Der unsichtbare Feind

(Fortsetzung)

Das schwarz-weiße Wesen meines Sohnes nahm immer mehr Konturen an. Entweder - Oder, ein dazwischen gab es kaum noch. Und manchmal erweckte er den Eindruck, das er stolz darauf war. So als würde er jetzt einem auserwählten Club angehören. Sogar an seiner Körperhaltung war das zu erkennen. Er ging mit hocherhobenem Haupt und mit festem Schritt, fast so als wäre er gewachsen. Während ich vor Sorge um ihn kaum schlafen konnte und fast unablässig darüber nachdachte wie sich seine Zukunft gestalten würde, trug mein Sohn die Diagnose inzwischen oft wie einen Orden. Doch noch befand er sich in der Klinik. In einem geschützten Raum und umgeben von Menschen, die ihn verstanden. Nach dem was ich mitbekam, würde es im Anschluss an seine Therapie nicht leichter werden.

Ein wichtiges Thema in dieser Zeit war auch seine Ausbildung. Es war sein Traumberuf und er befand sich im 2. Ausbildungsjahr. Aufbauend auf diesen Beruf plante er sich bei der Bundeswehr zu verpflichten und dort entsprechende Fortbildungen zu machen bzw. sich auf einen bestimmten Bereich zu spezialisieren. Es war seit einigen Jahren sein innigster Wunsch und entsprechend motiviert ging er an die Sache heran.

Doch jetzt bekam er zum ersten Mal die Auswirkungen dieser Diagnose auf sein Leben zu spüren. Nach Gesprächen mit seinem Arzt und dem Sozialarbeiter stand fest, das er zumindest seine Pläne bezüglich der Bundeswehr aufgeben musste. Bewerber mit dieser oder ähnlichen Diagnosen hatten keine Chance dort angenommen zu werden. Es war für ihn ein Schock. Seine Pläne und alles was er sich so sehr wünschte, zerplatzte innerhalb von wenigen Stunden wie eine Seifenblase. Das Gefühl minderwertig und nicht genügend zu sein sein, hielt Einzug in seine Seele. Wieder versuchte er nach außen gelassen und unbeeindruckt zu erscheinen. Doch innen war er tief getroffen. Es erschütterte ihn das ein einziges Wort so viel Macht hatte. Seine Wünsche und Pläne, seine Begabungen und Talente – all dies schien nicht mehr von Bedeutung zu sein.

Mein Sohn reagierte verletzt und trotzig. In seinen Augen sprachen ihm fremde Menschen aufgrund dieser Diagnose alle vorhandenen Fähigkeiten ab. Er begann an sich selbst zu zweifeln und überlegte ernsthaft die Ausbildung abzubrechen. Ich war entsetzt über diese Entwicklung. In seinen Augen sah ich Angst und Enttäuschung und ich konnte ihn verstehen. Doch ich ließ seine Überlegungen, die Ausbildung betreffend, erst einmal so stehen. Ich hatte die Hoffnung das sein Plan, die Ausbildung abzubrechen, seiner grenzenlosen Enttäuschung zuzuschreiben war. Jetzt ging es darum das er sich in aller Ruhe stabilisieren konnte. Das er lernte sich selbst zu verstehen und auch wieder zu vertrauen. Ahnungslos wie ich damals war, hoffte ich darauf das die Bundeswehr bei der Musterung einen anderen Eindruck von ihm bekam.

Es tat weh ihn so zu sehen. Ich fühlte mich entsetzlich hilflos und war vor Angst wie gelähmt. Doch ich musste versuchen ihn so gut es ging aufzumuntern und versuchen den Fokus wieder auf die Therapie zu lenken. Aber das war leichter gesagt als getan. Ganz oft hörte ich von ihm: „Rede nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst. Du hast doch keine Ahnung.“ Das saß! Und natürlich hatte er recht, was wusste ich schon? Mein Wissen über diese Krankheit war angelesen. Ich sah wie er litt und er versuchte so gut es ging mir zu erklären, wie es in ihm aussah. Doch letztendlich war er allein mit seiner gespaltenen Seele. Ein einsamer Kampf gegen unzählige Dämonen und Ängste. Ein Kampf gegen sich selbst.
 
