Ich folge dem Ruf meines Herzens

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Mein Geliebter

was für ein wunderschöner Regenbogen überraschte uns heute Morgen. Das ist ein gutes Omen, sage ich dann immer. Als ich mit meinem ersten Mann in die Flitterwochen fuhr, da erschien ein Regenbogen über dem weiten Land von Afrika. Ja, ein gutes Omen... und als er starb vor sechs Jahren, ziemlich genau um diese Zeit, da erschienen mehrere Regenbögen...

Seit Tagen kann ich nicht auf unserem Qashqai fliegen, die Nase läuft seit Tagen und das schlaucht. Auch das Fieber. So sitzen wir zu Hause und ich lese dir aus meinem Buch Kismt vor. Verarbeite noch immer einiges, tauche tief in mich hinein um zu erspühren, was mich dazu getrieben hat, das Buch zu schreiben:

"Da ist auch Stellas Mann, der sie wider Erwarten sehnlichst in Portugal zurück erwartet. Er macht sich Sorgen um ihren Verbleib, beginnt Nachforschungen anzustellen...

Und da ist Mahouds Angst, Stella zu verlieren; sein heimlicher Plan, das Haus in Saudi Arabien, an den Hängen des Asir Gebirges unten am Roten Meer, dort will er sie hinbringen.

Seine Liebe zu ihr ist leidenschaftlich, wird zur Obsession. Stella soll ihn nie mehr verlassen."

Das ist fantastisch!“, hauchte sie.
„Unser Haus wurde original im yemenitischen Stil erbaut“, erläuterte Mahoud stolz. „Das war für die Architekten aus Mohameds Firma gar nicht so einfach. Aber wir wollten den Baustil der Gegend wahren und schickten sie nach Sana’a, um sie dort unterweisen zu lassen.“
„Sana’a? Ist das nicht die Hauptstadt des Yemen?“
„Genau.“
Sie waren vor dem Eingangsportal angelangt. Dort wuchs eine große Fächerpalme, um die der Weg einen Wendekreis beschrieb. Mahoud stoppte den Wagen. Stella stieg aus und betrachtete fasziniert die viereckigen Erker, die jede Ecke des Hauses schmückten. Der Prachtbau war wohl dreißig Meter breit und verjüngte sich nach oben hin leicht. Die hohen, schmalen Fenster hatten außen weiße Stuckverzierungen. So auch der Bogen um das mit dunklen Holztüren versehene Eingangsportal.
Mahoud war inzwischen die Stufen hochgegangen, öffnete die Doppeltüren und rief nach ihr.
Stella weilte immer noch am gleichen Platz. Sie musste sich regelrecht vom Anblick des Hauses losreißen und sah zu ihm herüber.
Da stand Mahoud, in der weißen Thobe, auf dem Kopf die Guthra.
Es ist alles so fremd, dachte sie. Wenigstens Abaaya und Tschador habe ich ausgezogen, sonst würde ich womöglich noch den Verstand verlieren. Es ist wie ein Traum, und ich bin mitten darin...
„Stella? Was ist mit dir?“, hörte sie ihn fröhlich rufen. „Du schaust so seltsam drein.“
Er kam herunter zu ihr und nahm sie in die Arme. Da wusste sie es auf einmal: Das Spiel, das sie spielten, war in eine wichtige Phase gekommen. Zu spät. Sie musste weiter spielen.



Der Anruf kam aus dem Hilton in Abu Dhabi.“
„Abu Dhabi...“, wiederholte sie nachdenklich. „Ich werde mich an meine Kollegen wenden, die noch bei der Lufthansa fliegen. - Doch heute ist Sonntag, da kann man nicht viel erreichen.“
Sie schwieg. „Andererseits ist in den Emiraten heute normaler Arbeitstag.“
„Wie? Die arbeiten Sonntags?“
„Ja, Papa. Dort ist Freitags Feiertag. Genau genommen haben sie ab Donnerstag Nachmittag frei.“
„Ich danke dir, Cristina.“
„Ich tue es nicht für dich Papa, ich mache das wegen Mama, falls du Recht haben solltest. Allein bist du ja Weißgott nicht, mit zwei jungen Frauen. Ich rufe dich an, sobald ich etwas in Erfahrung bringen kann.“ Sie legte auf.
Miguel Angelo schaute aus dem Fenster. Der Himmel war grau und ihm war kalt. Ich habe alles falsch gemacht, dachte er, und jetzt ist es vielleicht zu spät. Er hatte am Samstag noch den Ehrenkonsul der Bundesrepublik privat angerufen, aber seine Antwort war niederschmetternd: Ihre Frau ist freiwillig hingereist, war sein nüchterner Kommentar. Tut mir leid. Wir können nichts machen. Keine Chance!
Miguel Angelo beobachtete die Platanen auf dem Hof. Der Wind riss die letzten Blätter von ihren Zweigen. Sie flatterten zu Boden, wurden abermals ergriffen und drehten sich im Kreis. Welche Macht steht hinter allem? Oh mein Gott, hilf mir, wenn es dich wirklich gibt, dachte er und sah zu, wie die Blätter endlos herum wirbelten. Wie von unsichtbarer Hand in einem sinnlosen Spiel, ohne Anfang, ohne Ende.

Kismet
 
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In dieser Nacht träumte sie wieder von den weiten Hochebenen Tibets. Ein einsamer Wanderer ging schnellen Schrittes in Richtung der Himalajas. Da leuchtete es auf einmal weit in der Ferne auf wie eine Vision. Es war eine Vision! Das Kalachakra Mandala, der Wohnsitz der Götter, das ewige Rad der Zeit. Das Mandala schwebte bunt flimmernd am Horizont. Das ewige Rad der Zeit, dachte sie. Es wird sich drehen bis an das Ende der Welt.

Mein Geliebter

was für ein Traum heute Nacht! Nein, nicht vom Kalachakra, aber von einem heiligen Wesen und dem Bringer der Mahatma Energie. Sanat Kumara und die Himalayas rufen mich im Traum...
So ruft das Herz, mein Geliebter und ich folge dem Ruf.

Aber lass uns schauen, was Stella und Mahoud gerade tun. Inzwischen ist Miguel Angelo auch auf den Plan getreten, immerhin hat Stella ihm all das zu verdanken. Als er sie drei Tage vor Weihnachten verlassen hat, um zu einer jungen Brasilianerin zu ziehen...Nein! Es waren ja zwei Frauen, und keine wusste was er mit der anderen.... solche Geschichten kann nur das Leben selbst schreiben.

