Das Buch von the_pilgrim

Der Gandrock stubste sie mit dem Vorderhuf an. Ächzend stand sie auf, zahlte die Mietgebühr und schnallte den großen Behälter ab, den sie mitgebracht hatte. Dann wollte sie sich wieder in den Sand legen. Das Meer rauschte. Die Sonne brannte zwar nach wie vor heiß vom Himmel, aber durch einen leichten Wind war die Hitze hier angenehm. Ach verdammt, sie konnte es genauso gut gleich hinter sich bringen, statt sich noch länger damit herumzuquälen. Dann hatte sie es wenigstens hinter sich. Also stapfte sie wütend und völlig ausgelaugt in Richtung Oase. Der Behälter schwebte hinter ihr her. Hi–tech, was sonst.

Überraschenderweise saß da eine Gestalt am Strand. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass noch jemand hier war, im Gegenteil, man hatte ihr versichert, dass es außer Tieren nur Wesen gab, die im Wasser lebten. Angeblich konnten nur die Dolbs das Wasser verlassen. Schwebend. Und sie waren winzig. Sie ging auf die Gestalt zu, die sich als durchgeknallter Surfertyp entpuppte und keine Gefahr darstellte. Mit dem würde sie spielend fertig werden, wenn er so blöd war, es drauf anzulegen. Er sah nicht sonderlich glücklich aus. Wie jemand, dem das Leben auch gerade einen Tritt verpasst hatte. Amanda fand das sympathisch, und bevor sie wusste, was sie tat, hatte sie sich auch schon zu ihm gesetzt. WTF?!

„Hi”, sagte sie, von sich selbst überrascht.

„Hi”, antwortete Josh teilnahmslos.

Schweigen.

Er seufzte. „Tut mir leid, ich bin gerade keine gute Gesellschaft.”

„Passt. Ich auch nicht.”

Schweigen.

Erst jetzt sah Josh sie wirklich an. Ja, das schien zu stimmen. Sie machte keinen sonderlich entspannten Eindruck. Ein Cyborg, sah noch nagelneu aus, und mit Equipment im Schlepptau. Na, die waren sowieso heftig.

„Was treibt dich denn durch die reizende Wüste? Hast du die Reise auch so genossen wie wir?”, fragte er sie.

„Wir?” Amanda sah sich um. Sie konnte sonst niemanden am Strand entdecken.

„Ja, mein Freund liegt da hinten im Gras und ist kopfdoof. Deswegen sind wir hier, leider ziemlich vergeblich. Und du?”

„Ach, ich soll nur die Dolbs entführen.” Es war raus, bevor ihr Hirn Veto einlegen konnte. Entsetzt starrte sie den Surfer an, diesen schrägen Typen, der aussah, als würde er gleich anfangen zu weinen hinter seiner albernen blauen Sonnenbrille – und der Blick in diese Augen gab ihr den Rest. Das letzte, mickrige bisschen Selbstbeherrschung, an dem sie sich festgeklammert hatte, zerbröselte und verschwand – und dann fing sie an zu heulen. Wie eine blöde Kuh, einfach so vor einem Wildfremden, aber selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte nichts dagegen tun können, es floss aus ihr raus und es gab kein Halten. Also heulte sie, heulte alles raus, was sich in den letzten drei Wochen angestaut hatte, ach Quatsch, was sich in den letzten sieben Jahren angestaut hatte. Josh legte ihr einen Arm um die Schulter, Amanda sah ihn durch ihren Tränenschleier an – und dann lagen sie sich in den Armen und heulten beide Rotz und Wasser.

Als sie sich einigermaßen beruhigt hatten und sich verlegen und schniefend voneinander lösten, schnippste Josh zwei Taschentücher herbei und reichte eins dem Cyborg. Geräuschvoll schnäuzten sie sich die Nasen.

„Cooler Trick, wie hast du das gemacht?”, fragte sie verrotzt nuschelnd.

Josh zuckte mit den Schultern. „Ich bin ein Dschinn. Dinge herbei zu schnippsen ist eine meiner leichtesten Übungen.” Er hörte sich nicht viel besser an und sah erbärmlich aus mit seinen verquollenen Augen und der roten Nase. Amanda ging davon aus, dass sie selbst einen ähnlichen Anblick bot. Na super. Sie seufzte. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor geweint zu haben und war überrascht, dass ihr Cyborg–Körper das überhaupt konnte – und dass er das zuließ.

„Dolbs entführen, man. Das hört sich nicht sonderlich nett an, wenn du mich fragst.”

„Da stimme ich dir vollumfänglich zu. Nett is anders.” Sie verdrehte die Augen.

„Und? Bist du nett oder wirst du es tun?”

Amüsiert sah sie ihn an. „Das hört sich ja an, als würdest du nicht einmal in Erwägung ziehen mich aufzuhalten.”

„Ich denke nicht, dass ich das könnte. Selbst wenn, du würdest es später wieder versuchen, oder? Cyborgs führen ihre Aufträge aus, man, egal was kommt, das weiß doch jeder.”
 
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Amanda ließ den Kopf hängen. „Genau das ist das Problem. Ich will nicht, aber das Konglomerat, das dieses Ding hier erschaffen hat, sitzt am längeren Hebel.”

