Mein Geliebter
die Algarve, Al-Gharb in arabisch und das heisst übersetzt:
"Ganz im Westen." Die Mauren lebten siebenhundert Jahre hier, das habe ich dir gewiss schon oft erzählt, überall triffst du auf ihre Spuren. In der Stadt Silves, nur zehn Kilometer von uns entfernt, das war der Regierungssitz der Mauren und Ibn Arabi regierte unter anderem auch. Immer wenn ich die Burg dort besichtige und über die alten Burgwälle gehe, oben auf den Zinnen weit ins Land hinaus blicke, auf eine Hügellandschaft, dann denke ich an die stolzen Araber zurück. Ein portugiesischer Anthropologe schrieb: "Sie sind nicht um uns, sie sind in uns!" Ja so ist es tatsächlich, denn genetisch sind gerade die Menschen aus Silves besonders stark mit einem Drittel arabischem Erbgut ausgestattet. Auch in die portugiesische Sprache sollen an die dreihundert Worte integriert worden sein.
Du sagtest mal im Scherz, du warst einmal Kalif in Silves, do you remember?
Miguel Angelo fuhr an den Villen vorbei. Umgeben von Gärten mit stattlichen Palmen und blühenden Sträuchern. Da war bereits Jochens Haus. Etwas abseits, auf einem Hügel gelegen. Von hier hatte man den weiten Blick über das Hinterland und die Monchique Berge. Das Tor war offen, er fuhr in die Einfahrt und parkte vor der Garage.
„Hallo Miguel.“ Jochen kam gleich zu ihm heraus. „Das ist ja eine Überraschung. Schön, dass du dir die Zeit nimmst, mich auch einmal zu besuchen.“
Jochen umarmte ihn herzlich und führte ihn ins Haus. Inge, seine Frau grüßte ebenfalls und gleitet ihn ins Wohnzimmer.
„Also, mein Freund. Was hast du auf dem Herzen?“, fragte Jochen geradeheraus.
Inge hatte Kaffee gebracht und sich dann zurückgezogen.
Jochen musterte ihn aufmerksam mit seinen hellgrauen Augen, denen nichts zu entgehen schien.
„Als erstes möchte ich dich bitten, absolute Diskretion zu bewahren.“ Miguel Angelo lächelte verkrampft. „Ich denke vor allem an die deutsche Clique, die nur darauf wartet, sich den Mund über mich zerreißen zu können.“
Jochen nickte. Er zündete sich eine Zigarette an und wartete ab, was er erfahren würde.
„Ich deutete es bereits am Telefon an. Es geht um Stella“, begann Miguel Angelo.
Dann erzählte er Jochen von dem Anruf aus Abu Dhabi, von seiner Sorge und seiner Angst, man könne sie dort gewaltsam festhalten. „Bitte hilf mir, Jochen“, sagte er, „ich kann nachts schon nicht mehr richtig schlafen.“
Jochen stand auf und holte eine Flasche Portwein aus der Bar.
„Darauf müssen wir erst einen Schluck trinken.“ Er öffnete umständlich die Flasche und reichte Miguel ein Glas.
„Was macht Stella in den Emiraten? Weißt du mit Sicherheit, dass der Anruf aus Abu Dhabi kam?“
Sie tranken schweigend. Der rote Port schmeckte vorzüglich. Wirkte wohltuend beruhigend auf Miguel Angelos Nervensystem.
„Der Anruf kam aus dem Hilton in Abu Dhabi. Das hat mir gestern Cristina bestätigt.“
„Deine Tochter?“
„Ja.“ Er nickte. „Sie hat noch bis letzten September bei der Lufthansa gearbeitet und kennt jede Menge Leute dort.“
„Gut.“ Jochen drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. „Du hast meine erste Frage noch nicht beantwortet. Also, mein Freund, was macht Stella in den Emiraten? Wenn ich helfen soll, muss ich schon die ganze Geschichte kennen.“
„Das ist wahr.“ Miguel Angelo lächelte dünn und sah seinen Freund ein wenig hilflos an. „Ich will meine Herzoperation nicht als Entschuldigung vorschieben, aber es war wohl so eine Art Torschlusspanik, die mich befiel. Ich verließ Stella kurz vor Weihnachten und zog bei einer jungen Zahnärztin aus Brasilien ein.“
„Das ist bedauerlich, mein Lieber. Ich hoffe, du hast richtig gewählt.“
„Darum geht es ja“, antworte Miguel Angelo schnell. „Ich ließ Stella nach Indien fliegen. Sie wollte dort meditieren. Da vermutete ich nie, dass sie ...“ Er schwieg.
