Bertram (Vampirsaga 3)

Bevor ich zu meiner Geschichte komme, möchte ich noch einiges über Jesus und Luzifer, der auch Satan und Teufel genannt wird, sagen. In Kyles Schrift wurde erwähnt, dass Luzifer der erste Vampir war. Demnach müsste doch Luzifer der „Gott“ aller Vampire sein, denn er musste nicht gebissen werden, da er sich aus sich selbst heraus Freiheit schuf. Der einst schönste und mächtigste Engel Gottes rebellierte gegen Gottes Gesetze und wollte die Hierarchie nicht anerkennen. Für Luzifer sollte es nichts Größeres oder Mächtigeres geben, - kein Lebewesen, das vor einem anderen sein Haupt beugen muss. Das ist Grund genug, dass wir Luzifer nicht als Gott anerkennen, sondern als einen von uns, - als eines der unzähligen Lebewesen.
Aber all das gehört ins Reich der Mythologie oder der Mystik, da es nicht auf der Erde geschah, sondern in einer für den Menschen weit entfernten Dimension des Universums. Warum diese Geschichte dennoch bis zu den Menschen durchgedrungen ist, kann ich nicht sagen. Es gibt ja viele derer Geschichten, die Menschen als Märchen und Phantasie abtun. Und doch, wie manche Leser sicherlich bemerken, ist einiges an diesen Geschichten verfälscht.

Wenn also Luzifer der erste Vampir war, wie kam es dazu, dass auch Jesus, der angebliche Sohn Gottes ebenso zum Vampir wurde, wo doch Luzifer der Gegenspieler Gottes sein soll? Es gibt eine Textstelle in den Evangelien, die von der Taufe Jesu berichtet, wo eine weiße Taube über den Täufling erschien und eine laute Stimme aus dem Himmel ertönte. Diese Stimme soll angeblich von Gott selbst gekommen sein.
Wer aber zwischen den Zeilen die so genannten Evangelien lesen kann, wird feststellen, dass Jesus ganz andere Worte gebrauchte, als sie in den früheren Schriften der Bibel stehen. Jesus lehnte sich gegen den rachsüchtigen Gott auf und „machte“ ihn zum Gott der Liebe, der er aber nie war und auch nie wurde. Jesus sprach von einem ganz anderen Gott, - nämlich von Luzifer, der aber nie ein Gott sein wollte, wie ich ja bereits erwähnte.
So könnte man durchaus sagen, dass Jesus nicht Gottes Sohn, sondern Luzifers Sohn war und den Weg in die Freiheit wählte, anstatt sich von Gott für immer das Bewusstsein ausblasen zu lassen. Nichts anderes ist der Tod der Menschen. Ihnen wird, mit einfachen Worten, das Bewusstsein ausgeblasen! Und zwar von jenen Wesen, denen sie sich ergeben, wie etwa diesem Gott, der in der Bibel, das wohl meist gelesene Buch der Menschen, erwähnt wird. Natürlich ist es nicht immer dieser Gott, da es ja noch viele andere Götter gibt, die von vielen anderen Lebewesen angebetet werden. Es ist auch so, dass sich jene Wesen in der mystischen Dimension von den so genannten Seelen der Lebewesen ernähren. Warum ich die Seelen so genannt nenne? Weil es sich um nichts anderes als um das Bewusstsein handelt. Ihr kennt sicher den Begriff „bewusstlos“ zu sein. Oder ihr kennt sicher auch das Phänomen des Tiefschlafs, wo ihr euch ebenso „bewusstlos“ fühlt. Das hat eine sehr starke Ähnlichkeit mit dem Tod.

Nun werdet ihr euch fragen, welche Chancen ein „gewöhnlicher Mensch“ überhaupt hat, dem Tod, dem Auslöschen ihres Bewusstseins, zu dem ja alle Lebenserinnerungen, wie auch Erfahrungen gehören, zu entgehen? Dazu habe ich bereits einiges in meiner Schrift gesagt. Ich sagte auch, dass durch Zwang nichts zu erreichen ist, - ebenso wenig durch Erwartung, etwas Größeres, Mächtigeres zu werden. Wir Vampire sind auch nichts Größeres, Mächtigeres, auch wenn wir dazu fähig sind, uns in andere Dimensionen zu begeben. Ich kann euch gleich sagen, dass ihr davon nichts „haben“ werdet. Unsterblichkeit bietet keine größere Wahrheit oder Weisheit, wenn auch die Möglichkeit zu mehr Erfahrung besteht. Aber durch Erfahrung, und da werden mir sicher einige beipflichten, ist noch keiner klüger geworden, dass er dadurch das Recht hat, als Lehrmeister aufzutreten.
Oft wird gesagt, dass es immer nur das Leben selbst ist, das Lehrer sein kann. Dass es dabei auf das Lebewesen selbst ankommt, wird leider oft vergessen. Viele erleben immer wieder eine ähnliche Situation und doch werden sie nicht schlau daraus.
So gesehen unterscheidet sich die Wahrnehmung der Vampire und die der Menschen keineswegs, außer, dass wir Vampire einen tieferen Einblick in die so genannte Zwiebelschichten des Universums haben.

Viele von euch werden auch empört sein und meine Schrift als Schmähschrift gegenüber der Menschheit ansehen, weil das Leben ja sinnlos wäre, wenn einem das Bewusstsein genommen wird. Wozu lebt der Mensch denn? – werdet ihr euch fragen. Das Leben muss doch einen Sinn haben! Natürlich hat es einen Sinn, auch wenn die meisten von euch – frei ausgedrückt – von einer Gottheit gefressen werden. Ihr seid Teil des Daseins, - Teil der Momente, in denen ihr DA wart. Und seid versichert, jeder und jede von euch hat einiges ausgelöst, das niemals ausgelöst worden wäre, wenn ihr nicht da gewesen wärt.

Bedenkt einmal, was gewesen wäre, wenn einer eurer Urahnen oder eine eurer Urahninnen frühzeitig getötet worden wäre. Eure Existenz wäre ausgelöscht. Es würde euch nicht geben. Logisch, nicht wahr? Und bedenkt weiter, welch vielleicht bedeutendes Lebewesen aus eurer Linie geboren werden kann. Erkennt ihr jetzt noch immer keinen Sinn hinter eurem Leben? Und das, was ich eben über die Urahnen erwähnte, ist nur die Oberfläche, da ihr sicher sehr viel ausgelöst habt und noch auslösen werdet, auch wenn ihr nicht mehr unter den „Lebenden“ weilt.

Aber vielleicht fragt euer „noch nicht umfunktioniertes Ego“, was ihr selbst davon habt. Ich denke, diese Frage muss ich nicht beantworten, da ihr die Antwort ohnehin nicht verstehen würdet. Ihr versteht sie erst, wenn euer Ego umfunktioniert wurde – und zwar von euch selbst. Ihr erinnert euch doch? Ich kann auch für keinen anderen Vampir Blut saugen, damit er seine Krämpfe loswird. Er muss es selbst TUN.
 
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Nun aber zu meiner Geschichte!
Ich wurde vor etwa 900 Jahren als drittes von neun Kindern im Süden von Afrika geboren. Bedenkt aber, dass die Zeitangabe nicht unbedingt mit den andern Erddimensionen übereinstimmt. Sie betrifft eigentlich nur meine Erddimension, vom Moment der Geburt bis zu dem Moment, als ich in die erwählte Dimension der Vampire gegangen bin. Für euch Leser spreche ich sozusagen aus der Zukunft.

Mein Volk lebte in Einklang mit der Natur. Wir waren ein kleiner Stamm, von vielleicht 20 bis 30 Mitgliedern, die in Lehmhütten wohnten. Wir ernährten uns von den kargen Pflanzen und wild lebenden Tieren, welche von den Männern gejagt wurden.

