Mein Immer Wieder Traum

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Vincent Decker

Guest
Mein Immer Wieder Traum

Seit meinem zwölften Lebensjahr leide ich unter Migräne. Für eine Frau ist das schon qualvoll genug, da Übelkeit, Erbrechen, Flimmern vor den Augen und bohrende Kopfschmerzen gemeinsam wüten – ohne Gnade. Doch für mich war es die Hölle. Zu den eben genannten Symptomen kam noch die Schande hinzu: ”Ach, er hat mal wieder seine Migräne – der Schlappschwanz.“ Das einzige was mir half, war ein abgedunkelter Raum und absolute Stille.
Während so eines Migräneanfalls fiel ich in Tiefschlaf. Da hatte ich ein Traum, der mich seither immer wieder ereilt. Er lebt in einer Zeit die im Nirgendwo beginnt und sich im Irgendwo fortsetzt - immer und immer wieder. Ihn zu träumen ist nicht unangenehm. Eher gibt er mir Kraft, Zuversicht und dieses Kribbeln im Bauch für das es sich lohnt zu sterben und allezeit wiedergeboren zu werden.
Der Wald in dem das Geschehen spielt erinnert mich an Irland, genauer gesagt an den Ring of Kerry, im Südwesten der Insel. Alles dort, jedes Fleckchen Erde, jeder Baum ist intensiv grün. Ja, selbst die Steine sind mit Moos bewachsen und der Boden ist so weich wie eine Matratze. Die Luft ist dick und schwer, durch Feuchtigkeit geschwängert, es duftet modrig, süßlich, fruchtbar. Mein Körper ist von dieser Schwüle umgeben. Schweiß steht auf meiner Haut.
Ein dünnes Leinenkleid verhüllt ihre schlanke Gestalt. Auch sie ist schweißnass und der Stoff klebt auf ihrer Haut. Still steht sie an einem, mit Moos bewachsenen Stein, ist völlig in sich gekehrt. Das uns umgebende Licht erscheint unwirklich, der Himmel ist nicht zu sehen. Vielmehr zieht sich eine braun-orangene Decke über die Baumwipfel. Durch die Komposition aus Licht, Wärme und Feuchtigkeit fühle ich mich geborgen, als befände ich mich in einer Gebärmutter.
Plötzlich erscheint sie aus dem Nichts, schubst mich und ist im nächsten Moment wieder verschwunden. Ihr unbeschwertes Lachen durchbricht die geisterhafte Stille. Obwohl sie unerwartet kam bin ich nicht erschreckt, denn wir kennen uns seit Urzeiten, sind uns vertraut. Ich muss lächeln, fühle wie eine wohlige Wärme in mir aufsteigt. Die flüchtige Berührung ihrer Hand hat mich mit Energie aufgeladen. Ohne nach ihr suchen zu müssen, springe ich nach rechts, um sie hinter einem Baum zu finden. Lachend nehmen wir uns in die Arme, schmiegen unsere Lippen zusammen, atmen einander ein.
Meine Sinne schwinden. Als ich wieder zu mir komme, höre ich das Knacken von Ästen, darauf ihr helles Lachen. Ich bleibe liegen, genieße die Ruhe. Plötzlich springe ich auf, wissend das sie dort ist. Laufe zielstrebig zu einer kleinen Lichtung. Scharfe, grelle Sonnenstrahlen durchschneiden den Dunst der Waldluft. Sie tanzt über die Lichtung, dreht sich einem stillen Rhythmus folgend, mit ausgestreckten Armen im Kreis. Ihre Aura leuchtet. Aus ihren Augen strahlt pures Glück. Durch den Stoff ihres Kleides kann ich ihr zartes Fleisch erahnen. Ich stehe da, regungslos, erschlagen von ihrer Schönheit. Tränen in meinen Augen, unfähig ein Wort zu sagen. Mitten in der Drehung streift mich ihr Blick. Mit einem Ruck bleibt sie stehen, hält ihren Kopf schief, schaut mich fragend an, lächelt das Lächeln eines Engels, schwebt auf mich zu. Ich breite die Arme aus um sie zu fangen. Sie entkommt mir. Kurz darauf fühle ich, wie sie mich von hinten umschlingst, sich an mich schmiegt. Wir lachen ausgelassen. Auf meinem Rücken fühle ich das Pochen ihres Herzens, die brennende Hitze ihres weichen Leibes. Während ich all diese Eindrücke auf mich wirken lasse, verschwindet sie wieder.
Ruhig drehe ich mich um. Sie hat mir den Duft ihrer Haare hinterlassen, dem ich problemlos in der Lage bin zu folgen. Mit geschlossenen Augen liegt sie flach auf dem Boden, im weichen Moos. Ihre Haare sind gefächert wie ein Pfauenrad. Sie beobachtet mich durch die geschlossenen Lider. Ihre Arme hat sie über dem Bauch gekreuzt. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich im Takt des Atems.
Ich weiß, gleich wird sie die Augen öffnen, mich anlächeln, ihre Arme nach mir ausstrecken. Eine Situation die wir tausendfach durchlebt haben – die uns so vertraut ist. Ich reagiere nicht auf ihre Geste, halte sie hin, will sie ohne Worte necken. Wie erhofft kraust sie ihre Nase, lächelt versöhnlich. Kurz darauf verengt sie ihr linkes Auge indem sie den unteren Rand etwas hochzieht. Eine kleine Warnung die mir zu verstehen gibt, dass sie nicht mit sich spielen lässt...