Es war im Dezember des Jahres 2001 und es war Vollmond, da machte ich um Mitternacht das Fenster auf und rief: "Geistige Welt, bitte schickt mir ein Wunder! "

Ja mein Geliebter. Das Wunder wurde eine Woche später geliefert und ich war todtraurig, verzweifelt und ratlos.
Aber dann ging ich nachts hinaus auf die Terrasse und blickte hinauf zu den Sternen, und ich rief um Hilfe.
Ich rief hinauf: "Lauter Kurse und Bücher, die mir nun nicht helfen in meinem Unglück, was soll ich tun?"

Fahr nach Indien, nimm die Einladung von Janny an....

Zurück zu Stella:

Es war der Ausblick bis hinunter zum Roten Meer, der sie faszinierte. An den Hängen wuchsen Orangenbäume, soweit das Auge reichte, und weit in der Ferne glitzerte das Meer.
„Wo genau sind wir hier?“, wollte Stella wissen.
„Ganz im Südwesten Saudi Arabiens. Zwischen Nagran und Abha, jedoch mehr zur Küste hin.“
Er zeigte nach Osten. „Siehst du dort, da zieht sich die Bergkette des Asir Gebirges hin bis hinauf gen Norden. Hinter den Bergen erstreckt sich die Rub Al-Kahli, fast über die gesamte Arabische Halbinsel, und dort wo die Berge im Norden enden, ist die Mutter aller Städte.“
„Meinst du Mekka? Wie weit ist es bis dort?“
„Makkha“, korrigierte er sie lächelnd. „So nennen wir die Mutter aller Städte. Bis Makkha sind es ungefähr sechshundert Kilometer.“

Mahoud führte sie die Anhöhe hinauf, rechts am Haus vorbei durch einen Mandelhain. Neben dem Weg standen blühende Bäume, der Wind spielte mit ihren zartrosa Blüten, ließ sie zu Boden schweben.
Stella erzählte Mahoud die Sage von der maurischen Prinzessin im Al-Gharb, die vor tausend Jahren in der Hauptstadt der Algarve lebte. Die Stadt hieß damals Chelb.
Die Prinzessin hatte Sehnsucht nach ihrer Heimat Damaskus und dem Schnee im Winter. Da ließ ihr Vater, der König, Mandelbäume aus ihrer Heimat holen und unterhalb der Burg auf den Hügeln anpflanzen. Im Januar und Februar, wenn die Mandelbäume blühten, schaute die Prinzessin oben von der Burg hinab auf das Land, und es war durch die herabfallenden Blüten alles wie mit Schnee überzogen. Da war sie nicht mehr traurig.
„Das ist eine schöne Geschichte, Stella“ Er blieb stehen.
„Und sie ist wahr. Die Omeijaden kamen im Jahr 750 n. Ch. von Damaskus nach Spanien. Abt Ar-Rahmãn wählte Cordoba als Hauptstadt für sein neu gegründetes Reich.“
„Ja“, seufzte sie. „Siebenhundert Jahre waren die Mauren im Al-Andalus. Das hat die Menschen dort geprägt. Ihr habt wunderschöne Dinge bei uns hinterlassen.“
Mahoud!“, stellte sie gleich darauf fest. „Du hast wieder diesen Trotzfunken in deinen Augen. Genau wie in Bodh Gaya, als wir uns am See begegnet sind.“
Sie betrachtete ihn aufmerksam. „Da habe ich mich in dich verliebt.“
Den letzten Satz sprach sie leise. Mehr zu sich selbst.
„Von welchem trotzigen Funken sprichst du?“, wunderte er sich.
„Den kenn nur ich“, gab sie zwinkernd zurück. „Du kannst dich ja nicht selbst sehen. Es ist eine Sache von Sekundenbruchteilen.“
„Bruchteil einer Sekunde?“, er lachte. „Das geht doch gar nicht.“
„Was soll ich dir darauf antworten, Mahoud? Jedenfalls war es das, was mich an jenem denkwürdigen Morgen am Bodhi See provozierte. Es war mir nur damals nicht bewusst. Doch in diesem Augenblick hast du mir alle Information über dich geliefert. Alles, Mahoud, was wir zusammen erfahren werden, konnte ich da erkennen. Unser Kismet.“
Ein alter knorriger Olivenbaum tauchte vor ihnen auf, sie setzten sich darunter.
„Was für ein schöner Baum. Wir haben bei uns auch so alten Olivenbäume. Man sagt, sie seien aus der Zeit um Christi Geburt.“
Er nickte. „Wie kommt es, dass du so gut über die Geschichte des Al-Andalus Bescheid weißt?“
„Oh. Ich habe mich immer schon für Geschichte interessiert und wollte einfach erfahren, welche Ereignisse die Portugiesen geformt haben. Da waren zuerst die Römer, und dann natürlich die Phönizier. Mahoud, du bist also doppelt vertreten, denn eigentlich kommst du ja aus dem Libanon.“
„Die Phönizier waren große Seefahrer.“
„Das waren sie. Aber ich frage mich, warum die Menschen das immer noch nicht verstehen, dass Kriege immer nur Glaubenskriege sind.“
„Der Westen will uns gar nicht verstehen“, antwortete er aufgebracht. „Ja, er versucht es nicht einmal. Das Einzige, was sie wollen ist, uns Araber zu beherrschen und auszubeuten. Der Westen braucht unser Erdöl!“
Mahoud war aufgestanden und sah sie erregt an. „Uns wirklich verstehen, das tun nur wenige. Die meisten schmeicheln sich bei uns ein, aber im Grunde genommen verachten sie uns und tun uns als rückständige Beduinen ab. Wir brauchen uns aber nicht vor ihnen zu verstecken, Stella. Wir waren es, die Aristoteles in Erinnerung bewahrt haben, während ihr im finstersten Mittelalter gelebt habt. Unser Kulturerbe ist viel zu bedeutsam, als dass wir es nötig hätten, uns vom Westen kolonialisieren zu lassen. Wir besitzen einen starken Glauben. Er wird uns noch weit in die Zukunft bringen.“
Sie schwieg.
„Komm, lass uns aufbrechen“, schlug er nach einer Weile vor.

Sie kamen zu der Mauer, die das Grundstück eingrenzt.
„Diese Mauer ist hoch, Mahoud. Hier kommt niemand so schnell herein.“
„Man kommt auch nicht so leicht heraus“, antwortete er lachend.
Sie blieb abrupt stehen.
„Komm, Stella“, beruhigte er sie. „Das war nur Spaß.“

Kismet

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Mein Geliebter

Tausend und eine Nacht, was für ein Traum.
Wie Tänzer fliegen unsere Seelen über ferne Ufer, und das ist der Tanz von 1001 Nacht.
Wir brauchen nicht alle Orte dieser Welt erreichen um glücklich zu sein, aber so wie die Vögel, muss meine Seele fliegen, sie braucht die grenzenlose Weite und die Fata Morganas am Ende des Horizonts.
Manchmal ist der Flug nur in meiner Vorstellung
meistens werden meine Träume wahr und ich reise los und
nehme ein wirkliches Flugzeug.