Als ich etwa neun Jahre alt war, sprachen die Menschen in unserem kleinen Dorf von etwas Unheimlichen. Angeblich trieb ein Monster sein Unwesen in unserer Umgebung. Ein Mann von einem anderen Stamm kam in unsere Siedlung und erzählte, dass bereits drei Mitglieder seines Volkes verschwunden sind. Sie wurden nachts aus den Hütten gezerrt und nie wieder gesehen.
Bald traf uns dasselbe Schicksal. Ich möchte nicht allzu viel drum herum reden. Dieses Monster war ein Vampir. Er war mit einem Schiff von einem anderen Kontinent in unser Land gekommen.

Wenige Tage später, als der Mann des anderen Stammes uns verlassen hatte, hörte ich nachts Geräusche. Wir hatten zwar Wachen aufgestellt, aber die wurden von dem Vampir überlistet. Es schien, als hätte er es nur auf mich abgesehen. Ich hätte schreien können, als er sich über mich beugte, mich hochhob und aus der Hütte trug. Warum ich nicht schrie, weiß ich nicht mehr. Ich fand es auch seltsam, dass nur ich ihn hörte. Als er mich wegtrug, sah ich noch die Wachen mit dem Rücken zu mir am Feuer stehen. Selbst meine Eltern und meine Geschwister schliefen tief und fest.
Ich wunderte mich über sein schnelles Laufen, als er mich trug. Er war groß und stark und von weißer Hautfarbe. Ich spürte sein langes Haar an meinen Wangen.
Erst, als er weit genug von unserem Dorf war, blieb er mit mir stehen und blickte mich an. Da Vollmond war, konnte ich sein Gesicht gut sehen. Es war das erste Mal, dass ich einen Weißen sah. Ich wusste nicht einmal, dass es Menschen mit weißer Hautfarbe gibt. Auf jeden Fall war es beeindruckend, denn ich hielt ihn für ein übernatürliches Wesen. Angst fühlte ich keine. Auch nicht, als seine Lippen meinen Hals berührten und er zubiss. Es tat nicht einmal weh. Aber schon nach kurzer Zeit verlor ich das Bewusstsein.
Als ich aufwachte, saß der weiße Mann neben mir und lächelte mich an. Er sagte etwas, aber ich konnte seine Sprache nicht verstehen. Ich fühlte mich ziemlich schwach. Der Mann hob mich auf und trug mich wieder weiter.

Einige Tage später biss er mich abermals. Es war wieder dasselbe – nach wenigen Augenblicken wurde ich ohnmächtig und als ich aufwachte, saß er neben mir und lächelte. Aber plötzlich war da mehr, als ich jemals wahrgenommen hatte. Stellt euch einmal vor, ihr könnt durch Wände sehen. Ihr seht alles, was sich vor der Wand in einem Zimmer befindet, aber auch alles, was sich hinter der Wand befindet. Bei war derselbe Effekt, nur dass es keine Wand in der Wildnis gab, wo sich der Vampir und ich befanden. Ich sah die weite Steppe, den Himmel über mir, aber noch etwas anderes, was ich mir nicht erklären konnte. Da waren seltsame Wesen, die mich ansahen, - und obwohl sie mir näher erschienen, als der Himmel über mir, wusste ich, dass sie sehr viel weiter weg waren. Schwerfällig streckte ich meine Hand nach einem dieser Wesen aus. Schwerfällig deshalb, weil ich total erschöpft war. Aber meine Hand fasste ins Leere. Der Vampir beobachtete mich. Er schien meine Reaktion zu verstehen, denn er nickte und sagte wieder etwas, was ich nicht verstehen konnte. Dennoch fühlte ich etwas in mir, - eine Art Übersetzung. Ich wusste mit Bestimmtheit, dass er mir etwas über andere Dimensionen sagte, obwohl ich mir dieses Wissen nicht erklären konnte. Bisher habe ich zu ihm noch kein Wort gesagt, aber diesmal erzählte ich freiweg, was ich gesehen hatte. Er schien mich zu verstehen und sagte wieder etwas. Diesmal verstand ich ihn schon besser, obwohl ich seine Sprache noch nie gehört hatte.
Mit meinen neun Jahren war ich noch ein Kind. Aber die Menschen, bei denen ich geboren wurde, waren mit neun Jahren viel reifer als so manche auf anderen Kontinenten Ich stand knapp vor der Einweihung, um ein Mann zu werden. Was ich damit sagen will, ist, dass Kinder nicht viel nachdenken und meist alles als gegeben hinnehmen. Natürlich fragen sie viel, warum das so ist und wie es kommt, dass es so ist, aber ihre Gedankengänge sind andere als die der Erwachsenen. Ich hatte also noch immer viel von einem Kind in mir, da ich mich nicht, wie es Erwachsene tun würden, für verrückt hielt, weil ich mehr sah, als eigentlich da war und ich plötzlich fremde Sprache auf eine sehr seltsame Art verstehen konnte. Selbst wenn ich nach dem Warum fragte, nahm ich es als vollkommen „normal“ auf.

Nach dem dritten Biss dauerte es etwas länger, bis ich erwachte. Ich bekam das – etwas länger – nicht mir, aber mein vampirischer Vater klärte mich etwas später darüber auf, was mit mir geschehen war.
Die Umgebung, in der ich mich befand, war sehr fremd für mich. Rosario, so stellte sich der weiße Mann mir später vor, sagte mir, wie seien in seiner Heimat, in Espania. Jetzt verstand ich alles sehr klar, was er mir sagte. Aber noch immer verwirrte mich alles, was ich sehen konnte. Die fremde Umgebung erschreckte mich, da ich ja noch nie weiter als einige Meilen aus meinem Dorf hinaus gekommen bin. Ich durfte ein paar Mal mit meinem Vater zur Jagd mit, aber die meiste Zeit blieb ich bei meiner Mutter und half ihr und den anderen Frauen bei der Arbeit im Dorf. Das war so Sitte für Frauen und Kinder. Nur Männer gehen auf die Jagd, - und nur Männer sind Krieger, wenn es darum ging, das Territorium zu verteidigen.
Wenn es nur die fremde Umgebung gewesen wäre, wäre ich eher mit allem klar gekommen, aber nun taten sich vor mehr noch mehr Dimensionen auf, die ich erst mit der Zeit auf die Reihe kriegte.

Nun wisst ihr, dass ich ein neunjähriger, schwarzer Junge bin. Es ist nun mal so, dass sich Menschen, die in einen Vampir verwandelt werden, ab dem dritten Biss körperlich nicht mehr verändern. Obwohl ich für einen Neunjährigen sehr groß bin, bin ich dennoch „nur“ ein Kind, - noch dazu ein schwarzes, mit dichtem Kraushaar und großen, schwarzen Augen, die stets sehr neugierig in die Welt blicken.
Für einen „kindlichen“ Vampir ist es nicht immer leicht. Mir sind schon viele Menschen begegnet, die mich nach meinen Eltern fragten und was ich um diese Zeit noch auf der Straße mache. Ich brauchte also einige Zeit, um mich in der Welt der Menschen, so unauffällig wie nur möglich, zu bewegen.
 
Wie könnte ein Mensch, der nicht einmal von Vampiren weiß, geschweige denn überhaupt an sie glaubt, wissen, dass in einem kindlich gebliebenen Körper mehr steckt als in einem hundertjährigen Durchschnittsmenschen? Und da Vampire meistens Einzelgänger sind, blieb mir nichts anderes übrig, als mich so schnell wie möglich auf meine eigenen Beine zu stellen. Rosario wies mich in alles ein, was ich für das Vampirleben brauche. Über sich selbst erzählte er mir kaum etwas, nur, dass er bereits sehr viel von der Welt gesehen hat und sich auch gerne in ihr aufhält.

