Tolkien
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Kapitel 19
Ein Geräusch liess Ultied aufhorchen. Er hatte die Augen noch geschlossen. Stein! Es war die steinerne Platte des Sarkophages. Sie wurde zurück geschoben. Er war zurück! Ultied spürte in sich hinein. Er hatte die Arme über seiner Brust gekreuzt, so wie am Anfang seiner Reise. Er fühlte sich stark. Stark von innen heraus. Stark im Herzen und in seiner Gedankenkraft. Ultied öffnete seine Augen. Ein vertrautes Gesicht schob sich über den Steinsarkophag. Es war Shin-Baatu, nach ihm der ranghöchste der Priesterschaft. Ein seeliges Lächeln huschte über sein Gesicht. Er kreuzte seine Arme über der Brust und verbeugte sich. So tief, dass Nefreth seine blankpolierte Glatze entgegen strahlte. "Du bist wieder da. Nefreth, höchster hoher Priester ganz Ägyptens." Ja, er war nun Nefreth - Ultied war tot. Shin-Baatu hielt ihm seinen Arm hin, um Nefreth den Ausstieg aus dem Sarkophag zu erleichtern.
Als er wieder Boden unter den Füßen hatte, wurde ihm zuerst seine neue Kleidung gereicht. Das grosse Ornat des ägyptischen Hohepriesters. Nefreth zog sich die Kleider an. "Ich vermisse den Hauptmann, Shin-Baatu und.... wo ist Nanchi-ankh-sun?" Shin-Baatu erzählte Nefreth wie der Hauptmann zu Tode gekommen war und was zwischen Nanchi-ankh-sun und ihrer Schwester Anchor-ankh-sun vorgefallen war. "Deine Gemahlin ist bei ihrem Vater, dem Pharao und ihre Schwester ist zunächst in Gewahrsam genommen worden, Hohepriester. Der Pharao erwartet Dich, sobald Du fertig bist, Hohepriester.......unverzüglich." "Zuerst muss ich in meine Gemächer zurück, um meine alte Kleidung zu verbrennen, so verlangt es das Gesetzt und die Bestimmung, danach werde ich sofort zum Pharao gehen," entgegnete Nefreth. "Du hast Recht Nefreth, das erfordert das Gesetzt." "Gehe Du vor in mein Gemach, Shin-Baatu und schüre ein Feuer für das Ritual, ich komme sofort nach, wenn ich hier fertig bin." "So soll es sein, Nefreth."
Shin-Baatu verliess den Raum und ging in Richtung der Hohepriester-Gemächer. Nefreth setzte sich einen Moment und zog sich dann sein Schuhwerk an. Er bückte sich herunter und hatte plötzlich das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Langsam drehte er seinen Kopf in Richtung Eingangstür. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Er war nicht allein. Nanchi-ankh-sun, seine Gemahlin, stand in der Türfüllung. Leise hatte sie sich angeschlichen und sah ihm lächelnd zu. "Nanchi", entfuhr es Nefreth. Er sprang auf, ging auf sie zu und nahm sie in den Arm. Er küsste sie leidenschaftlich. "Du fühlst Dich sehr stark an, mein Liebster, sagte sie. Dies hier wird Dich noch stärker machen." Sie reichte ihm den Ring. "Anchor-Mu - Du hast ihn bewahrt, das war eine gute Tat!" Nefreth streifte den Ring über. Ein leichter bläulicher Schimmer wanderte über Nefreths Hand. Sie waren wieder verbunden! Nefreth strich Nanchi zärtlich über die Wange. "Gehe Du nun zu Deinem Vater und sage ihm , dass ich mich fertig mache und und gleich bei ihm bin. Ich werde noch das Ritual zum Ende führen." Nanchi nickte ihm nur kurz zu und ging zurück zum Pharao.
Nefreth machte sich auf den Weg zu seinem Gemach, um das Ritual zu vollenden. Shin-Baatu hatte das Feuer gut angefacht. Nefreth nahm seine alten Kleider und warf sie nacheinander ins Feuer. Kurz darauf machte er sich auf den Weg zum Pharao. Die doppelflügelige Portaltüre zum Thronsaal des Pharaos war geschlossen, als die beiden hier postierten Wachen jedoch den Hohepriester sahen, öffneten sie die Türen weit für ihn. Nefreth trat ein und sah bereits Nanchi an der Seite ihres Vaters sitzen. Er verbeugte sich vor dem ägyptischen Führer und bekam einen Platz direkt neben ihm zugewiesen. Der Pharao vertraute seinem Hohepriester, dessen Vater schon sein bester Freund war. Er war es, der ihm den Ring vermacht hatte, welcher ihm zu noch größerer Macht verholfen hatte. Aber er wusste damals auch, dass dieser Pharao ihn niemals missbrauchen würde. Der Pharao beugte sich leicht zu seinem Schwiegersohn vor. "Was rätst Du mir im Bezug auf meine jüngste Tochter, Nefreth? Alle erwarten von mir härteste Bestrafung für sie."
Nefreth liess sich einen kleinen Moment Zeit, bevor er antwortete.
