warum wohl gerade hier nicht, chris? nur mal so sarkastisch in den raum gestellt... wir navigieren doch unser ganzes leben durch himmelschreiende widersprüche...Hier wird paradoxerweise moralisch in zweierlei Mass gemessen.
zum thema: ich habe im vergangenen herbst meine mutter in den tod begleitet. aus einem rüstigen, sehr aktiven leben binnen zwei monaten per leberkarzinom in den tod. die patientenverfügung meiner mutter war eindeutig, aber auch überflüssig - es wäre eh keine apparative lebensverlängerung mehr möglich gewesen.
sterbehilfe in stufen. im augenblick der ärztlichen diagnose wusste sie: das ist mein todesurteil. als wir, meine schwester und ich, sie einen monat später aus dem norddeutschen ort, in dem sie lebte, in den süden holten, um sie im kreis ihrer kinder und enkel zu haben, hatten die metastasen bereits auf das gehrin übergegriffen, und es war kein schöner anblick, etwa das völlig unkontrollierte verdrehen beider augen zu sehen oder ihre mentalen ausfälle und ihr ausfällig werden zu erleben. nur noch wenige, kurze perioden der bewusstheit...
kann man diesen anblick kindern zumuten? wir muteten, und siehe da: sowohl für meine beiden teenager als auch für die kinder meiner schwester und deren kinder war es eine begegnung mit dem leben, mit dem ende des lebens, das dazugehört. der mut, da einfach hinzusehen, statt sich den ängsten der verdrängung auszuliefern, hat ihnen und uns eine tiefe erfahrung beschert, wobei wir von unseren kindern lernen durften. und sie konnten sich verabschieden und unsere mutter von ihnen.
gegen schmerzen und übelkeit half die palliativmedizin, und die letzten wochen waren ein dämmern, ein sehr langsames sterben einer physis, die immer noch voller kraft zu stecken schien.
wir lösten die norddeutsche wohnung auf und fanden, dass die alte dame etliches bereits ganz wunderbar vorbereitet hatte... ihre schritte des abschieds. für meine schwester und mich auch ein abschied von dem ort, an dem wir aufgewachsen, unsere jugend verbracht hatten.
wir erzählten unserer mutter davon, wie meine schwester ihr auch aus der zeitung vorlas, die enkel und urenkel mit ihr redeten, diesen verfallenden, kaum noch reagierenden körper streichelten... und als hätte sie diesen bericht noch abgewartet, dass wir die dinge geregelt hatten, konnte sie zwei tage später loslassen und friedlich sterben.
das alles hatte uns unvorbereitet getroffen, ohne übung und ohne idee, wie wir denn eigentlich wirklich mit "so etwas" umgehen würden. und dann war es da, und es war ganz selbstverständlich und eine der tiefsten erfahrungen meines lebens überhaupt, für die ich sehr dankbar bin. es war sterbehilfe... und es war lebenshilfe für mich. auf diese weise einen menschen zu begleiten hilft nicht nur ihm, sondern auch den begleitenden.
in wirklichkeit hatte es schon vorher begonnen. nach einer zeit lebens sehr konfliktbeladenen beziehung zu meiner mutter hatte ich vor wenigen jahren in einer familienaufstellung - auch das eine "wunder"bare erfahrung - diese beziehung in ordnung bringen können; von dort an gingen wir ganz grundlegend anders miteinander um. hätte, wäre, würde bringt nur sinnlose überlegungen... ich weiß nicht, wie ich mit ihrem tod zurech gekommen wäre, wenn es nicht zu dieser ordnung gekommen wäre. will sagen: sterbehilfe beginnt schon früh im leben, dort, wo wir daran arbeiten können, gut miteinander zu leben, unsere beziehungen in ordnung zu bringen. unerträglich wird der tod wohl vor allem dort, wo er schuldgefühle hinterlässt.
letzten endes ist es aus meiner sicht nicht möglich, den umgang mit dem tod aus der eigenen verantwortung zu entlassen und einer allgemeinen norm - egal ob gesetz oder moral - anzuvertrauen. ich meine, es hat seinen sinn, das leben bis zu seinem ende zu leben, ich habe das am tod meiner mutter als geschenk erfahren, wobei ihre letzten wochen durchaus indikationen für eine künstliche beendigung ihres leidens geliefert hätten. ich respektiere aber auch andere entscheidungen. es ist ja auch die frage, inwiefern denn der zeitpunkt des todes wirklich in unserer hand liegt ... nur die unmittelbaren ursachen machen den unterschied: "natürlich" oder tötung durch menschenhand.
schlecht wird mir nur, wenn ich die abgeschobenen sterbenden sehe, verlassen von verwandten und freunden, die dem tod nicht ins auge sehen können, begleitet vom wunsch, es möge doch ein bisserl plötzlich und möglichst unauffällig zu ende gehen, um irgendwem nicht zu last zu fallen... aber das ist keine frage des sterbens, letztlich. diese kälte hat schon lange vorher im leben platz gegriffen.
darum gilt wohl auch hier: wir sterben so, wie wir leben. und damit haben wir eigentlich alles in der hand, um uns selbst zu einem guten tod zu verhelfen: ein gutes leben führen...
alles liebe, jake