Ich blieb also eine Weile in Espania, - meist an der Küste. Die Zeiten waren damals noch einfacher, da sich viele Kinder auch nachts in den Gassen herumtrieben. Verena hat ja schon beschrieben, wie es ist, wenn ein Vampir Blut saugt. Sie hat es mit einem menschlichen Orgasmus verglichen. Darüber weiß ich nichts, da ich in meinem ganzen Leben noch nie Geschlechtsverkehr hatte. Ich würde es eher mit einer gewaltigen Lebenskraft vergleichen, die in meinen Körper strömt. Es ist, als würde mein Körper in diesem Moment mindestens fünfmal zu groß und stark werden. Nun ja, Vampire verfügen auch über sehr viel Kraft. Sie können gut das Zehnfache ihres eigenen Gewichts nicht nur heben, sondern auch tragen.
Mein erstes „Opfer“ überlebte nicht. Es war eine ältere Frau, - eine Bettlerin, die, wie ich fühlte, schon sehr krank war und nicht mehr lange zu leben hatte. Vampiren schadet krankes Blut nicht. Wahrscheinlich wandeln sie es innerlich um. Aber so genau weiß ich das nicht. Ich weiß nur, dass mir selbst Pestkranke nicht geschadet haben.
Rosario bereitete mich also darauf vor, mir meine Opfer sehr gut auszuwählen. Er meinte, Schwerkranke wären das Beste, da wir ihnen die Chance geben, wieder gesund zu werden und noch dazu Unsterblichkeit schenken. Das natürlich nur, wenn sie es auch wollen. Nach dem zweiten Biss, - wie Verena schrieb, - können sie sich entscheiden.

Es gibt nur wenige Menschen, die sich dagegen entscheiden. Ich hatte das fragwürdige Vergnügen, zwei jener Menschen kennen zu lernen. Sie weigerten sich vehement, zum Vampir zu werden, obwohl, wie ich dachte, gerade sie am besten dafür geeignet gewesen wären.
Der erste Mensch war eine junge Frau. Es war bereits das Mittelalter, als ich sie kennen lernte. Sie arbeitete als Wäscherin bei einer angesehenen Familie, die es als armes Mädchen aufgenommen hatte. Ihr Name war Claudine. Sie hatte langes schwarzes Haar und war von schöner Gestalt. Ihre Hautfarbe war etwas dunkler. Später sagte sie mir, sie sei eine Zigeunerin, die von ihrer Familie verstoßen wurde, weil sie Arbeit suchte. Zigeuner arbeiten niemals für fremde Menschen. Es ist ihr Privileg, betteln zu gehen, worin sie nichts Unterwürfiges sehen. Zigeuner betteln sogar mit Stolz. Claudine sagte mir, die Menschen geben ohnehin nur das, was sie nicht mehr brauchen, oder das, wovon sie zuviel haben. Also müsste man deswegen nicht buckeln und tausendmal „danke“ sagen. Ein Zigeuner – egal ob Mann oder Frau – nimmt alles mit Würde entgegen.
Es war das erste Mal, dass ich von einem Volk fasziniert war, seit ich zum Vampir geworden war. Und man kann sagen, das war damals schon eine ganze Weile her.
Nachdem Claudine den ersten Biss überlebt hatte, - das war übrigens am Fluss, wo sie eben die Wäsche für ihre Herrschaften wusch und alleine an der Biegung war, traf ich sie das nächste Mal auf dem Markt, wo sie einkaufte. Sie erkannte mich sofort und wollte flüchten. Vor dem Burgtor holte ich sie ein und bat sie, mit zu zuhören. Claudine hatte Angst vor mir, - das konnte ich ziemlich stark fühlen. Es ist auch so, dass Vampire die Gefühle anderer Menschen oft in sich aufnehmen. Das heißt nicht, dass wir deswegen dasselbe fühlen. Wir fühlen ein und dasselbe Gefühl immer auf unsere eigene Art. Aber das habe ich ja bereits erwähnt. Trotzdem wissen wir ungefähr und sicher um einiges besser als Durchschnittsmenschen, wie sich unser Gegenüber im Moment fühlt.
Nun, ich sagte Claudine, dass sie sterben wird, wenn ich sie nicht ein zweites und ein drittes Mal beiße und sie die Chance habe, selbst ein Vampir zu werden. Sie sah mich mit ihren großen schwarzen Augen entsetzt an und eilte in den Burghof. Seitdem habe ich sie nie wieder gesehen. Sie dürfte – wohl auch vor Schreck – noch in derselben Nacht gestorben sein.

Mein zweites „Opfer“, das sich weigerte, Vampir zu werden, war ein Mann um die 40. Das war einige Jahrzehnte später, nachdem ich Claudine getroffen hatte. Es war ein sehr wohlhabender, aber ebenso einsamer Mann. Seine Frau und seine Kinder waren Opfer einer Seuche, was ihm jeden Lebenswillen genommen hatte. Er machte sich nichts mehr aus seinem Reichtum und verschenkt das meiste. Er selbst ließ sich gehen und begann viel zu trinken. Als ich ihm über die Vampire erzählte, hörte er mir kaum zu. Und als ich ihm sagte, er könne unsterblich werden, schüttelte er nur traurig seinen Kopf. Ich versuchte wirklich, ihm neuen Lebenswillen zu geben, indem ich ihm von all den Schönheiten der Welt erzählte, die ich gesehen hatte. Aber er wollte nichts darüber wissen und verlor sich in der Trauer um seine Frau und seinen beiden Kindern, die er über alles geliebt hatte.

Ich fragte mich damals oft, wer denn darüber entscheidet, wie ein Mensch geschaffen ist, denn gerade Claudine und dieser Vierzigjährige wären ideal für das Vampirdasein gewesen. Claudine, die stolze Zigeunerin, die so stolz war, dass nicht einmal Arbeit für Fremde ihren Stolz gebrochen hatte, - und der Vierzigjährige, der sich an nichts mehr im Leben klammerte, - zumindest an nichts im Jetzt, das ihn die Vergangenheit und die Trauer festhielt. Ich wusste jedoch, dass sich dies alles gelöst hätte, und einer der wunderbarsten Vampire geworden wäre.
Aber anscheinend gibt es nichts und niemanden, der darüber entscheidet, wie ein Mensch ist. Wozu auch? Wenn ich mich im Pflanzenreich und im Tierreich umsehe und all diese Vielfalt sehe, frage ich mich auch nicht, warum jene Pflanze so gewachsen ist und nicht so wie die Pflanze dort. Genauso ist es wohl bei Menschen, die einfach in eine Familie hineingeboren werden und in eben jener Umgebung aufwachsen. All das prägt den Menschen, wogegen er kaum etwas tun kann, außer, er wird sich seines Selbst im Hier und Jetzt vollkommen bewusst.
Ich glaube, da Menschen denkende Wesen sind, klammerten sie sich an ein illusionistisches Wesen, das höher steht als sie selbst und demnach die Fäden in seiner Hand hat. Durch so ein Wesen dachten sie, die so genannten Religionsstifter, die Antwort auf diese Frage gefunden zu haben, obwohl sie im Grunde genommen gar nichts gefunden haben, - oder zumindest sich ihr Fund niemals beweisen lässt. Es mag durchaus Menschen geben, die einen mehr oder weniger persönlichen Kontakt zu einem Gott, oder zu einem Engel haben. Das oder die Wesen, welche jene Religionsgründer „erschaffen“ haben, sind ja nicht illusionistisch. Aber welcher Mensch weiß schon, welche Dimension er dadurch angezapft hat?

Übrigens, was meinen Namen – Bertram – betrifft, ist das sicher nicht mein ursprünglicher Name. Außerdem hatte ich in den etwa 900 Jahren bereits unzählige Namen. Anfangs meines Vampirdaseins nannte ich mich Rosario, frei nach dem Namen meines vampirischen Vaters.

