56.
„Ali, mir fehlen unsere philosophischen Gespräche.“ Der Shrenk deutete hinauf zum Sternenhimmel. „Wo sind eure Reflektionen über die Galaxien und das Universum, oder der kosmische Drache?“, kam es vorwurfsvoll. Er zog sich seine Mütze tiefer ins Gesicht. Es war windig auf dem Peildeck. Ali und der Shrenk hatten im Windschatten des Schornsteins Zuflucht gesucht, aber ab und zu streifte sie eine Böe.
„Doktor. Alles zu seiner Zeit. Wir können nicht Jagt auf Terroristen machen und gleichzeitig über den geheimnisvollen kosmischen Drachen nachdenken. Das übersteigt sogar meine Kompetenzen.“ Ali blickte auf das Leuchtziffernblatt ihrer Uhr. „Apropos Zeit: Es ist halb Vier und der Hubschrauber kann jeden Moment eintreffen.“ Ali warf sich die Kapuze ihres Anoraks über. Auch ihr fröstelte. Verdammte Anspannung der letzten Stunden, dachte sie und atmete einmal tief ein. Bringen wir es endlich hinter uns.
„Ali?“
„Ja?“
„Wollen wir hoffen, dass Miguel und Pedro gut auf die Brüder und Hassan aufpassen. Falls das hier schief geht und wir sterben sollten. Hm.“
„Doktor! Die Drei sind gefesselt und geknebelt und werden von zwei kräftigen Männern bewacht. Ihr könnt aber gerne zum Achterdeck gehen und euch selbst davon überzeugen.“
Was ist wenn wir sterben, fragte sich Ali. Ach, ich will einfach nicht dran denken. Ich weiβ nur eines: Das ich den Shrenk lieb gewonnen habe, auch wenn er immer recht behalten will und manchmal etwas umständlich ist.
„Das wäre jetzt nicht angebracht“, entgegnete der Shrenk. „Auch mit schwarzer Kleidung, könnte mich der Scheinwerfer vom Hubschrauber...“
„Pst.“Ali setzte sich plötzlich kerzengerade auf und horchte. „Es geht los, Doktor.“
„Hm?“
„Doktor! Hört ihr nicht den Hubschrauber?“
Endlich hatte auch der Shrenk die Geräusche eines rottierenden Hubschrauberpropellers gehört. Sie duckten sich auf den Boden, um dem Scheinwerferkegel zu entkommen und beobachteten wie der Hubschrauber keine zwanzig Meter entfernt landete. Der Motor wurde abgeschaltet und die Tür öffnete sich.
„Hassan? Bei Allah wo bleibt ihr?“
„Allahu Akhbar!“, rief Ali und erhob sich.
Drei schwarz vermummte Männer kletterten aus dem Hubschrauber und kamen langsam auf Ali und den Shrenk zu. Die Portugiesen hielten sich, wie vereinbart, im Hintergrund versteckt.
„Salam Aleikum“, rief Ali
„Aleikum Salam“, antworteten sie stockend.
„Bei Allah dem Allmächtigen wer seid ihr?“, fragte einer der Männer und blieb vor Ali und den Shrenk stehen.
„Allah ist groβ in seiner unendlichen Güte. Ich bin Ali und das ist Doktor Shrenk. Hassan ist im Augenblick
verhindert, darum bin ich an seiner Stelle hier um euch zu empfangen. Ihr seid sicherlich Mohammed?“ Der Mann nickte. „Sind Ahmed und Omar auf der Brücke?“
„Die sind leider auch verhindert“, wollte Ali gerade antworten, als plötzlich wie aus dem Nichts vier Kamele erschienen und sie laut bähend umzingelten. Die Männer erstarrten. Alles hatten sie auf diesem Luxus Liner erwartet, nur nicht vier wild gewordene Kamele, die sich nun mit Tritten ihrer annahmen.
„Akhbar!“, rief Ali. Denn auch für sie kam der Angriff unerwartet. Alles ging sehr schnell. Binnen Sekunden, lagen die drei Männer am Boden und wurden von Akhbar in Schach gehalten. Ali nahm eine Trillerpfeife und stieβ einen kurzen Pfiff aus. Wie auf Kommando kamen Manuel, Miguel und Pedro herbeigeeilt bewaffnet mit Feuerlöschern um sich auf die Terroristen zu stürzen. Sie hielten jäh inne beim Anblick der sich ihnen bot. Ali lachte. Denn inzwischen hatten Miriam, Suleika und Omar den Dschihadhis ihre Waffen abgenommen und diese über die Reling ins Meer geworfen. Die Dschihadhis lagen wehrlos am Boden und fluchten.