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(Fortsetzung)

Nach einem Gespräch mit dem Ausbilder meines Sohnes war ich ein wenig beruhigt. Die Firma stand zu 100 % hinter ihm. Natürlich war man erschrocken und besorgt. Doch der Ausbilder fand sehr liebe und lobende Worte für ihn. Er sei sehr begabt, zuverlässig und bei den Kollegen beliebt. Ich sollte ihm liebe Grüße ausrichten und er sollte sich so viel Zeit nehmen, wie er braucht. Und notfalls könne er die Gesellenprüfung um ein Jahr nach hinten verschieben. In meinen Augen war das eine gute Nachricht. Und ich dachte das er sich darüber freut. Da gab es Menschen die ihn schätzten und an ihn glaubten.

Doch ich irrte mich gewaltig. Mein Sohn lehnte es ab, überhaupt darüber nachzudenken. Plötzlich erzählte er, das er sich dort sowieso nie wohl gefühlt habe. Seine Ausbilder seien falsch und wollten nur den Eindruck erwecken, sie würden hinter ihm stehen. Denn hinter den „Kulissen“ würden sie ganz anders reden. Er wollte nicht dorthin zurück und nannte sie Heuchler. Ich spürte seine Angst. Verzweifelt versuchte er irgendwie in sich selbst Fuß zu fassen.

Die Therapie schritt weiter voran und ich bot ihm an, zu einem Familiengespräch zu kommen. Ich wollte ihm so gern helfen und zerbrach mir den Kopf darüber was ich tun könnte. Doch er lehnte es ab. Liebevoll, aber bestimmt! „Du bist die einzige, die keine Schuld hat. Und es ist mein Weg.“ Das waren seine Worte. Doch das war natürlich Quatsch und ich konnte es nicht akzeptieren. Es musste doch irgendetwas geben, womit ich ihm helfen konnte. Er wirkte in diesem Moment so erwachsen und in sich ruhend. Aber in seinen Augen stand noch etwas anderes. Etwas sehr beunruhigendes, doch ich konnte es damals nicht einordnen.

Ich selbst habe in meiner Kindheit unter Ignoranz, Missachtung, Gewalt und Lieblosigkeit gelitten. Mit den Folgen habe ich lange gekämpft. Mein Wunsch nach einem Gespräch wurde von meinen Eltern jedoch immer wieder kategorisch abgelehnt. Egal wie ich es auch anstellte, sie fühlten sich nur angegriffen. „Ich würde das alles unnötig aufbauschen und ich sei ja schon als Kind immer viel zu empfindlich gewesen“. Dabei ging es mir gar nicht um Schuldzuweisung. Es ging mir um Wahrnehmung, darum wie sich Dinge für mich angefühlt haben. Ja und ich hatte natürlich den Wunsch, das sich vielleicht etwas an ihrem Umgang mit mir verändert. Doch ich hatte keine Chance. Ich wurde belächelt und mein Anliegen wurde arrogant und überheblich weggewischt.

Ein solcher Umgang war für mich im Bezug auf meinen Sohn völlig undenkbar. Schon von klein auf war mir seine Meinung immer wichtig und ich respektierte sie. Ich habe ihn immer ermutigt seinen eigenen Weg zu gehen und seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Da ich selbst während meiner Kindheit völlig fremdbestimmt wurde, wäre es mir im Traum nicht eingefallen, eine Entscheidung über seinen Kopf hinweg zu treffen. Natürlich gab altersgemäße Regeln, doch wir gingen offen miteinander um. Unsere Beziehung basierte auf Liebe und Vertrauen und es gab selten Probleme. Doch jetzt änderte sich alles. Ich konnte ihm nicht mehr einfach eine Frage stellen und er konnte sie nicht mehr einfach so beantworten.

Jetzt stand alles unter dem Einfluss dieser für uns noch unbekannten Krankheit. Es begann ein gegenseitiges Abtasten. Während ich versuchte seine jeweiligen Stimmungslagen zu lesen und einzuordnen, versuchte er meine Loyalität zu testen. Sein neu erwachtes Misstrauen bezog mich wohl mit ein. Er war dabei wesentlich erfolgreicher als ich. Er kannte mich in und auswendig und las in meinem Gesicht wie in einem Buch. Oft war es regelrecht unheimlich. Es war als könnte er meine Gedanken lesen und beantwortete eine Frage, noch bevor ich sie ausgesprochen hatte. Bei mir hingegen war es zu dem Zeitpunkt ein einziges Ratespiel. In einem Moment glaubte ich, etwas verstanden zu haben. Einen Augenblick später entglitt es mir wieder...
 
