Was passiert bei Aufstellungen?

F

Frater 543

Guest
Ok, der Titel ist vielleicht etwas trügerisch.

Ich möchte hier nach ein paar Gedankenmodellen fragen. Nicht ob Aufstellungen wirken oder nicht, sondern was mit den Stellvertretern passiert?

Wie kann es sein, dass man das als Stellvertreter erlebt, was man erlebt?

Ich habe Dinge bei Aufstellungen erlebt, die meiner Meinung nach, "Besessenheitszuständen" ähnelten, die ich teilweise von magischen Invokationen her kenne. Es hat mich sehr fasziniert und die Frage aufgeworfen, mit was für "Energien" man da eigentlich arbeitet.
 
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das erlaubt auch umgekehrt die frage, ob ein phänomen wie "besessenheit" nicht als systemisches phänomen begriffen werden kann. allerdings beruht der "mehrwert" systemischer arbeit m.E. darin, dass einsichten jenseits von kausalen begründungen erschlossen werden. das zeigt sich nicht nur in aufstellungen, sondern auch in anderen bereichen der noch sehr jungen "komplexitäts-wissenschaften", die frühere paradigmen wie "hier endet die wissenschaft, und hier beginnt die religion" nicht akzeptiert.

der vorteil der "besessenheit" während einer aufstellung ist das setting, das anfang und ende der "besessenheit" klar definiert - und selbst sehr nüchterne aufsteller wie jene aus der schule der konstruktivisten verzichten in der regel nicht auf einen mindstumfang an ritueller aktion, um den einzelnen repräsentanten darin zu unterstützen, wieder "zu sich zu kommen" und abzulegen, was nicht zu ihm gehört. wobei ja auch das seltsame phänomen auftritt, dass es einerseits für den verlauf der aufstellung egal zu sein scheint, wer als repräsentant gewählt wird (da wurden in experimenten etliche male hintereinander die repräsentanten ausgetauscht, und es lief ohne inneren bruch weiter) und andererseits es auch kein zufall zu sein scheint (aber was ist schon zufall...), dass jemand in eine bestimmte stelle im system geholt wird.

alles liebe,
jake
 
Ich habe Dinge bei Aufstellungen erlebt, die meiner Meinung nach, "Besessenheitszuständen" ähnelten, die ich teilweise von magischen Invokationen her kenne.
Lieber F. 543,

Das Thema in einem Forum abzuhandeln ist schwierig, weil es so unterschiedliche Assoziationen und Bewertungen auslöst und es hier ja nicht möglich ist, gemeinsame diesbezügliche Erfahrungen zu machen und auszutauschen, wie jeder sie deutet - alleine das Wort "Besessenheit" löst hier bei verschiedenen Menschen völlig unterschiedliche Bilder aus.

Ich würde es umgekehrt ausdrücken : seit Urzeiten geht jede religiöse Handlung vom Prinzip der Stellvertretung (Repräsentanz) aus. Die griechische Orakelpriesterin, die brasilianischen Trancetänze zur Verbindungen mit Göttern, das katholische Priestertum - sie alle haben gemeinsam, dass in der rituellen Handlung die Eigenpersönlichkeit zurücktreten soll und die Personen stellvertretend für seelische Wirklichkeiten (wie Götter etc.) wirken (oder zu wirken glauben). In den griechischen Tragödien wurde dies dadurch verdeutlicht, dass das Gesicht des Schauspielers durch eine Maske verdeckt wird - als Zeichen, dass dies nicht mehr der Schauspieler selbst ist, sondern die Wirklichkeit, die er "spielt".

Das heißt : die Aufstellungsarbeit nützt (wie auch die Psychotherapie zB. in der Traumarbeit) uralte Formen der Heilarbeit, die ursprünglich in einem religiösen Weltbild entstanden sind.

LG, Reinhard
 
das erlaubt auch umgekehrt die frage, ob ein phänomen wie "besessenheit" nicht als systemisches phänomen begriffen werden kann. allerdings beruht der "mehrwert" systemischer arbeit m.E. darin, dass einsichten jenseits von kausalen begründungen erschlossen werden. das zeigt sich nicht nur in aufstellungen, sondern auch in anderen bereichen der noch sehr jungen "komplexitäts-wissenschaften", die frühere paradigmen wie "hier endet die wissenschaft, und hier beginnt die religion" nicht akzeptiert.
Der Vorteil des systemischen Arbeit ist sicherlich, Wirkkräfte ernst zu nehmen und einzubeziehen - ohne durch belastete Bezeichnungen oder Deutungen aus der Vergangenheit Abwehrreaktionen auszulösen. Insoferne ist sie für mich ein wertvoller Zwischenschritt, wieder Zugang zu Wirklichkeiten zu gewinnen, die kulturell verpönt, abgewertet (oder verleugnet) und ausgegrenzt worden sind.