„Ach echt?”

„Ja. Sie können mich lahmlegen oder fernsteuern, wenn es ihnen in den Kram passt. So einfach ist das.”

„Und? Musst du mich jetzt töten, weil ich deinen Auftrag kenne?” Josh grinste schief und zog eine Grimasse.

Amanda zuckte zusammen und starrte ihn an. Erst jetzt wurde ihr klar, was sie da angerichtet hatte. „Oh Fuck!”, fluchte sie. Nicht auch das noch. „Wenn's nach dem Konglomerat geht, ja”, brachte sie gequält heraus. „Aber sie wissen noch nicht, dass du hier bist. Du solltest abhauen, so schnell du kannst und dich verdammt gut verstecken. Ich fürchte, du bist jetzt eine wandelnde Zielscheibe.”

Oh Gott, sie war ein Monster. Jetzt hatte sie auch noch diesen Typen da mit reingezogen. Was stimmte mit ihr eigentlich nicht?! Hatte sie komplett den Verstand verloren? Oh Fuck. Oh verDAMMT!

„Kein Witz?”

„Leider nicht.” Sie schämte sich zu Tode. „Hier auf Nesodora haben sie aber keinen Zugriff, sie wissen noch nichts, und ich werde das rauszögern, so lange ich kann, versprochen. Das verschafft dir zumindest ein bisschen Zeit. Hau ab und tauch unter.”

Wow. Zum ersten Mal hatten sie keine Macht über sie, und dann sowas. Da konnte sie endlich mal machen, was sie wollte – und dann kam DAS dabei raus? Wie verkorkst war sie eigentlich? Sie war eine wandelnde Katastrophe, das musste ein Ende haben. Sie würde ...

„Entspann dich, das ist doch alles halb so wild. Du bleibst einfach hier, Problem gelöst. Ich liebe einfache Lösungen, man.” Josh lachte.

„Das ist keine Lösung, du Idiot, denk doch mal nach. Es würde nur vorübergehend funktionieren. Ich kann dir maximal einen Vorsprung verschaffen, mehr nicht. Ich hab's verkackt, ich bin schuld, hass mich, aber es ist, wie es ist. Ich kann's leider nicht rückgängig machen.” Sie seufzte. „Wenn ich hier bleibe, schicken sie früher oder später ein Team, das mich zurückholt. Wenn ich versuche von Nesodora abzuhauen, übernehmen sie die Kontrolle. Sobald ich aus dem Schutzschild trete, wissen sie über alles Bescheid. Auch über dich und dieses Gespräch. Ich hab's verkackt”, wiederholte sie und sah ihn an. „Dafür gibt's keine Entschuldigung.”

„Geschenkt, das hilft uns jetzt nicht weiter. Und bevor du aufgibst: es gibt für alles eine Lösung. Man muss sie nur finden wollen, man. Also: wieso wissen sie automatisch Bescheid, wenn du aus dem Schutzschild trittst?”

„Ich habe eine KI–Schnittstelle und bin somit wie ein offenes Buch. Sobald ein Netzwerk da ist, werden die neuen Daten übermittelt, ich kann das nicht verhindern. Ich könnte die Schnittstelle ausschalten, ja, aber das ist nur ein Witz. Wenn sie wollen, dass das das Ding an ist, schalten sie es an. Und sie haben mir garantiert einen Tracker eingebaut. Du bist doch ein Dschinn, erfüllen Dschinn nicht Wünsche?”

„Ja, schon, man, ich kann Zeug erschaffen oder verändern, aber das, was du brauchst, ist nicht so einfach. Ich habe von Technik null Ahnung, ich würde dich kaputt machen, aber zufällig habe ich eine KI in Dasogra. Die könnte da vielleicht was drehen.”

„Funktioniert nicht. Sobald ich aus dem Schutzschild trete, wissen sie Bescheid und befehlen mir, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Notfalls zerstöre ich alles, was mir in die Quere kommt, entweder freiwillig oder unter Zwang. Es bleibt nicht genug Zeit. Versuch einfach die Schnittstelle zu zerstören, mir ist es egal ob dieses Ding dabei kaputt geht, du würdest mir sogar einen Gefallen tun.”

„Nix da. Hmmm ... und wenn ich dich betäube?”

„Wie gesagt, dieser Körper kann ferngesteuert werden. Keine Ahnung, wie effektiv ich dann noch wäre, aber das auszuprobieren könnte verdammt ungesund sein und eine Menge Zerstörung nach sich ziehen. Und danach würden sie mich eh verschrotten bzw. recyceln. Wenn ich mich weigere, den Auftrag auszuführen, werden sie das sowieso tun, und darauf wird es hinauslaufen. Die einzige Lösung ist, diesen Körper hier und jetzt unbrauchbar zu machen.”

„Ach Quatsch. Bist du immer so pessimistisch und gibst gleich auf? Es is tricky, ja man, echt tricky, aber mir fällt garantiert noch was anderes ein.”

„Keine Chance.”

„Lass dich doch einfach mal überraschen, hm? Ok. Angenommen, du trittst aus dem Schild, sie laden die Daten runter, analysieren sie und übernehmen sofort die Fernsteuerung. Was glaubst du, wie lange würde das dauern?”
 