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(Fortsetzung)





Ich selbst habe in meiner Kindheit unter Ignoranz, Missachtung, Gewalt und Lieblosigkeit gelitten. Mit den Folgen habe ich lange gekämpft. Mein Wunsch nach einem Gespräch wurde von meinen Eltern jedoch immer wieder kategorisch abgelehnt. Egal wie ich es auch anstellte, sie fühlten sich nur angegriffen. „Ich würde das alles unnötig aufbauschen und ich sei ja schon als Kind immer viel zu empfindlich gewesen“. Dabei ging es mir gar nicht um Schuldzuweisung. Es ging mir um Wahrnehmung, darum wie sich Dinge für mich angefühlt haben. Ja und ich hatte natürlich den Wunsch, das sich vielleicht etwas an ihrem Umgang mit mir verändert. Doch ich hatte keine Chance. Ich wurde belächelt und mein Anliegen wurde arrogant und überheblich weggewischt.

Ein solcher Umgang war für mich im Bezug auf meinen Sohn völlig undenkbar. Schon von klein auf war mir seine Meinung immer wichtig und ich respektierte sie. Ich habe ihn immer ermutigt seinen eigenen Weg zu gehen und seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Da ich selbst während meiner Kindheit völlig fremdbestimmt wurde, wäre es mir im Traum nicht eingefallen, eine Entscheidung über seinen Kopf hinweg zu treffen. Natürlich gab altersgemäße Regeln, doch wir gingen offen miteinander um. Unsere Beziehung basierte auf Liebe und Vertrauen und es gab selten Probleme. Doch jetzt änderte sich alles. Ich konnte ihm nicht mehr einfach eine Frage stellen und er konnte sie nicht mehr einfach so beantworten.

Jetzt stand alles unter dem Einfluss dieser für uns noch unbekannten Krankheit. Es begann ein gegenseitiges Abtasten. Während ich versuchte seine jeweiligen Stimmungslagen zu lesen und einzuordnen, versuchte er meine Loyalität zu testen. Sein neu erwachtes Misstrauen bezog mich wohl mit ein. Er war dabei wesentlich erfolgreicher als ich. Er kannte mich in und auswendig und las in meinem Gesicht wie in einem Buch. Oft war es regelrecht unheimlich. Es war als könnte er meine Gedanken lesen und beantwortete eine Frage, noch bevor ich sie ausgesprochen hatte. Bei mir hingegen war es zu dem Zeitpunkt ein einziges Ratespiel. In einem Moment glaubte ich, etwas verstanden zu haben. Einen Augenblick später entglitt es mir wieder...

hm,
zu erst möchte ich Dir mein Beileid aussprechen.
Was mich interessieren würde,bist Du selber in irgendteiner
Form der Therapie oder Selbsthilfegruppe?

Ist das hier,für dich die einzige Möglichkeit, Dich über den Tod deines Sohnes und seine Erkrankung auszutauschen?

Welcher Art waren die Misshandlung deiner Eltern und hat dein Sohn ähnliche Erfahrungen durch seinen Vater oder Großvater gemacht?

Das sind sehr persönliche Dinge die ich frage,und ich erwarte in keinster Weise eine Antwort darauf.
Beantworte Sie für Dich.

Bei einer Studie,die in einem Buch über Traumata mal erwähnt wurde,
lag der Prozentsatz bei 80 % von frühkindlicher Gewalt oder Missbrauchserfahrungen bei Borderliner.
Bei multiplen Persönlichkeiten ist das noch höher..

Da Du selber Opfer bist,wäre es auch für Dich hilfreich zu verstehen, was Mensch Dir angetan hat.
Ich spreche da auch aus Erfahrung ,manche Dinge(Traumata) erschließen sich
erst, über die Jahrzehnte.

Für den Tod deines Sohnes trägst Du keine Schuld und auch keine Verantwortung.
Diese Entscheidung hat er allein getroffen.

Wünsche Dir , die Stärke Dinge zu ertragen ,die Du nicht mehr ändern kannst.

herzliche Grüsse
WildThing
 
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