Episodenkalender

A

Abraxas365Mithras

Guest
Winter

Da fährt er mit mir in den Wald und holt die
Axt aus dem Kofferraum. "Darf man das denn?"
Meine Frage wird überhört und ich denke: Klar,
er darf sich im Wald einen Tannenbaum klauen,
doch wenn ich mir im Keller mal eine Flasche
Cola nehme, dann zieht er mir die Wasserwage
über den Rücken!

Frühling

In Reichshof Eckenhagen ist Geflügelmarkt und
ich muss natürlich mit. Irgendwann kommt eine
ältere Oma vorbei und fragt: "Ich suche ältere
Hühner, die schon gut Eier legen, haben sie
welche da?" Ich weiß, dass das nicht stimmt, doch lachend höre ich ihn sagen: "Na selbstverständlich, gute Frau, hier sehen sie selbst, ganz alt und gut
im Futter, doch ich verkaufe sie nur zusammen."
Und da verkauft doch der Schlawiner dieser
ahnungslosen Frau tatsächlich sechs junge Hähne
als alte Hühner. Doch wenn ich mir eine Unterschrift
unter die 5 in Mathematik mogele, dann fliegt mir
sein Gürtel um die Ohren!

Sommer

Das Auto soll verkauft werden und der Kunde will
heute noch vorbeikommen. Er hebt die Hand und
warnt: "Wenn gleich der Mann kommt und fragt,
ob das Auto unfallfrei ist, dann sagt ihr ja - verstanden?"
Uns verbietet er was er selbst in
noch größerem Maße tut, das ist nicht richtig.



Sommer

Wir stehen 1982 hinterm Haus auf unserer Hofwiese
und sammeln die Ästchen auf. Da entschlüpft mir
die Frage: "Papa, warum liegt denn der Apfel auf
dem Boden?" Erst schaut er verduzt, dann sagt er
mit schüttelndem Schädel: "Na, weil er vom
Baum gefallen ist, was soll die blöde Frage?"
Es kümmert ihn nicht weiter, die Ästchen sind
ihm wichtiger. 19 Jahre müssen vergehen, bis
ich mir diese Frage 2001 selbst beantworten kann.

Herbst

Jedes Jahr wird bei uns geschlachtet. So auch 1984.
Und ebenso oft sagt Oma immer wieder, dass wir nicht
zu sehen sollen, weil wir davon Alpträume bekommen.
Damit meint sie nicht das viele Blut und die zerstückelten
toten Schweine, sondern den Bolzenschussapparat, mit
dem der Onkel das Schwein totschießt. Doch ich muss
es immer wieder mit ansehn, weil mir die Alpträume
über die vielen Schläge hinweghelfen. Als das Schwein tot
ist, geht es los und ich renne den Balkon hinunter. Oma
hält den Eimer unter das Schwein um das Blut aufzufangen
und ich frage mal wieder was: "Warum ist rot eigentlich rot?"
Der Alte wird fast wie die Frage: "Was? Da gibt es nichts
zu fragen, das ist einfach so." Nach 14 langen Jahren werde
ich endlich erlöst, als ein Österreicher in mein Leben tritt
und mir erklärt, was ich mir bis dahin nicht erklären kann.
1998 finden zum ersten Mal viele Fragen eine Antwort,
und wenn er was nicht weiß, dann sagt er: Ich weiß es nicht!

Winter

Es gibt zwei harte Regeln, was den Fernseher betrifft.
Die erste ist unsinnig weich: Wir dürfen uns nur dann
mal einen Film ansehen, wenn wir ihn mit ihm ansehn,
was äußerst selten vorkommt, da er sich meistens den
Musikantenstadl reinzieht, was ich bis heute nicht
verstehe, denn der passt nun wirklich nicht zu seinem
Charakter. Und Film auf Wunsch gibt es nicht. Die
zweite Regel ist grausam brutal: Und wenn sie hundert
Mal das sieht, was wir gern sehen möchten, wir dürfen
nicht runter zur Oma um dort zu schauen, sonst gibt es
schlagenden Ärger. Bei einem dieser seltenen Fälle
läuft 1986 ein Western und ich frage: "Warum heißen sie
denn die glorreichen Sieben?" Er überlegt nicht lange
und sagt sehr unwillig: "Na, weil sie glorreich sind."
Nach 18 Jahren erfahre ich 2004 durch das Internet,
was ich damals gefragt habe.
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Herbst