„Ihr könnt sie fesseln“, rief Ali Miguel zu. Inzwischen war Massoud eingetroffen, im Schlepptau hatte er Hassan, Ahmed und Omar.
Akhbar!“, mahnte Ali. „Hör auf, die Dschihadhis zu bespucken, auch wenn sie unhöfliche Menschen sind und Flüche von sich geben. Immerhin ist Mohammed ein Freund von uns.“ Mohammed blickte gelassen zu Ali. „ Nur weil ihr arabisch sprecht, bin ich noch lange nicht euer Freund. Wie kommt ihr darauf, dass ich euer Freund sei?“
„Erinnert ihr euch nicht? Die Rub-Al-Khali. Wir waren auf der Hadj nach Makka. Sogar meine Kamele haben euch erkannt!“
„Eure Kamele?“
Ali nickte. „Sonst hätten sie euch längst gebissen, wie sie es bei Hassan, Ahmed und Omar taten.“ Ali seufzte und der Shrenk seufzte mit.
„Ali?“ Mohammed setzte sich vorsichtig auf. „Und der verrückte Professor aus London?“ Er zeigte zum Shrenk. Ali nickte und der Shrenk nickte auch.
„Inshallah!“, rief der Shrenk aus. „Salam Aleikum, Mohammed.“
Mohammed schluckte. „Allah hat auf wundersame Weise eure Wege und den meinen, erneut zusammengeführt.“
„Bei Allah dem Allmächtigen“, entgegnete Ali. „Wie ich hoffe, zum allerletzten Mal. Aus eurem Plan mit der Westerdam wird nichts. Die Sprengsätze sind über Bord geworfen worden und ruhen auf dem Meeresgrund. Am Besten ihr fliegt zurück nach Wasiristan!“
Als der Shrenk das Wort Wasiristan hörte, begann er sich unkontrolliert zu schütteln, was aber niemandem besonders auffiel. Der Wind fegte über das Deck und des Doktors Schütteln wurde, auβer von Ali, als völlig normal wahrgenommen.
„Wasiristan?“, fragte Mohammed und lachte. „Ja, warum nicht. Wenn ich hier heil raus komme geht‟s nach Wasiristan. Wenn nicht werde ich zusammen mit meinen Dschihadhis ins Paradies eingehen.“ Mit Pathos verkündete er:
„Niemand im Paradies möchte wieder zurückkehren, mit Ausnahme des Märtyrers, der im Kampf für die Sache Gottes gefallen ist. Er möchte auf die Erde zurückkehren, um noch zehnmal getötet zu werden, nach all den Ehrenbezeigungen, die ihm im Paradies zuteil wurden.“
Ali nickte. „ Ihr könnt zum Hubschrauber gehen. Das Paradies wird noch etwas warten. Inshallah!“
Ali blickte zu Massoud. „Du kannst den Männern die Fesseln abnehmen, sie werden mit Mohammed wegfliegen“, sagte sie in Arabisch.
„Wir lassen sie entkommen?“, fragte Massoud erstaunt.
Ali nickte. „Ich bin nicht hier um zu richten und zu entscheiden, was für ein Mensch Mohammed ist. Ob er ein moderner Robin Hood oder ein Massenmörder ist, darüber können sich Andere den Kopf zerbrechen. Wir erlauben dadurch den Passagieren in Ruhe ihre Reise zu genieβen. Oder was glaubt ihr was hier die nächsten Stunden sonst los sein würde?“ Massoud nickte. „Ihr habt recht.“
Während Massoud damit beschäftigt war, Ahmed und Omar die Fesseln abzunehmen, hatten Mohammed und seine Männer sich erhoben.
„Allah Ar-Rashid ist der Führer und Herr über unser aller Schicksal! Im Namen Allahs, dem Allmächtigen. Ich danke für eure Gastfreundschaft“, rief Mohammed und eilte mit seinen Dschihadhis zum Hubschrauber. Ahmed, Omar und Hassan rannten hinterher.
Der Propeller begann zu knarren. Erst leise, und dann immer lauter. Auf einmal stockte Hassan und bewegte sich auf Ali zu. Der Shrenk blickte Ali triumphierend an und dachte sich seinen Teil über das Über-Ich und das Ideal-Ich.
Hassan, stand vor Ali und versuchte trotz des Hubschrauberlärms sie davon zu überzeugen, wie wichtig es sei, in ihrer Nähe zu bleiben. Ali seufzte ergeben. Es half alles nichts. Das Kismet wollte es so und die Dschihadhis warteten nicht. So wie der Hubschrauber plötzlich aus dem Nichts erschienen war, verschwand er mit Mohammed und seinen Männern.