auf der Suche nach Putz- oder Kochhilfen. Da hat sich nichts geändert. Die Kluft zwischen Reich und Arm ist überdimensional groß geworden. Die Stadtmenschen leben in Saus und Braus und die Zeltmenschen müssen verhungern und sterben an hartnäckigen Viren, weil es für sie keine Versorgungen gibt.
Selma wundert sich, dass die Stadtmenschen Nahrung und frisches Wasser haben, da es in der Stadt keine grünen Flächen mehr gibt. Man baut untertags an, klärt der Mann, der einmal Arzt war, sie auf. Es ist alles unterirdisch. Vor allem die reichsten Menschen leben unterirdisch, wo sie sich eine Art Paradies geschaffen haben.
Der ältere Mann wundert sich, dass es dem Mädchen anscheinend leicht fällt, ihre Familie hinter sich zu lassen, als sie sich mit ihm auf den Weg zu den Stadtmauern und Stacheldrahtzäunen, die an die acht Meter hoch sind, macht. Es ist ein etwas weiterer Weg, denn die Zeltlager sind groß und reichen von den Stadtgrenzen bis zu den letzten Randzelten einige Kilometer. Die meisten Menschen liegen bereits im Sterben. Es wird nicht mehr lange dauern und die Zeltlager werden leer sein. Regungslos und mit einer maskenhaften Miene geht das Mädchen mit dem älteren Mann, der ihr Vater sein könnte, an den klagenden und jammernden Menschen vorbei. Viggo, so stellt sich der ältere Mann dem Mädchen auf dem Weg vor, mustert Selma genau und wundert sich wieder. Das Mädchen zeigte auch keine Regung, als es kein Brot und Wasser bekam. Anstandslos wandte sie sich um und ging langsam zwischen den sich balgenden Menschen in Richtung ihres Zeltes zurück. Viggo muss sich mehrmals abwenden, so kümmert ihn manches Schicksal mancher Menschen, die ihnen fiebernd und zitternd ihre leeren Hände um Nahrung bettelnd entgegen strecken.
Selma hatte nur einen Schluck Wasser aus der geschenkten Flasche genommen und die Flasche, samt Brot, bei ihrem sterbenden Vater und den Zwillingen zurück gelassen.
Einerseits hat sie recht, denkt Viggo, denn es ändert nichts, sich Kummer zu machen oder zu bleiben und selbst sterbend krank zu werden. Vielleicht hat das Mädchen ja den Virus bereits, denn fast alle haben ihn bekommen. Nur vereinzelt scheint es Menschen, wie ihn, zu geben, die gegen den tödlichen Virus immun sind.
Der Weg zu den Stadtgrenzen ist meist eben bis leicht hügelig. Einst gab es hier Wiesen und Wälder, sinniert Viggo auf dem Weg, da Selma schweigend dahin wandert und ihm bis jetzt nur kurz und bündig ihren Namen genannt und auf weitere Fragen keine Antwort gegeben hat. Aber auch das ist schon sehr, sehr lange her, das mit den Wiesen und Wäldern. Damals war er noch ein kleiner Junge, vielleicht sogar noch ein Baby, denn zu dieser Zeit begannen die letzten Kriege, in denen Viren dieser Art, wie er sich in den Zeltlagern verbreitet hat, frei gesetzt wurden. Es waren eigentlich keine Kriege wie im üblichen Sinn, als die Menschen noch mit Keulen aufeinander los gegangen sind und später Feuerwaffen daraus wurden, bis zur Atombombe, von der die letzte abgeworfen wurde, als seine Großeltern noch nicht geboren waren. Die letzten Kriege waren gemein und wurden von der oberen Gesellschaft eingefädelt. Die Oberen und Reichen, jene, die am großen Topf Platz genommen haben und über Leichen gehen. Das war schon immer so. Er kannte die Geschichten, die ihm einst seine Großeltern und auch Eltern erzählten, um für das Leben unter Menschen gerüstet zu sein.
Umso mehr erschreckt ihn jetzt das Gehabe des Mädchens, das schweigend und zart wie eine Elfe neben ihm geht. Eigentlich geht Selma nicht. Sie schwebt. Bei jedem Schritt wallt ihr dünnes, blondes, schulterlanges Haar im sanften Wind. Sie wirkt so zart und zerbrechlich und scheint bei einer Größe von knappen 1,70 Meter kaum 45 Kilo zu haben. Eine Elfe. Ein weltfremdes Wesen. So muss es sein, denkt Viggo und schüttelt über seine Gedanken den Kopf.
