Ich finde es auch nicht richtig, ein Lebewesen unnötig leiden zu lassen.
Die Frage ist nur, wann ist dieser Punkt erreicht?
Beim Menschen ist die Lage ganz einfach gesetzlich geregelt. Da ist Euthansie verpönt. Doch wenn ich daran denke, vielleicht mit unerträglichen Schmerzen dem Ende entgegen zu sehen, dann würde ich mir schon wünschen, daß ich es auch ein wenig früher beenden dürfte. Aber das wäre eine Entscheidung, die nur ich alleine treffen kann.
Bei Tieren wird diese Entscheidung jedoch hauptsächlich von Menschen getroffen. Von Menschen zusammen mit ihren ureigenen Ängsten vor Sterben und Schmerzen und Tod. Ängste, die in solchen Fällen sehr schnell auf das Tier übertragen werden. Das Tier selbst sieht die Sache oft mit ganz anderen Augen.
Ich mache seit ungefähr 15 Jahren Tierkommunikation und habe in dieser Zeit viele Tiere auf diesem letzten Weg erlebt. Keines davon hatte ähnliche Ängste wie ich.
Meine erste Katze die ich begleitet habe, machte mir die Entscheidung sehr einfach. Sie verweigerte die Euthanasie komplett. Ohne Begründung, sie sagte einfach nein. Um die Ausdruckskraft dieses einzigen Wortes zu verstehen, müßte man sie gekannt haben. Ich habe mit ihr mehr als 16 Jahre zusammen gelebt und sie ist in dieser Zeit keinen einzigen Kompromiss eingegangen
Ich hatte große Angst. Ich hatte Angst sie leidet fürchterliche Qualen und ich würde daran schuld sein. Als sie die Orientierung verlor und taumelnd im Zimmer herumlief, dachte ich verzweiflen zu müssen. Ich hätte so gerne einen Tierarzt gerufen, aber ihre Antwort lautete (für ihre Verhältnisse erstaunlich geduldig) "NEIN".
Als ich am nächsten Morgen zur Arbeit mußte, fühlte ich mich fürchterlich. Der Gedanke sie könne elend zugrunde gehen lag mir schwer im Magen. Ich telefonierte ständig mit meinen Eltern, die ein Stockwerk unter mir wohnten. Die Lage war immer unverändert. Meine Katze lag still da oder versuchte ein wenig herumzulaufen.
Sie hat gewartet bis ich wieder heimkam - und dafür bin ich ihr unendlich dankbar. Denn ich durfte zum ersten Mal das Wunder des Sterbens erleben. Ich legte mich zu ihr auf den Boden, sie krabbelte auf meine Brust und da lagen wir dann zusammen. So nah war sie mir noch nie gewesen. Es spielte absolut keine Rolle, daß sie die Kontrolle über ihre Blase verlor. Sie war so nah und so deutlich, es blieb kein Platz mehr für Angst oder Verzweiflung. Ihre Atmung wurde langsamer und langsamer, ich konnte fühlen wie sie aus ihrem Körper ging, ich konnte sie deutlicher fühlen wie jemals zuvor. Sie war nicht mehr vor mir, sie war überall um mich herum.
Es war alles anders nach diesem Tag. Wem soll man schon sagen: "Gestern ist meine Katze gestorben, es war ein wundervolles Erlebnis"? Die Angst vor Tod und Sterben ist unter den Menschen so sehr verbreitet, daß es schwer ist, das Gegenteil zu akzeptieren.
Diese Katze hat für mich alles verändert. Ich lasse natürlich keines meiner Tiere gerne gehen, aber ich kann es nun akzeptieren. Die Trauer wird immer da sein, der Verlust und der Schmerz. Aber seit jenem Tag ist die abgrundtiefe Verzweiflung verschwunden, die ich sonst bei Abschieden empfunden habe.
Sterbebegleitung bei Tieren heißt vor allem, den Menschen zu begleiten und dem Tier damit den Weg zu erleichtern. Das muß nicht persönlich vor Ort sein, auch ich denke, daß man ein Tier damit sehr verunsichern oder gar belasten würde. Aber der Mensch braucht einen Ansprechpartner, jemanden der da ist, wenn die Unsicherheit oder die Zweifel kommen. Jemandem der "ein Stück vom Geschehen entfernt" ist und daher einen besseren Überblick hat. Das Tier selbst kann Wünsche äußern und sagen was es braucht, ohne sich durch eine Mauer von Selbstvorwürfen und Selbstzweifeln kämpfen zu müssen.
Ist die Bindung zwischen Mensch und Tier sehr eng, kann es durchaus sein, daß ein Tier irgendwann den Wunsch äußert, doch Hilfe vom Tierarzt zu bekommen. Es gibt keine zwei gleichen Fälle, es gibt so viele Arten mit dem Abschied umzugehen, wie es verschiedene Charaktere gibt. Es ist immer ein sehr persönliche Sache zwischen zwei Wesen, eine wichtige Sache aber nichts, wovor man entsetzliche Angst haben müßte.
Das einzige was im Leben wirklich sicher ist, ist der Tod. Doch er wurde in Krankenhäuser und Altenheime verbannt, aus dem alltäglichen Leben weit entfernt. Unsere Tiere können uns den Weg aus dem Leben wieder zeigen. Können uns zeigen, daß er nicht schlimm ist - auch wenn es "von außen" manchmal so scheint. Alles was wir darüber lernen ist wichtig, denn auch wir werden diesen Weg einmal selber gehen.
Sterben ist nicht immer ein romantisches "in den Armen einschlafen", es hat auch andere Gesichter, aber keines ist schrecklich, wenn man sich ohne Angst und Vorurteile darauf einlassen kann.
Und das wichtigeste was ich dabei gelernt habe ist, daß die Liebe alles überdauert.
LG Tüpfelchen