Die Botschaft

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Nahatkami

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Die Botschaft

Ungeduldig wartete sie, obwohl Geduld auch zutreffend wäre, da sie schon so lange wartete. Seit tagen, seit Wochen, seit Monaten. Sie tat nichts, als ununterbrochen aus dem fenster zu starren, mit flatternden Augen und unbewegtem Gesicht den Horizont absuchend. Wieder und wieder und immer wieder. Nur selten wagte sie, ihren Blick zu lösen, von den weiten, leeren Hügeln im Nebel. Denn was, wenn gerade in diesem Augenblick die Botschaft eintreffen würde? Das würde sie sich niemals verzeihen.
Nach außen hin Ruhe und Gelassenheit ausstrahlend, schweifte ihr unruhiger geschärfter Blick Tag und Nacht. Nur manchmal, wenn ihr Körper sich ihr aufdrängte und nach Aufmerksamkeit verlangte, wandte sie sich seufzend ab, verließ ihr Zimmer und lief schnell die kalten, dunklen, abgetragenen Stufen aus Stein hinab, um sich zu erleichtern. Doch diese lästigen Unterbrechungen wurden seltener. Sie hatte aufgehört ihren Körper mit Nahrung oder wasser zu versorgen. Wichtig war der Geist. Und die Botschaft. Auf keinen Fall durfte sie diese übersehen.
Tag und Nacht stand sie vor dem geöffneten Fenster oder wie es nun immer häufiger wurde, saß sie dort. Die Augen fixiert auf die Ferne. Die Kälte der Nacht machte ihr nichts aus. Sie war stark und es gab wichtigere Dinge als ihr erbärmliches Frieren. Sie hatte sich auf die aufeinanderschlagenden Zähne gewöhnt, es gehörte zu ihr, so wie der Schweiß des unendlich heißen tages und ihr von der Sonne verbranntes Gesicht, die ausgetrockneten Lippen. Den Schmerz konnte sie ertragen, verdrängen, manchmal. Ein Versagen würde sie sich niemals verzeihen.
Es gab Augenblicke, in denen sie erschrack vor ihgren schrumpeligen, alten Fingern, bis sie begriff, das es ihre eigenen waren. Dann beruhigte sie ihr Herz, indem sie ihren Blick wieder nach draußen zwang und an nichts anderes dachte, als an die Botschaft. Wenn sie doch nur endlich eintreffen würde! Wie lange wartete sie schon? Vielleicht war der Bote schon da gewesen, zweifelte sie ab und an. Als sie kurz einmal nicht hingesehen hatte. Als sie einmal für sekunden die Treppen hinabgelaufen war. Vielleicht, vielleicht...
Doch nein, das hätte sie gewußt, gespürt, wäre es so gewesen. Sie war sich sicher.

Irgendwann erschrack sie wirder vor ihren Händen. Vor diesen gespenstischen hautüberzogenen Knochen. Lange starrte sie sie an, dann bewegte sie ihre Finger unter Schmerzen, führte sie an ihr Gesicht und berührte es. Ihre Wangenknochen stachen sie fast, so sehr waren sie zu sprüen. Ihre Augen schienen weit im Schädel zu liegen. Vielleicht hätte sie geweint aus Angst um sich, doch sie wußte nicht mehr wie es ging; vielleicht hatte sie auch keine Tränen mehr, keinerlei Flüssigkeit in sich. Hätte sie einen Spiegel besessen, hätte sie sich nicht erkannt und wäre wahrscheinlich gestorben wegen des Schocks ihrer Erscheinung. Doch sie besaß keinen Spiegel, nur dieses leere Zimmer, diesen Ausblick.
Und wenn er doch schon hier war? Grausam kalt war die nacht, als sie das dachte. Ihre Zähne klapperten und sie versuchte sich mit ihren spindeldürren Armen zu wärmen, indem sie diese um ihren knochigen Körper warf. Selbst ihr Haar, was noch ein wenig Schutz hätte geben können, war längst ausgefallen und vom eisigen Wind davongeweht. Nein, dachte sie, dann wäre alles umsonst gewesen. Er war noch nicht hier. Nein...
Als der Morgen graute blickte sie diesmal erschöpft und furchtlos auf ihre Hände. Sie konnte die tiefen Falten sehen, die dunkllen Flecken, die sich auf der sonnenverbrannten Haut abzeichneten. Und zum ersten mal nach fünfzig jahren spürte sie Panik und Verzweiflung in sich aufsteigen. Er war nie hier, er wird niemals kommen. Ihr blieb keine Zeit mehr. Zu lange hatte sie warten müssen...
Ihre Augen - die einzigen an ihr, die jung geblieben waren und Lebendigkeit in sich trugen - schweiften traurig aus dem fenster in den bläulich gefärbten Nebel des noch kalten Morgens.

Bevor sie ihn sah, fühlte sie ihn. Endlich! Endlich! Ihr Herz pochte wie schon lange nicht mehr. Sie konnte es wieder fühlen. Und dann sichtete ihre Seele ihn. Blau wie der nebel hätte man ihn wirklich leicht übersehen könen. Doch ihre Augen waren geschult, ein Leben lang auf diesen Augenblick vorbereitet. Sie sah ihn. Dort, wo sich seine Umrisse abzeichneten, kräuselte sich die Luft. Er war riesig mit gewaltigen Federn, einen langen schön geschwungenen Hals und einem schmalen, länglichen Kopf. Sie hörte das Schwirren in der Luft und nahm den Wind wahr, den er verursachte. Kreischend zog er drei Kreise. Dreimal. Dann, als die Sonne sich erhob und er bereits umkehrte, leuchtete sein helles blau strahlend auf, so daß es jeden blendete, der es sah. Doch nicht sie. Denn sie war die Auserwählte, ihre Augen waren ewig, ihre Augen waren blind.
Sie erhob ihre schmerzenden Glieder und fühlte sich einen Augenblick federleicht. Dann kamen die Schmerzen zurück, die Knochen knackten. Die dünnen steifen Hände zogen die Läden des Fensters zu und gedämpftes Licht quoll durch die Ritzen des alten, morschen Holzes in den Raum, wo sie so lange gewartet hatte. Sie fühlte sich alt. Sie war alt. All die Jahre...

(08.02.2003)
 
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Hm, ich selbst finde die Geschichte gar nicht traurig :-))

Danke für Deine Antwort!

Alles Liebe, Nahatkami
 
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