Schubumkehr

merlina40

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Schubumkehr
Wenn du weißt, fühlst und erkennst das die Tage deiner Eltern begrenzt sind und du zu begreifen beginnst wie begrenzt das Leben ist, fängst du an eine Art Umkehrschub eines U-Bootes zu vollziehen. Es fühlt sich an, als würde plötzlich alles in die andere Richtung drängen, und extreme Wassermassen würden um dich herum umgewälzt werden. Aufgewühlt und überwältigt. Als wären die Ohren betäubt von der Krafteinwirkung, die Augen verblendet, die Sinne völlig blockiert wie am tiefsten Grund eines Meeres. Du kannst dem nichts entgegensetzen, völlig wehrlos musst du begreifen wie die Wassermassen dich mitreißen in die Tiefe. Du hoffst das du genug Luft hast, und wenn du auftauchst die See wieder still und friedlich weiterplätschert. Das wird sie auch. Aber ich spüre, dass ich wo anders „auftauchen“ werde. Ich werde anders sein, die Welt wird anders sein. Sie wird ohne dich sein.
Aber war ich nicht ohnehin schon viele Jahre ohne dich? Warst du da? Oder war es bloß ein Gefühl von Selbstverständlichkeit das du eben doch „da“ warst? Viel mehr frage ich mich, ob du es selbst warst, der da war oder nur das was du mir sein wolltest? Ein Vater, eine Mutter. Aber niemals dein Wesen. Wer bist du? Die Frage kommt spät. Und ich verwette alles das du dir diese Frage gerade selber stellst, in den Stunden vor deinem Sterben. Ich glaube, du warst nie du selbst, in keiner Faser deines Seins. Niemals. Kein Mensch kann so sein, wenn er, er selbst ist. Du warst eine Marionette deines Lebens, ein Schausteller, der eine Rolle spielte. Eine sehr schlechte Rolle. Hast du dich je gefragt wer du bist und was du aus mir machst? Hast du dich je gefragt was du da tust? Hast du dich je überhaupt irgendwas gefragt? Oder warst du jahrzehntelang in diesem Umkehrschub? Unbegreiflich niemals aufzuwachen, unbegreiflich immer tiefer im Meer zu versinken. Unbegreiflich immer sinnentleert zu sein. Sinnlos und sinnbetäubt. Ich wünschte ich könnte sagen, du hattest keine andere Chance, du musstest so sein. Aber du hättest anders sein können. Ganz anders. Du hättest kämpfen müssen, und vom Grund des Meeres auftauchen, in Richtung Sonne. Dort wo man seine Sinne wieder fühlt, spürt und begreift. Wo man hört, sieht, riecht, schmeckt und vor allem fühlt. Tief fühlt. Mitfühlt und begreift.
Jetzt wo du gehst, inmitten meines Umkehrschubes, hab ich Angst selbst nicht mehr aufzutauchen, so wie du. Für immer in den Tiefen des Meeres zu versumpfen. Viel zu viel Angst die Wahrheit zu erkennen, wenn man oben aus der Tiefe auftaucht. Wie ein Delphin aus dem Meeresspiegel her auszuzischen und hoch zu springen der Sonne entgegen. Wieso die Angst mein kleines Mädchen? Wozu das seltsame Gefühl da unten könnte es besser sein? Die Meerjungfrau wählte für die Liebe das Leben über dem Meer. Ist es die Angst vor Liebe? Der Liebe niemals Genüge tun zu können. Der Liebe aus dem Weg gehen, nicht auftauchen, nicht fühlen wollen, von der Sonne verbrannt zu werden. Die Kiemen abzuschütteln und das Leben tief einzuatmen. Das Leben. Der Atem des Lebens. Des Lebens, das du mir schenktest. Ohne dich gäbe es mich nicht, und ohne mich gäbe es sie nicht und ohne dich gäbe es alle nicht. Ist das an Liebe genug? Gewesen zu sein. Sinnerfüllung.
Jedoch ihnen, habe ich die Sonne versprochen, nichts wird mich daran hindern sie ihnen zu zeigen.
Nein, aus den dunkelsten Tiefen deines Seins, hättest du auftauchen müssen, um der zu sein, der du hättest sein können, um aus mir die zu machen, die ich sein sollte.
Nun sind wir beide nichts, und du bald nichts mehr. Ein nichts. Ein Gewesenes. Eins, das da war, und wieder ging. Und wenn ich nicht anfange zu kämpfen, werde auch ich zu etwas Gewesenem. Das ist das einzige was du mich lehrtest durch dein Sein. Vom Umkehrschub zum Umkehrschub die Wassermassen zu verdrängen und aufzutauchen, um nicht in den Tiefen des Ozeans zu verharren, so wie du, gefangen in der ohrenbetäubenden, sinnvernebelden, atemraubenden Schubumkehr des Lebens.
 
