Das spirituelle Bedürfnis kann nicht ohne weiteres definiert werden, es äussert sich auf viele Weisen. Nach meiner Erfahrung nimmt es am häufigsten folgende Formen an:
- unbestimmte, scheinbar grundlose und diffuse Traurigkeit
- Sinnkrisen nach Erledigung einer grösseren Aufgabe (z.B. Abschluss des Studiums o.ä.), Gefühle des Scheiterns auch bei äusserem Erfolg
- Gefühl der inneren Leere (meist in der Magengegend zu fühlen)
- Stellen der klassischen Sinnfrage: "Alles vergeht, nichts bleibt. Was soll dieses Leben überhaupt sein? Was tun wir alle hier eigentlich die ganze Zeit über?"
- Probleme in einem stillen Raum alleine zu sein
- u.a.
Womöglich handelt es sich beim spirituellen Bedürfnis auch um ein Konglomerat von diversen Gefühlen, Eindrücken, Gedanken und Emotionen, aber sie haben eine nicht in Worte zu fassende gemeinsame Quelle.
Meine erschütternde Erfahrung ist es, dass so gut wie allen Menschen heutzutage der Zugang zu dieser Quelle völlig unbekannt ist. Sie wissen weder, worum es sich handelt, noch wissen sie, wie sie den Zugang freilegen könnten. Des weiteren ist das Thema ein grösseres Tabu, als in der Öffentlichkeit über Sex oder alles mögliche andere zu sprechen. Darüber spricht wirklich niemand. Und niemand gibt dir Anweisungen, was du zu tun hättest, um hier mehr Klarheit zu schaffen.
Als Beispiel nehme ich die Jesuiten (jesuiten.org), bei denen ich Mitte Februar an den Exerzitien-Online teilnehmen werde In der Nähe von Hamburg wurde ich schon von jemanden angesprochen, der mir von seiner Art des Bedüfnisses an Spiritualität erzählte und wie er dieses deckte. Viele Leute habe ich getroffen, die es suchten - fremde Leute. Die einen kifften, die anderen spritzten sich Heroin, die anderen tranken Alkohol. Wieder andere sahen wohl Spiritualität in Schlägereien. Es ist also etwas in den Leuten, die mit etwas nicht klar kommen. Und ich würde sogar sagen, das Leben eines Jeden baut auf dieser existenziellen Frage auf.
Es sind aber vorwiegend sensible Menschen, die das überhaupt wahrnehmen.
Was hier in diesem Forum verbreitet wird, ist das Allermeiste unter dieser Betrachtung nur leeres Gewäsch und genausowenig in der Lage, ebendieses Bedürfnis tatsächlich zu decken. Was hier von "spiritueller Entwicklung" geredet wird, ist zwar theoretisch oft nicht ganz falsch, praktisch aber völlig unbrauchbar und darum im Grunde sogar als herzlos zu bezeichnen. Die Diskussionen drehen sich mehr im Kreise, als dass sie bei dem einen oder andern in diesem Forum das genannte Bedürfnis zu stillen vermöchten. Leider scheinen wir alle in dieser Frage sozusagen komplette Analphabeten zu sein.
Da stimme ich Dir ohne Widerspruch zu.
So speist sich auch die folgende Frage aus ebendieser Erfahrung:
Liebe, Mitgefühl, Hilfe, Verständnis - wenn du das wirklich zu geben imstande bist, dann hast du schon sehr viel erreicht.
Das ich jetzt ein Meister der Liebe, des Verständnisses usw. bin, wollte ich nun nicht behaupten, bzw. dass ich imstande bin perfekt das wieder zu geben, was die Leute brauchen.
Es ist ein lebenslanger Prozess, diese Tugenden wirklich zu erlernen, und ich würde von mir sagen, dass ich beispielsweise was "Liebe" anbelangt, erst vor einem halben Jahr wirklich gelernt habe, was es heisst, ein offenes Herz zu besitzen. Ich war bis dahin schlicht nicht in der Lage dazu, mich mehr zu öffnen, ob ich es wollte oder nicht. Da musste erst ganz viel anderes bereinigt werden, bevor dann dieser Prozess passierte. Und es fühlte sich erst einmal an wie Sterben.