Jetzt aber schwebe ich über den endlosen Sanddünen der Arabischen Halbinsel und dem Azir Gebirge im Süden
mit dem Ausblick zum Roten Meer. Und tief dort unten an den Hängen des Asirgebirges, umgeben von Orangenplantagen, sehe ich das Haus...

Und so führt uns die Geschichte weiter:

Das Haus, so schön wie aus „Tausend und Einer Nacht“, wird für Stella zu einer unentrinnbaren Falle. Ein erbitterter Kampf beginnt. Jeder kämpft mit seinen Waffen, Mahoud nutzt seine physische Überlegenheit, während Stella allein auf geistige Stärke zurückgreift. Wir sind Spielleiter, sagt sie ihm, Spielleiter auf der großen Bühne des Lebens. Wir spielen traurig sein, wir spielen glücklich sein und sind manchmal so in unser Spiel verliebt, dass wir vergessen, dass es ein Spiel ist. Dann wird es ernst, wir verleugnen und geben anderen die Schuld. Sie zeigt ihm, dass man nichts wirklich besitzen kann, außer Vertrauen in sich selbst.


Das Badezimmer war eine weitere Überraschung. Eine derartige Ausstattung hatte Stella noch nie gesehen. Wände und Fußboden waren mit türkisblauem Mosaik ausgelegt. Wenn man genau hinsah, bemerkte man kleine, golden glänzende Steinsplitter, die dem Türkis einen goldfarbenen Schimmer verliehen.

„Es ist wunderschön!“, sagte Stella leise.
„Ich habe die gleiche Farbe gewählt, die auch die Kuppel der Moschee von Samarkand hat.“ „Samarkand? Führte da nicht einmal die Seidenstrasse vorbei?“

Mahoud nickte.

Das Badebecken war viereckig und in den Boden eingelassen. An der linken Wand blickte man durch große Glasfenster. Davor standen Farne auf stufenförmig angeordneten Marmorsäulen, die teilweise bis zum Boden herab wuchsen. Die hintere Ecke füllte eine große Palme aus. Sie erweckten den Eindruck, als befinde man sich in einem tropischen Garten.

Draußen erklärte Mahoud, dass die Treppen nach unten direkt zum Wohnraum führten.

„Und die Treppen nach oben?“, wollte Stella wissen. „Was ist im oberen Stockwerk?“
„Zwei Gästezimmer mit Bädern, mein Büro und eine große Aussichtsterrasse. Morgen schauen wir alles übrige an.“
„Gut. Aber nicht vergessen. Ich bin manchmal neugierig.“
„Du wolltest doch baden.“ Mahoud gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging hinunter.

Während das Badewasser einlief, hängte sie ihre Kleider in den Schrank. Als sie damit fertig war, wählte sie ein weißes, schlicht geschnittenes Kleid für den Abend aus. Dazu einen gleichfarbigen, bestickten Voileschal. Sie legte beides auf das Bett und ging ins Badezimmer.

Auf dem Beckenrand standen Flakons mit Duftölen und ein Schälchen mit frisch gepflückten Rosenblüten. Sie schnupperte an den verschiedenen Fläschchen und entschied sich für Rosenduft, gab einige Tropfen davon in das Badewasser, streute Rosenblüten dazu und stieg in die Wanne. Entspannt lehnte sie sich zurück und schloss die Augen.

Da kam ihr Miguel Angelo in den Sinn. Wie aufgeregt er gestern am Telefon war, dachte sie. Aber er hat es ja so gewollt. Das sagte ich ihm auch zum Abschied am Flughafen in Lissabon. Ja, er war viele Jahre lang der Mann meiner Träume. Ich habe ihn geliebt. Immer wieder neu gehofft. Ich blieb so lange bei ihm, weil alles einmal so schön begonnen hatte.

Sie blickte zurück auf die Zeit damals, als sie ihren Urlaub auf der Ilha Bela verbrachten. Eine traumhafte Insel im Atlantik, zwischen Rio de Janeiro und Santos. Die Ilha Bela, die schöne Insel...

Cristina war damals gerade zwei Jahre alt und ich muss zweiundzwanzig gewesen sein. Vier Wochen lebten wir im Paradies. In einem Bungalow oben auf dem Hügel. Man sah auf die Bucht hinunter, bis hin zum fernen Festland, umgeben von tropischer Vegetation. Es roch nach Erde und vor allem nach Urwald, der gleich hinter den Hügeln begann. Und es roch nach dem nahen Meer. Dazu der Duft überreifer Mangos vom Baum, und den Duft der Jasminsträucher.

Stella musste lächeln, als sie daran dachte, wie sie morgens vom Kreischen der kleinen Papageien geweckt wurden, die in den Bäumen saßen. Wenn dann im Laufe des Tages die Hitze anstieg, begann wie auf Verabredung der Lärm der Grillen und Zikaden. Wir verbrachten die meiste Zeit an einem kleinen Strand im Süden der Insel. Dort speisten wir mittags in einer Hütte, frisch gefangenen Fisch.

Ja, dachte sie. Ich nehme endgültig Abschied von dir, Miguel Angelo. Doch die schönen Erinnerungen will ich in meinem Herzen bewahren. Wir waren glücklich und du sagtest, deine Liebe zu mir sei so groß wie der Ozean.

Einmal sind wir nachts zum Strand gelaufen. An die Praia da Feiticeira. Der Himmel war sternenklar. Das Kreuz des Südens und die Sterne des Argonautenschiffes funkelten über dem Wasser. Der Wind blies sanft in den Palmen. Wir liebten uns im Sand und dachten, es würde für immer so bleiben.

Später gingen wir Schwimmen im Meer. Das Meer war warm und wir ließen das Wasser spritzen. Es leuchtete phosphoreszierend und wir spielten wie Kinder. Vertrauten unserer Liebe, die nie enden sollte.

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Unsere Liebe ist aber zu Ende, Miguel Angelo, wie ein Duft hat sie sich verflüchtigt. Vielleicht existiert ein Ort in diesem Universum, wohin jenes flüchtige, so vergängliche Gefühl entschwindet? Nichts geht verloren in der Welt, es verwandelt sich nur. Lebe wohl, Miguel Angelo. Ich liebe einen anderen Mann.

