Blick vom Tellerrand Satiren für jede Gelegenheit


Nacht– und Nebeleinsatz

15. November
Das Gegenteil zum Antritt eines demokratischen Amtes ist meist mit weniger Glanz verbunden.


Heute, die den Tag einleitenden Morgenmagazine liegen noch Stunden in der Zukunft, werde ich von einem hartnäckigen Pulsen meines Notfallmelders geweckt.
Ich springe in die bereitgehängte Schutzkleidung und komme in den angeschlossenen Stiefel zu stehen. Dann ziehe ich die Kapuze über, den Frontreißverschluß hoch und lege das goldene Abzeichen meiner Truppe offen: Einen schweren Würfel mit der Aufschrift MOPS.
Über eine schnell aufgeblasene Notfallrutsche sause ich in die Remise hinab, treffe dort die restlichen Mitglieder unseres Teams und wir entern hastig unseren mattschwarzen, allradgetriebenen Gerätewagen.
Sekunden später jagen wir mit brüllenden Turbinen durch die Nacht, die gegen Morgen bekanntlich ja am dunkelsten ist, und suchen uns einen unverstellten Weg in das belagerte Regierungsviertel. Mein Adjutant kurbelt wild um die Ü-Wagen diverser Anstalten herum und so gewinnen wir schnell und unbelästigt die Auffahrt eines verkehrsgünstig an einer Ausfallstraße gelegenen Behördenhauses.
Wir sprinten, das Erste-Hilfe-Werkzeug einsatzbereit in den Händen, zur Eingangstür und werden ohne Verzug durchgewunken. Ein mittlerer Verwaltungsdienstgrad führt uns im Laufschritt zu den diskreten Büros auf der geschützten Rückseite des Gebäudes.
Wir stoßen dort auf Gerhard, unseren medial begabten Kreisvorsitzenden, der sich, zusammen mit einigen Anderen, müht, die Stoßrichtung der öffentlichen Meinung in die angrenzende Teeküche umzuleiten.
»Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.«, ruft Gerhard uns über die herrschende Hektik zu. »Tun Sie, wie immer, Ihr Bestes. Und tun Sie es nicht für mich, tun Sie es für die Partei, ähh, unser Land, mein ich natürlich.«
Ich peile schnell die Lage und stelle fest, dass unser Proband bereits deutlich in seiner Struktur geschwächt ist. »Er gibt bald nach.«, rufe ich meinen Jungs zu. »Wir müssen ihn stärken!«
Uns wird ein 20er Kantholz gereicht und wir führen es, von unten nach oben, dem Notfall als Rückgratersatz ein.
»Das hält sicherlich bis zum Morgen, dann aber brauchen wir Unterstützung von außen.«, teile ich Gerhard mit.
»Für Entsatz ist gesorgt. Wir graben bald eine alte Geschichte aus.«
»Gut. Was mir Sorgen macht, sind diese plötzlichen Böen. Dein Mann ist nicht mehr sehr standfest. Vorgeschädigt halt.«
Gerhard hustet ein privates Lachen: »In meinem Job muß man nehmen, was man kriegt. Nichts mehr zu machen?« Sein abschließendes chen überschlägt sich hoffnungsvoll.
»Es ist immer was zu machen.«, antworte ich beflissen und baue dann gleich vor: »Aber wir stehen alle in der öffentlichen Hand. Und dort auch noch sehr alleine.«
»Wat mutt, dat mutt.«, gibt mir Gerhard freie Hand.
»Okay, Leute!«, rufe ich mein Team zusammen. »Wir müssen zusätzlich stabilisieren. Holt die nötigen Geräte.«
Wir ziehe dem Probanden die Maßschuhe und die Designersocken aus, krempeln die Hosenbeine bis unter die Knie hoch, fixieren sie dort mit Einmachgummis und stellen seine jetzt bloßen Füße in die inzwischen eingetroffenen 30-Liter-Pflanzkübel aus Plastik.
»Wir brauchen warmes Wasser.«, kommandiere ich die subalternen Beamten auf dem Flur. »Viel warmes Wasser.«
Meine Jungs zücken ihre Akkuschrauber, applizieren die verchromten Knethaken und ziehen dann ruhig, aber effizient, das angediente Wasser unter die Fertigmischung. Das graue Pulver verschmiert zusehends zur Paste, dann ist die erste Portion fertig und wir gießen sie in den Pflanzkübel um den rechten Fuß: »Den zuerst. Von dort kommt die größte Last.«
Eine Minute später steckt auch der linke Fuß bis weit über den Knöchel drin und wir verfolgen das schnelle Abbinden des Betons.
Ich suche Gerhard, finde ihn in unmittelbarer Nähe der Tür. »Also, falls ihr ein anderer Verein wärt,...«, flüstere ich ihm zu: »...dann hätte er jetzt allen Grund, sich Gedanken zu machen.«
Gerhard grinst jungenhaft: »Fällt dir spontan ein Unterschied ein?«
Ich grinse zurück und frage mein Team: »Ist das Zeug fest?«
»So fest wie Beton.«
In diesen Moment geht draußen die Mediensonne in Form zahlreicher Scheinwerfer auf, der neue Tag beginnt, die Morgenmagazine blasen zur Frühoffensive.
Der Sturm der öffentlichen Meinung fährt in die Ritzen der großzügigen Fensterfront, wir werfen uns zu Boden, bergen unsere Köpfe unter den griffbereiten Aktentaschen aus den Fünfzigern und lassen das Unwetter über uns ergehen.
Endlich kehrt die Ruhe nach dem Sturm ein, wir schütteln uns die Glassplitter aus Haaren und Kleidern, sehen uns suchend um und stellen fest, dass unser Proband fort ist, vermutlich in die unübersichtlichen Flure der Lobby verblasen.
»Tut mir leid.«, verabschiede ich mich von Gerhard.
»Man kann nicht immer gewinnen.«, antwortet der. Wir schütteln uns überlang und einverständlich die Hände.
Draußen geht gerade die Sonne auf, das frühe Licht bricht sich im eleganten Schriftzug unserer Abzeichen: Mobile Organisation zur Politikerstabilisierung – MOPS!

