Dieser Ausschnitt stammt aus dem Buch "Die Mondfrau" (Dr. Clarissa Pinkola Estés, Psychoanalytikerin), das mir in einer sehr schwierigen Zeit meines Lebens eine große Stütze war.
Bis heute stelle ich mir die Frage, wie viel Manneskraft es braucht, um einer Frau in ihrer ganzen Weiblichkeit gerecht zu werden, sie zu achten und zu erkennen.
Wer das Herz einer Wilden Frau gewinnen will, muss ihre Doppelnatur von Grund auf verstehen lernen. (…) Einer ungezähmten Frau nahezukommen, bedeutet, dass man zwei unterschiedlichen weiblichen Wesen auf die Spur kommt. Das erste existiert in der Welt der äußeren Erscheinungen, ist zumeist sehr pragmatisch, zivilisiert und völlig menschlich, das zweite Wesen existiert hingegen in einer weniger sichtbaren Welt und, obwohl es hin und wieder an die Oberfläche kommt, um etwas erstaunlich Originelles, oft auch Weises zu verkünden, zieht es sich meistens recht schnell wieder in fernere Gefilde zurück und verschwindet – bis zum nächsten Mal.
Das Paradox der weiblichen Zwillingsnatur drückt sich zum Beispiel folgendermaßen aus: Wenn eine Seite eher gefühlskalt ist, kann man sicher sein, dass die andere leidenschaftlich glüht und sehr tief empfindet. Wenn eine Seite anhänglich und kontaktfreudig ist, dann ist die andere Seite zumeist unantastbar und schwer zugänglich. Oft ist eine Seite genügsam und relativ angepasst, während die andere sich vor Sehnsucht nach "Ich-weiß-nicht-was" verzehrt. Diese "Zwei-Kräfte-in-Einer" sind zwei verschiedene und doch untrennbare Elemente, die in tausendfältigen Kombinationen in allen Frauen auftauchen. (…)
Auch eine Frau verfügt über gewaltige Kräfte, wenn ihre Doppelnatur bewusst wahrgenommen und als unzertrennliche Einheit verstanden wird, wenn beide Seiten also gemeinsam gesehen werden, nicht getrennt. Die Macht der Zwei ist schier unschlagbar, und so darf keine Hälfte vernachlässigt werden, beide müssen gleich viel Nahrung bekommen, denn nur gemeinsam versorgen die beiden uns mit sagenhafter Energie. (…) Wenn Frauen ihre feminine Ausdrucksstärke und ihr Durchsetzungsvermögen verloren haben, dann deshalb, weil die zwei Komponenten ihrer Wesensnatur auseinandergerissen wurden, um eine Seite zu verhätscheln und auf Kosten der verleugneten Seite zu stärken. (…)
Dazu muss gesagt werden, dass Frauen sich oft verzehren vor Sehnsucht nach einem Partner, der eine solche Art von Ausdauer und Interesse an den Tag legt, um ihr eigentliches, verborgenes Wesen zu verstehen. Wenn sie einen Gefährten finden, der aus solchem Stoff gewirkt ist, dann schenken sie ihm rückhaltlose Liebe. (…)
Damit ist Arbeit verbunden und ausdauerndes Suchen. Man muss sich näher und näher an das Seelenrätsel heranschleichen und sich in die ahnungsvollen Tiefen hineinwagen, in denen sich die wahren Namen enthüllen. Wer dazu nicht bereit ist, kommt als Lebensgefährte nicht in Frage.
Ich persönlich liebe starke Männer, die leider die Ausnahme sind.
Aber lassen die Frauen dieser Tage sie überhaupt noch an sich heran?