Sie stieg aus dem Wasser und trocknete sich ab. Ging dann nackt hinüber zum Schlafzimmer. Im Flur zögerte sie und beschloss, die Treppe in den oberen Stock hinauf zu gehen. Oben war eine Tür. Stella musste aber enttäuscht feststellen, dass sie verschlossen war. Unverrichteter Dinge ging sie wieder hinunter und zog sich an.

Zufrieden musterte sie sich im Spiegel, sie hatte nur die Augenwimpern geschminkt. Auf Schmuck verzichtete sie ganz. Sie suchte Mahoud und traf ihn in der Küche.

„Da bist du ja, Stella.“


Miguel Angelo fuhr auf der Nationalstrasse 125 in Richtung Lagos. Das Wetter hatte sich noch immer nicht gebessert. Über den Monchique Bergen hingen dicke Regenwolken. Der Himmel riss zwischendurch zwar manchmal auf und es schien sogar die Sonne, aber dann brachte der Wind vom Nordwesten her wieder dunkle Wolken heran.
Als Miguel Angelo gestern Abend Marco besucht hatte, verfolgte er die Wettervorhersage. Für Mittwoch gab es Sturmwarnung. Ein Tief näherte sich mit zweihundert Stundenkilometern von den Azoren her und würde morgen hier eintreffen.
Es begann wieder zu regnen. Miguel stellte die Scheibenwischer an und dachte daran, wie er gestern mit Marco das Haus sturmfest gemacht hatte. Er musste lächeln. Sonst hatte Stella immer dafür gesorgt. Da mussten alle Fensterläden verschlossen werden, der Tisch und die Stühle wurden von der Terrasse geholt. Der Sturm schleuderte sonst alles durch die Gegend herum.
Später hatten sie noch einen Film gesehen, aber Marco war verschlossen, gab über die Reise seiner Mutter und ihren Verbleib kaum einen Kommentar ab.
Miguel Angelo atmete tief ein.
Nach dem Film meinte sein Sohn unmissverständlich, er solle jetzt besser zu seiner brasilianischen Zahnärztin gehen. „Bei mir kannst du dich nicht einschmeicheln, sagte er. Du hast offiziell Hausverbot. Das Türschloss wechselte Mama auf Anraten ihrer Rechtsanwältin nicht aus, um nicht aggressiv vorzugehen.“
Miguel Angelo sah auf die Uhr. Halb drei. Er war gut in der Zeit. In zehn Minuten würde er bei seinem Freund Jochen Bergmann sein.
Vor dem Hotel Penina Meridien bog er nach rechts in die kleine Strasse nach Alcalar ab.
Er kannte Jochen noch aus der Zeit, als beide zusammen bei Bayer gearbeitet hatten. Miguel Angelo musste nachrechnen. Ja, das war vor über zweiundzwanzig Jahren, als wir in Leverkusen die Ausbildung gemacht hatten.
Jochen ging dann irgendwann in die Emirate. Ich kam als Auslandsdelegierter nach Rio de Janeiro. Wir blieben in Kontakt. Mal eine Weihnachtskarte mit heißen Grüssen aus der Wüste, mal sah man sah sich in Leverkusen zu Fortbildungskursen wieder.
Er erinnerte sich, dass Jochen von seinem unglaublichen Reichtum schwärmte. Der einzige Haken sei der Alkohol. Lachend erzählte er, dass er und seine Frau in der Badewanne Weintrauben mit den Füßen stampften. Daraus hätten sie heimlich Schnaps gebrannt. Alkoholische Getränke bekomme man nur in den fünf Sterne Hotels, berichtete Jochen. Und die waren anfangs für ihn zu teuer. Lang ist es her, dachte Miguel Angelo.
Rechts tauchte die Anlage Serra e Mar auf, Miguel bog in die Einfahrt ein. Die weißen Villen mit ihren Rundbögen und Flachdächern erinnerten an die Mauren. Darum fühlte Jochen sich hier so wohl. Er ließ sich frühzeitig pensionieren und zog an die Algarve.
 
Mein Geliebter

die Algarve, Al-Gharb in arabisch und das heisst übersetzt:
"Ganz im Westen." Die Mauren lebten siebenhundert Jahre hier, das habe ich dir gewiss schon oft erzählt, überall triffst du auf ihre Spuren. In der Stadt Silves, nur zehn Kilometer von uns entfernt, das war der Regierungssitz der Mauren und Ibn Arabi regierte unter anderem auch. Immer wenn ich die Burg dort besichtige und über die alten Burgwälle gehe, oben auf den Zinnen weit ins Land hinaus blicke, auf eine Hügellandschaft, dann denke ich an die stolzen Araber zurück. Ein portugiesischer Anthropologe schrieb: "Sie sind nicht um uns, sie sind in uns!" Ja so ist es tatsächlich, denn genetisch sind gerade die Menschen aus Silves besonders stark mit einem Drittel arabischem Erbgut ausgestattet. Auch in die portugiesische Sprache sollen an die dreihundert Worte integriert worden sein.
Du sagtest mal im Scherz, du warst einmal Kalif in Silves, do you remember?


Miguel Angelo fuhr an den Villen vorbei. Umgeben von Gärten mit stattlichen Palmen und blühenden Sträuchern. Da war bereits Jochens Haus. Etwas abseits, auf einem Hügel gelegen. Von hier hatte man den weiten Blick über das Hinterland und die Monchique Berge. Das Tor war offen, er fuhr in die Einfahrt und parkte vor der Garage.

„Hallo Miguel.“ Jochen kam gleich zu ihm heraus. „Das ist ja eine Überraschung. Schön, dass du dir die Zeit nimmst, mich auch einmal zu besuchen.“

Jochen umarmte ihn herzlich und führte ihn ins Haus. Inge, seine Frau grüßte ebenfalls und gleitet ihn ins Wohnzimmer.

„Also, mein Freund. Was hast du auf dem Herzen?“, fragte Jochen geradeheraus.

Inge hatte Kaffee gebracht und sich dann zurückgezogen.

Jochen musterte ihn aufmerksam mit seinen hellgrauen Augen, denen nichts zu entgehen schien.

„Als erstes möchte ich dich bitten, absolute Diskretion zu bewahren.“ Miguel Angelo lächelte verkrampft. „Ich denke vor allem an die deutsche Clique, die nur darauf wartet, sich den Mund über mich zerreißen zu können.“

Jochen nickte. Er zündete sich eine Zigarette an und wartete ab, was er erfahren würde.

„Ich deutete es bereits am Telefon an. Es geht um Stella“, begann Miguel Angelo.

Dann erzählte er Jochen von dem Anruf aus Abu Dhabi, von seiner Sorge und seiner Angst, man könne sie dort gewaltsam festhalten. „Bitte hilf mir, Jochen“, sagte er, „ich kann nachts schon nicht mehr richtig schlafen.“

Jochen stand auf und holte eine Flasche Portwein aus der Bar.