Es gibt bei uns Vampiren so etwas wie eine Art „familiäre Blutlinie“. Rosario ist demnach mein eigentlicher Vater und ich bin wiederum der Vater der einstigen Menschen, die ich zum Vampir gemacht habe. Wir verfolgen diese „familiäre Blutlinie“ nicht wie einen Stammbaum, aber doch fühlen wir uns zu den Vampiren, die unserer Linie angehören, mehr verbunden als anderen. Auch das Kollektiv zwischen uns ist um einiges deutlicher wahrnehmbar, was kein Wunder ist, denn Blut verbindet wie nichts anderes. Blut dringt in jede Zelle des Körpers ein. Blut ist das Intimste des Menschen. Wir Vampire spüren das ganz besonders, wenn wir es in uns aufnehmen.

Die meisten Vampire vergleichen das Blutsaugen, wie Verena, mit einem Liebesakt. Der eigentliche Sinn der intimen Verbindung zwischen Mann und Frau dient der Fortpflanzung – dem Erzeugen neuen Lebens. Ich habe auch schon oft gehört, dass der Höhepunkt der körperlichen Vereinigung wie sterben ist. Nichts stellt einen Menschen so bloß, als dieser Augenblick. Nie ist er vollkommener im Hier und Jetzt.
Nicht nur wir Vampire fühlen es so, wenn wir das Blut aus dem Körper eines Menschen saugen, sondern auch unsere Opfer. Wie schon erwähnt, weiß ich nichts von der Vereinigung zwischen Mann und Frau, aber ich kenne das Gefühl vom körperlichen Höhepunkt. Immerhin stand ich knapp vor der Einweihung und ich kannte auch schon meine „Braut“. Körperlich wäre ich damals also schon fähig dazu gewesen, eine Frau zu schwängern.
Aber selbst wenn ich keine Erfahrung habe, ist dieses Gefühl durch das vampirische Kollektiv in mir und ich halte es für das Schönste und Wertvollste, was dem Menschen eigen ist.
Warum es uns Vampiren versagt bleibt, sobald wir uns zum Vampirdasein entschieden haben, liegt nicht nur daran dass wir bereits gestorben sind. Immerhin existieren wir noch, und das Sterben bedeutet nichts anderes, als dass wir uns vom Menschsein gelöst haben.
 
In den nächsten hundert Jahren lernte ich abermals ein Volk kennen, von dem ich ebenso, wenn nicht mehr fasziniert war, wie von den Zigeunern.
Es passiert nicht oft, dass sich zwei Vampire zusammentun, um in ein anderes Land zu reisen. Ich hatte das Glück, einen bereits sehr alten Vampir kennen zu lernen. Er nannte sich Anak und kam, wie er mir sagte, aus einem sehr kalten Landstrich, der später Sibirien genannt wurde. Anak war in seinem Menschenleben ein Schamane. Schamanen sind, wie Anak erklärte, Menschen, die mit dem Geisterreich in Kontakt treten, um sich von den Geistern lehren zu lassen. Nun hörte Anak, dass es auf der Erde noch so ein Volk gab, welches Schamanen hervor bringt. Aber dieses Volk lebte über dem großen See und war den Menschen damals noch nicht bekannt.
Wenn ihr euch fragt, woher Anak wusste, dass es dieses Volk gibt, - ich sagte schon, er hörte es. Es ist nun mal so, dass die Vampirsprache oftmals etwas ganz anderes meint, als das, was die Worte für Menschen bedeuten. Vampire sehen und hören sehr viel über das vampirische Kollektiv. Sie müssen nicht unbedingt an einem bestimmten Ort sein, um zu wissen, dass dieser Ort wirklich existiert. Außerdem sind sie deshalb technisch gesehen, den Menschen um einiges voraus.
Anak baute mit mir zusammen ein seetaugliches Floß, um damit den großen See zu überqueren. So gesehen war es gar nicht Columbus, der als erster amerikanischen Boden betrat, sondern Anak und ich, - zwei Vampire.
Wir kamen im Norden an und waren entzückt von der herrlichen Landschaft und ihrer enormen Weite. Selbst die Dimensionen, die wir dort wahrnahmen, waren von ganz anderer Art als die in Europa. In eine dieser Dimensionen wäre ich gerne eingetaucht, aber Anak meinte, es sei noch nicht Zeit dazu. Es war eine Dimension, in der nur Tiere lebten, - jedoch Tier ganz anderer Art. Sie schienen weiter entwickelt zu sein, da sie sich untereinander auf eine sehr seltsame Art verständigen konnten. Es kamen fast alle Tierarten vor, - besonders jene, die Säugetiere genannt werden. Am meisten vertreten waren jedoch Vögel aller Art, - große Vögel, wie der Condor und einige Arten des Adlers.
Es gab auch im Norden von Amerika Adler, deren Flüge zu beobachten etwas ganz Besonderes für mich war. Aber jene Adler in der anderen Dimension wirkten anders. Es waren magische Tiere, so wie alle Tiere in jener Dimension magisch waren.
Es kam nicht von ungefähr, dass mich gerade diese Dimension derartig faszinierte, denn die Menschen, die auf diesem Kontinent lebten, hatten Kontakt mit ihr. Sie nannten diese Tiere Krafttiere und ihre Verbündeten.
Eine weitere Dimension, mit der sie noch Kontakt hatten, nannten sie die Geisterwelt. Laut Schamanen existieren dort die Ahnen, - die so genannten Verstorbenen, wie auch andere Geister, die schon immer in dieser Dimension lebten.

Anak und ich hatten das Glück, ein schamanisches Fest mitzuerleben. Wir hielten uns natürlich abseits im Verborgenen, um nicht gesehen zu werden.
Als der Schamane, oder Medizinmann, wie er in diesem Volk auch genannt wurde, sein Krafttier und die Geister anrief, konnte ich nicht mehr zwischen den Dimensionen unterscheiden. Ich warf Anak einen Blick zu.
„Die Geister kommen direkt zu ihm“, flüsterte er.
Ich versuchte, tiefer in den Schamanen einzudringen, wie auch in die anderen Indianer, die um ein großes Feuer saßen, auf Trommeln schlugen und in einen seltsamen monotonen Gesang einstimmten. Für den Schamanen waren die Geister und sein Krafttier, das ein großer, grauer Wolf war, Wirklichkeit. Er sah, wie sie aus den anderen Dimensionen auf ihn zukamen. Er sah es genauso wie Anak und ich. Die anderen Indianer sahen nichts von all dem. Manche spürten zwar eine gewisse Energie und reagierten darauf mit Zittern am ganzen Körper, so wie der Schamane es tat, bevor die Geister und der Wolf zu ihm kamen. Nun aber war der Schamane ruhig. Er streichelte dem Wolf über das dichte Fell und begrüßte die Geister. All das tat er jedoch innerlich, - für die anderen Indianer nicht sichtbar.
Durchschnittsmenschen würden sagen, er stellte sich den Wolf und die vier Geister, die kamen, nur vor und stellte sich ebenso vor, wie er den Wolf streichelt und die vier Geister mit freundlichen Worten begrüßt.
Anak und ich begriffen, was vor sich ging und wir staunten über die Kraft dieses Mannes. Äußerlich war er klein, aber drahtig, und sein Körper war schön geschmückt und bemalt. Ich erinnerte mich wieder einmal an mein Volk, das zu bestimmten Zeiten ähnliche Rituale durchführte. Auch wir hatten einen so genannten Ältesten, der aber nie wirklich unser Ältester war. Wir nannten ihn nur so, weil er eine bestimmte Gabe hatte, die Pflanzen zu kennen und damit Krankheiten zu heilen.
In dem Moment, als ich den indianischen Schamanen beobachtete, spürte ich, dass auch unter Volk, - vor allem der Älteste, ebenso Kontakt zu anderen Dimensionen hat. Ich sehnte mich aber nicht zurück in meine Heimat, denn nun hatte ich dieselben Menschen vor mir, - nur mit dem Unterschied, dass ihre Hautfarbe nicht schwarz, sondern braun war.
Jahre später wunderte ich mich, warum sie von den Weißen Rothäute genannt wurden, obwohl ihre Hautfarbe gar nicht rot war. Wahrscheinlich lag es an ihren Körperbemalungen, die meist von roter Farbe waren.