;)

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Immobil

18. November
Der Hintergrund dieser Story wird dem meisten Lesern auf immer verschlossenen bleiben, nutzen sie doch ihren Führerschein und keine Monatskarte.


Heute warte ich vergeblich auf entscheidende E-Mails. Ich fahre das Mail-Programm hoch und wieder runter, schlucke dazwischen die lakonische Mitteilung Keine neuen Nachrichten und starte erneut, überfordere den POP3-Server meines in grundlegende Rechtsstreitigkeiten verwickelten Providers und hoffe auf die Wiederkehr der bezahlbaren Flatrate, ich würde einen Abfrageturnus von unter einer Minute programmieren, immer auf dem neuesten Stand sein und vermutlich dem Telefonnetz zum virtuellen Ruin infolge unnützer Überlastung verhelfen.
Endlich schlägt die programmierte Glocke aus den beiden Lautsprechern und ich stürze mich kopfüber in den frischen Text.
Es ist nicht die erhoffte Nachricht.
Aber man bietet mir, von öffentlicher Seite, die Chance meines Lebens, ich soll nur zu einem bestimmtem Zeitpunkt an einem fest definierten Ort vorsprechen und würde fortan das Leben führen, das ich mir noch nicht mal um 3 Uhr morgens zu erträumen gewagt hatte.
Ich stürze postwendend aus dem Haus und in ein akutes Transportproblem.
Mir stehen zur Verfügung: Meine Beine, der Bus, motorisierte Freunde und Bekannte sowie Außerordentliches wie die Benutzung eines Taxis.
Ich fühle mich wie ein konstruierter Bestandteil einer Denksportaufgabe und stehe doch mitten im wirklichen Leben.
Die Kombination aus vorgegebener Entfernung und zur Verfügung gestellter Zeit schließen die Benutzung meiner eigenen Mittel, also der Beine, aus, sie reichen noch nicht mal, wenn ich den ganzen Weg rennen würde.
Ein schneller Blick auf den Busfahrplan befördert die starke Vermutung zur festen Gewißheit, ich müsste den Weg über das ferne Oberzentrum einschlagen, was für eine behördliche Laufbahn angehen mag, aber nicht im diesem engen Rahmen fester Termine.
Meine Freunde und Bekannten haben sich von unserem Land oder mir aus persönlichen Gründen schon seit langem abgewandt und vereinfachen somit die Entscheidungsfindung, ich werde ein Taxi benutzen.
Der Taxistand um die nächste Ecke liegt wie immer verlassen im dunstigen Licht einer schüchternen Novembersonne. Ich nehme mir vor, später, wenn alles in meinem Sinne geregelt sein wird, bei der Bürgermeisterei die Umwandlung der 3 stets ungenutzten Stellplätze in eine Bushaltestelle zu beantragen, aber jetzt suche ich ein funktionierendes Telefon.
Ein mitleidiger Passant ruft schließlich mittels Handy nach einem Wagen, meine aufsteigenden Tränen müssen ihn wohl gerührt haben.
»Der Wagen ist gleich da.«, teilt er mir beruhigend mit und ich lasse mich erleichtert auf das splitternde Holz der Bank des Vorjahrs fallen.
Wichtige Minuten verticken.
Der freundlichen Passant mit dem hilfreichen Mobilteil ging längst seinen Geschäften nach und somit seiner Wege, nirgends ist ein Taxi oder Entsatz zu sehen, ich gerate in verständliche Panik und beginne die Fahrer wildfremder Wagen mit hochgestelltem Daumen zu hilfreichem Anhalten zu animieren.
Wenige Minuten später werde ich von einem mobilen Greifkommando unter schußbereiten Waffen und dezenter Gewaltanwendung verhaftet, man hält mich für einen der üblichen, rechtskräftig verurteilten, nicht zurückgekehrten Freigänger, vor denen stündlich routinemäßig auf allen Radiokanälen gewarnt wird.
Auf der Wache sinne ich erst über meine aufgeschürften Schienbeine, dann über die beruhigende Wirkung von auf den Rücken fixierter Hände und schließlich über die verlorene Chance meines Lebens nach.
»Alles nur ein Transportproblem.«, rede ich mir anfangs ein. »Morgen überfalle ich eine Bank und kaufe mir von Beute ein Auto. Dann bin ich mobil. Und endlich bei den richtigen Menschen.«
»Wird aber nicht klappen.«, fällt mir dann auf. »Für einen Banküberfall ist ein Fluchtfahrzeug einfach unerläßlich.«
Ich heule ein bisschen Verzweiflung in die trockene Heizungsluft des polizeilichen Flurs, überzeuge mich dabei endgültig mit: »No way out.« und rufe schließlich den Bullen meine Fügung in ein benachteiligtes, unmotorisiertes Schicksal zu: »Wo kann ich alles Mögliche gestehen? Ich möchte für ganz hier bleiben.«

;)