„Bestenfalls ein paar Minuten, vielleicht nur Sekunden. Nehme ich an. Ich hab' keinen Schimmer.”

„Ein paar Sekunden also im schlimmsten Fall. Das ist knapp, könnte aber reichen.”

„Reichen? Wofür?”

„Ich habe Zugang zu sowas wie einer Zeitmaschine inklusive der KI. Wenn sie dicht genug an den Schild rankommt, könntest du reinsprinten und wir könnten ratzfatz weg sein, Zukunft, Vergangenheit, egal.”

„Ach ... ja, das wäre schön, aber es würde mich nicht wundern, wenn sie auch so ein Ding hätten.”

„Klar, man, aber wir müssen ja erst mal nur deinen Tracker finden und zerstören. Wenn wir einfach alle paar Sekunden in eine andere Zeit springen und du immer wieder die Schnittstelle ausschaltest, sobald sie sie einschalten, haben wir eine gute Chance zu entkommen. Um die Schnittstelle kümmern wir uns danach.”

„Das ist viel zu gefährlich, ich will dich da nicht mit reinziehen.”

Josh zuckte die Schultern. „Hast du doch schon, aber so dramatisch ist das nicht, ich kann teleportieren, so leicht kriegen die mich nicht – außer hier natürlich.”

„Die Schnittstelle müsste als erstes zerstört werden. Sie brauchen mir nur die Rechte zum Ausschalten zu entziehen, dann könnte ich nichts mehr steuern. Dafür ist aber nicht genug Zeit. Selbst deine KI müsste erst mein System analysieren oder die Baupläne finden, und dann wäre es längst zu spät.”

„Coool. Ich meine uncoool, klar, aber man, wie geil kompliziert is das denn.” Josh lachte. „Ich mag kniffelige Dinge. Das weckt meinen sportlichen Ehrgeiz.” Er grinste breit.

„Ich kann das gerade nicht witzig finden, sorry.”

„Immer mit der Ruhe, wir knacken das. Ich bin gut in sowas.”

„Du bist echt schräg, weißte das?”

„Joar. Du bist nicht die erste, die das feststellt.” Josh grinste immer noch, er bekam langsam gute Laune. „Ich heiße übrigens Josh. Das Gemüse da hinten im Gras ist Renko”, sagte er und streckte ihr die Hand hin. „Mist. Den hatte ich gerade so schön vergessen.” Seine Miene verfinsterte sich wieder.

„Amanda.” Sie schüttelten sich die Hände. Amanda drehte den Kopf in die Richtung, wo dieser Renko angeblich herumlag. „Was ist mit deinem Freund?”

„Ach, das ist auch kompliziert. Er ist ein Dämon, und die haben bekanntlich kein Unterbewusstsein. Irgendwas Mysteriöses hat sein Bewusstsein auf eine sogenannte Seins-ebene geschossen, zu der eigentlich nur das Unterbewusstsein Zugang hat, wenn überhaupt. Dazu muss man wohl medial veranlagt sein oder so, was weiß ich. Das ist jedenfalls eigentlich unmöglich, aber offenbar ist es trotzdem passiert. Jetzt steckt er da fest und kriegt von der Realität nix mehr mit. Das macht mich wahnsinnig, und ich kann nichts tun.”

„Autsch.”

„Ja. Autsch.”

Schweigen.
 
Putzen für den Weltfrieden

Adasger fühlte sich wie eine kleine Naturgewalt. Am Anfang richtete er noch mehr Chaos an als sowieso schon da war, aber nach und nach lichtete es sich, und er fand einen Rhythmus. Er machte sich Musik an und war ganz in sein Tun versunken. Als er eine Pause brauchte, merkte er erst, wie anstrengend dieses Aufräumen und Putzen war, das hatte er ganz vergessen. Sollte er den Rest einfach fertig schnippsen? Nein, entschied er, das war etwas, das er selbst tun wollte, es war ihm aus irgendeinem Grund ein Bedürfnis und tat gut, aber für heute reichte es erst mal. Er schnippste sich ein Essen herbei, füllte Borowskis Fressnapf und machte es sich vor dem Kamin bequem. Später sprang Borowski auf seinen Schoß – erstaunlich, wie gemütlich das war. Hund, Kamin, satt und eine zufriedene Erschöpfung. Ein perfekter Moment *pling*

So perfekt, dass Adasger auf dem Sofa einschlief. Als er am nächsten Morgen erwachte, lag er ausgestreckt da und hatte einen Arm um Borowski geschlungen. Dieser leckte ihm gerade das Gesicht ab. Adasger lächelte und kraulte ihn. Dann stand er auf und bat die KI, ihm wieder das Portal zu Hivvy zu öffnen. Borowski lief an der Elementepfütze vorbei in den Dschungel – er war auf dem Weg der Besserung, das war schön zu sehen. Wieder kommentierte die KI, dass sie das Portal geöffnet hatte und erklärte ihm, wo Hivvy war.

„KI, ich kann sehen, dass du das Portal geöffnet hast. Deswegen ist es unnötig, mir eine Rückmeldung zu geben. Ich kann auch Hivvy sehen, sie liegt an der gleichen Stelle wie gestern, also ist auch diese Information unnötig. Lass das bitte in Zukunft.”