„Und jetzt?“
„Jetzt?“ Miguel Angelo zuckte mit den Schultern. „Ich will sie unbedingt zurück. Aber sie ist mit einem Araber zusammen. Cristina konnte in Erfahrung bringen, dass Stella am achten Februar eine Nacht im Hilton Abu Dhabi war. Zusammen mit einem Mahoud Kamal Habbas. Das Problem ist nur, es gibt weder eine Ankunft, noch einen Abflug vom Flughafen Abu Dhabi. Cristinas Kollegen bemühen sich, den ganzen Raum abzuchecken. Aber das dauert.“
„Der Name dieses Herrn könnte uns weiterhelfen. Ich war zehn Jahre in Dubai und kenne dort eine Menge Leute“, meinte Jochen aufmunternd. „Doch ich will dir nichts versprechen, du musst Geduld haben.“
Miguel Angelo schrieb den Namen des Arabers auf einen Zettel und reichte ihn Jochen.
„Ich weiß, dass ich mich gedulden muss, aber meine Nerven sind am Ende. Wann glaubst du, höre ich von dir?“
„Drei bis vier Tage wird es schon dauern. Ich rufe dich an.“
Zurück zum Haus aus 1001 Nacht. Was für ein Haus, ich habe es wirklich besonders gestaltet. Sogar der Lektor meinte, ich solle nicht zu viel beschreiben. Da ich aber sehr für die Schönheit bin, war es mein höchstes Anliegen so detailliert wie möglich zu schildern. Der Patio Andaluz mit dem Brunnen in der Mitte und die Orangenbäumchen in jeder der vier Ecken des Innenhofes. So typisch für arabische Häuser, das Innere ist ein kleines Paradies.
Es war mitten in der Nacht. Stella lag bereits eine Weile wach und konnte nicht wieder einschlafen. Die Gedanken jagten wie wild durch ihren Kopf. Sie dachte an die letzten Tage zurück. Da war eine undefinierbare Angst in ihr - und die Angst hatte zugenommen. Mahoud lenkte immer geschickt davon ab. Aber jetzt konnte sie es nicht mehr verdrängen. Sie musste den Tatsachen ins Auge sehen.
Das Haus hat so schmale Fenster, dass man nicht hinaus steigen kann, überlegte sie. Drei Eingangstüren, die verschlossen sind, und hohe Mauern um das Grundstück. Die sind für mich unüberwindbar. Mahoud sagte es ja gestern noch lachend zu mir.
Ich sitze in der Falle!
Sie setzte sich im Bett auf, atmete einmal tief durch.
Falls ich weglaufen würde, könnte ich mich nicht verständigen. Ich würde ins Gefängnis kommen, weil ich Sex mit einem Muslim hatte.
Sie dachte an den Ablauf des gestrigen Abends. An ihre Liebesspiele. Warum wollte Mahoud nur, dass ich ihm sage, ich bleibe für immer bei dir...
Stella wurde von Panik ergriffen, schaltete das Licht an und schaute auf die Uhr. Vier Uhr morgens. Sie entschloss sich, Mahoud zu wecken und ihn nach seinem Versprechen zu fragen.
Wach auf. Bitte wach auf. Sie rüttelte ihn unsanft. Ich muss dich etwas fragen.
Willst du mich schon wieder etwas fragen? Verschlafen richtete er sich auf. Stella, es ist mitten in der Nacht. Er gähnte und sah sie stirnrunzelnd an.