„Darauf müssen wir erst einen Schluck trinken.“ Er öffnete umständlich die Flasche und reichte Miguel ein Glas.

„Was macht Stella in den Emiraten? Weißt du mit Sicherheit, dass der Anruf aus Abu Dhabi kam?“

Sie tranken schweigend. Der rote Port schmeckte vorzüglich. Wirkte wohltuend beruhigend auf Miguel Angelos Nervensystem.

„Der Anruf kam aus dem Hilton in Abu Dhabi. Das hat mir gestern Cristina bestätigt.“

„Deine Tochter?“

„Ja.“ Er nickte. „Sie hat noch bis letzten September bei der Lufthansa gearbeitet und kennt jede Menge Leute dort.“

„Gut.“ Jochen drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. „Du hast meine erste Frage noch nicht beantwortet. Also, mein Freund, was macht Stella in den Emiraten? Wenn ich helfen soll, muss ich schon die ganze Geschichte kennen.“

„Das ist wahr.“ Miguel Angelo lächelte dünn und sah seinen Freund ein wenig hilflos an. „Ich will meine Herzoperation nicht als Entschuldigung vorschieben, aber es war wohl so eine Art Torschlusspanik, die mich befiel. Ich verließ Stella kurz vor Weihnachten und zog bei einer jungen Zahnärztin aus Brasilien ein.“

„Das ist bedauerlich, mein Lieber. Ich hoffe, du hast richtig gewählt.“

„Darum geht es ja“, antworte Miguel Angelo schnell. „Ich ließ Stella nach Indien fliegen. Sie wollte dort meditieren. Da vermutete ich nie, dass sie ...“ Er schwieg.

„Und jetzt?“

„Jetzt?“ Miguel Angelo zuckte mit den Schultern. „Ich will sie unbedingt zurück. Aber sie ist mit einem Araber zusammen. Cristina konnte in Erfahrung bringen, dass Stella am achten Februar eine Nacht im Hilton Abu Dhabi war. Zusammen mit einem Mahoud Kamal Habbas. Das Problem ist nur, es gibt weder eine Ankunft, noch einen Abflug vom Flughafen Abu Dhabi. Cristinas Kollegen bemühen sich, den ganzen Raum abzuchecken. Aber das dauert.“

„Der Name dieses Herrn könnte uns weiterhelfen. Ich war zehn Jahre in Dubai und kenne dort eine Menge Leute“, meinte Jochen aufmunternd. „Doch ich will dir nichts versprechen, du musst Geduld haben.“

Miguel Angelo schrieb den Namen des Arabers auf einen Zettel und reichte ihn Jochen.

„Ich weiß, dass ich mich gedulden muss, aber meine Nerven sind am Ende. Wann glaubst du, höre ich von dir?“
„Drei bis vier Tage wird es schon dauern. Ich rufe dich an.“


Zurück zum Haus aus 1001 Nacht. Was für ein Haus, ich habe es wirklich besonders gestaltet. Sogar der Lektor meinte, ich solle nicht zu viel beschreiben. Da ich aber sehr für die Schönheit bin, war es mein höchstes Anliegen so detailliert wie möglich zu schildern. Der Patio Andaluz mit dem Brunnen in der Mitte und die Orangenbäumchen in jeder der vier Ecken des Innenhofes. So typisch für arabische Häuser, das Innere ist ein kleines Paradies.

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Es war mitten in der Nacht. Stella lag bereits eine Weile wach und konnte nicht wieder einschlafen. Die Gedanken jagten wie wild durch ihren Kopf. Sie dachte an die letzten Tage zurück. Da war eine undefinierbare Angst in ihr - und die Angst hatte zugenommen. Mahoud lenkte immer geschickt davon ab. Aber jetzt konnte sie es nicht mehr verdrängen. Sie musste den Tatsachen ins Auge sehen.
Das Haus hat so schmale Fenster, dass man nicht hinaus steigen kann, überlegte sie. Drei Eingangstüren, die verschlossen sind, und hohe Mauern um das Grundstück. Die sind für mich unüberwindbar. Mahoud sagte es ja gestern noch lachend zu mir.
Ich sitze in der Falle!
Sie setzte sich im Bett auf, atmete einmal tief durch.
Falls ich weglaufen würde, könnte ich mich nicht verständigen. Ich würde ins Gefängnis kommen, weil ich Sex mit einem Muslim hatte.
Sie dachte an den Ablauf des gestrigen Abends. An ihre Liebesspiele. Warum wollte Mahoud nur, dass ich ihm sage, ich bleibe für immer bei dir...
Stella wurde von Panik ergriffen, schaltete das Licht an und schaute auf die Uhr. Vier Uhr morgens. Sie entschloss sich, Mahoud zu wecken und ihn nach seinem Versprechen zu fragen.
„Wach auf. Bitte wach auf.“ Sie rüttelte ihn unsanft. „Ich muss dich etwas fragen.“
„Willst du mich schon wieder etwas fragen?“ Verschlafen richtete er sich auf. „Stella, es ist mitten in der Nacht.“ Er gähnte und sah sie stirnrunzelnd an.
„Warum sollte ich gestern Abend zu dir sagen: Ich bleibe für immer bei dir?“ Ihre Stimme klang erregt. Sie ließ ihn nicht aus den Augen.
„Weil ich mir das von ganzem Herzen wünsche“, gab er lächelnd zurück.
„Darauf sagtest du: So wird es sein, Insha Allah.“
Er schwieg und betrachtete sie liebevoll.
Stella wartete, aber Mahoud schwieg beharrlich.
„Was hat das zu bedeuten, Mahoud? Sag es mir. Ich will die Wahrheit wissen.“
„Stella. Komm, beruhige dich. Du hast es mir gesagt.“
„Was habe ich gesagt?“
„Dass du für immer bei mir bleibst.“
„Was meinst du damit, ich habe es dir gesagt?“
„Liebst du mich?“
„Natürlich liebe ich dich“, antwortete sie aufgebracht. „Lenke nicht vom Thema ab.“
„Du liebst mich. Und du sagtest gestern zu mir, dass du für immer bei mir bleibst.“
„Ja, ja, ja! Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich jetzt schon einfach hier bleiben kann.“
„Du hast es mir aber gestern Abend gesagt, Stella. Bei Allah.“
„Doch nicht jetzt schon, Mahoud!“
Stella wurde immer aufgeregter.
„Du weißt genau, dass ich erst nach Hause muss, um dort alles zu regeln. Das habe ich dir immer wieder gesagt. Du gabst mir dein Wort darauf, dass ich jederzeit gehen kann.“
„Dein Zuhause ist von nun an hier. Du sagtest, das Haus gefalle dir. Gefällt es dir auf einmal nicht mehr?“
Er lächelte. „Das ist ab jetzt dein Zuhause.“
Stella war geschockt. Panik ergriff sie. Sie stand auf und zog sich ein T-Shirt über.
„Sag, das es nicht wahr ist, Mahoud!“, sagte sie tonlos.
Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. – „Dass dies nur ein schlechter Scherz war.“
„Ich liebe dich, Stella. Und kann dich nicht wieder verlieren.“
Er stand auf.
„Es muss ja nicht für immer sein.“
Mahoud zuckte hilflos mit den Schultern und sagte beruhigend:
„Es kommt ganz auf dich an. Mir bleibt keine andere Wahl, denn freiwillig willst du offensichtlich nicht bleiben.“
„Du kannst mich nicht festhalten, Mahoud, ich bin deutsche Staatsbürgerin.“
„Stella, mein Vögelein...“
„Vögelein im Käfig!“, schrie sie. „Das würde dir so passen. Du hinterhältiger Mensch. Dein Versprechen hast du gebrochen, hattest alles schon geplant. Du sagtest, ich könne jederzeit nach Hause. Ich will sofort nach Hause!“
„Ich sagte bereits, dass hier dein Zuhause ist.“
„Ich bleibe nicht hier.“
Ihre Stimme wurde immer schriller. „Du kannst mich nicht einfach festhalten.“
„Stella. Du hast gestern noch gesagt, dass du für immer bei mir bleibst. Dein Wort gilt für mich vor dem Koran.“
Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. „Oder hast du gelogen?“
„Oh mein Gott!“, sagte sie leise. „Das war es also, Mahoud! Du glaubst doch selbst nicht an derartige Wortverdrehungen? So bleibe ich erst recht nicht!“
„Oh doch. Du bleibst!“ Seine Stimme wurde drohend. „Wenn du folgsam bist, wird dir nichts geschehen.“
„Mahoud. Ich bin kein Sammlerobjekt, was man gestohlen hat und dann heimlich versteckt.“
„Du verstehst mich völlig falsch. Ich liebe dich doch. Komm zu mir, mein Liebling.“
Sie wich entsetzt zurück, ihre Panik nahm zu. „Ich lebe in einer freien Welt! Mich sperrt niemand ein.“