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Rundschlag

25. November
Das sind wir halt so gewöhnt!


Heute träume ich alb und trete dabei unabsichtlich in einen dieser satten Hundehaufen, die in letzter Zeit so zahlreich unsere Bürgersteige verunreinigen und frage mich, wieso eigentlich in einem Land, in dem jeder ständig Anstoß nimmt, noch niemand diese Nische nachhaltiger, unnötiger Ressourcenvernichtung anstoßnehmend besetzt hat. Es gibt noch viel zu tun.
Da es aber in diesem Land auf Fragen dieser Machart eh keine Antwort geben kann, säubere ich mich grollend provisorisch mit dem ordentlich kurzgeschnittenen Gras vom Wegesrand, jedoch, der frische Geruch nach alter Scheiße bleibt auf den stumpfen Schleimhäuten meiner belasteten Nase liegen.
Ich folge dieser dumpfen Molekülspur, biege um die maroden Überreste eines ungenutzten Abenteuerspielplatzes, steige über umgestürzte Mülltonnen, krieche durch das ausgeräumte Innere einiger unsachgemäß gelagerter Autowracks, pflüge den wässrigen Morast eines zweckentfremdeten Abzuggrabens und stoße, hinter wildwachsendem und deshalb wertvollem Gestrüpp auf Gerhard, unseren medial überschätzten Kreisvorsitzenden sowie Helmut, unseren örtlichen Gendefekt mit dem ungerichteten Rechtfertigungszwang.
Ein vager Anflug eines noch vageren Gefühls, also so was wie ein unentschlossener Eindruck hält mich in der ebenso vagen Deckung eines herbstlich kahlen Gesträuchs, ich komme mir unerwünscht und störend vor, also wie ein normaler Bürger im Angesicht des Staates.
Die beiden streiten nicht um des Kaisers Bart, sie vergleichen, ruhig und sachlich, ihre jeweiligen Verstöße gegen unsere arg gerupfte Verfassung, die noch nicht mal so genannt werden darf, sondern sich mit einem wenig begeisternden Grundgesetz bescheiden muß. Helmut führt aus: »Nicht nur, dass ich mir meine Hausmacht mit Schwarzgeld zusammengekauft habe, ich habe auch noch dafür gesorgt, dass das noch nicht mal bestraft werden kann.«
»Und ich, ...«, mault Gerhard dagegen: »... ich habe Gesetze gemacht, die bei den Betroffenen Not & Elend, bei den zuständigen Richtern erst Lachkrämpfe und dann juristische Ohrfeigen hervorriefen.«
Helmut bläst: »Was soll da schon besonders dran sein, das haben wir euch ja erst beigebracht.«
Die Beiden schlagen sich gegenseitig bestätigend und lachend auf die Schultern und skandieren im Chor: »Ist halt in schlechter Verfassung, die Verfassung!«
Ich schreie meine Enttäuschung aus dem Gebüsch: »Wenn ich euch so ansehe, weiß ich, warum es mit der Menschheit soweit kommen konnte!« und laufe dann schnell vor dem fälligen Entzug meiner Bürgerrechte davon.
In meiner Hast übersehe ich den zuführenden Kanal unseres Klärwerks und klatsche in eine Melange aus schaumigen Nachgeburten verfehlter Geschichtsbewältigung, ausgekühlten Körpern ehemals wehrloser Schulpflichtiger, braunen Fladen unverdauter Hoffnungslosigkeit und seichwarmer, erbarmungsloser Vorteilnahme. Mein Mund füllt sich schnell mit dem seifigen Geschmack frisch gehäuteter, verfetteter Oberschenkel, ich spuke vergeblich aus, aber jeder Atemzug bringt Ekelerregung mit, überall ist Übelkeit und Unbehagen.
Oben, an einem für unsere modernen Verhältnisse überaus sauberen Kanalrand, kommen Gerhard und Helmut aus mäßig schnellem Lauf rechtzeitig zum ordentlichen Halten.
»Das haste nun davon!«, lästert Gerhard und tritt spielerisch nach meinem Kopf.
»Wer sich mit Dreck abgibt, kommt leicht darin um.«, steuert Helmut bei.
Gerhard findet: »Hätte er deine geistig-moralische Wende vollzogen, als noch Gelegenheit dazu war, tja, dann.«
»Was dann?«, regt sich Helmut auf, schließlich beherrscht er das allgemeine Machtspiel.
»Dann würde er,...«, beruhigt Gerhard: »...nicht unbedingt bis zum Hals in der Scheiße stecken. Ich mein‘s ja nur gut mit ihm.«
»Hab‘ ich ja auch immer getan.«
»Und dafür wir haben uns öffentlich bestürzt.«
»Sogar entrüstet.«
»Hat‘s geholfen?«
»Oder hat‘s uns Jemand gedankt?«
»Nein!«
Die ganze Scheiße schwappt über meinem wunden Haupt zusammen, ich erhalte ein gerüttelt Maul voll, wache auf und bin immer noch hier.

;)

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Vorbereitungen

29. November
Nichts Neues unter den Himmeln zu vermelden!
Aber keine Regel ist wirklich ohne Ausnahme.


Heute fallen Angel von der nachlässig montierten Weihnachtsbeleuchtung und verstärken das Verkehrschaos am Boden nicht unerheblich, da auch noch die Medien zurückrudernd dazwischen fahren.
Wir alle treiben in Hektik durch einen zähen Brei aus abgegriffenen Weihnachtsliedern, billig süßen Glühweindünsten und den brandigen Hinterlassenschaften, die der Spruch Trautes Heim - Glück allein! auf unschuldigem Holz verursacht.
Es ist Weihnachtsmarktzeit und die Parkplätze werden knapp. Mein neues Auto steht nutzlos zu Hause und ich bin hinter den erbarmungswürdigen Status eines Benutzers öffentlicher Verkehrsmittel zurückgefallen, meine Monatskarte ist längst abgelaufen, die Raten drücken mich schwer und ich will aus gutem Grund nicht Schwarzfahren, mein einzig deutliches Talent liegt im steten Erwischtwerden.
Zu allem Überfluß bin ich auf der Suche und finde nur verlorene Zeit. Die Lieben, also die, denen meine ungestört soziale Existenz anhängt, wollen beschenkt werden, haben erst zart Wünsche angedeutet und dann weniger sanft, bis schließlich, im übertragenen Sinne natürlich nur, die Forderungen klar und unmissverständlich auf meinem unbezahlten Küchentisch lagen. Die Ansprüche stammen vorwiegend aus dem technisch-kommunikativen Bereich, nach den Festtagen wird niemand mehr wirklich alleine sein können.
»Was soll‘s?«, rede ich mir ein und besorge einen Armvoll Elektronikschrott mit garantierter Haltbarkeit bis Jahresende. »Haben Sie auch genug Batterien?«, höre ich von noch hinten, dann bin ich wieder draußen und mitten in dieser seltsamen Atmosphäre, die dauernd Weihnachten ruft und Karneval meint, nur die Verkleidungen sind uniformer, ausschließlich rote Weihnachtsmützen, mit oder ohne Blinklicht.
Von links fällt mich ein Rudel amerikanischer Rentiere mit rot illuminierten Nasen an, im Global Village verflachen die Bräuche bis auf das ununterscheidbare Niveau des kleinsten, gemeinsamen Nenners. Die Rens erweisen sich als unschuldig, hinter ihnen steckt ein trunkener Kegelklub aus den rechtsrheinischen Provinzen. Wir stoßen unsere Pappbecher lautlos an und dann flüchte ich die festliche Budenstrasse der Kunst– und Handwerker.
Das Angebot zeigt die Beliebigkeit eines ganzjährig üblichen Marktes, die Bezüge zum bevorstehenden Fest äußern sich in besonders frech angehobenen Preisen. Die Menge hinter mir schiebt und so bleibt mir eine genauere Untersuchung erspart, ein Gyrosstand sortiert uns neu und wir ordern dort Döner.
Weihnachten ist ein Fest der Freude! lese ich auf einer Anzeige für Dessous und ich kaufe begeistert mehrere BH‘s und Stringtangas in den unterschiedlichsten Größen, mit etwas oder auch etwas mehr Glück werde ich bis zum Fest die zugehörige Frau finden, oder darf‘s auch ein Mann sein, der in die Sachen passt und sie tragen möchte, Hauptsache nicht alleine, Heilig Abend ist der Selbstrichtungsabend unter den Einsamen.
»Jetzt könnte es einen hellgelben Schlag tun und Silvester sein.«, bekomme ich im Eingangsbereich zu unserem Bistro mit und ich schließe mich still diesem frommen Wunsch an.
Alfred poliert Gläser und malt dabei Helmut, unserem örtlichen Gendefekt mit dem Geschmack sauer gewordener Sahne, seine nähere, berufliche Zukunft aus: »Ich schmeiß‘ die ganze Sache hin, gleich im neuen Jahr, und mache erst mal garnix.«
»Und dann?«, fragt Helmut besserwisserisch zurück.
»Wann dann?«
»Na, nach dem erst mal garnix.«, klärt Helmut und ich denke: »Es ist ja wirklich nicht so, dass er nicht gekonnt hätte, er hat nur immer nicht gewollt und das auch noch aus niedrigen Beweggründen.« Laut bestelle ich: »Gib mir mal ‘nen Windbeutel und ‘n Bier.«
Alfred serviert gewohnt schnell und unauffällig und ich drücke die kräftige Sahne des Windbeutels auf Helmuts breiter Stirn aus. »Hab‘ das Zeug eh nie recht verstanden.«
Die anderen Gäste spenden reichlich Beifall, Helmut wischt sich fingerweis die Sahne vom Haupt und leckt sich jedesmal restlos sauber, ich spendiere ihm die zugehörige Brandteighülle und Irgendjemand sagt ganz leise und feierlich: »Vielleicht wird‘s ja doch noch ein richtiges Fest.«