Es freut mich ungemein, zu hören, dass Du den Weg schon weit gegangen bist
Aber das ist nicht genug. Wenn du selbst das besitzt, dann ist das schön und gut und richtig, aber die Frage ist: Wie kannst du andere lehren oder ihnen helfen dabei, dieselben Tugenden zu entwickeln? Wie kannst du jemandem dabei helfen, sein Herz zu öffnen? Was sagst du, was tust du, was gibst du diesen Menschen zur Aufgabe, damit sie selbst die notwendigen Lektionen lernen, die ihnen den Zugang eröffnen?
Das wichtigste ist wohl Gemeinschaft pflegen. Jesus sagte: "Wenn zwei oder drei von euch versammelt sind, meinet Willen, dann werde ich mitten unter ihnen sein." Der Rest entwickelt sich dann von selbst. Alleine ist man nicht imstande sich zu stärken, sei im Glauben oder anderen Tugenden des Lebens. Das ist alles was ich tun muss. Das zu leben, was ich glaube. Wer nicht lebt, was er glaubt ist nur ein Theoretiker oder gar Heuchler.
Was mir fehlt, sind konkrete Hinweise im Stil von: Jetzt tust du das. Jetzt liest du jenen Text. Jetzt befolgst du das folgende Ritual. Oder irgendwas in der Art. Die Informatiker nennen sowas einen "Algorithmus".
Diese Art des Weitergebens werde ich bei den Jesuiten bzw Exerzitien lernen, das einen Monat lang die Beziehung zu Gott stärken soll. Wenn ich das gemacht habe, werde ich auch diese Frage beantworten können Ich hab über die Exerzitien von Christen nur Gutes gehört.
Ok, das ist schon konkreter formuliert, so etwas meinte ich oben, als ich von einem "Algorithmus" oder von einer "Anleitung" sprach.
Das ist natürlich etwas allgemein verfasst, aber zu mehr bin ich im Moment selbst nicht imstande, bis ich meine Beziehung zu Gott noch weiter gefestigt habe. (siehe oben)
Wenn ich dich richtig verstanden habe, schilderst du das Gebet als eine gedankliche Auseinandersetzung mit deinem Leben, deiner Situation usw. Diese Auseinandersetzung nimmt die Form einer Zwiesprache mit Gott/Christus an, in welcher du deine Anliegen formulierst und dann versuchst herauszufinden, welches die "richtige" Antwort auf das Anliegen ist. Dabei vertraust du darauf, dass Gott/Christus dich beim Finden der Antwort unterstützen.
Falls ich das falsch verstanden haben sollte, so musst du mich korrigieren. Es geht mir darum, exakt zu verstehen, was du tust, und wie du es tust.
Exakt. Ich versuche durch Jesus meinen Charakter zu formen. Jesus ist der Angelpunkt. Ich selbst bin der Meinung dass kein Angelpunkt innerhalb eines Menschen sein kann, der Objektivität vermitteln könnte. Doch ich hege nicht nur die Beziehung zu ihm, weil ich Anliegen an ihn habe, sondern auch um ihn zu loben, zu preisen und vorallem ihm zu danken. Man merkt, wie eine Wand nach und nach gebrochen wird.
Nun, das ist eine Form des Gebetes, welche ich im Rahmen meiner religiösen Erziehung durch Eltern, Kirche und Gesellschaft allgemein auch kennenlernte.
Diese Form des Gebetes hat den entscheidenden Vorteil, dass (vor allem das laut ausgesprochene oder gar niedergeschriebene) Anliegen einen zu innerer Klarheit und Aufrichtigkeit zwingt.
Sie hat den entscheidenden Nachteil, dass es ein fast vollständig im Verstande ablaufender Prozess ist. Alleine schon die ausschliesslich über die Sprache abluafende Angehensweise ist ein Indiz dafür.