Wodurch aber wird ein System zu einem System - was ist das Wesen der Wechselwirkung und der gegenseitigen Beeinflussung - welche Kräfte wirken in einem System und "binden" es zusammen ?

Eine Zeit lang mag es befreiend und hilfreich sein, auf Bilder und Erklärungen zu verzichten und mit Variablen wie "x" und "y" zu arbeiten - aber irgendwann stellt sich die Frage : Welche Wirklichkeiten stehen hinter "x" und "y" ? Man merkt ja, dass man selbst auch mehr ist, als eine unpersönlich/neutrale "Variable im System".

Es gibt den systemischen Satz : "Zuerst hat man ein Problem. Dann findet man eine Lösung. Und dann wird die Lösung zum Problem."

Das systemische Denken hat viel ermöglicht und Erstarrungen aufgebrochen. Wenn man darin verhaftet bleibt, kann es aber auch wieder der Wirklichkeitsannäherung und der Erkenntnis im Wege stehen.

LG, Reinhard
 
... der noch sehr jungen "komplexitäts-wissenschaften", die frühere paradigmen wie "hier endet die wissenschaft, und hier beginnt die religion" nicht akzeptiert. ...
Dieses "Paradigma" der Trennung von Wissenschaft und Religion ist bei uns (sehr kurz ausgedrückt) das Ergebnis der katholischen Dogmatik, die die ganzheitliche Wissenschaft spaltete und die Beschäftigung mit religiös-metaphysischen Fragen der kirchlichen Autorität vorbehielt - und die aus ihrer Sicht unwichtigeren Bereiche der Beschäftigung mit den Gesetzmäßigkeiten der materiellen Welt (= die Naturwissenschaften mit der "Grauzone" Philosophie) den Laien zugestand.

M.E. geht es darum, diese für beide Bereiche auch sehr nachteilige Spaltung zu überwinden. ("Back to the roots" - sozusagen. Die "Komplexitäts-Wissenschaft" ist uralt - siehe zB. die Vorsokratiker -, und wurde bei uns durch den katholisch-christlichen absoluten Wahrheitsanspruch unterbrochen.)

LG, Reinhard
 
das erlaubt auch umgekehrt die frage, ob ein phänomen wie "besessenheit" nicht als systemisches phänomen begriffen werden kann. allerdings beruht der "mehrwert" systemischer arbeit m.E. darin, dass einsichten jenseits von kausalen begründungen erschlossen werden. das zeigt sich nicht nur in aufstellungen, sondern auch in anderen bereichen der noch sehr jungen "komplexitäts-wissenschaften", die frühere paradigmen wie "hier endet die wissenschaft, und hier beginnt die religion" nicht akzeptiert.

der vorteil der "besessenheit" während einer aufstellung ist das setting, das anfang und ende der "besessenheit" klar definiert - und selbst sehr nüchterne aufsteller wie jene aus der schule der konstruktivisten verzichten in der regel nicht auf einen mindstumfang an ritueller aktion, um den einzelnen repräsentanten darin zu unterstützen, wieder "zu sich zu kommen" und abzulegen, was nicht zu ihm gehört. wobei ja auch das seltsame phänomen auftritt, dass es einerseits für den verlauf der aufstellung egal zu sein scheint, wer als repräsentant gewählt wird (da wurden in experimenten etliche male hintereinander die repräsentanten ausgetauscht, und es lief ohne inneren bruch weiter) und andererseits es auch kein zufall zu sein scheint (aber was ist schon zufall...), dass jemand in eine bestimmte stelle im system geholt wird.

alles liebe,
jake


Sicher ist auch die Umkehrfrage erlaubt und ich persönlich störe mich an dem Begriff "Besessenheit" auch nicht.
Ich selbst habe mir noch kein eideutiges Urteil zu Aufstellungen gemacht, derzeit finde ich sie eher aus meinen oben genannten Gründen faszinierend. Inwieweit man Kausalzusämmenhänge ergründen kann, die sonst vielleicht verborgen geblieben wären, vermag ich nicht zu entscheiden.

Du schriebst, und so kenne ich es auch, dass alle Dir bekannten Auftsteller ein Mindesmaß an Ritual machen, um die Stellvertreter wieder "zu sich kommen zu lassen". Wie geht das bei euch vonstatten?