*
Die Ballungszentren aber liegen im Norden. Riesige Städte, in denen es keine Grünanlagen mehr gibt und die Menschen nur mehr mit Mundschutz ihre Wohnungen oder Häuser verlassen. Rund um den Kern der Städte wurden Zelte für die Armen und großteils Kranken errichtet. In manchen Ballungszentren, besonders in den Zeltlagern, brechen Seuchen aus, die man für längst ausgestorben hielt.
Der Süden ist ausgetrocknet. Wüste, so weit das Auge reicht. Nicht mal mehr Beduinen streifen mit ihren Kamelen durch die heißen, sandigen Länder des Südens.
Im Westen liegen die Meere und einstigen Länder, die bereits vor Jahrzehnten überschwemmt wurden. Hier gibt es tatsächlich nichts Neues.
Aber der Osten ist ein Geheimtipp. Dort stehen noch die alten Tempel hoch oben in den Bergen und das Land ist teilweise sogar so fruchtbar, dass die Menschen Selbstversorger sind und anbauen und ernten können.
Leider lassen sich diese Orte kaum, wenn überhaupt, erreichen. Es liegt nicht nur an den hohen Bergen und an der eher sauerstoffarmen Luft, sondern an der breiten Kluft, die beim letzten Erdbeben vor einigen Jahrzehnten entstand und die Länder vom Osten trennte. Für die Tempelmenschen – man nennt sie so – ist dies ein Segen, - meint man ja auch, dass es sie gar nicht gibt und der Osten ohnehin unbewohnt und wegen der vielen hohen Berge auch unwirtlich ist.
In dem Ballungszentrum, das dem Osten am nächsten ist und von wo man vom Rand aus, an schöneren Tagen, die jedoch sehr selten sind, die breite, riesige Kluft sehen kann, leben ein noch junger Mann und eine noch junge Frau.
Die junge Frau ist der Kluft näher, da sie am Rande der Stadt in einem der zerfledderten Zelte mit ihrem kranken Vater und den zwei älteren Schwestern lebt. Menschen in Zeltlagern sind der schlechten Luft ständig ausgesetzt und sie sind von den Almosen der Stadtmenschen abhängig. Täglich verhungern Menschen in den Zelten. Nicht nur ältere und kranke, sondern auch junge Menschen, mitunter Babys.
Täglich am Morgen kommen alte Lastwagen in die Zeltlager und teilen Wasser, Brot und andere Lebensmittel aus. Es reicht nie für alle und meist entstehen um einen der Wägen harte Kämpfe.
Auch an diesem Morgen hat Selma, die jüngste in der Familie, keine Chance, wenigstens einen halben Laib Brot zu ergattern. Der Vater kann sich von seinem Lager nicht mehr erheben und auch die Schwestern, Zwillinge, liegen krank darnieder.
Niedergeschlagen geht sie ins Lager zurück, bis ein älterer Mann sie an der schmalen Schulter berührt und ihr seine Flasche Wasser entgegen hält und auch das Brot, der er ergattert hat, mit ihr teilt. Selma will es zuerst nicht annehmen, aber der Mann lässt das nicht zu und begleitet sie sogar bis zu ihrem Zelt. Er erzählt ihr, dass er mal Arzt war und alles durch den Krieg verloren hat. Aber was soll ein Mann, der mal Arzt war, helfen können, wenn es hier keine Medikamente gibt? Dennoch sieht er nach dem Vater und den beiden 20jährigen Mädchen.
Mit dem Vater geht es zu Ende und mit den beiden Mädchen sieht es auch nicht gut. Sie haben beide den Virus, der in den Zeltlagern so gefürchtet ist. Selma sollte sich nicht mehr neben ihnen aufhalten und versuchen, in die Stadt zu gelangen. Ein so hübsches Mädchen wie sie, würde man überall aufnehmen. Die Reichen in den Städten sind ohnehin immer auf der Suche nach Putz- oder Kochhilfen. Da hat sich nichts geändert. Die Kluft zwischen Reich und Arm ist überdimensional groß geworden. Die Stadtmenschen leben in Saus und Braus und die Zeltmenschen müssen verhungern und sterben an hartnäckigen Viren, weil es für sie keine Versorgungen gibt.