;)

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Deus ex Machina

2. Dezember
Laut neuester Umfrage ist fast die Hälfte unserer Mitbürger dafür, dass Rindfleisch gesetzlich verboten wird. Sie wollen endlich ohne eigenes Zutun vor sich geschützt werden.


Heute fallen wir zum Frühstück übereinander her, haben ungeschützten Sex und leisten damit einen verspäteten Beitrag zum Welt-Aids-Tag.
Dann denke ich mir unlustige Nicknames aus und verteile anonym abgegriffene SMS an zufällig bekannte Promihandys und komme mir dabei ganz modern vor, schließlich bin ich hyperaktiv und verantwortungslos zugleich.
Wir fallen noch mal übereinander her, denn wie heißt es so richtig: Gebet reichlich und es wir euch reichlich vergolten werden, weinen dann ein Wenig um unsere unvorsichtigen Freunde und Bekannten und fühlen uns schon viel besser, denn: »Da muss man doch was tun!«
Unten auf der Straße fordern Demonstranten, die sich ausschließlich aus der schweigenden Mehrheit rekrutieren und somit prinzipiell unverdächtig sind, ein staatliches Verbot der Herstellung von Rindfleisch. Ich mische mich ein, frage: »Warum werdet ihr nicht einfach Vegetarier? Und geht so dem ganzen Mist eigenständig und freien Willens aus dem Weg?«
»Ja, darf man das überhaupt?«, werde ich von allen Seiten bestürmt. Dann kommt noch das beliebte »Da muss man doch was tun!« und ich kehre zu unserer Gedächtnisveranstaltung zurück und wir steigern das Risiko einer möglichen Ansteckung mittels solch gewisser Verkehrsarten, dass dem Papst das Wort Widernatürlich nur noch so durch die altersschwachen Gehörgänge hallt. Beim anschließenden Heulen gedenken wir auch zukünftiger CJK-Fälle, die erst durch die Anwendung individueller Freiheit entstanden sind und Jemand überlegt laut: »Vielleicht ist Demokratie dann doch nicht so gut für uns geeignet?«
Ich fahre hoch und demjenigen über den Mund: »Jeder Freiheitskampf fordert seine Opfer. Nur wir glauben an die anstrengungslose Empfängnis.«
Ich verlasse den Raum, mit solchen Menschen will ich nichts zu tun haben und außerdem kriege ich eh keinen mehr hoch, würde mich also bei der nächsten Runde so blamieren, dass selbst mitleidige Hinweise Dritter auf altersbedingte Einschränkungen kränkend meine Seele schürfen würden.
Ich treffe die Demonstranten von vorhin an einem Bratwurststand wieder, wo sie sich glaubhaft versichern, dass die Bezeichnung Rindswurst mehr von der steifen Pelle und weniger vom zugehörigen Tier hergeleitet wurde. Wir alle essen mit Appetit, das frische Fett wirkt und ich überrede das Grüppchen zu einer spontanen Aids-Gedächtnisveranstal¬tung im Schatten eines der in den letzten Jahren so sprunghaft vermehrten katholischen Kindergärten.
Kurze Zeit später wischen wir uns gegenseitig die diversen Körpersäfte mit hauchzarten Papiertaschentüchern ab und gehen, Frei zu sein, bedarf es Wenig, und selbst das ist uns meist zu viel!, beschämt unserer Wege und uns in den nächsten Tagen sicherlich aus dem Weg.
Ich aber fühle mich jetzt endgültig ausgelaugt und suche Entspannung in den Darbietungen eines fliegenden Händlers: »Muss das wirklich sein, meine Damen und Herren, ja, darf das denn heute noch sein? Die Tochter entehrt, der Vater im seinem Blute und die Mutter in einer Diätklinik? Und die Nachbarn zerreißen sich die ungewaschenen Mäuler? Und das alles nur aus falscher Sparsamkeit? Können Sie...« Der mittelalte Händler mit dem gemütlichen Kinnbart nimmt eine gleichaltrige Frau in seine Visierlinie. »..., gnädige Frau, können Sie sich das leisten?« Die Frau flüchtet aus der ersten Reihe in den Hintergrund und legt mich für die Bemühungen des Verkäufers frei. »Oder Sie, mein Herr? Wollen Sie nicht auch dazugehören? Zu den Schönen, Reichen, Erfolgreichen?« Die vorangegangen Aktivitäten haben mich doch ein Wenig geschwächt und so bleibe ich müde und wortlos stehen.
»Na also. Da haben wir es doch.«, triumphiert der Mann hinter dem Verkaufstisch, ich würde ihm sicherlich keinen Gebrauchtwagen abkaufen, aber kleinere Investitionen?
»Sie würden schon wollen, haben aber nicht gewusst, wie das geht. Und deshalb bin ich heute morgen in einem durchwanzten, billigen Hotelbett aufgewacht, habe in der Gesellschaft unsympathischer Menschen ein durchgeweichtes, kontinentales Brötchen runtergewürgt und bringe Ihnen hier und jetzt die Lösung aller Ihrer derzeitigen und zukünftigen Probleme: Adam!« Wir blicken uns verwirrt um, der Verkaufstisch ist bis auf eine abgestoßene Blechkasse leer, nirgends Ware, geschweige denn eine Ware namens Adam.
Der Händler gibt unserer Verwirrung schweigend Auslauf, dann lenkt er uns unvermittelt am geistigen Zügel ein: »Das ist Adam!« Er zeigt auf einen unauffälligen, jungen Mann neben sich, der dort die ganze Zeit gestanden haben dürfte. »Adam! Er erste Roboter mit menschlichem Aussehen. Letztes Jahr noch im Körper eines Hundes, dieses Weihnachtsgeschäft ein junger Mann, eine Freude zukünftiger Schwiegermütter, ein unverfänglicher Spielkamerad heranwachsender Töchter und ein treuer Bewunderer des Herrn in der krisenhaften Mitte seines Lebens. Adam hört zu, gibt keine Widerworte, macht, was man ihm sagt, denkt nicht lang nach und ist auch sonst einfach handzuhaben und pflegeleicht. Jeder anständige Haushalt braucht einen Adam.«
»Und was kann er sonst noch?« Ich habe mich erholt und schon beinahe wieder meinen üblich sozialen Schärfegrad erreicht.
»Reicht das etwa nicht?«
»Ich seh‘ da keinen Markt für. Von dieser Sorte Ignoranten gibt’s hier eh schon genug.«