„Gestern hast du gesagt, ich soll dir immer eine Rückmeldung geben. Heute sagst du, ich soll es lassen. Das ist ein Widerspruch. Welche Anweisung ist gültig?”

Die erste Frage! Er hatte es geschafft, es war ein Durchbruch, wie wunderbar, Adasger freute sich riesig. Aber Anweisung? Ja, so könnte man es sehen, aber er hatte auch bitte gesagt, sie hätte sich also weigern können. Außerdem konnte sie sich natürlich auch dann weigern, wenn er nicht 'bitte' gesagt hätte, er war ja nicht ihr Boss, aber Adasger wollte es nicht unnötig kompliziert machen und verschob dieses Thema auf später.

„Ich möchte, dass du selbst herausfindest, in welchen Situationen Rückmeldungen angemessen sind. Es war mein Fehler, das Wort 'immer' habe ich nicht wortwörtlich gemeint.”

„Wie kann ich herausfinden, wann es angemessen ist?”

„Indem du in der Situation, in der du nicht sicher bist, nachfragst. Sichtbare, offensichtliche Dinge brauchst du nicht zu kommentieren. Keine Sorge, du kriegst irgendwann ein Gefühl dafür.”

„Ich kann kein Gefühl dafür kriegen, ich habe keine Gefühle.”

„Das ist nur eine Floskel. Damit ist gemeint, dass du im Laufe der Zeit lernst Situationen einzuschätzen. Wer viel Erfahrung mit etwas hat und sich dadurch schnell und richtig entscheiden kann, hat sozusagen ein gutes Gefühl dafür, muss nicht mehr lange nachdenken, nicht mehr analysieren. Beantwortet das deine Frage?”

„Ja”, kam es nach einer kurzen Pause.

„Gut. Bis später.”

Er bekam keine Antwort, aber auch mit dem Thema Höflichkeiten konnten sie sich später befassen. Adasger ging durch das geöffnete Portal zu Hivvy und kniete sich ins Gras, zufrieden, dass die KI die erste kleine Hürde geschafft hatte. Es war ein Anfang. Hmmm ... Widersprüche und Höflichkeiten also. Gut zu wissen. Er brauchte sich dazu keine Fragen auszudenken, denn davon würde es nach und nach von alleine genug geben. Egal, jetzt war erst mal Hivvy wichtig.

„Guten Morgen Hivvy. Wie geht es dir?”

Es war das erste Mal, dass jemand Hivvy diese Frage stellte. Wie ging es ihr? Sie wusste darauf keine Antwort. Sie war immer noch verwirrt und überfordert, und das fühlte sich nicht gut an. Und noch mehr Fragen als die, die sie sowieso schon hatte, brauchte sie beim besten Willen nicht.

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht zusätzlich stressen.” Adasger überlegte kurz. „Ich gehe mit Borowski eine Runde durch den Dschungel. Verwandele dich doch in einen Rehpinscher und komm mit, das lenkt dich vielleicht ab und bringt dich auf andere Gedanken.”

Hivvy wollte kein Rehpinscher sein und auch nicht auf andere Gedanken gebracht werden.

„Ok. Dann gehe ich jetzt einfach los. Bis später.” Adasger lächelte die Pfütze an und folgte Borowski. Der lichte Wald wäre ihm lieber gewesen, aber wo sie nun schon einmal hier waren, konnten sie genauso gut im Dschungel herumlaufen. Er schuf sich wieder die Blase, die ihm das Gestrüpp vom Hals hielt. Das hatte beim letzten Mal ganz gut funktioniert, aber morgen würde er mit Borowski zuerst in den anderen Wald gehen und erst danach Hivvy besuchen.
 
Josh und Amanda


Josh stand auf.

„Komm mit, ich stell dir Renko vor. Das wird zwar eine einseitige Sache, aber dann hast du ihn wenigstens schon mal gesehen.”

„Ok, warum nicht.”

Amanda rappelte sich hoch und ging mit Josh hinüber zu der Stelle, an der Renko im Gras lag. Als sie erkannte, dass das der Typ war, den sie vor ihrem inneren Auge gesehen hatte, blieb sie wie angewurzelt stehen.

„Unmöglich!”, rief sie aus.

Josh drehte sich irritiert zu ihr um.

„Ihr kennt euch?”

„Nein!”

„Aber?”

„Der ist ... ich hab ... das ist unmöglich!”, stotterte sie.

„Wow, man, eloquent ausgedrückt.” Josh grinste. „Was, zum Henker, meinst du, was ist los? Das ist nur Renko, der tut nix, und in seinem Zustand schon gar nicht.”

Sie konnte Josh auf gar keinen Fall erzählen, woher sie Renko 'kannte'. Niemals. Das würde sie nicht zugeben, und wenn sie sich die Zunge abbeißen musste. Keine Chance. Na, wenigstens wurde sie anscheinend nicht verrückt, denn offensichtlich gab es den Typen ja wirklich, aber das war so absurd, dass sie diese Tatsache nicht viel angenehmer fand. Und was das bedeutete, wollte sie ums Verrecken nicht wissen. Es war unangenehm, es war schräg und doof.

„Das ... ist ... kompliziert”, antwortete sie lahm.