Mahoud stand vor ihr. Er sah die Angst in ihren Augen. - Und er wusste, sie war ihm ausgeliefert. Jetzt habe ich sie genau dort, wo ich sie haben wollte. Wo ist ihre Überlegenheit geblieben? Ihre Unabhängigkeit? Du schöne, stolze blonde Frau, dachte er - und kam langsam auf sie zu.

Kismet
 
Zuletzt bearbeitet:
Mein Geliebter

tatsächlich war hier, wo wir nun leben, einmal ein Kalifat. Und so fährt die Geschichte fort und entfaltet sich.
Einmal im Hochland von Rio, den Agulhas Negras Bergen, da nahm ich an einer Freizeit teil, um die Sterne zu erlernen. Es berührte mich zutiefst und es erwachte in mir die grosse Liebe zum Sternenhimmel. Auf dieser Freizeit traf ich auf einen älteren Mann. Er erzählte mir, dass er zu den ersten Waldorfschülern in Stuttgart gehörte und Rudolf Steiner noch persönlich kannte.
Was er aber mir auch noch erzählte, ich sehe die Szene noch vor mir wie in einem Film: wir spazierten zusammen im Hochland, in der Ferne die dunklen Spitzen der "Agulhas Negras", die Sonne schien, ein wunderschöner Tag. "Weisst du dass ich zur Familie der Abecassis gehöre?" fragte er mich. Und ich spürte, wie ein gewisser Stolz mitschwang.
"Die Abecassis, unsere Familie, kam vor 1000 Jahren nach Portugal und ist geblieben. Wir gehören zu den vierzehn Familien, die Portugal regieren. Wir teilen uns die Macht auf."

Aber zu Stella, da geht es wohl auch gerade um Macht. Macht und Ohnmacht, sicher gibt es da noch etwas anderes?


Das war eine Nacht. Miguel Angelo
gähnte.
Trotz des kurzen Schlafes war er wie aufgedreht. Dafür sorgte sein Adrenalinspiegel.
Als erstes rief heute morgen Marco an. Der sagte, dass sie wegen des Sturmes keine Schule hätten. Er wolle einen Freund besuchen, ob er ihn hinbringen könne. Miguel Angelo holte Marco gleich von zu Hause ab und setzte ihn bei seinem Freund ab.
Diesmal hatte der Sturm die Algarve nicht ganz so böse hergenommen, wie vorher befürchtet. Miguel Angelo atmete erleichtert auf. Das Zentrum des Sturms zog über Lissabon und den Alentejo. Die Ufer des Tejos waren bereits überschwemmt. Wegen des starken Windes mussten beide Brücken gesperrt werden.
Hoffentlich ist die Brücke wieder offen, wenn ich nach Saudi Arabien fliegen muss, grübelte er.
Miguel Angelo bestellte extra starken Kaffee und Toast dazu. Er saß im Cafe, gleich um die Ecke seiner Firma, um zu frühstücken. Während er auf den Kaffee wartete, rief er Jochen an. Doch der hatte noch nichts Neues. Beklagte sich aber über zwei entwurzelte Zypressen in seinem Garten.
„Cristina hat mich heute Nacht angerufen“, berichtete Miguel Angelo. „Lufthansa hat ein Ankunftsdatum gefunden. Stell dir vor, Jochen, von Dharan nach Dubai. Und ohne andere Anschlussflüge. Das ist seltsam. Es handelte sich um ein einzelnes Ticket.“
„Dharan?“ Er hörte Jochen hörbar die Luft ausstoßen.
„Ja. Mrs. Andreatti und Mister Habbas. Am 30. Januar um 16 Uhr, von Dharan nach Dubai. Jochen, Stella ist mit einem verdammten Araber zusammen.“
„Bleib ruhig, Miguel. Gestern konnte ich Ali Abdullah leider nicht erreichen. Man teilte mir mit, dass er heute ab mittags wieder im Büro ist.“
„Ali Abdullah? Wer ist das?“, wollte Miguel Angelo wissen.
„Ali Abdullah ist Spartenleiter von KL in Dubai. Ich kenne ihn schon lange. Er begann als Produkt Manager bei mir in der Vertretung. Vor fünfzehn Jahren. Stammt aus einer guten Familie und kennt viele einflussreiche Leute in Dubai. Behalt die Ruhe, mein Freund. Ich melde mich. Vielleicht haben wir ja Glück.“
Ja, vielleicht haben wir wirklich Glück, dachte Miguel Angelo.
Er beschloss, mit Cristina zu sprechen. Ihm war noch etwas Wichtiges eingefallen.


