Lieber chillfirst,
ich denke, Deine Frage nach der Legitimation von Selbstmord ist ganz schön raffiniert. Du versuchst, damit herauszufinden, ob Du vom Gefragten respektiert wirst in Deiner Selbstverantwortung oder nicht. Und das ist nicht verkehrt sondern ganz gesund. Wer Deine Fähigkeit, Dein Leben selbst zu verantworten, nicht ernstnimmt, übertritt eine Grenze, die das Vertrauen eines sensiblen Menschen im Ansatz erstickt. Es geht um das Einzigartige, Unwiederholbare an Dir, das da irgendwie im Argen liegt, für andere warst Du wahrscheinlich immer schon da und schnell bereit, Deine eigenen Bedürfnisse hintanzustellen, aber wo ist DEINE Wichtigkeit, Deine Sichtbarkeit als Persönlichkeit? Danach scheinst Du zu rufen. Ob Du mit einem Selbstmord Deiner Familie oder sonstwem wehtun würdest: siehst Du auch, wie sehr es da wieder nur um die Gefühle der anderen geht und das, was ihnen geschieht, wenn Du gehst, und nicht um Dich? Du siehst es, das zeigt mir Deine Reaktion auf die Beiträge.
Einmal haben wir in der Schule ein Gedicht interpretieren sollen, in dem es um Liebe geht. Keiner konnte auf eine Frage der Lehrerin dazu eine Antwort geben und ich meldete mich und sagte etwas über den tiefen Schmerz in der Liebe zwischen Menschen (ich war ungefähr 13 Jahre alt) und meine Lehrerin meinte mit eisiger Verachtung, ein Kind in meinem Alter, mit null Lebenserfahrung, könne wohl kaum etwas dazu sagen. Ich hatte mir zwar eine tiefe Erniedrigung eingefangen (war nicht das erste Mal) aber ich wusste, dass ich sehr wohl WUSSTE. Und was hat das mit Dir zu tun? Jemand meinte im Forum hier, Du könntest wohl kaum viel erlebt haben bisher. Ja, in DIESEM Leben vielleicht. Aber ganz ehrlich gesagt, habe ich den Verdacht, dass Du eine ganz alte Seele bist und über ein großes Wissen verfügst, aus dem Du schöpfen kannst. Ich kann Dir dazu nur aus ganzem Herzen empfehlen, Dir das Buch "The Instruction" von Ainslie MacLeod durchzulesen. Könnte sein, dass das wie eine Bombe bei Dir einschlägt.
Und dann (ich springe ein bisschen durch meine Einfälle zu Deinem Text): Du bist 24 Jahre alt, oder? Genau in diesem Alter hat auch mein Leben aufgehört. Von einem Moment auf den Nächsten war das alte Leben zerstört und jeden Tag musste ich meiner Familie versprechen, in den nächsten drei Tagen keinen Selbstmord zu begehen und das ging über Monate hinweg so. Damals glaubte ich keinem, dass es mir wieder besser gehen würde im Leben, aber es begann wieder, das Leben, irgendwann. Wenn Du es für richtig hältst, dann halt durch, denn dieser absolute Tiefpunkt bei Dir kann einfach nicht zufällig gerade im diesem Alter auftauchen! Jemand sagte damals zu meiner Schwester, die mir später davon erzählt hat: Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder, ihre Schwester kann nie mehr in ihr Leben zurückkehren, wie die meisten in ihrer Situation. Oder sie wird gesund.
Und noch mein letzter Einfall: Viele intelligente Menschen waren Schulversager. Dass Einstein als Schüler eine absolute Niete in Mathematik war, weisst Du nicht? Viele Nobelpreisträger waren in genau den Fächern, für deren Themen sie später weltberühmt wurden, in der Schulzeit Versager. Wenn Deine Eltern es als Schande empfinden, wenn Du in der Schule versagst, geht es nicht um Deine Intelligenz. Sondern Du versagst in ihren Augen darin, Dich an die Regeln der Gesellschaft anzupassen. Schule ist Anpassung. Dort kannst Du beweisen und lernen, wie gut Du Dich anpassen kannst. Naja: gibt es nicht mehr im Leben als das? Wenn Du eines Tages (falls es eines Tages für Dich gibt, und Du nicht vorher beschliesst, Schluss zu machen) keine Angst davor haben musst, der zu sein, der Du wirklich bist, wird diese Angst auch bei Deiner Familie verschwinden. Sie werden nur damit fertig werden müssen, dass Du jemand anderes bist, als der, den sie gekannt haben, und das kann sehr ätzend für sie sein, so wie eine etrige Wunde wehtut, wenn sie gereinigt wird. Aber wenn sie heilen soll, muss sie eben gereinigt werden, auch wenn's wehtut.
Ansonsten: tu, was Du tun willst. Aber gib dem größeren Zusammenhang um Dich herum eine Chance? Manches wird erst mit einem längeren Zeitabstand leichter, und in der (langen) Zwischenzeit muss man durch die Scheisse durch. Ob hier oder im Jenseits - wer weiss, ob das so einen großen Unterschied macht?
Liebe Grüße, sandalphine