Astroharry schrieb:
Aber warum soll Jesus vor 2000 Jahren alle Sünden der Christenheit getilgt haben? Das ist für mich völlig Abstrus.
Diese Aussage war von mir nicht so gemeint. Jesus hat nicht einfach alle Sünden der Christenheit getilgt und fertig. Jesus ist sozusagen ein Symbol: Indem er durch das Leiden gegangen ist, hat er symbolisch alles Leiden aller Menschen (und nicht bloss der Christen, das sagen nur die Christen) auf sich genommen. Er hat den Menschen ein Angebot gemacht: Hey, vergesst doch endlich euer altes Karma, schaut her, ich nehme all eure Sünden (eben: gemeint sind irgendwelche seelischen Altlasten) auf mich!
Der Mensch kann dieses Angebot nun annehmen oder nicht. Er hat wirklich die freie Wahl. Dies wird im Akt der Taufe, wo man den Körper mit Wasser wäscht, dargestellt. Man "wäscht" sich rein, man wäscht allen Dreck von sich. Aber dafür muss man innerlich bereit sein. Es genügt nicht, sich ein bisschen mit Wasser vollzukleckern. Die Idee ist, dass der Mensch selbst erkennt, dass er leidet. Und auch, dass er alleine dieses Leiden nicht einfach ohne weiteres beenden kann. Im Buddhismus braucht der Mensch immerhin im Schnitt ca. 600 Leben oder so bis er endlich aus dem Kreislauf von Geburt und Tod ausschert. Im Christentum genügt 1 Leben, wenn der Mensch das einsieht und auch versteht, dass sein Wille lächerlich klein ist. Auch im Buddhismus wird um die Hilfe von höheren Wesen gebeten, welche einem helfen sollen, das Ziel des Nirvana schneller erreichen zu können. Es ist dies ein Akt des Vertrauens und auch einer innerlich geläuterten Haltung: Aus eigener Kraft schaff ich das nicht. Ich benötige die Hilfe von andern.
Es ist ein weiterer Tod, den das Ego stirbt. Dass es nämlich Hilfe von andern annimmt.
Zwar wird immer wieder argumentiert, diese freie Wahl sei eigentlich gar keine, weil ja nachher ewiges Leben im Himmel wirkt oder sowas - ich habe selbst lange Zeit das auch so aufgefasst - aber das ist sozusagen die falsche Perspektive. Es geht ums berühmte Hier und Jetzt. Nur wer zuerst sein Leben damit verbracht hat, aus EIGENER KRAFT Erlösung/Erleuchtung/Nirvana/Sonstwas zu erreichen - und daran gescheitert ist, nur der versteht, dass der Wille und die Willenskraft des Menschen einfach allzu beschränkt ist. Wie abhängig bin ich schon von meinen Mitmenschen, wie umso mehr abhängig bin ich von sowas wie "Gott". Der Punkt ist nicht, inwiefern Gott irgendwas möchte oder will, der Punkt ist alleine, dass ich als Mensch, wenn ich genügend aufrichtig zu mir selbst bin, irgendwann an den Punkt komme, an welchem ich mich aus eigener Kraft nicht mehr aus der Verzweiflung aufrappeln kann, selbst wenn ich will, oder nur unter allergrösster Anstrengung.
Jesus hat genau hier das Angebot gemacht, dem Menschen zu helfen, ihm seine ganzen Lasten zu tragen, die Sünden des Menschen auf sich zu nehmen. Der Mensch kann, sofern er will, das Angebot annehmen oder nicht. Aber oha, dies ist gar nicht so einfach: Unser Ego ist enorm daran gewöhnt, alles selbst machen zu wollen. Wir fühlen uns gedemütigt, wenn wir vor jemand anderm stehen und ihn bitten, ob er uns helfen kann. Jesus hilft uns gerne weiter, aber entscheiden und ihn dazu auffordern, das müssen wir immer noch selbst.
Das ist auch der Unterschied zwischen den Religionen: Im Buddhismus muss letztlich der Mensch "aus eigener Kraft" (wenigstens mit Hilfe günstig gesinnter Boddhisatvas) die Erlösung zu erreichen. Im Christentum kann der Mensch, wenn er will, Jesus um Hilfe bitten.
Ungefähr so verstehe ich die christliche Lehre.