Stella sah Mahoud näher kommen und wich zurück. Sie rannte aus dem Schlafzimmer, dann die Treppe hinunter. Schnell, so schnell sie nur konnte. Sie wollte die Eingangstür erreichen, bevor er sie einholte. Vergeblich. Die Tür war verschlossen und der Schlüssel steckte nicht.
Mahoud hatte sie eingeholt und packte sie von hinten. Beide fielen zu Boden. Er war über ihr und hielt ihre Hände fest, sie schrie auf vor Angst.
„Lass mich los.“
„Dein Schreien hört niemand, mein wildes Vögelein.“ Er versuchte sie zu küssen.
Stella wollte fliehen, worauf er noch härter zupackte. Er versuchte gewaltsam, ihre Beine auseinander zu drücken.
„Tu es nicht, Mahoud! Zerstör nicht unsere Liebe“, schrie sie verzweifelt.
Beide kämpften am Boden. Die Angst hatte Stellas letzten Kraftreserven mobilisiert. Sie schaffte es, Mahoud einen Fußtritt zu versetzen. Er schrie auf vor Schmerz. Da nützte sie die Chance, rollte sich zur Seite und schaffte es hochzukommen.
Ich brauche eine Tür, hinter der ich mich einschließen kann, dachte sie. Sie rannte durch den Flur in Richtung Küche. Die Gedanken jagten durch ihren Kopf. Ich muss Zeit gewinnen.
Da hörte sie Mahouds Schritte hinter sich.
„Gib auf, Stella.“ Er hatte sie eingeholt und hielt sie von hinten fest.
Stella fiel zu Boden. Dann wurde alles schwarz um sie.

Kismet
 
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Mein Geliebter

tatsächlich war hier, wo wir nun leben, einmal ein Kalifat. Und so fährt die Geschichte fort und entfaltet sich.
Einmal im Hochland von Rio, den Agulhas Negras Bergen, da nahm ich an einer Freizeit teil, um die Sterne zu erlernen. Es berührte mich zutiefst und es erwachte in mir die grosse Liebe zum Sternenhimmel. Auf dieser Freizeit traf ich auf einen älteren Mann. Er erzählte mir, dass er zu den ersten Waldorfschülern in Stuttgart gehörte und Rudolf Steiner noch persönlich kannte.
Was er aber mir auch noch erzählte, ich sehe die Szene noch vor mir wie in einem Film: wir spazierten zusammen im Hochland, in der Ferne die dunklen Spitzen der "Agulhas Negras", die Sonne schien, ein wunderschöner Tag. "Weisst du dass ich zur Familie der Abecassis gehöre?" fragte er mich. Und ich spürte, wie ein gewisser Stolz mitschwang.
"Die Abecassis, unsere Familie, kam vor 1000 Jahren nach Portugal und ist geblieben. Wir gehören zu den vierzehn Familien, die Portugal regieren. Wir teilen uns die Macht auf."

Aber zu Stella, da geht es wohl auch gerade um Macht. Macht und Ohnmacht, sicher gibt es da noch etwas anderes?


Das war eine Nacht. Miguel Angelo
gähnte.
Trotz des kurzen Schlafes war er wie aufgedreht. Dafür sorgte sein Adrenalinspiegel.
Als erstes rief heute morgen Marco an. Der sagte, dass sie wegen des Sturmes keine Schule hätten. Er wolle einen Freund besuchen, ob er ihn hinbringen könne. Miguel Angelo holte Marco gleich von zu Hause ab und setzte ihn bei seinem Freund ab.
Diesmal hatte der Sturm die Algarve nicht ganz so böse hergenommen, wie vorher befürchtet. Miguel Angelo atmete erleichtert auf. Das Zentrum des Sturms zog über Lissabon und den Alentejo. Die Ufer des Tejos waren bereits überschwemmt. Wegen des starken Windes mussten beide Brücken gesperrt werden.
Hoffentlich ist die Brücke wieder offen, wenn ich nach Saudi Arabien fliegen muss, grübelte er.
Miguel Angelo bestellte extra starken Kaffee und Toast dazu. Er saß im Cafe, gleich um die Ecke seiner Firma, um zu frühstücken. Während er auf den Kaffee wartete, rief er Jochen an. Doch der hatte noch nichts Neues. Beklagte sich aber über zwei entwurzelte Zypressen in seinem Garten.
„Cristina hat mich heute Nacht angerufen“, berichtete Miguel Angelo. „Lufthansa hat ein Ankunftsdatum gefunden. Stell dir vor, Jochen, von Dharan nach Dubai. Und ohne andere Anschlussflüge. Das ist seltsam. Es handelte sich um ein einzelnes Ticket.“
„Dharan?“ Er hörte Jochen hörbar die Luft ausstoßen.
„Ja. Mrs. Andreatti und Mister Habbas. Am 30. Januar um 16 Uhr, von Dharan nach Dubai. Jochen, Stella ist mit einem verdammten Araber zusammen.“
„Bleib ruhig, Miguel. Gestern konnte ich Ali Abdullah leider nicht erreichen. Man teilte mir mit, dass er heute ab mittags wieder im Büro ist.“
„Ali Abdullah? Wer ist das?“, wollte Miguel Angelo wissen.
„Ali Abdullah ist Spartenleiter von KL in Dubai. Ich kenne ihn schon lange. Er begann als Produkt Manager bei mir in der Vertretung. Vor fünfzehn Jahren. Stammt aus einer guten Familie und kennt viele einflussreiche Leute in Dubai. Behalt die Ruhe, mein Freund. Ich melde mich. Vielleicht haben wir ja Glück.“
Ja, vielleicht haben wir wirklich Glück, dachte Miguel Angelo.
Er beschloss, mit Cristina zu sprechen. Ihm war noch etwas Wichtiges eingefallen.