In der Schrift (sorry, wenn ich schon wieder versuche zu zitieren, aber das bringt mein Verständnis davon genau auf den Punkt) steht, dass Jesus mich selbst dann versteht wenn ich stammele oder mich nicht ausdrücken kann, denn er sieht in mein Herz. Denn ich soll zu ihm kommen, wenn ich in Not bin. Ich muss nicht erst ruhig sein, um klar formulieren zu können. So vollzieht sich diese Beziehung nicht nur auf der Verstandesebene ab. Denn wie kann ich Jesus vertrauen, von Herzen, wenn ich nur gedanklich danke, bitte usw.
Nun ist es aber so, und Willigis Jäger schildert das im genannten Text sehr ausführlich, dass während hunderten Jahren das Gebet in erster Linie NICHT eine verstandesbetonte Auseinandersetzung mit Gott war, sondern unmittelbar die Einheit des Betenden und Gott herstellen wollte. Der Betende erlebt auf unmittelbare Weise die Anwesenheit Gottes, und im Extremfall geht er vollkommen in Gott auf.
Dazu muss der Betende aber Kenntnisse einer entsprechenden kontemplativen und nicht-gegenständlichen Gebetspraxis besitzen. Willigis Jäger schildert einige dieser Gebetspraktiken.
Ich denke, da kann ich beipflichten. Muss mich nach Herrn Jäger gleich mal auf die Suche machen. Die Gebetspraxis wird bereits einfach in der Bibel beschrieben. So wie ich sie beschrieben habe findet man sie dort. Unter anderem mit dem Satz, dass man zu Jesus kommen soll, gerade wenn man in Not ist, denn er kennt mein Leid.
Siehst du, hier mangelt es an Leuten. Und zwar ganz massiv. Heutige Pfärrer haben echt keine Ahnung, wovon ich oben gesprochen habe. Und wenn die es nicht wissen - wer denn sonst? "Mit Gott eins werden?" Was soll das sein? Was soll damit gemeint sein? Ist das etwa esoterisches Blabla? Nun, während hunderten von Jahren betrachtete man das eben wie gesagt nicht als esoterisches Blabla, sondern es war im Gegenteil Ziel und Grundlage jeder gelebten Religion. Jeder, der wollte, konnte selbst die Erfahrungen machen, er brauchte sich nur einen Geistlichen zu suchen, der ihm zeigen konnte, was er wie zu tun hatte.
Wilfried Pflock ist jetzt einer, den ich aus Vorträgen kenne und der sehr schön beten kann. Wie jetzt einzelne Pfarrer denken und handeln kann ich leider nicht beurteilen und möchte dies auch gar nicht.
Es ist inzwischen meine Ansicht, dass Menschen, die nicht ein Minimum an Erfahrung mit einer kontemplativen, nicht-gegenständlichen Gebetspraxis haben, ihre eigene Religion gar nicht verstehen können. Weil ihnen die ganz konkrete Erfahrung fehlt. Wenn Jesus sagt: "Ich und der Vater sind eins.", so gilt das eben für jeden Menschen/Christen, denn Jesus war ein Mensch. Und wenn das für jeden Menschen gilt, dann müsste auch jeder Mensch in der Lage sein, diese Erfahrung auch zu machen. Ich glaube nicht, dass Jesus hier einfach nur symbolisch etwas vor sich hinquasselt (vermutlich ist es eben auch symbolisch gemeint, aber nicht ausschliesslich), sondern Jesus hat hier etwas erlebt, und dieses Erleben ist es, welches ihm die Sicherheit gibt, so zu sprechen.
Jesus verwendete doch aber hier das Wort ICH. Er sagte nicht, ich und Ihr oder Ihr und der Vater sind/seid eins. Als er am Kreuz hing nahm er auch das Wort Abba, vor seinem Ableben. Abba ist eine ganz persönliche Anrede, sowie Papa. Er hatte, wie Du oben auch schon erkannt hast, ein sehr enges Verhältnis zu seinem Vater, also Gott. Dieses Persönlich-Sein mit Gott ist natürlich sehr stark bindend und belebt.