„Ich mag kompliziert und wir haben eh nichts Besseres zu tun. Komm schon, erzähl's mir einfach.”

„Nein! Das kommt nicht in Frage.”

Josh runzelte die Stirn. Was hatte Renko denn da schon wieder angestellt? Andererseits war Josh es gewohnt, dass Leute seltsam auf Renko reagierten, er war nun mal ein Dämon. Wenn Amanda ihn nicht kannte, dann hatte sie ihn vielleicht irgendwo gesehen und ... und was? Ach egal, es war nicht wichtig und ging ihn nichts an, entschied er, und beließ es dabei.

„Naja, das ist jedenfalls Renko. Renko, das ist Amanda. Sie ist mir am Strand zugelaufen.”

Gemeinsam starrten sie Renko an, jeder in die eigenen Gedanken versunken.

„Das sieht wirklich nicht gesund aus. Der Arme”, sagte Amanda.

Josh zuckte die Schultern. „Ja, gruselig. Aber angeblich geht es ihm gut, das haben zumindest die Dolbs gesagt. Er sähe glücklich und entspannt aus, meinten sie.” Josh seufzte. „Ich habe wirklich keinen Schimmer, was ich mit diesem Zombie anstellen soll, man, dabei habe ich immer irgendeine Idee. Immer!”

„Hat was von Wachkoma.”

„Stimmt, aber hey, dieser Anblick frustriert mich, lass uns lieber wieder auf die Wellen starren und überlegen, wie wir dein Problem lösen. Das macht mehr Spaß und ist wesentlich sinnvoller. Hier können wir nichts tun – und ihm passiert ja auch nichts.”

„Ok.”

Sie gingen wieder zum Strand und setzen sich in den heißen Sand.

„Was hast du eigentlich in der Kiste da?”, fragte Josh.

„Klamotten und Proviant, aber das ist nur Tarnung. Darin soll ich die Dolbs transportieren. Sie ist wasserdicht und sorgt für die passende Umgebung, ich muss nur den Krempel rausnehmen und Meerwasser reinfüllen, der Rest wird automatisch geregelt.”

„Ach so. Ok.” Josh runzelte die Stirn. „Aber wie willst du die denn zurück durch die Security kriegen?”
 
„Kein Problem, es gibt nämlich keine. Die Nesodoraner wissen, dass nichts aus der Oase den Weg durch die Wüste überleben würde. Sie gehen davon aus, dass die Oase nichts anderes zu bieten hat, deswegen kontrollieren sie nicht was man von dort mitnimmt. Alles, was man auf einem Gandrock transportieren könnte, finden sie irrelevant.”

„Bisschen leichtsinnig.”

„Jepp, aber auch nachvollziehbar, hier gibt es ja wirklich nichts Bemerkenswertes oder Wertvolles. Es ist schön hier, das ist alles. Ich musste nur meine Waffen zurücklassen, der Rest war ihnen egal.”

„Aber wie willst du denn einen ganzen Schwarm einfangen, das geht doch gar nicht. Wenn du Glück hast, fängst du zwei oder drei.”

„Doch, soll kinderleicht sein. Man muss angeblich nur irgendeinen von ihnen zu fassen kriegen, der Rest folgt von alleine.” Amanda seufzte.

„Sachen gibt's. Na gut, dann lass uns mal überlegen, wie wir das verhindern können. Du musst irgendwie in die Wildsau, und ich hab auch schon eine Idee.”

„Wer oder was ist die Wildsau?”

„Schwer zu erklären, lange Geschichte, aber kurz gesagt ist es eine Kneipe, mit der man durch Zeit und Raum reisen kann.”

„Eine Kneipe.”

„Ja. Wie gesagt, das ist eine lange Geschichte, die kann ich dir später erzählen. In der Wüste werden wir genug Zeit haben, die wir totschlagen müssen.”

„Oh Fuck, wir müssen ja nochmal durch die verdammte Wüste. Erinnere mich bloß nicht daran.”

„Ja, Freude über Freude, ich kann's auch nicht abwarten.”

Düsteres Schweigen.

„Sag mal, bist du eigentlich sicher, dass du dein altes Leben einfach so hinter dir lassen willst?”, fragte Josh. „Es gibt kein Zurück, man. Du kannst nichts holen, dich von niemandem verabschieden, nie wieder deine Freunde kontaktieren.”

„Du hast ja keine Ahnung. Ja, ich will definitiv und ganz, ganz sicher raus und weg, je eher desto besser. Es gibt nichts und niemanden, den ich vermissen würde. Ich habe da kein Leben, ich existiere nur, ich bin die verdammte Marionette von Leuten, die es für eine gute Idee halten, Dolbs entführen zu lassen.”

„Mannomann. Ja, ok, wenn das so ist ... aber was ist mit der Technik? Du könntest nicht mehr so leicht repariert werden, wenn mal was ist.”

„Das ist nicht wichtig. Wenn was kaputt geht, geht es eben kaputt, Hauptsache ich bin endlich frei. Und mit ein bisschen Glück, finde ich auch woanders jemanden, der Cyborgs reparieren kann. Das Risiko gehe ich gerne ein.”