Anak und ich wollten etwas länger in diesem Land bleiben und hofften, dass der eine oder andere Indianer zum Vampir werden wird. Es war nicht leicht für uns, diese so besonderen Menschen zu beißen, da wir fühlten, wie glücklich und zufrieden sie lebten und eins mit der Natur waren. Auch ihr so natürlicher Glaube beeindruckte uns, den wir später auch nur bei Naturvölkern vorfanden. Es war ein Glaube, der nicht nur auf den Menschen bemünzt war, sondern alles mit einbezog, - die gesamte Natur, mit all ihren Tieren.
Die Indianer erkannten, dass es auch für Tiere, wenn sie sterben, ein Reich gibt, in das sie gehen. Selbst absterbenden Pflanzen gaben sie ein Reich, in dem sie in Ewigkeit weiter existieren konnten. Für dieses Volk war alles Leben, - selbst dem kleinsten Staubkorn schienen sie Respekt zu zollen. Das ließ sich alleine aus ihren schleichenden Gang erkennen, - wie vorsichtig sie ihre meist nackten Füße auf den Boden ihrer Mutter Erde setzten.

Nun, gibt es ein anderes Reich für Tiere und Pflanzen, und für das, was allgemein die Natur genannt wird? Immerhin sterben nicht nur Menschen, sondern alles, was lebt, vergeht einmal. Anfangs sagte ich, dass kein Mensch etwas erfinden, sondern nur entdecken kann.
Und so wie die Menschen in Europa die Dimension der Götter entdeckt haben, - genauso entdeckten die Menschen, die so genannten Rothäute, auch andere Dimensionen. Es liegt eben in der Art der Lebensweise und an der Entwicklung der einzelnen Völker. Warum ausgerechnet die meisten Weißen sich für einen ganz speziellen Weg entschieden haben, kann ich nicht sagen. Wer könnte es auch, wenn nicht sie selbst. Und ich wage zu sagen, dass sie es nicht einmal selbst wissen. Vielleicht wollten sie sich ein bequemeres Leben und eine höhere Kultur schaffen?
Und doch – höhere Kulturen gab es auch bei so genannten Wilden, bei Völker, die, bevor die Weißen an der Macht waren, den Weißen weit voraus waren.
Man darf aber nicht vergessen, dass das Volk der Weißen auch einmal „wild“ war. Und jedes Volk, egal ob weiß, schwarz, rot oder gelb, führte ständig Krieg. Zuerst nur untereinander, um ihr Territorium zu verteidigen und später auch gegeneinander.
Anak und ich konnten auch einen Kampf zwischen zwei Indianerstämme beobachten, der ziemlich brutal war. Aber das war für eine große Chance, unseren Blutdurst zu löschen. Bevor zwei der Krieger starben, schafften wir es, sie unbemerkt vom Schlachtfeld zu zerren und ihr Blut zu trinken.
Auch wenn ich den Kampf brutal nenne, finde ich es vollkommen natürlich, wenn ein Volk den Ort, an dem es lebt, zu verteidigen. Tiere tun nichts anderes. Sie töten aus Hunger, und verteidigen ihr Revier. Das liegt in der Natur eines jeden Lebewesens.
Aber bei vielen Menschen veränderte sich diese Natur. Sie erkannten, wenn sie gewinnen, dass sie ihren Lebensraum dadurch vergrößern können. So entstand die Gier nach mehr. Völker wurden ausgelöscht und der Platz, den es vorher eingenommen hat, gehörte den Siegern.
Anak und ich erlebten dieses Szenario auch bei den Indianern, die später bei gewissen Menschen meist ein romantisches Gefühl auslösten. Die Indianer selbst waren gar nicht so spirituell, wie angenommen wird, - und auch wenn sie großteils großen Respekt vor der Natur hatten, so war ihnen dennoch eine gewisse Grausamkeit nachzuweisen, die nicht erst von den weißen Siedlern kam.
Diese Zeit zeigte mir das ständige Für und Wider, - dass also nichts immer nur Wonne und Sonnenschein ist, sondern alles stets eine gute, wie auch eine schlechte Seite hat. Selbst wenn mich dieses Volk faszinierte, konnte ich, als Anak und ich wieder abreisten, so wie bei jedem Menschenvolk beide Seiten erkennen. Mag sein, dass die Indianer damals mehr auf Gemeinschaft aus waren, da die Stämme untereinander wirklich zusammenhielten, - aber es gab auch oft einen Verräter.
Es heißt, die menschliche Geschichte wiederholt sich ständig. Ich muss sagen, dies sind sehr weise Worte, da es wirklich alle Menschen betrifft und ich bald keinen Unterschied mehr zwischen all den doch unterschiedlichen Völkern erkannte.

Wir reisten also alleine wieder über den großen See. Die Indianer, die unsere Opfer wurden, starben nach unserem ersten Biss. Ihr Glaube, in das Reich ihrer Ahnen einzugehen, erfüllt sich.

Worin besteht nun der Unterschied zwischen diesem Glauben und dem Götterglauben? Es stimmt übrigens nicht, dass Indianer an einen Gott, namens Manitu glaubten. Manitu war für sie nichts anderes als die Lebenskraft, die in jedem Lebewesen steckt, - eben auch in Tieren und Pflanzen. Manitu war kein persönlicher Gott für dieses Volk. Manchmal wurde Manitu auch der „große Geist“ genannt, - derjenige Geist, der alle Geister miteinander verband. Der große Geist ist praktisch der „Ort“, IN dem sich die Ahnen befinden.

Es heißt, dass es für jeden ein Königreich gibt. Das bedeutet, für jeden Sterbenden erfüllt sich das, woran er glaubt und was er sich wünscht. Für die Indianer ist es das Reich ihrer Ahnen. Für Buddhisten ist es das Nirwana, - ein Reich, das jenseits des weltlichen Kreislaufes existiert. Für Gottesanbeter ist es der Himmel oder das Paradies. Es ist praktisch das, was sich ein Mensch nach seinem Tod vorstellt. Nur – diese Vorstellung muss nicht immer eintreffen, denn die wenigsten Menschen haben einen wirklichen Einblick in diese Dimensionen.
Ich habe es bereits teilweise angeschnitten, indem ich sagte, dass manche Menschen durch ihren Glauben Dimensionen herauf beschworen haben, die besser im Verborgenen geblieben wären. Wie also kann ein Glaube, oder ein Gedanke irgendeine Dimension herauf beschwören?
Ihr habt sicher schon einiges über Geisterbeschwörungen gehört. Durch ganz bestimmte Rituale und mit Beschwörungsformeln wird ein bestimmter Geist oder gar Dämon beschworen. Für viele klingt das abwegig und unglaubwürdig, - aber seid versichert, es funktioniert!
Jedes Lebewesen strahlt ständig etwas aus, nämlich die eigenen Energien. Es gibt unzählige Worte dafür, aber ich möchte es schlicht und einfach nur Energie nennen. So haben auch die Gedanken der Menschen Energie. Welcher Mensch weiß schon, wie weit die Energie der Gedanken reicht? Aber die Weite, die Entfernung macht es gar nicht aus, - da es zwischen den Dimensionen gar keine Entfernungen gibt.
Es ist das menschliche Bewusstsein, welches nur den Schein wahrt, dass es Entfernungen gibt. Selbst wenn ich von einem Kontinent zu einem anderen reise, lege ich Null Entfernung zurück. Ja, ich weiß, das klingt unverständlich und verrückt, dennoch ist es so.
Auch die anderen Dimensionen sind, obwohl ich von weit entfernten Schichten gesprochen habe, keinen Deut weit entfernt. Viele Vampire nehmen fast alle Erddimensionen wahr, die sich IM menschlichen Bewusstsein befinden.

