Geht mir ähnlich. Ich attestiere mir laufend Totalversagen in jeder Hinsicht und wenn sich irgendwo mal so etwas wie ein Erfolg zeigt, dann rede ich ihn so klein wie möglich und stelle ihm gravierende Misserfolge gegenüber, damit sie ihn niederbrüllen. Einerseits ist diese Angewohnheit besser als ihr Gegenteil, da sie theoretisch außergewöhnlich viel Motivation freisetzen kann, in Bewegung zu bleiben. Das Dumme ist, dass man sehr schnell die Lust verliert, irgendetwas zu versuchen, wenn man immer nur auf vernichtende Kritik stößt. Mein mieser Job und die Tatsache, dass ich nach 18 Jahren Schreiberei immer noch nichts Dauerhaftes zustande gebracht habe, sind weitgehend darauf zurückzuführen.
Dass es über alle Maßen töricht ist, sich selbst aus Trotz gegen sich selbst alle Wege zu verbauen, ist eine Erkenntnis, die dabei herauskommt, wenn sich die innere Giftspritze versehentlich selbst in die Zunge beißt. Sie geht schnell wieder im Chor der vermeintlich unverzeihlichen Verfehlungen unter.
Ich experimentiere momentan damit, die Selbstverachtung in bestimmten Fällen gezielt aufzustacheln, etwa wenn ich mich mal wieder von Stress oder Kummer überwältigen lasse oder mich im Umgang mit geliebten Menschen auf eine Art verhalte, von der ich eigentlich wissen sollte, dass sie falsch und dumm ist. Es geht darum, die innere Giftspritze gezielt auf Verhaltensweisen zu hetzen, die überwunden werden müssen. Wenn das klappt, will ich sie anschließend gegen sich selbst richten. Allerdings mache ich gerade die Erfahrung, dass diese Taktik sehr weh tun kann.
Vielleicht hilft es dir ein bisschen, wenn du dir der Tatsache bewusst wirst, dass du selbst die Quelle deiner Selbstverachtung bist und dass die Selbstverachtung paradox argumentiert. Wenn alles an dir dumm und schlecht ist, dann auch sie, und wenn sie dumm und schlecht ist, sind ihre Diagnosen für die Tonne. Hat sie wiederum recht, kann sie nicht recht haben, denn es braucht Beobachtungsgabe und Intelligenz, um eine Person so umfänglich analysieren zu können, und sie als Teil von dir stellt dich als durch und durch dumm hin. Kurz: In ihrer jetzigen Form ist die Selbstverachtung ein Haufen Mist. Sie projiziert das, was nur sie ist, auf dich.
Du bist ein intelligenter Mensch mit weitem Horizont, der sich noch dazu gut ausdrücken kann. Deine starke selbstkritische Ader, eigentlich gut und nützlich, ist anscheinend chronisch entzündet und will dir den Eiter, den sie absondert, als Bild von dir verkaufen. Nun sollte zunächst der Eiter als Eiter erkannt und behandelt werden. Von der Suche nach einer Ursache würde ich mir erstmal nicht so viel versprechen, denn es ändert oft wenig, eine zu finden. Wenn du aufhörst, dieser Stimme zu glauben, und anfängst, sie als (im Grunde harmloses) Symptom zu erkennen, wird es dir vielleicht sogar gelingen, sie mit der Zeit auszublenden.
Nur ein paar Gedanken dazu...