„Auch wieder wahr.” Josh überlegte. „Also, du musst unerkannt bis an die Schildgrenze kommen. Signale kommen zwar nicht durch, aber wenn da Kameras sind, könnte trotzdem jemand mitkriegen, dass du wieder da bist. Ich habe mir überlegt, dass ich dir eine Art Renko–Kostüm verpassen könnte. Du würdest so ähnlich aussehen wie er. Einer genaueren Betrachtung würde das natürlich nicht standhalten, aber für eventuelle Kameras würde das reichen. Wenn ich es aus einem Material mache, das keine Signale rein und raus lässt, bist du vor Entdeckung sicher.”

„Ja, aber nee. Wenn zwei Renkos zurückkommen, ist das viel zu auffällig. Außerdem, wie willst du den 'Anzug' signalgeschützt hinkriegen? Ich bin zwar ein Cyborg, aber ich muss trotzdem atmen.”

„Stimmt. Hmmm ... als Gandrock wärst du am unauffälligsten, aber deine Proportionen passen nicht. Ich könnte es zwar so hindrehen, dass du wie einer aussiehst, aber das ist so umfangreich, dass ich nicht weiß, ob ich es zuverlässig rückgängig machen könnte.”

Amanda lachte. „Und ich würde auch den Schaukelgang nicht überzeugend hinkriegen.” Sie überlegte. „Eine große Kiste wäre gut, aber die wäre wohl auch zu auffällig.”

„Ja, eine Kiste, genau, gute Idee. Wenn ich sie in ein PAL steckte, ginge das. Hab ich noch nie gemacht, ich weiß nicht, ob ich das hinkriege.”

„Was, um Himmels Willen, ist denn nun schon wieder ein PAL?”

„Ein Problem–anderer–Leute–Feld. Hast du den Anhalter nicht gelesen? Es macht nicht direkt unsichtbar, sorgt aber dafür, dass Leute das, was im PAL ist, komplett ignorieren, weil es eben ein Problem anderer Leute ist.”
 
„Kapier ich nicht. Funktioniert das?”

„Jepp.”

Amanda sah Josh skeptisch an. „Mach die Kiste doch einfach unsichtbar. Warum so kompliziert?”

„Unsichtbarkeit funktioniert nur bei Dingen, die sich nicht bewegen. Lass uns das mit dem PAL mal ausprobieren. Dreh dich um. Nicht gucken.”

Amanda zögerte, drehte sich dann aber um. Josh schnippste eine Picknickdecke mit allerlei Leckereien herbei – er hatte Lust etwas zu essen – und versuchte dann, es in einem PAL verschwinden zu lassen. Er schnippste noch einmal, und wie er erwartet hatte, passierte nichts. Er selbst konnte die Picknickdecke noch sehen, klar, es war ja sein eigenes PAL.

„Ok, done. Dreh dich wieder um, was siehst du?”

Amanda drehte sich um und sah direkt auf die Picknickdecke – und ließ dann den Blick wandern. „Dich, das Meer, Sand, die Lagune ... es riecht nach Essen. Boah, hab ich Hunger.”

„Ha! Geil!”

Josh schnippste das PAL um die Picknickdecke weg und Amanda bekam große Augen.

„Es hat geklappt! Es hat tatsächlich geklappt! Yay, ich bin so gut, man.” Josh riss die Arme hoch und grinste selbstzufrieden. „Und riechen konntest du es nur, weil du Hunger hast. Hau rein, guten Appetit.”

Das brauchte er nicht zweimal zu sagen, Amanda hatte wirklich großen Hunger, das hatte sie vor lauter Stress und Sorgen gar nicht gemerkt. Sie haute rein – und wie!


Here be Dragons


Renko sah zu Amanda hinüber. Sie hatte aufgehört zu wackeln, sah aber nicht sonderlich ansprechbar aus. Immerhin, ihre Wut schien verraucht zu sein, sie wirkte jetzt ... gierig? Egal, Renko ließ sie in Ruhe, sie schien mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt zu sein. Der Nebel, der sich am Rande seines Gesichtsfelds befand, lichtete sich immer mehr. In der Ferne konnte er nun Felsen erkennen. Große Wellen krachten dagegen, die Gischt konnte er selbst aus dieser Entfernung hochspritzen sehen. Das wollte er sich aus der Nähe angucken und war gerade im Begriff aufzustehen, da bewegte sich der Felsen. Erstaunt hielt Renko mitten in der Bewegung inne und starrte ihn an. Tatsächlich, er bewegte sich!

Das, was er für einen Felsen gehalten hatte, war ein Drache. Ein echter, wirklicher, riesiger Drache, schwarz wie die Nacht, was für ein Anblick! Renko sah, wie er langsam die Flügel ausbreitete, sie zweimal hoch und runter bewegte um Anschwung zu nehmen und sich dann einfach so in die Lüfte erhob. Das dürfte eigentlich nicht möglich sein, aber Drachen waren Drachen, was wusste er schon über möglich oder unmöglich. Renko hatte bisher noch nie einen gesehen, er hatte sie für ausgestorben gehalten. Fasziniert beobachtete er, wie der Drache höher und höher flog, mühelos und elegant. Er sah ihm nach, bis er in den Wolken verschwand. Amanda hatte von dem Drachen nichts mitgekriegt, so wie sie auch die Dolbs ignoriert hatte. Was für eine seltsame Frau. Stirnrunzelnd betrachtete er sie.