Das, was ich jetzt sage, wird wahrscheinlich wieder des Menschengeistes Ego immens vergrößern. Aber doch ist es so, dass das menschliche Bewusstsein jedes irdische Bewusstsein mit einbezieht. Das heißt, dass im menschlichen Bewusstsein auch das tierische und pflanzliche Bewusstsein enthalten ist, obwohl der Mensch vom tierischen und pflanzlichen Bewusstsein kaum eine Ahnung hat. Nun, - das Letztere wird das menschliche Ego wahrscheinlich wieder auf seinen rechten Platz scheuchen.
Ich erwähne das mit dem Bewusstsein nur, um das Verständnis zu erleichtern, wenn ich sage, dass keine Entfernungen gibt, was die unterschiedlichen Erddimension betrifft, da ich ja vom Bewusstsein ausgehe und nicht von der Welt, die angeblich „da draußen“ existiert. Wir – ja nicht einmal wir Vampire – wissen nichts von der Welt da draußen. Wir wissen nicht einmal etwas über andere Dimensionen. Wir nehmen „nur“ wahr. Wir können die Existenz der dieser und anderer Dimensionen durch unsere eigene Wahrnehmung bestätigen, - aber wir können niemals bestätigen, dass sie alle genauso sind, wie wir sie wahrnehmen.
Und genau darin besteht die Gefahr des Glaubens, die Kyles letzte Worte in seiner Schrift bestätigen, als er schrieb, Gott möge an seiner Seele ersticken.
 
Oh ja, das Thema „Wahrnehmung“ ist unerschöpflich. In all den Jahren habe ich beobachten können, was Wahrnehmung alles anrichten kann. Ich sagte schon, dass jeder Mensch etwas ausstrahlt, - nämlich Energie, und das durch seine Gedanken, Worte, wie auch Taten. Und das betrifft jeden Menschen, jedes Lebewesen. Könnt ihr euch nun vorstellen, wie viele „Energien“ jedes einzelne Lebewesen umgibt und auch durchdringt? So ist es auch nicht weiter verwunderlich, wenn sich ein Mensch manchmal fragt, warum er sich im Moment niedergeschlagen fühlt, obwohl eigentlich kein Grund vorliegt.
Ich sagte auch schon, dass Wahrnehmung täuscht, - widerlegte dies aber, indem ich sagte, dass es viel mehr die Gedanken nach der unmittelbaren Wahrnehmung sind, die das Wahrgenommene verfälschen. Und doch sage ich auch, dass selbst unmittelbare Wahrnehmung nur wenig mit dem Wahrgenommenen zu tun hat.
Ganz besonders aufmerksame Menschen haben dieses Phänomen erkannt und schrieben, dass die Welt da draußen nur eine Illusion ist. Ich könnte jetzt einwenden, dass dies nicht stimmt, da ich sehr viel mehr als nur eine Welt wahrnehme. Vor mir offenbaren sich Sphären, von denen Menschen nicht einmal träumten. Wie also könnte ich sagen, dass dies alles Illusion ist? Und wer ist es, der mir diese Illusionen vorspiegelt? Ich selbst? Das wäre doch sehr fraglich, denn ich wurde in einem Umfeld geboren, das ziemlich klein war und hatte nur die Erfahrungen in mir, die ich in dem kleinen Dorf hatte. Es mag am vampirischen Kollektiv liegen, das eine gravierende Veränderung IN mir selbst hervorrief. Dennoch kann ich nicht annehmen, dass die ersten Vampire dermaßen mit Phantasie ausgestattet waren, um sich derartige Dimensionen auszudenken, die immer weiter „vererbt“ wurden.
Auch wäre es mehr als anmaßend, zu glauben, dass nur der Mensch existiert und alles andere bloß Illusion sei, die sich der Mensch selbst geschaffen hat. Der Mensch mag über sich selbst hinauswachsen können, aber er kann, so wie jedes Lebewesen, nichts erschaffen. Nicht einmal jene Wesen, die von den Menschen Götter genannt werden, können etwas erschaffen. Dazu ist eine ganz andere Kraft da, die jedoch noch niemand wirklich zu Gesicht bekommen hat. Lebewesen können sie zwar fühlen und ebenso ihre Auswirkungen beobachten, aber niemals werden sie hinter das Geheimnis dieser so wunderbaren Kraft kommen, die keinen Unterschied zwischen Erschaffen und Zerstören macht.
Um wieder zur Illusion zurück zu kommen! Ich glaube, jene Menschen, die darüber schrieben, wurden von den meisten missverstanden oder ihre Schriften wurden falsch übersetzt und oder überhaupt falsch überschrieben. Also nehme ich an, dass sie mit Illusion nicht die Welt da draußen meinten, sondern die eigene Wahrnehmung, die eher eine Illusion ist, da sie mit dem Wahrgenommen nur wenig zu tun hat.

Ich sagte bereits, dass nicht einmal wir Vampire uns unserer Wahrnehmung sicher sein können, obwohl ich oft sagte, dass es genauso ist und ich auch den Glauben an Götter als sehr gefährlich halte, da so ein Glaube den Menschen bereits im Leben einengt, weil er ihm vorschreibt, was er zu tun hat. Es erhebt sich auch die Frage, woher denn all diese Schriften kommen, wenn nicht vom Menschen selbst. Hat er Gott, über den er schrieb, denn wirklich so wahrgenommen, wie er über ihn schrieb? Ist jeder Gott aus der Bibel denn wirklich so ein rachsüchtiger und eifersüchtiger Gott, dass er keinen anderen Gott neben sich duldet?
Ich kann nur sagen, was ich selbst beobachtet habe, wenn gottgläubige Menschen gestorben sind. Sie alle wurden durch ihren Glauben direkt in den riesigen Rachen eines Ungeheuers gezogen. Natürlich ist meine Beschreibung bildlich, aber ich denke, ihr wisst, was ich meine. Außerdem habe ich beobachtet, wie der verstorbene Mensch alles verloren hat, nachdem er sozusagen von Gott gefressen wurde. Dem Menschen blieb nicht einmal die Erinnerung an sein Leben, denn genau das war es, woran Gott interessiert ist. Gott sammelt die Erfahrungen und Erinnerungen jener, die an ihn glauben und die ihm dienen. Und soviel ich gesehen habe, macht Gott keinen Unterschied zwischen so genannten Heiligen und Sündern. Alle, für die er sozusagen der letzte Ausweg ist, werden von ihm verschlungen.
Es wird gesagt, dass Energie nicht vergeht, sondern sich nur verändert. Dem stimme ich zu, denn nie geht irgendetwas, was DA ist, verloren. Auch das, was Gott verschlingt, geht nicht verloren, denn Gott ernährt sich davon, - genauso wie sich Menschen davon ernähren, was sie essen. Vielleicht war die Dimension der Götter einmal sehr winzig und die Wesen, sozusagen die Götter in ihr, sehr schwache Lebewesen, die erst durch die Wahrnehmung anderer Lebewesen und durch deren Glauben gewachsen sind. Wovon sich die Götter, wie auch Göttinnen, vorher ernährten weiß angeblich niemand. Aber es schien zu ihrer Natur zu werden, die Gläubigen nach ihrem Tod zu verschlingen und sie praktisch zu ihresgleichen zu machen, - deren Energie sozusagen in göttliche Energie umzuwandeln.
Ob er sie irgendwann wieder ausspeit, kann ich nicht sagen, weil ich so etwas noch nie beobachtet habe. Wenn ihr mich nun fragt, woher die neugeborenen Lebewesen kommen, muss ich offen und ehrlich sagen, dass ich es nicht weiß. Aber ich nehme an, sie entstehen aus dieser wunderbaren Energiequelle, die ich vorhin angesprochen habe. Und ebenso nehme ich an, dass diese immense Kraft nicht außerhalb von allem Existierenden ist, sondern mitten drin. Wenn ihr sie also suchen solltet, dann beobachtet das Leben um euch, wie auch euch selbst. Vielleicht erkennt ihr dann, was euch von der Energiequelle alles gegeben wurde, das ihr durch euer Gier und euer Eigendünkel in euch selbst verschimmeln lässt.