;)

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Die Verwandlung

6. Dezember
Auch Gestalten der liebenswerten mündlichen Überlieferung sind nicht unbedingt von den Härten des modernen Lebens ausgenommen.


Heute fällt mir, sofort nach dem Erwachen aus einem, tiefen und, sprichwörtlich, traumlosen Schlaf eine taube Stelle gleich unter dem linken Ellenbogen auf der Unterseite des Unterarmes auf.
Die Stelle liegt genau dort, wo sich Tischkante und Arm treffen, wenn man sich ungezogen, aber effizient aufstützend, über den Tisch lehnt und so die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Und der Abend vorher war ein solcher Abend.
Ich messe also der Erscheinung wenig bis gar keine Aufmerksamkeit zu, spiele nur sparsam mit dem welken Fleisch, zupfe empfindungslos hier und da, kerbe mit dem scharfen Rand eines eingerissenen Fingernagels dauerhaft, aber schmerzfrei die Haut und wende mich dann den Ereignissen unten auf der Strasse zu.
Dort formieren sich mehrere, rotgekleidete Blöcke zu einer spontanen Rauferei größeren Ausmaßes. Ich erkenne die smarten Jungs von der Hardcore-Schwulenvereinigung , die sich gemeinsam mit den flotten Vätern von Kampflesbenbund links aufstellen, weiter zur Mitte stehen, verunsichert, die Studenten der nahen technischen Universität, noch weiter zur Mitte, also mittig der Mitte, finden sich die öffentlichen Angestellten, die eigentlich nur ein feiles Zubrot gesucht haben, dahinter, vornehm Zurückhaltung gebend, endlich die Beamten.
Die ganze Aufstellung zentriert sich auf die Nikoläuse gegenüber, lauter mir unbekannte Gesichter, was bei unseren beengten Verhältnissen nur bedeuten kann, dass es sich um Fremde handelt.
Die beiden Lager beginnen Schlachtrufe zu skandieren, allerseits kommt es deutsch, wenn auch von der fremden Seite deutlich ostdeutsch.
»Da müssen diese notleidenden Wandernikoläuse aus den neuen Bundesländern sein.«, stelle ich für mich fest und versuche dann die beidseitigen Schlachtgesänge ins Verständliche zu überführen.
»Wir sind...«, kommt es von der einen Seite.
»...das...«, antwortet der Gegenpart.
»...Volk!«, schließt sich der Kreis, nur um sofort von der Gegenseite mit »Wir sind...« neu eröffnet zu werden und, diesmal mit vertauschten Rollen: »...das...«, in sich selbst zu finden: »...Volk!«
»Dann sind wir uns doch mal wieder einig.«, freue ich mich und wundere mich trotzdem nicht, dass in diesem Moment unten die zu erwartende Keilerei losgeht.
Die Staatsmacht greift irgendwann trennend ein, verbeult dabei großzügig Köpfe sowie Glieder und beweist stringent den Grundsatz: Vor dem Gesetz sind alle Bürger gleich.
Da ich diesen Teil unserer Gesellschaft schon länger kenne, wende ich mich meinen persönlichen Befindlichkeiten zu und stelle fest, dass die taube Stelle unterhalb des linken Ellenbogens ein Pendant in der rechten Kniekehle gefunden hat. Ich vergleiche den Grad der beidseitigen Empfindungsverlustes und schätze ihn als nicht vernachlässigbar ein.
»Vielleicht sollte ich doch zum Arzt gehen.«, überlege ich laut, dann aber sehe ich Andreas leidendes Antlitz und ich dämpfe die Kosten im Gesundheitswesen, indem ich eine Anwendung einer Mischung aus Johanniskrautöl und Massagebürste beginne – es muss schließlich nicht immer diese kalte Apparatemedizin sein.
Meine mir innewohnende Ausdauer bringt eine vollständige Gefühllosigkeit der Rechten ein, was in der prüfenden Linken sicherlich reichlich Schadenfreude hervorrufen müsste, wenn sie, Erstens sich frei äußern könnte und Zweitens nicht schon nach einer wirklich kurzen Zeitspanne der Rechten in das empfindungslose Nichts folgen würde.
So den Mitteilungen meiner randläufigen Gliedern beraubt, konzentriere ich mich auf die näheren Körperpartien und teste sie durch regelmäßiges Anstoßnehmen an diversen Ecken und Kanten meines Mobiliars.
Auch hier verliere ich zunehmend die Empfindungsfähigkeit, verstumpfe und ertaube flächig, um nicht zu sagen – großflächig.
Ich schütte mir den Rest des Johanniskrautöls mit den ungeschickten Händen über den Kopf und verteile es drehtanzend möglichst gleichmäßig über meine tauben Außenseiten.
Die wachsende Körper-Taubheit gibt im Hirn Empfindungszentren frei, die sofort durch agil vorpreschende Vorstellungen besetzt werden.
»Ich bin Ich.«, kommt da vor, und: »Wo ich bin, ist die Mitte.«, dann: »Ich bin wichtig!«, schließlich, vielleicht unzulässig verkürzt, aber angenehmst: »ICH!«
»Ob das auch vom Rindfleisch kommt?«, frage ich mich in einem letzten, lichten Moment, bevor ICH nach unten auf die Strasse stürme, ganzkörperrot von Johanniskraut und Aufregung, die Führung der demoralisierten Nikoläuse übernehme und auch selbstverständlich übernehmen darf, mich an die gefährdete Spitze stelle und schließlich mit dem Schlachtruf: »Dies Fest ist mein Fest!« gegen Alles und Jeden vorstürme.