Heute bín ich 47 Jahre alt und der Traum begleitet mich noch immer.
Was hat er zu bedeuten? Kann mir einer eine schlüssige Deutung anbieten?
 
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(Ich bin ehrlich gesagt nicht sicher, ob das jetzt nicht eine Verarschung sein soll, oder ob es ernst gemeint ist. Aber selbst falls nicht ernstgemeint, die Schilderung ist interessant. (Bist du übrigens jetzt ein Mann oder eine Frau? Ist aber ja auch egal.))

Erst einmal, ich bin kein professioneller Traumdeuter. Meine Deutungen kommen eher aus dem Bauch. Ich bin auch kein Psychologe. Meine Psychologie beruht auf persönlicher Erfahrung und aus Büchern.

Durch die Komposition aus Licht, Wärme und Feuchtigkeit fühle ich mich geborgen, als befände ich mich in einer Gebärmutter.
Das ist so viel ich weiss ein archetypisches Motiv. Es ist sozusagen die Urgeborgenheit des Kindes im Mutterleib vor der Geburt. Meist gehen damit Gefühle von ozeanischem Einssein, Geborgensein, Vertrauen damit einher. Auch Naturlandschaften sind da nicht selten. Die Natur zeigt sich dann nicht von ihrer abweisenden Seite, sondern als Ernährer, Beschützer - eben genauso wie die der Mutterleib das ungeborene Kind beschützt und ernährt.

Die neckische Frau scheint mir ebenfalls ein archetypisches Motiv zu sein. Die spielende Fee, das verspielte Irrlicht usw. sind ähnliche Motive, die in nicht wenigen Sagen und Mythen in der einen oder anderen Form vorkommen. Ein anderer archetypisches Motiv wären vermutlich "die spielenden Geschwister" (ohne Eltern). Da wären wir dann beispielsweise bei der biblischen Paradiesgeschichte angelangt (die ich jetzt soeben während ich das niederschreibe zum ersten Mal aus einem ganz anderen Licht sehe, dank den Büchern von Stanislav Grof).

Adam und Eva, die beiden ersten Menschen, die sozusagen noch ganz und gar in Einheit mit der Natur leben und mit ihr verbunden sind. Die spielenden Geschwister sind beide noch völlig unschuldig. Die im Traum angedeutete Körperlichkeit der Spielenden darf in meinen Augen nicht unter der herkömmlichen Betrachtungsweise von Sexualtiät und Fortpflanzung verstanden werden. Es ist eher der (noch) gänzlich unbeschwerte Umgang mit der eigenen Körperlichkeit gemeint, und der Körper wird nicht als Werkzeug zur Fortpflanzung verstanden. In der biblischen Schöpfungsgeschichte sind Adam und Eva am Anfang noch (natürlich) nackt. Erst nach dem Sündenfall bemerken sie das - sie werden sich quasi u.a. ihrer eigenen Sexualität gewahr. Und Gott spricht dann ja auch zu Eva, dass sie ab sofort Kinder unter Schmerzen gebären muss. Das ist der Moment, wo der Mensch erkennt, dass der eigene Körper eben auch Instrument für Sexualität sein kann.

Die Kinder haben keine Eltern, weil sie noch vollkommen von der "grossen Mutter" (in Form der Natur) umfangen sind. Eltern bedeuten Autorität (die in der Bibel dann in Form von einem (implizit männlichen) Gott auftritt). Sie sind sich selbst genug, während sie bloss miteinander spielen. Da gibt es keine tiefgreifenden Grübeleien, keine metaphysischen Spekulationen.

Interessant an dem Motiv ist aber der latente Dualismus, der bereits vorhandne ist. Da ist nicht einfach ein einziges geschlechtsloses Urwesen im Wald, sondern es sind zwei Wesen, die ein eindeutig identifizierbares Geschlecht tragen. Es gibt andere metaphysische Erfahrungen, wo der Mensch auch diese Hürde überwindet und beispielsweise gänzlich in einem grenzenlosen, gleissenden, lichtvollen Raum aufgeht.