Ich kenne ein Beispiel von einem jungen Mann der noch ca. eine Stunde nach der Aufstellung ziemlich fertig war. Er war als Stellvertreter aufgestellt worden und begann nach kurzer Zeit zu schreien. Alle unterstützenden Maßnahmen im Feld ergaben keine Änderung des Zustandes und er wurde ausgetauscht. Er hatte im Anschluß anscheinend aber Probleme aus der Rolle "rauszukommen".

Achja, ich wurde dann an seine Stelle gestellt, und aufgrund dieser Situation komme ich auf meine Ausgangsfrage.
Mich hat es nämlich völig zerlegt. Ich erinnere mich noch wie ich sagen wollte, "Ach du scheiße", aber dazu kamm ich nicht mehr. Mein ganzer Körper krampfte wie bei einem epileptischen Grande Mal Anfall. Ich wurde dann kurze Zeit später auch ausgewechselt, hatte aber keine Problem wieder "ich" zu werden.
Ich bin wohl auch in Sekundenschnelle weiß geworden und meine Augen haben lustitg gerollt. Wurde mir berichtet.
Habt ihr etwas Ähnliches mal erlebt?
 
Wodurch aber wird ein System zu einem System - was ist das Wesen der Wechselwirkung und der gegenseitigen Beeinflussung - welche Kräfte wirken in einem System und "binden" es zusammen ?
Ich weiß schon, es ist oft schwer auszuhalten, auf Begründungen zu verzichten. Das Bedürfnis danach steckt uns tief in den Knochen. Es äußert sich schon in der Fragestellung "welche Kräfte wirken in einem System und binden es zusammen?" ... das setzt die Annahme voraus, dass ein System durch irgendwelche Kräfte konstituiert wird. Steckt dahinter nicht erst wieder die Vorstellung einer Art Psychomechanik, die Kausalketten knüpft? Wobei auch Variable wie x und y nichts anderes wären als der Versuch, "vorläufig noch Unbekannte" in ein Erklärungsmodell einzuführen, das von der prinzipiellen Erklärbarkeit ausgeht.

Ich bin da bei "meinem Freund LaoTse" (Bert Hellinger war mal so frech, das so zu bezeichnen :) und meine: "Könnte ich nennen das Tao, es wäre nicht das Tao." Wirkungen wahrnehmen, ohne Ur-Sachen konstruieren zu müssen ... ich meine schon, dass das möglich ist. Wirkungen in ihren Wechselwirkungen als Ordnung (und damit hab ich schon ein System) wahrzunehmen, ohne Ur-Sachen konstruieren zu müssen ... auch damit hab ich (außer dem erwähnten primären Reflex, erst mal Begründungen zu suchen) kein gröberes Problem. Viele dieser Missverständnisse, wie sie z.B. in der Kritik an Hellinger immer wieder auftauchen, scheinen mir da ihre Wurzeln zu haben: Da wird "Ordnung" nicht als beobachtete Struktur eines Vorgefundenen gewürdigt (die sich in einem anderen Vorgefundenen oder einem anderen Kontext in durchaus anderer Weise zeigen kann), sondern zu einem moralischen Postulat abstrahiert ... was nicht Hellinger selber tut, sondern erst seine Kritiker, die von einem anderen Systembegriff ausgehen, speziell die ideologisch erblindeten linken Kritiker, für die "System" ja prinzipiell ein Feindbild ist.

Annehmen, was ist ... bedarf das der vorherigen Erklärung oder der Kompatibilität mit einem existierenden Erklärungsmodell? Oder geht das eher in Bereiche, wie sie z.B. auch die Meditation erschließt - in Bereiche des unvermittelteren Wahrnehmens?

Die religiösen oder magischen Stellvertretungsmodelle betrachte ich mit einiger Skepsis ... auch da nicht zuletzt bestärkt durch Hellingers "Gottesgedanken". Was bitte nicht als antispirituelle Haltung missverstanden werden möchte ... im gerade erwähnten Buch auf S. 222 schreibt H. über das Lassen:

"Etwas so zu lassen, dass wir es behalten, ist das eigentliche Lassen. Bei diesem Lassen ziehen wir uns von etwas zurück, ohne es aus dem Blick zu lassen. Wir geben es durch unser Lassen frei, erlauben ihm, in etwas Größerem zu sein, ja darin aufzugehen. Zugleich treten wir selbst durch dieses Lassen in etwas Größeres ein, versinken in ihm, erfahren uns bleibend und finden in diesem Lassen zutiefst zu uns selbst. Doch ohne dass wir etwas halten.
Dieses Selbst hat keine Mitte mehr. Es ist im Lassen aufgelöst, für nichts mehr greifbar, ausgegossen, ohne eigene Grenzen, allem gehörig und dadurch es auch selber seiend. Durch das Lassen gewinnen wir, was immer uns begegnet."