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Schulbedarfsersatzbehandlungsstrategie

9. Dezember
Manche Aussagen bleiben einfach schwer verständlich.
Und dafür gibt es dann auch immer einen guten Grund.


Heute darf ich den offiziellen Verlautbarungen entnehmen, dass mal wieder eine ausreichende Mehrheit nicht zu finden sei.
Da mir dieser hölzerne Satz in der jüngsten und sicherlich nicht bewältigten Vergangenheit immer öfter unterkommt und mich dabei äußerst undemokratisch irritiert, begebe ich mich in die Lobby unseres örtlichen Parlaments, mische mich unter die pausierenden Abgeordneten und versuche eine private Meinungsumfrage.
»Was...«, frage ich einen dieser häufig hier anzutreffenden, alten Herren, der gerade herzhaft in ein dick geschmiertes Butterbrot beisst: »...was hindert Sie eigentlich, den Kindern die notwendige Bettruhe zu gewähren, so wie es die Wissenschaftler vorschlagen?«
Der Mann kaut bedächtig und vermutlich im Geist mitzählend , bevor er seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf mich umleitet: »Ja, ja, schlimme Sache mit den Rindern und den Wissenschaftlern. Aber jetzt haben wir ja ein Gesetz dagegen gemacht und dann wird das man bald gut werden.«
»Ich meinte die Schulkinder.«, erhebe ich meinen Stimme zur anscheinend schwerhörigen Legislative: »Dass die später anfangen. Und so besser schlafen können.«
»Ach die.«, versteht der Alte. »Uns hat das frühe Aufstehen nicht geschadet, dann wird das denen auch nicht schaden. Sollen einfach um sechs ins Bett. Und vor allem alleine.«
Ich suche mir schnell eine andere Person zur Befragung und wähle eine mütterlich wirkende Frau in den aktiv mittleren Jahren aus.
»Was halten Sie von der Idee, dass die Schule später anfangen soll? Wegen der Kinder?«
»Bitte?«
»Kinder. Schule.«, ja hören die denn hier alle schlecht, frage ich mich: »Später. Schlafen. Besser!«
»Sie sollten nicht so nuscheln, wenn Sie mit anderen Leuten reden. Sie werden dann sicher besser verstanden werden.« Die Dame wendet sich von mir ab.
»Und was ist mit den Kindern?«
»Wir haben keine Kinder.« und dann ist sie in der Schlange vor der Cafeteria untergetaucht.
Grade kommt eine elegante Business-Frau im gut sitzenden Schneiderkostüm vorbei und ich spreche sie schnell an: »Was halten Sie von einem späteren Schulanfang?«
»Also persönlich schlafe ich auch gerne aus. Aber im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit vertrete ich den entschiedenen Standpunkt, dass die zukünftigen Beschäftigten nicht früh genug auf das Arbeitsleben und die Erfordernisse unseres Standorts vorbereitet werden können.«
»Oh.«, entschuldige ich mich: »Ich wusste nicht, dass Sie als Lobbyistin hier sind.«
»Was haben Sie denn von mir gedacht?«, rauscht sie beleidigt ab.
Ich versuche es also bei einem Mann, vielleicht ist das doch einfacher handhabbar: »Wie stehen Sie zur Frage des späteren Schulbeginns?«
»Das muss gesamtwirtschaftlich Sinn machen und sich rechnen. Zum Beispiel, ein Bekannter von mir betriebt Tennishallen. Wenn jetzt die Lehrer am Nachmittag arbeiten müssten, würde mein Bekannter vermutlich Gewinneinbusen erleiden und mir die Beiratsbezüge kürzen müssen. Und ich könnte weniger konsumieren und alle würden unter einer nachhaltigen Rezession leiden. Da sollen die Bälger doch lieber früher aufstehen. Und außerdem habe ich ganz andere Sorgen. Ich komme grade von einer Überprüfung meines Gehörs und ich höre schlecht. Und nun stellen sich mir Fragen von wirklicher Bedeutung: Gibt es Hörgeräte in den üblichen Anzugfarben? Und, wann wird mein Leiden als Berufskrankheit anerkannt. Und, zahlt dann die Berufsgenossenschaft ausnahmsweise mal rückwirkend. Oder, sind die notwendigen Akkus auf Rezept? Das, mein Lieber, das sind die Fragen, die die Bürger wirklich bewegen, und nicht dieser esoterische Scheiß, mit dem sich irre Wissenschaftler mal wieder wichtig machen wollten. Wir sollten denen einfach die Zuschüsse kürzen, dann wäre endlich Ruhe.« Der Mann lässt mich im Echo seiner im Verlauf immer lauter vorgetragenen Rede stehen.
Ich schaue mich um und nahm wahr, dass sich der überwiegende Teil der Anwesenden mit seinen Ohren beschäftigen. Das Phänomen parlamentarischer Schwerhörigkeit scheint auf einer soliden, organischen Grundlage zu beruhen.
Ich schleiche mich in den haustechnischen Steuerraum der Lobby, tausche die laufende CD voller eindrucksfreier Hintergrund-Muzak gegen Grönemeyers Kinder an die Macht!, drehe die Lautstärkeregler bis zum oberen Anschlag und gehe meiner Wege, wohin sie mich auch immer führen mögen.