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praktisches Beispiel einer Schubumkehr ...
jahrelang die Haut nach dem Duschen eingecremt,
ohne dem hätte ich nicht zur Arbeit gehen können -
extra Creme fürs Gesicht und extra Creme für die Füße,
aber dann war das Arbeitsleben beendet und das Gegenteil trat ein,
bloß nix eincremen, wie hab ich das bloß ausgehalten all die Jahre ...

:rolleyes:
 
Interessant....

Und ist die Haut irgendwie anders ?

Ich creme nie was ein, bin 42, und schon faltig und runzelig gg

Mir fiel nur eines auf, seit ich auf meiner neuen Arbeitsstelle nach dem Händwaschen eine Handcreme "zur Verfügung" hatte, cremte ich mir die Hände jedesmal ein, und meine Haut an den Händen, war noch nie so trocken wie jetzt seit ich sie creme (mach ich in Zukunft nicht mehr) Ich vermute wenn man "Fettiges" von außen zufügt....fettet die Haut von selber nicht mehr....sie wird quasi "faul".......

Na ja...Schubumkehr gibts im Leben massenweise...mir gefällt das Wort, ich könnte tausend Texte darüber schreiben....der obige text entstand weil die Tage meines Vaters gezählt sind, und ich mir Gedanken machte....wie sich "die Zeiten ändern", plötzlich ist man nicht mehr Kind, sondern die eigenen Kinder werden erwachsen und die Eltern verlassen diese Welt, und plötzlich ist man am anderen Ende der "Fahnenstange" ....und so ging es mir viel vielen vielen Dingen im Leben, die ich vorher "be- und verurteilen" wollte.....aber es wird mir immer klarer, das man zu nichts eine wirklich konstruktive wahrheitsgemäße Aussage tätigen kann, wenn man sie nicht "eins zu eins" genauso erlebt hat. Wie in dem Zitat vom Wandern in den Mokkasins eines anderen, bevor man ihn verurteilt......immer wieder plötzliche oder schleichende Kehrtwendung....immer und immer wieder....das einzige Konstante im Leben ist der Wandel, und manchmal eine kraftvolle "Schubumkehr" z.B. die Zeit in der ich permanent geliebt werden wollte, und plötzlich eine völlige "Schubumkehr" erlebte und vielmehr Liebe geben wollte....immer durch irgendwelche Initialerlebnisse...oder auch aus "heitrem" Himmel....

was war das Eincremen für dich ? Und warum hat es aufgehört ? Oder vielmehr was hat es "ersetzt" ?

lg
 
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Der Titel Schubumkehr gefällt mir.

Die letzten zehn Jahre sah es oft so aus, als würde mein Vater den nächsten Tag nicht erleben.
Aber er lebt immer noch und manchmal denke ich, wir gehen noch eher hinüber als er.

Das Eincremen hatte mal mit dem Hinweis einer Freundin begonnen:
wenn man es nicht regelmäßig täte, würde man später faltig und runzelig werden
und ab da war es Gesetz für mich.
Aber irgendwann nahm ich es als zwanghaft und nicht mehr stimmig wahr.
Ich hatte keine Lust auf dies Getüddel.
Die Kälte Anfang des Jahres hat mich dazu gebracht,
dem Gesicht doch wieder etwas Fett von außen zu geben.
Und den rauhen Fersen jetzt ebenfalls, in Anbetracht der Barfußzeit. Uff !

:rolleyes:
 
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