Warum sollte ich gestern Abend zu dir sagen: Ich bleibe für immer bei dir? Ihre Stimme klang erregt. Sie ließ ihn nicht aus den Augen.
Weil ich mir das von ganzem Herzen wünsche, gab er lächelnd zurück.
Darauf sagtest du: So wird es sein, Insha Allah.
Er schwieg und betrachtete sie liebevoll.
Stella wartete, aber Mahoud schwieg beharrlich.
Was hat das zu bedeuten, Mahoud? Sag es mir. Ich will die Wahrheit wissen.
Stella. Komm, beruhige dich. Du hast es mir gesagt.
Was habe ich gesagt?
Dass du für immer bei mir bleibst.
Was meinst du damit, ich habe es dir gesagt?
Liebst du mich?
Natürlich liebe ich dich, antwortete sie aufgebracht. Lenke nicht vom Thema ab.
Du liebst mich. Und du sagtest gestern zu mir, dass du für immer bei mir bleibst.
Ja, ja, ja! Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich jetzt schon einfach hier bleiben kann.
Du hast es mir aber gestern Abend gesagt, Stella. Bei Allah.
Doch nicht jetzt schon, Mahoud!
Stella wurde immer aufgeregter.
Du weißt genau, dass ich erst nach Hause muss, um dort alles zu regeln. Das habe ich dir immer wieder gesagt. Du gabst mir dein Wort darauf, dass ich jederzeit gehen kann.
Dein Zuhause ist von nun an hier. Du sagtest, das Haus gefalle dir. Gefällt es dir auf einmal nicht mehr?
Er lächelte. Das ist ab jetzt dein Zuhause.
Stella war geschockt. Panik ergriff sie. Sie stand auf und zog sich ein T-Shirt über.
Sag, das es nicht wahr ist, Mahoud!, sagte sie tonlos.
Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Dass dies nur ein schlechter Scherz war.
Ich liebe dich, Stella. Und kann dich nicht wieder verlieren.
Er stand auf.
Es muss ja nicht für immer sein.
Mahoud zuckte hilflos mit den Schultern und sagte beruhigend:
Es kommt ganz auf dich an. Mir bleibt keine andere Wahl, denn freiwillig willst du offensichtlich nicht bleiben.
Du kannst mich nicht festhalten, Mahoud, ich bin deutsche Staatsbürgerin.
Stella, mein Vögelein...
Vögelein im Käfig!, schrie sie. Das würde dir so passen. Du hinterhältiger Mensch. Dein Versprechen hast du gebrochen, hattest alles schon geplant. Du sagtest, ich könne jederzeit nach Hause. Ich will sofort nach Hause!
Ich sagte bereits, dass hier dein Zuhause ist.
Ich bleibe nicht hier.
Ihre Stimme wurde immer schriller. Du kannst mich nicht einfach festhalten.
Stella. Du hast gestern noch gesagt, dass du für immer bei mir bleibst. Dein Wort gilt für mich vor dem Koran.
Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. Oder hast du gelogen?
Oh mein Gott!, sagte sie leise. Das war es also, Mahoud! Du glaubst doch selbst nicht an derartige Wortverdrehungen? So bleibe ich erst recht nicht!
Oh doch. Du bleibst! Seine Stimme wurde drohend. Wenn du folgsam bist, wird dir nichts geschehen.
Mahoud. Ich bin kein Sammlerobjekt, was man gestohlen hat und dann heimlich versteckt.
Du verstehst mich völlig falsch. Ich liebe dich doch. Komm zu mir, mein Liebling.
Sie wich entsetzt zurück, ihre Panik nahm zu. Ich lebe in einer freien Welt! Mich sperrt niemand ein.
Mahoud stand vor ihr. Er sah die Angst in ihren Augen. - Und er wusste, sie war ihm ausgeliefert. Jetzt habe ich sie genau dort, wo ich sie haben wollte. Wo ist ihre Überlegenheit geblieben? Ihre Unabhängigkeit? Du schöne, stolze blonde Frau, dachte er - und kam langsam auf sie zu.
Kismet