Hallo Seelenflügel,
zugegeben, es war eine provokante Frage. Licht und Schatten, Resonanz, Spiegel... es sind ja doch nur Konzepte. Im Feuer der Handlung verlieren sie ihre Bedeutung. Es wird viel von Liebe geredet, doch in der Praxis...
Ich bin ein sehr mitfühlender Mensch, ein viel zu mitfühlender Mensch. Meine Sensibilität erschafft eine zarte Welt, die mit der Realität hart, sehr hart kollidiert. Ich denke, mir muß man nichts über Liebe erklären. Dennoch stehe ich ständig mit Menschen im Konflikt. Warum? Warum stehe ich mit den Menschen in Resonanz? Was habe ich ihnen getan? Ich denke, nichts, rein gar nichts.
Ich erlebte so oft, wie mir ein Mensch durch sein Verhalten etwas deuten wollte, wie er versuchte, mich zu spiegeln, und dabei jedoch vollkommen daneben lag, mich vollkommen verkannte. So ist es, wenn die Spiegel selbst nicht rein sind. Diese Mechanismen sind mir zutiefst vertraut, und ich sage Dir: sie funktionieren nur bedingt unter verschiedenartigen Menschen. Meistens sehe ich den Spiegelungsversuch schon im voraus und muß dann über diese Berechenbarkeit lächeln. Es sind Muster, die die Menschen aneinander anwenden. Doch bei Menschen, die anders ticken, funktioniert es plötzlich nicht mehr. Dann stehen sie mitunter recht verdutzt da und prüfen neugierig das Neue, das Unbekannte, den Geruch von Tiefe und echter Individualität - aber sie verstehen es nicht und wenden dann doch wieder ihr altbekanntes Muster an, mißtrauisch, herausfordernd, provozierend, neugierig. Selten folgen sie mir auch, doch ich bin nicht soweit, ich will niemand, der mir folgt.
Vielleicht, das gebe ich zu, vielleicht fällt es mir schwer, manche unangenehmen Zeitgenossen wirklich zu lieben. Es ist nicht so, daß ich negative Gefühle ihnen gegenüber hegen würde, dazu bin ich überhaupt nicht fähig; aber ich wende mich von ihnen ab, und ich verurteile sie. Im Herzen fühle ich mit, im Verstande verurteile ich sie.
Ich hatte mal einen Nachbarn, dessen einfaches Gemüt nur durch laute, primitive Musik angeregt werden konnte. Wir trafen uns nie, wir lernten uns nie kennen. Und doch litt ich sehr unter seiner "Musik". Hielt er mir den Spiegel vor? Stand ich mit ihm in Resonanz? Wo sind die Ursachen für diese nachbarliche Disharmonie zu suchen? In mir selbst? Hm, also ich weiß nicht.
Stand ich in Resonanz mit dem wildfremden Kassierer, der mich um ein paar Euro betrog? Was wollte mir der Grenzbeamte über meine Persönlichkeit ausdrücken, als er mich abzockte? Was war mit dem Typ, der mir die Vorfahrt nahm oder dem Drängler auf der Autobahn? - Menschen reiben sich aneinander, meistens sehen sie sich dabei überhaupt nicht an, und doch ist Disharmonie.
Licht und Schatten... das ist kein Rechenspiel. Es gibt Konflikte, weil die Menschen egoistisch, getrieben, abgestumpft, gefühllos sind. Da kommen dann auch die Sensibleren schon mal unter die Räder, obwohl sie nichts dafür können.
Ich zweifle an dem Sinn des Spiegelns. Die meisten spiegeln nur, um sich überlegen, reifer, fortgeschrittener und freier zu fühlen, und um sich selbst zu prüfen und zu vergleichen. Nur leider wird hier meistens etwas Wesentliches verwechselt: Schauspielerei, Hemmnisse, Herausforderungen, Unerschrockenheit, Ausdrucksfähigkeit, Repräsentation, Spiegel - dies sind allzu menschliche Dinge, die noch nichts über die innere Weisheit eines Menschen aussagen. Je tiefer ein Mensch ist, desto länger und beschwerlicher ist sein Weg. Die anderen mögen ihm scheinbar voraus sein, aber nur äußerlich. Die Menschen vergleichen einander, sie mustern sich, sie fühlen sich in die Blockaden oder in die Freiheit des anderen ein, nur um sich selbst zu prüfen und Muster zu übernehmen. Aber im Grunde wissen sie voneinander nur soviel, wie sie selbst in sich schon erfahren haben: und das ist sehr sehr wenig. Darum werde ich fast immer verkannt und reduziert. Das Spiegeln funktioniert nur bedingt und nur unter gleichartigen Menschen, wie gesagt.
Ich übernehme niemals Muster, ich bin ich selbst. Das verwirrt die Menschen, es paßt nicht in ihr Denkschema. Das hat Konflikte besonderer Art zur Folge: sie testen mich, sie wollen wissen, was es ist, sie fordern mich heraus, weil sie wissen möchten, ob es Bestand und Substanz hat. Das ist nicht leicht für mich. Aber so funktioniert die Menschheit: sie streben immer nach Neuem, um das Alte hinter sich zu lassen
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Metanoia