So, genug der harten Worte, denn nun möchte ich zum Kern meiner Geschichte kommen! Natürlich könnte ich noch sehr viel aus meinem Leben als Vampir plaudern, wie viele Menschen meine Opfer wurden, und wie wenige davon zu Vampire wurden. Aber das wäre langweilig und außerdem immer das Selbe. Deshalb also zum Kern meiner Geschichte!
Aleksanders vampirische Mutter war seine Privatlehrerin. Und eben diese Privatlehrerin war mein Opfer. Es hatte mich damals in das Land geführt, das angeblich die Wiege der Vampire sein soll – Rumänien. Natürlich ist das absoluter Quatsch, denn Vampire gab es seit Anbeginn der Menschheit. Aber dazu später!
Die Privatlehrerin hieß Nina und war eine noch sehr junge Frau, - um die Zwanzig. Ich sah sie das erste Mal in der Nähe eines kleinen Dorfes, am Rande des Waldes. Ob sie schön war? Nun, Schönheit liegt – so wie eben alles – im Auge des Betrachters. Ich fand Claudine, die Zigeunerin, auch sehr schön, - schon deshalb weil sie eine dunklere Hautfarbe hatte. Nina hingegen war weiß, - sogar sehr weiß, was Menschen eher blass nennen würden. Sie hatte blondes Haar, und blaue Augen - sehr selten für diese Gegend. Ihre Figur war eher mollig, was Menschen vielleicht als sehr weiblich empfinden, - mit Rundungen, wo sie für Frauen hingehören. Nina trug ihre Weiblichkeit auch sehr offen zur Schau, indem sie ein Kleid mit einem sehr tiefen Ausschnitt trug. Es war jedoch ein sehr einfaches und ziemlich zerschlissenes Kleid, was mir sagte, dass sie aus einer armen Familie stammt.

Ich beobachtete Nina einige Tage, um ihre Routine zu erforschen. Die meisten Menschen leben eine bestimmte Routine. Sie stehen zu ganz bestimmten Zeiten auf, gehen zu ganz bestimmten Zeiten irgendwo hin, usw. Ich habe nur sehr selten Menschen beobachten können, die nicht nach einer bestimmten Routine lebten. Das macht es mir, wie auch den anderen Vampiren, fast unmöglich, sie einmal unbemerkt zu fassen.
Nina hatte eine Routine. Ihr Weg führte sie täglich um dieselbe Zeit zum Waldrand, wo sie Kräuter, Beeren und Pilze für ihre Familie sammelte.
Nach dem ersten Biss schleppte sie sich auf dem Boden zurück in ihr Heimathaus, wo schon ihre Mutter vor der Tür auf sie wartete. Es war ein lautes Gezeter, als sie ihre Tochter sah. Ich bewunderte Ninas Kraft, denn bis jetzt schaffte es kein Mensch, nach dem ersten Biss, nicht ohnmächtig zu werden.

Mein zweiter Biss jedoch ließ sie am Waldrand zusammenbrechen. Ich blieb bei ihr, bis sie munter wurde. Auch wunderte ich mich, dass sie den Mut hatte, abermals an dieselbe Stelle zu kommen, wo ich ihr begegnet war. Oder, dass ihre Mutter sie gehen ließ. Aber ich fand heraus, dass ihre Mutter behindert war. Sie hinkte und konnte schlecht laufen. Einen Mann sah ich nie im oder vor dem Haus.
Ich war nie in diesem Haus, - aber vergesst nicht, wer in andere Dimensionen blicken kann, kann auch durch Wände sehen.
Nina hatte noch eine Schwester, die vielleicht drei oder vier Jahre alt war. Also war sie es, die für die Familie sorgen musste und es ihr demnach nichts anderes übrig blieb, als abermals zum Waldrand zu kommen, an dem die meisten Kräuter, Beeren und Pilze wuchsen, welche die Familie als Nahrung brauchten, falls sie nicht verhungern wollten. Gleich neben dem Haus befand sich ein kleiner Stall, - eigentlich nur ein Brettervorschlag, hinter dem zwei Ziegen und ein paar Hühner herumliefen. Ninas Familie sorgte also für sich selbst.
Das eigentliche Dorf war etwas weiter weg – zu Fuß vielleicht in einer halben Stunde erreichbar. Man sah es vom kleinen Hügel aus, auf dem das kleine Anwesen Ninas Familie stand.

Als Nina ihre Augen aufschlug, hatte bereits die Dämmerung eingesetzt. Sie war wirklich kräftig, denn sie sprang sofort auf und schien sich nicht einmal ermüdet von meinem Saugen zu fühlen. Ich bat sie, Ruhe zu bewahren und mir aufmerksam zu zuhören.
Oh, habe ich erwähnt, dass Vampire jede Sprache beherrschen, um sich mit allen Menschen verständigen zu können? Nein? Wie das vor sich geht, kann ich nicht genau sagen. Es ist viel mehr ein Gefühl, - wie ein tiefer Blick in das Innerste der Menschen, um die Art, wie sie sich untereinander verständigen, zu verstehen. Alles andere geht dann wie von selbst. Mich wunderte ja auch, dass ich Rosario verhältnismäßig verstand und bald darauf in seiner Sprache mit ihm reden konnte.
 
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Nun, Nina bewahrte Ruhe und setzte sich wieder zu mir auf den grasbewachsenen Boden. Ich erzählte ihr alles, was ich für nötig hielt und was sie im Moment aufnehmen konnte, da sie – auch wenn sie äußerlich Ruhe bewahrte – innerlich doch sehr verwirrt war. Auf meine Frage, ob sie auch ein Vampir werden oder lieber sterben will, kam ihre Antwort sehr schnell in Form eines heftigen Nickens. Ich konnte auch gut verstehen, dass sie gerne von hier weg wollte, - zweifelte aber dennoch an ihrem „guten“ Herzen.

Aber es war dann anders, da sich Nina weiterhin um ihre kranke Mutter und ihr Schwesterchen kümmerte. Auch ich blieb in ihrer Nähe und half ihr, die Familie noch besser zu versorgen, dass man sagen könnte, die Mutter und das Schwesterchen lebten von da an fast in Saus und Braus und kamen auch nie in Verdacht bei anderen in der Nähe lebenden Menschen, dass sich irgendetwas geändert hätte.
Obwohl Nina noch blasser wurde und sich nicht mehr so oft wie damals im Haus aufhielt, stellte ihre Mutter keine Fragen. Es war auch so, dass Nina ab dem Moment, als sie zum Vampir wurde, zu ihrer Mutter ging und ihr sagte, sie solle keine Fragen stellen, sondern das Leben, das sie und ihre kleine Tochter fortan führen werden, genießen. Die kluge Mutter hielt sich daran.

Nina und ich blieben so lange an diesem Ort, bis die Mutter glücklich und zufrieden im hohen Alter starb. Die jüngere Schwester Ninas verließ das Anwesen schon viel früher und zog in einer größere Stadt, wo sie Arbeit fand. Sie kam nie wieder zurück, wohl auch deshalb, weil sie wusste, dass ihre Mutter von Nina weiterhin gut versorgt wird.
Unsere Opfer, die wir uns aussuchten, waren meist schwerkranke Menschen, wo es nicht weiter auffiel, dass sie so plötzlich verstarben. Wir konnten zwar nicht durch Wände gehen, sondern nur sehen, - aber ungesehen und ungehört in Häuser einzubrechen ist ein Privileg von Vampiren, dass es uns ein Leichtes war, an ein Krankenbett heranzuschleichen.