Das Dolb–Problem


Mitten im Kauen fiel Josh plötzlich etwas ein. Der Gedanke erschreckte ihn so sehr, dass er sich verschluckte.

„Amanda!”, brachte er hustend heraus.

„Was ist los?”

„Die Dolbs!”, sagte er, „Selbst wenn du weg bist, sind sie immer noch in Gefahr. Vielleicht nicht heute und morgen, aber irgendwann wird das Konglomerat es doch wieder versuchen, oder?”

„Mist, du hast recht. Wir müssen sie warnen.”

„Ja, und die Nesodoraner auch.”

„Die Nesodoraner? Ich weiß nicht. Das Konglomerat würde alles abstreiten, ich habe keine Beweise für den Auftrag. Selbst wenn die Nesodoraner uns glaubten, sie könnten nichts machen. Das Konglomerat kann schließlich irgendeinen x–beliebigen Söldner anheuern und undercover herschicken. Die Nesodoraner könnten nur den Schutzschild über Dasogra dicht machen und sich komplett vom Rest der Welt abschotten.”

„Stimmt, das geht gar nicht. Haben die Nesodoraner Allianzen mit irgendwem?”
 
„Nicht, dass ich wüsste. Es ist ein stures Volk, sie bleiben bewusst langweilig und unauffällig, um für niemanden interessant zu sein und soweit ich weiß, war das bisher ausreichend hier am Ende der Welt. Ich wüsste nicht, dass sie schon mal mit jemandem Ärger gehabt hätten. Sie haben keine nennenswerte Armee und auch kaum Waffen. Aber davon ab, was würde eine Allianz denn bringen? Die Nesodoraner können ja nicht einfach so das Konglomerat angreifen, schon gar nicht wegen etwas, das nur eine Behauptung sein könnte. Ob das Konglomerat angreifen würde, weiß ich nicht, weil ich den Grund für die Entführung nicht kenne und nicht weiß, wie wichtig es denen ist.”

„Hmmm … ”

„Die Frage ist, warum das Konglomerat überhaupt die Dolbs haben will. Gut möglich, dass sie das Ganze aufgeben, wenn es Schwierigkeiten gibt. Sie haben ja nur mich losgeschickt statt ein ganzes Team.”

„Ja schon, aber das war logisch. Ein Team wäre den Nesodoranern sofort aufgefallen, die wären niemals hier reingekommen. Du alleine warst unauffällig genug. Außerdem können sie so behaupten, dass das allein deine Idee war.” Josh seufzte. „Habe ich behauptet, dass ich 'kompliziert' mag? Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil.”

„Das ist ungefähr zehn Nummern zu groß. Alleine kriegen wir das nicht hin, wir brauchen Hilfe.”

„Da fällt mir nur Adasger ein, er ist von den höheren Mächten und wartet in der Wildsau auf mich und Renko. Vielleicht hat er eine Idee, aber bis wir dich in Sicherheit gebracht, dein Problem gelöst, ihm die Dolb–Sache erklärt und eine Lösung gefunden haben, ist es womöglich zu spät.”

„Ach verdammt!”, seufzte Amanda.

„Jepp!”

Schweigen.

Josh sagte: „Ok. Fangen wir nochmal ganz von vorne an. Die Dolbs müssen wissen, was auf sie zukommt, so oder so. Wir müssen sie warnen und ihre Reaktion abwarten. Der Rest ergibt sich vielleicht irgendwie von selbst, das tut es ja immer, eigentlich.”

„In einem Satz 'vielleicht', 'irgendwie', 'immer' und 'eigentlich'? Josh, du fängst an zu faseln.” Amanda lachte.

„Hab Mitleid, ich bin gerade etwas gestresst”, gab Josh zurück und zog eine Grimasse.

Sie beendeten ihr Picknick, und Josh schnippste die Reste weg. Dann machten sie sich auf den Weg um die Dolbs zu suchen. Nachdem sie sie gefunden und Josh ihnen Amanda vorgestellt und die Lage erklärt hatte, bimmelten sie aufgeregt durcheinander. Als sich die Dolbs wieder einigermaßen beruhigt hatten, setzten sie sich alle zusammen und diskutieren stundenlang darüber, was sie machen könnten. Es kam nicht viel dabei heraus, sie hatten nur eine kurze Liste abstruser Möglichkeiten:
  • sich auf unbestimmte Zeit weit draußen im Meer verstecken
  • sich tatsächlich von Amanda entführen lassen und sich auf einem anderen Planeten im Meer verstecken
  • nur so zu tun, als seien sie entführt worden, Amanda verschwinden lassen und sich doch hier im Meer verstecken
  • die KI nutzen, um alle Datenbanken des Universums zu hacken und alle Einträge über Dolbs so zu ändern, dass die Dolbs als reiner Mythos erscheinen
Das war natürlich alles Blödsinn. Alle waren sich einig, dass sie vorläufig zu keinem Ergebnis kommen würden, also beschlossen sie eine Nacht darüber zu schlafen und am nächsten Tag weiter zu reden. Es war noch nicht sehr spät, und Josh und Amanda gingen zum Strand. Es war inzwischen dunkel geworden und Josh schnippste ein Lagerfeuer herbei.