Ich glaube, der Traum hat für dich persönlich und dein Leben keine "konkrete Aussage", im Stil davon, dass etwas "unbewältigt" wäre und zur Auflösung drängt. Ich denke, der Traum ist eher ein Eintauchen in eine Urerfahrung, die zum kollektiven Erbe aller Menschen gehört, es gibt nämlich entsprechende Mythen auf der ganzen Welt (nicht bloss Adam und Eva). Auf der andern Seite sind derartige Träume und Erfahrungen (die Erfahrung kann auch unter Drogeneinfluss, in Selbsterfahrungstherapie, in Meditation und anderen "bewusstseinserweiternden" Techniken gemacht werden) natürlich immer sehr wichtig, da sie den Zugang öffnen zu etwas, was sehr tief im unbewussten Bereich des Menschen verankert ist. Ausserdem sind sie fast immer für den/die entsprechenden Menschen eine Quelle von ganz fundamentalen Erkenntnissen und Weisheiten, die kulturunabhängig, zeitunabhängig sind. Es ist so, wie du sagst: Es lohnt sich dafür zu sterben. Denn die darin enthaltenen Weisheiten gehen nämlich durchaus über die Grenzen der Persönlichkeit hinaus. Was DU hier in diesem Traum erfahren hast, gehört zum kollektiven Unbewussten ALLER Menschen (zu jeder Zeit, an jedem Ort, in jeder Kultur), es ist somit überpersönlich/transpersonal (oder wie auch immer man das bezeichnen will). Damit sprengt eine solche Erfahrung die Grenzen der menschlichen Indiviudualität und Sterblichkeit, denn der Mensch hat jetzt Zugang zu einem Bereich, der für alle Menschen für alle Zeiten gilt. Es enthebt dich damit ein Stück weit aus dem gängigen Weltbild eines "hautumschlossenen Ich". Denn deine Psyche trägt Teile der ganzen Menschheit in sich, was sich dann eben in einem solchen Traum zeigt.

Wie der Zusammenhang zu den Kopfschmerzen aussieht, kann ich nur spekulieren. Womöglich bist du epileptisch veranlagt oder dergleichen (ich kenne mich da nicht aus). Es mag sein, dass in deinem Kopf dann etwas aus dem Gleichgewicht kommt und während dir das zwar Migräne bereitet, unterdrückt es das Alltagsbewusstsein. Dadurch werden dir dann wiederum die Zugänge zum Unterbewussten geöffnet, was sich dann in deinen Träumen niederschlägt. Leider existiert für solche Dinge bisher leider bisher wenig Forschung und Wissen. (Es ist meine Überzeugung, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis solche Dinge besser untersucht werden, aber es braucht mehr Zeit, bis das ins Bewusstsein der Leute durchgedrungen ist. Man sehe sich nur mal den Thread "Wie Wissenschaft nicht funktioniert" an.)

Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen.
 
Hallo Vincent,

ich denke in eine ähnliche Richtung wie fckw.
Auch ich habe mich gefragt, ob das ernst gemeint ist. Diese Geschichte ist sehr phantasisch und gut geschrieben.
Ich nehme an, du bist ein Mann

Ich kenne eine Frau, die während massiver Migräneschmerzen die wunderschönsten Märchen und Geschichten schreibt. Sie sagt manchmal, sie weiß nicht was vorher da ist. Die Idee für eine Geschichte oder diese furchtbaren Schmerzen.

Mein Sohn litt schon von Geburt an an Migräne. Ein Kinderarzt riet mir, ich soll mit ihm so oft wie möglich in die Natur gehen. An Teiche, Seen, oder in den Wald.
Wir befolgten diesen Rat. Und es war gut so. Vielleicht wäre die Migräne über die Jahre hin von allein verschwunden, ich weiß nicht, aber das hat ihm sehr gut getan.

Heute ist er fast erwachsen und leidet "nur noch" unter Wetterfühligkeit bei starkem Wetterumschwung. Da kann es noch sein, dass er Kopfschmerzen bekommt, die ein wenig heftiger sind, als "normale" Kopfschmerzen.

l.g.
Ariadne
 
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Nachtrag:
Du gibst dem Traum einen interessanten Titel, Vincent: "Der Immerwieder-Traum". Das erinnert etwas an "Peter Pan" und "Neverland" - ein Land, wo die Zeit nicht vergeht und die Kinder ewig Kinder bleiben, ausserdem sind die Erwachsenen dort nicht anwesend. Auch das geht in die Richtung von Adam und Eva und dem Paradies, wo die Menschen noch keinen Alterungsprozess und Tod kennen.
 
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