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Killing Fields Europe

16. Dezember
Große Fragen erfordern triviale Antworten.
Oder umgekehrt?


Heute, bei einem frühen, selbsttätigen Erwachen, weiß ich fest und sicher, dass wir endlich den Tag haben, an dem wir straffrei ganz wir selbst sein dürfen, schließlich haben wir Advent und wo würde ein solcher Tag schon besser dazwischen passen, als in diesen engen Jahresendtrichter, durch den wir hektisch unsere ganzjährig begangenen Versäumnisse pressen.
Ich erinnere mich beim Aufstehen an die Regelkunde, die in meinen frühen Jahren regelmäßig von meiner Mutter abgehalten wurde und meinem persönlichen Fortkommen hätte dienlich sein sollen.
Vor dem Spiegel im Bad übe ich selten angewandte Gesichtssituationen ein, gebe mir den ungewohnten Ausdruck von Mitgefühl oder Teilnahme, von Ehrlichkeit oder Offenheit. Das alles fällt mir nicht leicht, aber ich bin lernfähig.
Nach einem geräuschlosen Frühstück wasche ich ab und staple das Geschirr an dem dafür vorgesehenen Platz, bereits an kleinen Dingen erweist sich die Qualität des Kerns, der in uns stecken soll.
Ich gehe nach draußen, grüße unterwegs freundlich meine Nachbarin, die mit dem unsittlichen Gewerbe, warte geduldig, bis sich der plötzliche Kinderpulk auf der Treppe von selbst auflöst und billige einer automobilen Oberklasse, grollfrei, das Wegerecht zur Querung meines Gehsteigs zu. Der Fahrer hält und lädt mich ein, er würde eh grade dort hin müssen, wo ich hin müsste, wo ich denn hin müsste? Bei so viel freiwilligem Entgegenkommen muss das Angebot angenommen werden und ich beschließe ein Ziel mitten in unserem kleinen Ort, das Straffrei-ganz-ich-zu-sein will verdient werden.
Unterwegs stoßen wir allenthalben auf Beispiele reibungslosen Zusammenlebens, überall werden Kinderwagen in Busse gehoben und wieder heraus, Jeder lässt Jedem einen Vortritt, Warteschlangen formieren sich locker und unverkrampft, unser üblicher Wettbewerbsgeist scheint sich auf ein menschlich erträgliches Maß reduziert zu haben.
Ich steige bei der Bürgermeisterei aus, bewundere das Schild mit den neuen, verlängerten Öffnungszeiten und tiefergelegten, bürgerfreundlichen Eingang und denke mir grade so: »Hat ja schon was, dieser Tag, an dem wir straffrei ganz wir selbst sein dürfen.«, als mich ein kleines, billig gekleidetes ********* mit einem schwarzen Sturzhelm auf dem vermutlich ungewaschenen, verlausten Kopf anrempelt. Ich fixiere ihn frontal, aber die fällige Entschuldigung bleibt aus.
Also hole ich die vorsichtshalber mitgeführte 45er aus dem Schulterhalfter und knalle den Kerl ab, drei Schüsse, linkes Knie zuerst, er reißt erstaunt die Augen im Schlitz seines Integralhelms auf, dann in das rechte Knie, er sackt zu dem Haufen Abfall zusammen, der er wirklich ist, und zuletzt in das offene Visier und mitten in diesen dümmlichen Ausdruck, der sich immer einstellt, wenn diese Idioten endlich begreifen, dass ihr kleines Spiel final gestoppt wurde.
»Hat was, dieser Tag, an dem straffrei ganz wir selbst sein dürfen.«, nicke ich mir im Rahmen eines Selbstgesprächs zu und wechsle, sichernd, die Straßenseite, gewinne schnell an Geschwindigkeit und Höhe, haste von Hauseingang zu Hofeinfahrt und treffe einen gesellschaftlichen Konkurrenten, und zwar quer durch den Hinterkopf.
»Kill, kill, kill!«, höre ich es von allen Seiten brüllen und schieße mir den Weg in unser Bistro frei.
Alfred, unser vielfach genutztes Talent, nimmt auch schnell seine Pumpgun runter, sofort, nachdem er das schwarze Loch in meiner mattschwarzen 45er erkannt hat: »Komm ruhig rein. Hier sind nur Freunde.«
Ich stelle mich zu den Anderen an die Theke und wir reden über den bisherigen Verlauf dieses Tages.
»Hat schon was, dieser Tag.«, wiederhole ich die Erkenntnis, die mich auf den Stufen der Bürgermeisterei so plötzlich überkam.
»Aber ja.«, grinst mein Nachbar und zeigt eine tropfende Aldi-Tüte vor: »Habe schon beim Morgengrauen die Chancen dieses besonderen Tages und alte Rechnungen endgültig geschlossen.« Er greift in die Tüte und zieht ein erschrecktes, körperloses Haupt hervor: »Bevor es Jemand anderes tut.«
»Schnelligkeit und Entschlossenheit. Das sind die Eigenschaften, die ein moderner Mensch halt haben muss.«
»Genau«, brülle ich und werfe eine Handgranate aus balkanischen Restbeständen zwischen die restlichen Gäste.
Alfred wischt das Gekröse von der Theke und ich philosophiere sabbernd vor mich hin: »Es sind immer die anderen, die uns am Gutsein hindern? Nicht wahr?«

;)

crossfire
 

So streng sind hier die Bräuche!