Selma wundert sich, dass die Stadtmenschen Nahrung und frisches Wasser haben, da es in der Stadt keine grünen Flächen mehr gibt. Man baut untertags an, klärt der Mann, der einmal Arzt war, sie auf. Es ist alles unterirdisch. Vor allem die reichsten Menschen leben unterirdisch, wo sie sich eine Art Paradies geschaffen haben.
Der ältere Mann wundert sich, dass es dem Mädchen anscheinend leicht fällt, ihre Familie hinter sich zu lassen, als sie sich mit ihm auf den Weg zu den Stadtmauern und Stacheldrahtzäunen, die an die acht Meter hoch sind, macht. Es ist ein etwas weiterer Weg, denn die Zeltlager sind groß und reichen von den Stadtgrenzen bis zu den letzten Randzelten einige Kilometer. Die meisten Menschen liegen bereits im Sterben. Es wird nicht mehr lange dauern und die Zeltlager werden leer sein. Regungslos und mit einer maskenhaften Miene geht das Mädchen mit dem älteren Mann, der ihr Vater sein könnte, an den klagenden und jammernden Menschen vorbei. Viggo, so stellt sich der ältere Mann dem Mädchen auf dem Weg vor, mustert Selma genau und wundert sich wieder. Das Mädchen zeigte auch keine Regung, als es kein Brot und Wasser bekam. Anstandslos wandte sie sich um und ging langsam zwischen den sich balgenden Menschen in Richtung ihres Zeltes zurück. Viggo muss sich mehrmals abwenden, so kümmert ihn manches Schicksal mancher Menschen, die ihnen fiebernd und zitternd ihre leeren Hände um Nahrung bettelnd entgegen strecken.
Selma hatte nur einen Schluck Wasser aus der geschenkten Flasche genommen und die Flasche, samt Brot, bei ihrem sterbenden Vater und den Zwillingen zurück gelassen.
Einerseits hat sie recht, denkt Viggo, denn es ändert nichts, sich Kummer zu machen oder zu bleiben und selbst sterbend krank zu werden. Vielleicht hat das Mädchen ja den Virus bereits, denn fast alle haben ihn bekommen. Nur vereinzelt scheint es Menschen, wie ihn, zu geben, die gegen den tödlichen Virus immun sind.
Der Weg zu den Stadtgrenzen ist meist eben bis leicht hügelig. Einst gab es hier Wiesen und Wälder, sinniert Viggo auf dem Weg, da Selma schweigend dahin wandert und ihm bis jetzt nur kurz und bündig ihren Namen genannt und auf weitere Fragen keine Antwort gegeben hat. Aber auch das ist schon sehr, sehr lange her, das mit den Wiesen und Wäldern. Damals war er noch ein kleiner Junge, vielleicht sogar noch ein Baby, denn zu dieser Zeit begannen die letzten Kriege, in denen Viren dieser Art, wie er sich in den Zeltlagern verbreitet hat, frei gesetzt wurden. Es waren eigentlich keine Kriege wie im üblichen Sinn, als die Menschen noch mit Keulen aufeinander los gegangen sind und später Feuerwaffen daraus wurden, bis zur Atombombe, von der die letzte abgeworfen wurde, als seine Großeltern noch nicht geboren waren. Die letzten Kriege waren gemein und wurden von der oberen Gesellschaft eingefädelt. Die Oberen und Reichen, jene, die am großen Topf Platz genommen haben und über Leichen gehen. Das war schon immer so. Er kannte die Geschichten, die ihm einst seine Großeltern und auch Eltern erzählten, um für das Leben unter Menschen gerüstet zu sein.
Umso mehr erschreckt ihn jetzt das Gehabe des Mädchens, das schweigend und zart wie eine Elfe neben ihm geht. Eigentlich geht Selma nicht. Sie schwebt. Bei jedem Schritt wallt ihr dünnes, blondes, schulterlanges Haar im sanften Wind. Sie wirkt so zart und zerbrechlich und scheint bei einer Größe von knappen 1,70 Meter kaum 45 Kilo zu haben. Eine Elfe. Ein weltfremdes Wesen. So muss es sein, denkt Viggo und schüttelt über seine Gedanken den Kopf.
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