"Nun grosser Pharao, es sind viele schlimme Dinge passiert in den drei Tagen während meiner Reise. Wie ich erfahren habe, ist auch die Isis-Hohepriesterin völlig überraschend ums Leben gekommen, obwohl sie sich bester Gesundheit erfreute. Eine Stellung, um die sich Deine Tochter sehr bemüht hat, obwohl man ihr diesbezüglich in keiner Weise etwas beweisen könnte, dass im Zusammenhang mit ihrem Tod steht. Ich denke schon, dass Du wegen der anderen Dinge um eine gewisse Strafe für Anchor-ankh-sun nicht herum kommen wirst. Es würde Dir nicht gut zu Gesicht stehen und ein schlechtes Licht auf Dich werfen, wenn Du nichts tätest. Allerdings verstehe ich Deine Not. Sie ist Deine Tochter und Deine Liebe verbindet Euch. Vielleicht wäre es gut, sie schnell in ihr neues Amt einzuführen. Sie hat alle Prüfungen erfüllt und so war es ja auch geplant, wenn der Ernstfall eintritt. Ihr so eine Art Hausarrest für eine gewisse Zeit aufzuerlegen, halte ich für eine angemessene Vorgehensweise. So wäre sie aus der Schusslinie und aus der Öffentlichkeit heraus genommen und die Dinge könnten sich schnell wieder beruhigen."
"Ich bin sehr froh, Dich an meiner Seite zu wissen, Nefreth. Und ich bin auch sehr froh darüber - er nahm je eine Hand von Nanchi-ankh-sun und Nefreth - euch beide zusammen zu wissen. Du bist heute schon so weise, wie Dein Vater, den ich meinen besten Freund nannte. Er war es, der durch das Geschenk des einen mächtigen Ringes unsere Völker auf immer verband." "Und in seiner Weisheit hat er sein Geschenk auch an einen sehr weisen Freund gegeben. Aber Du solltest nun noch stärker darauf achten, dass er gut bewahrt ist, grosser Pharao. Mein Gefühl sagt mir, dass Kräfte auf dem Plan sind, die seiner habhaft werden wollen." "Er ist gut verwahrt, Nefreth. Sobald ihr diesen Raum verlassen habt, wird er wieder meine Hand zieren." Nefreth nickte nur, völlig überzeugt war er jedoch nicht.
Als er sich vom Pharao verabschiedete, beschlich ihn ein Gefühl der Wehmut, dass er noch nicht recht einordnen konnte. Er war auch wie ein Freund für Nefreth geworden im Laufe der Jahre, genau wie damals für seinen Vater. Als Nefreth durch die Tür hinaus ging drehte er sich kurz zum Pharao um. Nanchi war noch bei ihm geblieben und einer seiner vertrauten Diener brachte die Schachtel mit dem Ring sogleich wieder heran. Er verbeugte sich vor ihm und hielt ihm die Schachtel entgegen. Dann schloss er die Augen. Der Pharao öffnete die Schachtel, entnahm den Ring und setzte ihn auf seine Fingerkuppe. Leicht rötliches Licht flackerte auf und der Ring zog sich von selbst bis ans Ende des Fingers. Dann schien er mit dem Pharao zu verschmelzen.
"Bestrafe sie nicht zu hart, Vater", bat Nanchi-ankh-sun den Pharao. Sie ist noch so jung und hat noch so viel vor sich. Sie wird lernen, sich wie eine oberste Priesterin zu verhalten und sich mässigen, Du wirst sehen. Sie weiss was sie will und sie weiss, wie sie ihren Willen durchsetzen kann, auch wenn es nicht immer klappt und ihre Mittel noch nicht die richtigen sind. Ich überlege gerade, von wem sie das wohl haben mag" und zog kaum merklich ihre rechte Augenbraue etwas hoch. Der Pharao schmunzelte, die Anspielung war ihm nicht entgangen. "Sie wird ihre Strafe erhalten. Kümmere Du Dich in der Zwischenzeit um die Angelegenheiten der Isis, meine Tochter. Sie wird einige Wochen nicht in der Stadt sein".....
Nanchi-ankh-sun verabschiedete sich von ihrem Vater mit einer Verbeugung und verliess den Saal. Nefreth war inzwischen wieder in seinem Gemach angekommen. Drei Tage hatte er in einem Sarkophag gelegen und nun überkam ihn nach nur ein paar Stunden die Müdigkeit. Aber es war kein normaler Schlaf gewesen. Er sah ein, dass er sich ausruhen musste und entledigte sich seiner Amtskleidung. Dann legte er sich auf sein Bett. Keine halbe Minute später war er eingeschlafen. Ein Traum setzte ein.
Er sah sich an der Spitze einer Menschenprozession schreiten. Es war heiss. Nefreth drehte sich um. Viele bekannte Gesichter sah er hinter sich. Nanchi war gleich hinter ihm. Und Anchor-ankh-sun! Sie trug die Gewänder der Isis Hohepriesterin. Neben ihr zwei Palastdiener. Sie trugen 4 Kanopen. Es war eine Bestattung! Sie befanden sich im Tal der Könige. Noch einmal drehte sich Nefreth um. Ein reich verzierter hölzerner Sarkophag wurde von acht Männern getragen. Oben auf lag eine Kopfbedeckung, die Nefreth nur allzu gut kannte.....
Der Pharao!
Nefreth schreckte hoch....