Aber es waren so verletzende Dinge dabei das ich es einfach nicht fertig bringe ihr aufrichtig zu verzeihen.
Hi Kido!
Klingt fast ein bisserl kämpferisch - Aikido...
Im Ernst: Es geht nicht nur nicht ums Verzeihen, der BH bezeichnet das Verzeihen irgendwo sogar mal als anmaßende Haltung, mit der sich ein "Opfer" über den "Täter" stellt und ... ja was? Dem "Täter" die Chance, die Kraft und die Würde nimmt, das Seine zu nehmen und zu tragen? Verzeihen geht in diesem Sinn nur, wenn ich auf der Opferrolle bestehe. Das möchten nicht wenige, weil Opfer sein durchaus Rabattmarken bringt, wenn man/Frau eh schon Opfer ist... Verzeihen kann heißen: Okay, ich trag weiter diese Last, die mich nix angeht, aber mach Du dir weiters nix draus, ich trag sie jetzt für Dich...
Ich hab schon oft beobachtet, dass Lösung dort beginnt, wo die Last abgegeben wird, wo auch Eltern zugemutet wird, sie zu tragen. Auch (und vielleicht vor allem) das ist Liebe: Jemand nicht kleiner und schwächer machen als er ist. Jemand nicht das ab(weg)zunehmen, was derjenige selbst zu tragen. Wenn da Verletzungen waren, waren da Verletzungen - und in einer Aufstellung siehst Du dann oft, auf welchen Wegen es zu Verletzungen kommt - es kommt zu einer Einsicht. Und Einsicht heißt hier nicht (wie's oft missverstanden wird) "Jetzt weiß ich es besser als...", sondern einfach "Jetzt sehe ich Zusammenhänge...". Es kann (!) sein, dass du in der Aufstellung die Eltern selbst als Verletzte siehst, die als Kinder von Verletzten etwas weitertragen, was so nie gesehen wurde... dann gibt es nichts zu verzeihen, dann entgleitet dem "Ihr habt mich verletzt..." schlicht der
Vorwurf, und es bleibt die
Einsicht "Ihr habt mich verletzt...". Das ist eine Information, die auch dazu beiträgt, sich selbst und sein eigenes So-Sein zu verstehen, das ist eine wertvolle Information.
Ich habe oft beobachten dürfen, dass an der Schwelle, an der aus dem Vorwurf eine Einsicht wird, auch die Liebe zu fließen beginnen kann. Das erlebe ich - wenn ich in einer entsprechenden Rolle stehe - wie ein wohlig-warmes Strömen als Körpergefühl, das geht durch und durch, ist deutlich als Unterschied wahrnehmbar, es löst (oft auch Tränen aus), und nichts ist mehr so, wie ich es gerade gesehen/gespürt hatte.
Es ist nicht immer so, das ist kein Automatismus. Manchmal sind etliche Zwiebelschichten abzutragen. Und es steht manchmal vielleicht auch noch etwas anderes im Wege: eine überzogen rosarote Vorstellung davon, was Liebe zu sein hätte und wie sie sich anfühlen muss. Das ist eine andere Form des Vorwurfs - eine Anspruchshaltung, die von wem auch immer - der Welt, dem Partner, den Eltern - die Erfüllung der Ansprüche erwartet.
"Liebe" ist ja ein extrem weiter Begriff, vor allem hinsichtlich der Äußerungsformen von Liebe. Da seh ich es als ein Verdienst von BH (und ich weiß nicht, ob es originär von ihm kommt oder von sonstwo her), dass er auch die als Last, als Verletzung empfundenen systemischen Verstrickungen als Ausdruck von Liebe gesehen hat ... eben auch als destruktiv gelebte Bindungsliebe möglich. Ich meine - und das muss mir niemand abkaufen -, dass es in Aufstellungen primär darum geht zu sehen, dass die tiefe Kraft solcher Liebe sich durch's System zieht und aus den verschiedensten Gründen Formen angenommen hat, die weh tun, die auf einem lasten, die Schlimmes gebracht haben und bringen. Wenn ich das sehe, dann kann ich der Liebe im System zustimmen und mich zugleich von den schlimmen, pervertierten Erscheinungsformen dieser Liebe lösen. Und mit dem Zustimmen stimme ich (mich) ein (und um), und dann kann ich auch in mir vielleicht den Strom dieser Liebe spüren ... und mich lösen ... alles andere erschiene mir deppert: Wie könnte ich jemand auffordern "Liebe mich!" !?!?!?
Und wenn ich ihn nicht - oder nicht gleich - spüre, kann ich sagen: Es war/ist schwer, es hat mich tief verletzt. Ihr habt es so gut gemacht wie Ihr es konntet, das sehe und achte ich. Ich achte auch Euer Schicksal, und von Euch ist das Leben zu mir gekommen, dafür danke ich Euch. Ich lasse bei Euch, was ich nicht zu tragen habe, und bin frei davon, frei, meinen eigenen Weg zu gehen.
So ungefähr. Um die Liebe brauch ich mir keine Gedanken zu machen, die wird fließen, wenn ich die Schritte der Lösung zu gehen beginne. Und das erscheint mir auch noch wichtig: die Landkarte nicht mit der Landschaft zu verwechseln. Lösungen lassen sich vielleicht im Kopf konzipieren, aber Wege entstehen erst beim Gehen, unter den Füßen.
Alles Liebe,
Jake