Stella sah Mahoud näher kommen und wich zurück. Sie rannte aus dem Schlafzimmer, dann die Treppe hinunter. Schnell, so schnell sie nur konnte. Sie wollte die Eingangstür erreichen, bevor er sie einholte. Vergeblich. Die Tür war verschlossen und der Schlüssel steckte nicht.
Mahoud hatte sie eingeholt und packte sie von hinten. Beide fielen zu Boden. Er war über ihr und hielt ihre Hände fest, sie schrie auf vor Angst.
„Lass mich los.“
„Dein Schreien hört niemand, mein wildes Vögelein.“ Er versuchte sie zu küssen.
Stella wollte fliehen, worauf er noch härter zupackte. Er versuchte gewaltsam, ihre Beine auseinander zu drücken.
„Tu es nicht, Mahoud! Zerstör nicht unsere Liebe“, schrie sie verzweifelt.
Beide kämpften am Boden. Die Angst hatte Stellas letzten Kraftreserven mobilisiert. Sie schaffte es, Mahoud einen Fußtritt zu versetzen. Er schrie auf vor Schmerz. Da nützte sie die Chance, rollte sich zur Seite und schaffte es hochzukommen.
Ich brauche eine Tür, hinter der ich mich einschließen kann, dachte sie. Sie rannte durch den Flur in Richtung Küche. Die Gedanken jagten durch ihren Kopf. Ich muss Zeit gewinnen.
Da hörte sie Mahouds Schritte hinter sich.
„Gib auf, Stella.“ Er hatte sie eingeholt und hielt sie von hinten fest.
Stella fiel zu Boden. Dann wurde alles schwarz um sie.

Kismet
Mein Herz wird schwer. :(
Ich kenne eine ähnliche Situation. Nicht vergleichbar, hätte aber böse enden können.
 
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Es war dunkel. Stella konnte sich nicht richtig bewegen, ihre Glieder waren schwer wie Blei. Sie fühlte einen stechenden Schmerz in ihrem Kopf. Erst langsam nahm sie wahr, dass ihre Augen geschlossen waren. Mit Mühe gelang es ihr, die Augen zu öffnen. Sie befand sich in einem fremden Raum. Nur ein schwacher Lichtschimmer fiel vom Fenster her durch die dunklen Vorhänge.
Schemenhaft kamen ihr die vergangenen Ereignisse wieder ins Bewusstsein. Stella zermarterte sich den Kopf, welcher Wochentag heute sei, wusste es aber nicht. Sie fühlte sich zu schwach zum Nachdenken.
Man hält mich in diesem Raum gefangen und ich werde dahinsiechen, dachte sie dennoch. Dann holte die Müdigkeit sie zurück in Dunkelheit und Träume. Ein Mann wartete dort und verfolgte sie. Stella öffnete im Traum die Augen. Es war es Mahoud. Sie wollte fliehen, konnte sich aber nicht bewegen. Als sie um Hilfe schrie, schreckte sie weinend auf.
„Mir ist kalt. Mir ist so kalt“, hörte sie sich sagen. Da fühlte sie eine Hand, die beruhigend über ihre Stirn strich.
„Stella. Hab keine Angst.“
Es war die Stimme Mahouds. „Trink das, Stella“, bat er sanft, „es wird dich beruhigen.“
Er flößte ihr eine Tablette ein.
Sie trank durstig.
Er lächelte zu ihr herunter, betrachtete sie prüfend.
„Du hast fast zwei Tage geschlafen. Es ist Mittwochmorgen.“
„Ich habe Angst vor dir“, sagte sie leise. „Was ist geschehen?“
„Du bist gestürzt und dabei mit dem Hinterkopf aufgeschlagen. Der Arzt aus Nagran kam gestern Mittag und untersuchte dich gründlich. Du warst für kurze Zeit wach. Der Arzt meinte, es bestehe kein Anlass zur Sorge, nur eine leichte Gehirnerschütterung. Du sollst im Bett bleiben, brauchst Schlaf. Er gab dir eine Spritze gegen die Schmerzen und Tabletten zur Beruhigung.“
Daher bin ich so müde, dachte Stella. Dann fielen ihr wieder die Augen zu.
„Du willst meinen Verstand mit Tabletten ausschalten, Mahoud. Meine einzige Waffe, mit der ich dich angreifen...“
Sie war zu schwach, um weiterzusprechen.
„Liebste. Du sollst ruhen und dich nicht schon wieder auflehnen.“
Sie hatte das Gefühl, von einer dicken Watteschicht umhüllt zu sein die er um sie legte, von weicher Watte, die sie dennoch nicht zu durchdringen vermochte. Er aber konnte sie erreichen.
„Es kommt ganz auf dich an, wie schnell du deinen Widerstand aufgibst“, hörte sie ihn sanft sprechen. „Dann brauche ich dir auch nichts mehr zur Beruhigung zu geben.“
Die Dunkelheit schlich heran, holte sie zurück. Sie war eingeschlafen.
Mahoud betrachtete sie aufmerksam.
Ihr Brustkorb hob und senkte sich.

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Der Kellner stellte Toast und Café duplo auf den Tisch. Miguel Angelo hatte ein schlechtes Gewissen, starken Kaffee zu trinken. Die Ärzte hatten es ihm verboten, wegen seines Herzens.
Heute pfeife ich auf die Ärzte, dachte er und rührte grimmig den Zucker in seiner Tasse um. Wichtig ist, dass ich Stella finde.
Miguel Angelo kaute lustlos auf dem Toast herum. Schließlich gab er es auf, griff zum Telefon und wählte Cristinas Nummer.
Während er das Läuten vernahm und wartete, schaute er aus dem Fenster. Draußen jagten dunkle Wolken bedrohlich schnell am Himmel dahin.
Geh schon ran, Cristina, dachte er.
Endlich meldete sie sich.
„Cristina. Mir ist etwas Wichtiges eingefallen, was uns vielleicht weiterhelfen könnte.“
„Ja Papa?“
„Mama ist von Indien abgeflogen. Ich glaube, man muss von dort die Spur aufnehmen.“
„Du hast recht“, meinte sie. „Das ist wirklich eine gute Idee.“
„Bombay und Delhi kommen in Frage. Sie muss von dort abgeflogen sein. Aber noch besser wäre...“
Er machte eine kurze Pause und dachte nach.
„Hallo Papa?“
„Ja, Cristina. Ich erinnere mich nicht mehr an den Namen ihres Zielflughafens in Indien. Sie sprach nur davon, dass sie bis Bodh Gaya noch zweihundert Kilometer mit dem Taxi fahren müsse.“
„So kommen wir nicht weiter, Papa. Kannst du nicht in dein Reisebüro gehen und dort nachfragen?“
„Natürlich! Warum bin ich nicht schon vorher darauf gekommen? Ich erledige das gleich und rufe dich noch einmal an.“
„Gut.“
„Bis dann. Ich hab dich lieb. Tschau, meine Kleine.“
„Ich dich auch. Tschau, Papa.“
Sie legte auf.
Miguel Angelo trank seinen Kaffee aus.
Für Stellas Reise habe ich mich nicht mal interessiert, dachte er beschämt. Ich war mit meinen Gedanken wo anders.


Kismet
 
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