Ich selbst habe lange Zeit darunter gelitten, dass alle Christen um mich herum so offensichtlich einfach irgendwas glaubten. Ich begriff nie, warum sie irgendeiner Überzeugung anhingen. Da waren offensichtlich viele Widersprüchlichkeiten in der Bibel, und wenn nicht dort, so war die Bibel in vielen Punkten widersprüchlich zu meiner Alltagserfahrung.
Bis ich zu meditieren begonnen habe. Da merkte ich, dass, was dort in der Bibel (v.a. im NT) geschildert ist, das meiste auf konkretem, unmittelbarem Erleben basiert, und nicht auf Überzeugung. Gleichzeitig aber fehlt den heutigen Christen fast vollständig dieses Erleben, es sind nur Ausnahmefälle wie Willigis Jäger, der offensichtlich erlebt hat, wovon er spricht.
Genau fckw. Das Erleben ist es was im NT gezeigt wird. Die meisten der Apostel und Jünger sind für ihre Überzeugung gestorben in Form von Strafe. Das Erleben hat ihnen Glauben gegeben. Ja eigentlich konkretes Wissen.
Es handelt sich nicht um eine Überzeugung aus dem Verstande. Viele Christen müssen ihre Überzeugung mit Argumenten rechtfertigen, denn sie besitzen keine innere Sicherheit. Sie besitzen etwas entscheidendes nicht: Sie wissen nicht, was es heisst, eins zu sein mit Gott. Alles spielt sich in ihrem Geist und Verstand ab. Wer aber erlebt hat, der benötigt nicht länger Argumente, denn er weiss jetzt selbst. Er spricht dann aus seiner eigenen Erfahrung.
Und diese Erfahrung ist es, die ich vermisse. Sowohl bei Alexander, als auch bei Benz, als auch bei dir. Auch RitaMaria ist sich ihrer Sache ganz offensichtlch nicht sicher genug. Wäre sie es, so bräuchte sie nicht zu diskutieren. Es ist ein ganz einfaches Kriterium: Wer diskutiert, ist selbst nicht oder ungenügend überzeugt von seiner Position (das gilt auch für mich). Ich habe sehr lange diskutieren müssen mit Christen.
Da habe ich ganz andere Erfahrungen machen müssen. Viele die in Gemeinschaft zu Jesus beten und für ihn da sind, erleben Gott. Gut das spielt sich wieder auf der eigenen Erfahrungsebene ab, die man im Umfeld sehen kann. Vielleicht mag das mit diskutieren stimmen. Jesus, wenn ich mir das so recht überlege, hat auch nie diskutiert. Er hat klare Aussagen gemacht, auch was man tun muss und welchen Weg man gehen sollte.
Siehst du, du brauchst Vertrauen nicht länger, wenn du Wissen haben kannst. So lange du in Christus und Gott vertraust, so lange wird dein Glaube auf zerbrechlichen Füssen stehen. Wenn du aber aus persönlicher Erfahrung Wissen besitzt, dann brauchst du umgekehrt nicht länger andere zu überzeugen. Du selbst bist dann in deinem ganzen Wesen die Überzeugung.
Mein Glaube sagt aber, dass ich hinausgehen soll, um die frohe Botschaft zu verkünden. Warum sollte ich dieses Erleben für mich selbst behalten? Warum geheim halten? Das käme ja der Esoterik im ursprünglichen Sinne gleich. Das ich jemanden mein Erleben zeigen will ja. Ob ich nun jemanden direkt überzeugen möchte oder nicht, das kann ich so gar nicht sagen. Mein Glaube steht nicht auf wackeligen Beinen, wenn die Beziehung zu Jesus gefestigt ist. Mein Erleben gibt mir Wissen und festigt mich. Für mich ist Glauben und Wissen im Nachhinein nicht mehr zu trennen. Es ist nichts gegenteiliges. Glauben und Wissen bezeugen sich einander.
Es heisst also nicht, dass ich das AT verkünden soll, sondern das NT. Das AT ist für mich sowas wie eine Geschichte aus der Vergangenheit mit Geboten, aus denen ich lernen kann, aber auch nur dann, wenn ich sie befolge.
Alles Liebe
Marcus