Lautes Gegröle erfüllt den Physiksaal, der
Lehrer ist in den Nebenraum gegangen um
einige Sachen zu suchen. "Verdammt noch
mal, jetzt lasst mich endlich in Ruhe", fluche
ich und mein Kopf droht im wahrhaftigen Sinn
des Wortes zu zerplatzen, denn meine Adern
pressen sich hervor und ich werde röter als
der Rost von Eisen. Sie packen zu und werfen
mich in den chemikalischen Abfallbottich, über-
schütten mich mit Kleister und den Resten der
letzten Chemiestunde. Gefangen bleibe ich
bis der Lehrer zurückkommt. Er sagt dann mit
einem Karlvalentinlachen: "So, so, Kinder, nun
lasst den armen Kerl wieder los. Ihr habt längst
euren Spaß genossen, es reicht. Und wenn wir
jetzt mit unserem Unterricht fortfahren wollen...
wie sie sehen, sehen sie nichts, und warum sie
nichts sehen, das werden sie gleich sehen."

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Winter

Eine ältere Frau geht mit ihrem Hund spazieren
und fragt, weil sie sich alleine glaubt: " Ohgottogott,
sollen das etwa Iglus sein, die sehen mir doch eher
wie zwei Schneegräber aus?" Schmunzelnd geht sie
weiter und murmelt noch: "Die Kinder heutzutage..."
Sie kann ja nicht ahnen, dass man mich und meinen
Schlitten für diese Kunstwerke benutzt hat. Es ist
sehr mühsam, so lange zu warten, bis der Schnee
durch mein Kurzstoßatmen wieder etwas beweg-
licher wird. Ich weiß nicht einmal, wie lange ich
gebraucht habe um mich befreien zu können.
Diese Episode bewegt mich dazu, häufiger nur noch
mit Mädchen zu spielen und Puppen werden meine
neue Spielwiese. Jedoch nur bei den Mädchen zu
Hause. Welches Spiel sie auch immer machen wol-
len, solange es mich von den Jungs fernhält, mache
ich mit.

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Winter / Frühling

Zwei Sätze werden mir immer in Erinnerung bleiben,
weil sie doch ziemlich ähnlich sind, diese Sprüche
kommen von Lehrern, die unterschiedlicher nicht
sein können.

Fall 1 (1988) Bad Laasphe Feudingen

Die erste Ganztagshauptschule (die heute nicht
mehr existiert, da ist jetzt die Grundschule drin)

Der Lehrer kommt in die Klasse, legt die Arbeiten
auf den Tisch, wartet das Begrüßungsritual ab und
kommt sofort zur Sache. Er nimmt das oberste Heft
und sagt: "Und unser größter Chaot schreibt mal
wieder die beste Arbeit."

Fall 2 (2003) Nürnberg (Abendreal)

Der Lehrer ruft mich auf, was nicht oft geschieht
und sagt dann zum Schluss: Und unser größtes Genie
haut wieder kräftig daneben."


Wie wehrt man sich, wenn man keine Gewalt anwenden will?
Gibt es die Möglichkeit, Denkzettel auf Abwegen zu verteilen?
Jetzt ist noch kein Glaube da, der mir hilft, anders zu denken.
Werde ich am Ende die Schuld der Schuldigen und jener, die
sich zulassend raushalten, einfordern können?