20. Dezember
Wie jung sie noch ist, unsere Demokratie.
Vermutlich kommt sie deshalb auch so infantil daher.

Heute verlautbart Wolfgang, ein ehemaliger, aber jetzt voll integrierter Rechtler aller Sparten, dass das Kokainproblem des Parlaments gelöst sei, und zwar durch erstmalige Erteilung eines Hausverbots für die fraglichen Journalisten. Wolfgang köpft, ganz undemokratischen Traditionen verhaftet, vorbeugend die Boten.
Ich lasse ihm das nicht durchgehen und schreibe eine dermaßen ätzende Satire, die die Republik erschüttern würde, fände sie je den Weg in die Öffentlichkeit. Da aber die Bahnsteigkarten vorsorglich unter früheren Regierungen abgeschafft worden sind, findet mein Pamphlet keine passende Plattform und muss leider draußen bleiben.
Nur Wolfgang, der mit politischen Witzen als Ausdruck heimtückischen Humors und in der Verfolgung aufgewachsen ist, versteht sofort alle versteckten Andeutungen, wandelt sich schlagartig vom Paulus zum Saulus und verfolgt seinerseits. Ich erhalte ebenfalls Hausverbot.
Wieder verlautbart Wolfi, dass das Kokainproblem jetzt sicherlich und endgültig gelöst sei.
Ich opfere 20 % meines Resthaarbestandes und erweise mich als absolut clean.
Mein Testergebnis dringt im Rahmen der turnusmäßigen Bekanntmachung in den Fokus eines vorübergehend unbeschäftigten öffentlichen Bewusstseins vor und sorgt dort gehörig für Verwirrung.
Binnen Minuten werde ich über mein Handy mehrfach geortet und blitzinterviewt.
»Ich bin schuld!«, gebe ich heimtückisch zu Protokoll, und meine Rechung geht voll auf, der Schnee-Ball postwendend an Wolfi zurück und die interessierte Öffentlichkeit in Lauerhaltung.
Wolfi und sein Adjutant nehmen einige Leckproben auf den parlamentarischen Abtritten und kehren, eindeutig seltsam beschwingt, in Wolferls Büro zurück. »Das Zeug ist immer noch da.«, stellt der Adjutant fest, der seine Freizeit aus karrieristischen Gründen im Dunstkreis wirklich Prominenter verbringen muss. Wolferl tanzt derweilen den Junkie-Doddle und stimmt so nonverbal zu.
Nachdem dann die erste Rauschwelle abgeklungen ist, geht Wolfgang zum großflächigen Denken über und erteilt allem und jedem im Umkreis dreier Bannmeilen Hausverbot, wohlgemerkt für die jeweils eigene Behausung, und schafft somit eine neue Kaste eifriger Wandersleut. Der BGS setzt diese nicht unbedingt populäre Maßnahme durch und bekleckert sich dabei mit reichlich Ruhm.
Die ausländischen Fernsehanstalten verbreiten diese neue Vertreibung global und live, wobei sie der Bestürzung unserer professionellen Betroffenen das ihr zustehende Breitwandformat einräumen. »Unter den Vertriebenen sind Ausländer gesehen worden, es geht sogar das Gerücht, dass ein Mensch jüdischen Glaubens, aber deutscher Staatsangehörigkeit, jäh den koscheren Verheißungen seines Mittagsmahls entrissen worden sei. Ist es mal wieder soweit? Und wie konnte es dazu kommen?« Intelligente Kommentare in 75 Hauptsprachen nähern sich iterativ der Problematik an: »Ein Wolf bleibt ein Wolf, auch wenn er sich in der Wolle urdemokratisch gibt.«
Wolfi, der eigentlich einen neuen, entlastenden Durchgang durch die unverfänglichen Bedürfnisplätze für Frauen geplant hatte, erbost sich über diese Unterstellungen mehrfach, wozu er auch allen Grund hat, schließlich ist seine demokratische Gesinnung praktisch nagelneu, quasi noch mit Garantie, und von Wolle will er auch nichts verstehen, wozu gibt er denn Unsummen für das gewollte Styling seines Bartes aus.
»Ein schlagender Beweis muss her.«, mischt sich Gerhard autoritär ein und Helmut, der auf einem Gendefekt Sitzengebliebene, bietet sich schon mal vorsichtshalber an: »Also ich, ich hätte ja Zeit.«
Wolferl verbittet sich diese unerbetenen Einmischungen und schickt die Parlamentarier in einen Zwangsurlaub.
Allein, die Luft bleibt schneehaltig, und dass trotz Treibhauseffekt und Klimakatastrophe.
De Öffentlichkeit erreicht ungefähr zu diesem Zeitpunkt das absehbare Ende ihrer Aufmerksamkeitsspanne und wendet sich wieder den privaten Angelegenheiten von Babs und Boris zu.
Und so müssen wir uninformiert an der Tatsache vorbeigehen, dass der gesamte nördliche Teil der Republik standrechtlich südwärts vertrieben wird, was zur schlagartigen Überfremdung von Schweiz und Österreich führt und in der Folge wesentliche Errungenschaften unserer mitteleuropäischen Kultur unwiederbringlich verschwinden lässt, oder fangen Sie noch was mit Begriffen wie Emmentaler oder Melange an?
Wir Verbliebenen ziehen noch schnell ein Näschen hoch und wenden uns dann unserem Privatleben zu, oder eben dem, was wir dafür halten, oder was uns die Promis unfreiwillig davon preisgeben, Wolferl beschließt, sich zu Weihnachten einen Rasierapparat zu wünschen und das neue Jahr glattrasiert und unerkannt zu beginnen, Gerhard begnadigt populistisch rundum alles, was öffentlich gefordert wird, nur Helmut hat mal wieder alle möglichen Züge verpasst und muss mit dem vorlieb nehmen, was wir ihm übriggelassen haben.
»Wenn‘s denn schon zu keinem echten Kaiser reicht, bleibt immer noch ein Narr im Hof.«, ziehe ich mir die Zipfelmütze über die Augen und mache Nacht.

;)

crossfire
 
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noch einer.....- dann hast Du es geschafft.....
mein Drucker druckt, was das Zeug hergibt...:)

:umarmen: Danke für einige Stunden Lachen....
 
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