Zu dieser Zeit liebte ich es, jene Vampire, die ich selbst zu Vampiren gemacht hatte, zu beobachten. Also beobachtete ich auch Nina weiter, obwohl ich mich nicht immer in Rumänien, wo sie vorerst bleiben wollte, aufhielt. Und so kam es, dass mein Edelvampir, - so nannte ich Nina damals, weil ich ihre Liebe zu ihrer Mutter sehr hoch schätzte, - auf Aleksander aufmerksam wurde. Er war ein Sohn einer damals sehr reichen Familie, die sich sogar adelig nannte. Und laut Nina, war er ein sehr gut aussehender junger Mann, mit langem, blondem Haar. Sie verriet mir, wenn sie noch ein Mensch wäre, würde sie alles daran setzen, ihn als Gemahl zu bekommen. Ich muss zugeben, Aleksander war damals wirklich eine beeindruckende Erscheinung. Das, was die meisten Menschen später abschreckte, war nicht nur seine Blässe und sein ein wenig steifes Gehabe, sondern viel mehr seine Ausstrahlung. Vampire haben generell eine ganz andere Ausstrahlung als Menschen. Sie wirken vor allem kälter, - fast lieblos. Und doch haben sie mehr Gefühle und mehr Liebe in sich als Durchschnittsmenschen. Sich um sich selbst keine Sorgen mehr zu machen, bedeutet nicht, sich selbst gegenüber gefühlskalt zu werden. Es ist viel mehr das Gegenteil, denn jene Energie, die ich für mich selbst verschwende, kann ich besser für andere Lebewesen gebrauchen. Und genau das war bei Aleksander ganz besonders ausgeprägt, wodurch er auf Menschen um einiges kälter wirkte als andere Vampire.
Es gab nicht viele von uns, die sich so sehr um arme und hilfsbedürftige Menschen Sorgen machten. Aleksander war in dieser Hinsicht wohl eine gewaltige Ausnahme.

Nina bewarb sich also bei Aleksanders Familie als Hauslehrerin. Obwohl sie in ihrem früheren Leben weder schreiben noch lesen, geschweige denn wusste, was Zahlen sind, beherrschte sie diese Lehren als Vampir so gut, dass sie wirklich als Lehrerin in Frage kam. Es ist eben so, dass das vampirische Kollektiv jederzeit von allen Vampiren abgerufen werden wie in der so genannten moderneren Zeit die Computer.

Wie ich ja schon sagte, gibt es für Menschen ein ebensolches Kollektiv. Für alle Lebewesen gibt es ein abrufbares Kollektiv. Nur ist dies nicht allen Lebewesen bewusst. Manchen ist es gegeben, das sie es unbewusst abrufen und so auch leben können, - wie etwa vielen Tieren und auch Pflanzen. Tieren und Pflanzen sagt niemand, wie sich verhalten sollen. Sie tun es einfach, - sicher auch teils durch Beobachtung der Alten. Aber sehr viel mehr leben sie aus dem Kollektiv heraus, denn sehr viele Tierarten wachsen ohne Eltern auf, wodurch sie auf sich alleine gestellt sind und dennoch alles „richtig“ machen.

Nun ja, ich möchte nicht weiter darauf eingehen, wie Aleksander zum Vampir wurde. Auf jeden Fall war ich dabei, als er nach dem Begräbnis ausgegraben wurde und Nina ihn liebevoll in ihre Arme schloss.
Sie blieb noch eine Zeit lang in seiner Nähe, um ihn in das Vampirleben einzuführen. Erst dann verließ sie Rumänien und ward von mir auf Erden nie wieder gesehen.

Vorhin sprach ich das angebliche Ursprungsland der Vampire an und meinte, dass ich dazu später etwas sagen werde. Es gab nämlich einmal einen Zwischenfall. Ein bereits etwas älterer Vampir ließ sich in Rumänien in einem alten Schloss nieder und beschloss, dort zu bleiben. Er kümmerte sich nicht darum, dass es sich bereits herum gesprochen hatte, dass viele Menschen eines unnatürlichen Todes sterben und Menschen in der Umgebung des alten Schlosses den sehr geheimnisvollen älteren Mann in Verdacht hatten. Aber noch bevor er von den sich Rache nehmenden Menschen heimgesucht wurde, kam der persönliche Tod zu ihm und nahm ihn mit sich. Als nun die Menschen das Schloss stürmten fanden sie kaum eine Einrichtung in dem alten, wie auch bereits verfallenen Schloss, außer einen schwarzen Sarg, der in der Mitte der Eingangshalle stand und in dem der Geheimnisvolle angeblich geschlafen haben soll, als er noch da war.
Die Phantasie der Menschen besagt also nicht immer, dass sie damit andere Dimensionen anzapfen, sondern sehr wohl auch einiges auf ihren eigenen Mist gewachsen ist, wie das, was sie sich über Vampire vorstellen. Die Benennung „Vampir“ stammt ja auch von den Menschen. Wir würden uns auf jeden Fall anders nennen. Aber wir machen uns darüber keine Gedanken und deshalb bleiben wir bei dieser Benennung, auch wenn sie für Menschen keine besonders „gute“ Bedeutung hat.

So, warum ist Aleksander der Kern meiner Geschichte, die ich hiermit beende? Ich habe es bereits betont. Aleksander war und ist einer der vorbildlichsten Vampire, wie auch der unter uns bekanntesten Vampire, der unsere größte Achtung verdient. Und ich wage zu sagen, dass ich durchaus stolz darauf bin, dass er aus meiner Blutlinie hervorgegangen ist.
Ich habe auch beobachtet, wie er mit der kleinen Angelina, - sein letztes „Opfer“ in die Dimension gegangen ist, die zur neuen Heimat der Vampire, wie auch der einiger weniger Menschen, wurde. Es war ein strahlendes Erlebnis, dies zu beobachten. Kyle war auch zugegen. Aber er sah nichts. Er sah nur, wie die beiden urplötzlich verschwanden, als wären sie nur eine Projektion gewesen, die sich von einem auf den anderen Moment abschaltete. Ich aber sah, wie sich vor Aleksander und Angelina eine Lichtöffnung auftat – wie ein riesiges, aus Licht bestehendes Tor, durch das die beiden majestätisch hindurch schritten. Ich konnte auch noch einen Blick hinein werfen und sah, wie sie voller Freude von den anderen Vampiren begrüßt wurden. Und ich wage zu sagen, dass ich mich schon sehr darauf freute, auch in dieser Dimension aufgenommen zu werden.
Aber ich hatte noch etwas zu tun. Ich musste Kyles Schriften vernichten und auf den richtigen Moment dazu warten. Dieser Moment kam, als sich Kyle, kurz nachdem Aleksander und Angelina verschwunden war, in die Schlucht stürzte und vorher seine Schriften unter einem Felsen versteckte, in der Hoffnung, sie würden von Menschen irgendwann einmal entdeckt werden.
Wie schon anfangs erwähnt, vernichtete ich diese Schriften und machte mich dann bereit für die andere Dimension, in der ich bereits erwartet wurde.

Nun, was wurde aus den Menschen in der Dimension, die ich verließ? Es gab nur mehr wenige von ihnen – und sie waren weit verstreut in den entlegendsten Gegenden der Erde.
Irgendwann fanden sich diese wenigen Menschen zusammen und gründeten so etwas wie ein Ballungszentrum, in dem sie ihre Kultur wieder aufnehmen wollten. Wir waren alle neugierig und beobachteten die anderen Dimensionen natürlich weiterhin. Zu jener Zeit des Ballungszentrums fiel uns ein junger Mann auf, der sich Tibor nannte. Meine „Auserwählte“ hat über ihn geschrieben, - wie er sich zum Ballungszentrum aufmachte und dort zu großen Ehren kam. Er war derjenige, der die letzten Menschen auf ein sehr großes Ereignis vorbereitete, - auf das Kommen eines großen, roten Wolfes, dessen Fleisch den letzten Menschen Kraft geben wird.
Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte, über die meine „Auserwählte“ bereits viele Bücher geschrieben hat.

Ende
 
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