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Frühling

So langsam spüre ich, wie das Fass in meiner Seele überläuft.
In meinen Gedanken spielt eine Frage mit sich selbst Billard,
während ich mich näher kommend auf die Schule zu bewege.
Mein siebenjähriger Blick wendet sich nach rechts und sieht
auf dem ansteigenden Grün, den frisch gemähten Rasen. Ist
das die Lösung, kann ich damit alle bis ins Mark treffen? Ich
bin noch etwas unsicher, doch schließlich siegt meine Neugier
und ich tu es. Mit beiden Händen stopfe ich mir dieses ölige
Gras in den Mund und kann das Erbrechen nur mit viel Mühe
zurückhalten. Der Benzingeruch verstärkt die Übelkeit um
einiges mehr. Meine Hände sind ziemlich grün geworden und
ich will sie säubern, doch da schlägt schon der Gong. An der
Hose wische ich die Hände ab, während ich der Wirkung
wegen zum Klassenraum renne. In der ersten Stunde passiert
noch nichts, doch kurz nach Beginn der zweiten fängt mein
Denkzettel an, sich zu enfalten. Nach zwanzig weiteren
Minuten ist der ganze Klassenraum, trotz der geöffneten
Fenster, gefüllt von meiner Rache. Doch erst als der Lehrer
gebeten wird, mich hinauszuschicken, weiß ich, dass dieser
Denkzettel einen Lorbeerkranz erhält. Denn er sagt: "Nein,
das werde ich nicht, sowas kann schließlich jedem mal
passieren." Noch viereinhalb Schulstunden müssen sie
meine Rache ertragen, bevor sie das erste Mal nach draußen
dürfen, doch dann geht es weiter. Denn erst nach zwei
Drittel der Fahrt hat der Busfahrer ein Einsehen und bittet
mich vorzeitig auszusteigen und den Rest zu Fuß zu gehen.

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Herbst

Ich weiß nicht, wie sie es schaffen, doch meine Schafe sind in der
meisten Zeit dreizehn Stück. Ob Tod, Geburt, Schlachtung oder
Verkauf, es bleiben dreizehn. Ich sage aus gutem Grund, dass es
meine Schafe sind, weil sie Opa nicht gehorchen und sein Sohn sie
dauernd schlägt. Ich rede mit ihnen in ihrer eigenen Sprache, weil
sie mich so verstehen können, nämlich Blökisch. Opa und ich fahren
mit dem Trecker hinauf zur eingezäunten Weide, weil wir nach dem
Wasser gucken müssen. "J..., geh schon mal ins Wäldchen, da muss
das Seil sich losgerissen haben, ich kann die Vorrichtung nicht sehen",
sagt Opa ungläubig. Ich schaue nach. Nicht nur das Seil ist ab, beide
Dachrinnen liegen umgekippt im Bächlein. Ich richte alles wieder her,
dann holen wir die fast leeren Wannen und sehen zu, wie sie sich
langsam füllen. Mit viel Mühe schleppen wir sie an ihren Platz zurück,
machen es uns etwas bequem und schauen den Tieren beim Trinken zu.
Da kommt Lem angewackelt, ein schwarzer Bock, und will gestreichelt
werden. Als er wieder davontrottet, lässt er genau vor meinen Füßen
seine Flocken fallen. In dem Moment kommt mir der Gedanke, wie ich
mich mal wieder rächen kann.
In der Pause greifen die entsprechenden Schüler, weil sie maßlos sind,
gierig in die Lakritztütchen und mampfen die angeblichen Katzenpfötchen.
Als sie merken, was die Stunde geschlagen hat, ist es bereits zu spät. Ihre
göttlichen Gesichter sind unbeschreiblich und meine Rache ein großer
Erfolg.

Epilog

Zwei Jahre später verlasse ich mit fünfzehn Jahren diesen Ort und werde
durch das Damoklesschwert ersetzt. Denn mein Weggang ist das Todesurteil
für meine Schafe. Sie müssen sterben, weil ich nicht mehr da bin. Opa
stirbt drei Monate vor ihnen. In all den Jahren darf mein türkischer Freund
unser Haus nicht betreten, weil er für ihn ein "Kanacke" ist. Doch kaum
bin ich weg, da holt er sich Türken ins Haus, welche die Schafe auf grausame
Weise schächten. Eigentlich bin ich auf dem Weg zu Oma, doch als ich schon
von weitem sehe, was da wie passiert, drehe ich mich gebrochen um und
gehe ins Altenheim. Ich brauche jetzt die Sorgen der Alten, die mich von
diesem Bild ablenken.
 
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