In dieser Haltung treten Begründungen in den Hintergrund. Und der letzte Absatz des zitierten Hellinger-Textes scheint mir einen guten akausalen Zugang zur Antwort zu eröffnen, wie ein Repräsentant in einer Aufstellung empfindet.

Alles Liebe,
Jake
 
Ich weiß schon, es ist oft schwer auszuhalten, auf Begründungen zu verzichten. Das Bedürfnis danach steckt uns tief in den Knochen. Es äußert sich schon in der Fragestellung "welche Kräfte wirken in einem System und binden es zusammen?" ... das setzt die Annahme voraus, dass ein System durch irgendwelche Kräfte konstituiert wird.
Hallo Jake,

Das finde ich sehr unbefriedigend, Fragen auszuweichen, indem man das Weltbild des anderen (subtil) abwertet - in diesem Fall zu unterstellen, dass eine Frage aus dem Hintergrund entsteht, dass etwas "nicht ausgehalten" wird.

Anders gefragt : Was ist für Dich ein "System", wodurch wird für Dich etwas zum "System". (Du kannst es gerne auch ohne "Kräfte" verdeutlichen.)

LG, Reinhard

PS.: Dass das menschliche Urbedürfnis nach Erklärungen etwas ist, auf das man besser verzichtet, ist eine subjektive Präferenz ohne "Wahrheitsanspruch".

PPS.: Die Verbindung von Lao Tse und Hrn. Hellinger finde ich etwas anmaßend - wenn man zB. nur bedenkt, wie kurz und knapp das Tao Teh King gehalten ist (40 Seiten) und wie ausufernd das literarische Werk von Hrn. Hellinger wird.
 
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Du schriebst, und so kenne ich es auch, dass alle Dir bekannten Auftsteller ein Mindesmaß an Ritual machen, um die Stellvertreter wieder "zu sich kommen zu lassen". Wie geht das bei euch vonstatten?

Ich kenne ein Beispiel von einem jungen Mann der noch ca. eine Stunde nach der Aufstellung ziemlich fertig war. Er war als Stellvertreter aufgestellt worden und begann nach kurzer Zeit zu schreien. Alle unterstützenden Maßnahmen im Feld ergaben keine Änderung des Zustandes und er wurde ausgetauscht. Er hatte im Anschluß anscheinend aber Probleme aus der Rolle "rauszukommen".
ja, so etwas kenne ich durchaus. ich stand mal in einer aufstellung, in der ein anderer in dem augenblick, in dem er befragt werden sollte, ohnmächtig zusammenbrach. unterbrechung, nach einem weilchen, das im wesentlichen den bemühungen der aufstellerin galt, die runde der größtenteils mit aufstellungen unerfahrenen seminarteilnehmer wieder zu sammeln, ein neuer anlauf. ein anderer stand dann in der gleichen rolle ... und wurde ohnmächtig, als er befragt werden sollte. als sich gezeigt hatte, dass sich beide nach ihrem erwachen von der rolle unbeschädigt vorfanden, kam es zu einem dritten anlauf, in dem die "gefährliche" rolle mit einem stuhl besetzt wurde. die beiden zeitweilig bewusstlosen fühlten sich anschließend so gut wie vorher, auch am nächsten tag noch.

zur frage des "entrollens" ... verschiedene wege. vor allem eine markante, bewusste grenzziehung: "jetzt ist die aufstellung von ... zu ende, und damit treten wir alle aus ihr wieder heraus in unser eigenes system." das kann durch einen betont gesetzten schritt aus einem abschlusskreis heraus in die eigene position unterstrichen werden. manche schlagen vor, dass die repräsentanten sich aus den rollen herausdrehen (gegen den uhrzeigersinn, warum auch immer...). ich kenne es, dass sich repräsentanten gegenseitig abklopfen, und in "hartnäckigen fällen" habe ich (bei anderen) gesehen, dass es hilft, den raum zu verlassen und sich draußen hände und gesicht unter fließendem, kaltem wasser zu waschen. jedenfalls hatte es immer anteil am rituellen kontext einer aufstellung, so wie das sammeln zu beginn.

alles liebe,
jake
 
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