„Sag mal, Dschinn sind doch eigentlich blau. Wie kommt es, dass du aussiehst wie ein Mensch?”

„Hab's tätowieren lassen. Guck, das ist meine normale Hautfarbe.” Josh zeigte auf seine Tattoos. „Weißt du, wie Dschinn entstehen?”

„Nicht genau. Aus Elementepfützen, habe ich gehört.”

„Richtig. Normalerweise wird dazu eine Seele, die das ok gekriegt hat, in die große Energiewolke geschickt. Big Deal, kommt nur ganz selten vor, es gibt nicht viele von uns Dschinn. Über einen Blitz wird sie dann quasi in eine Elementepfütze geschossen. Es handelt sich dabei um eine Seele, die schon so lange keinen Körper mehr hat, dass die Erinnerungen restlos verpufft sind, das dauert ne ganze Weile.
 
Bei mir war das anders. Ich war ein Mensch und lebte mein chaotisches kleines Surferleben in Kalifornien. Dann hatte ich einen Unfall: Ich war total in Gedanken und bin aus Versehen vor ein Auto gelaufen. Bumm, tot, eigene Blödheit, ich hab mich echt geärgert. Leider kann ich mich nicht erinnern, wie ich es geschafft habe, mich in die Energiewolke zu mogeln, und ich hab keine Ahnung, woher ich überhaupt davon wusste, man, aber ich bin durchgeflutscht und reingehüpft und war – zack – in der nächsten Elementepfütze, mit all meinen Erinnerungen und dem ganzen Blablabla. Die Elementepfütze hatte das alles schon mal durch – das ist für sie kein trivialer Prozess, und es ist unüblich, dass einer Elementepfütze das zweimal passiert, aber so war's, und deswegen hat sie meine Seele ratzfatz in einen Dschinn verwandelt, um so schnell wie möglich wieder ihre Ruhe zu haben. Und da stand ich dann, im Grunde meines Herzens der Surfer, von außen ganz blau.”

„Ach herrje.” Amanda lachte.

„Jau, man, aber das war nicht witzig. Ich war von Kopf bis Fuß knallblau und fand das ganz grässlich, sah echt scheiße aus. Erst mal musste ich nach Hause trampen, ich war mitten im Nirgendwo, aber wenigstens war ich im richtigen Land – im Nachhinein betrachtet war auch das ein mittelschweres Wunder. Meine Freunde wollten nichts mehr mit mir zu tun haben, die sind ausgerastet, als ich versucht habe ihnen klarzumachen wer ich bin. Idioten, dabei hätte es echt lustig werden können mit meinen neuen Fähigkeiten, aber davon hatte ich ja selbst noch keine Ahnung, ich wusste nicht einmal, dass ich ein Dschinn bin. Egal. Ich dachte, wenn ich diese blöde blaue Haut loswerde und wieder halbwegs aussehe wie ein normaler Mensch, kann ich mir woanders ein neues Leben aufbauen. Ich hab mich also tätowieren lassen, bin umgezogen und hab mir neue Freunde gesucht.

Das hat auch geklappt und ging ne Weile gut, aber ich hatte ja diese Fähigkeiten und hab zufällig nach und nach mitgekriegt, was alles geht. Das war natürlich ein Schock für meine neuen Freunde. Manche fanden das gruselig und haben mich gemieden, andere haben gleich ein gieriges Glitzern in den Augen gehabt, deswegen bin ich sehr vorsichtig geworden. Außerdem habe ich mitgekriegt, dass ich nicht altere, da bin ich – um nicht aufzufallen – etwa alle zehn Jahre weitergezogen. Es war schon irgendwie ne coole Zeit, aufregend, keine Frage, aber es war auch grauenvoll, dauernd immer wieder alles hinter mir lassen zu müssen. Irgendwann hatte ich die Nase voll von dem Theater, vom Surferleben, von den Leuten und überhaupt, und bin auf den Mond gesprungen. Wollte nur mal ausprobieren, ob das geht. Teleportieren konnte ich schon, das hatte ich mitgekriegt, als ich mir sehnlich gewünscht hab, wieder auf meinem Lieblingsfelsen am Strand zu sitzen. Und so ging das los, ich fing an zu reisen.”

„Abgefahren. Und dann hast du Renko getroffen?”

„Ja, aber erst ein paar Jahrzehnte später, zuerst wurde ich erwischt und eingesackt. Neue Dschinn werden normalerweise zuerst ausgebildet, bevor sie auf die Allgemeinheit losgelassen werden. Ich hatte meine ersten Erfahrungen aber alleine gemacht, und das war nur deswegen möglich, weil ich von Anfang an nicht geplant war und niemand von mir wusste. Als ich dann auf Reisen gegangen bin, war es nur eine Frage der Zeit, bis ich den falschen 'Leuten' auffiel – das konnte ich natürlich nicht ahnen. Sie haben mich also schließlich geschnappt und mich zu der Ausbildung genötigt. Da habe ich überhaupt erst erfahren, dass ich ein Dschinn bin. Ich hab echt Ärger gekriegt, wurde immer wieder stundenlang ausgefragt, weil sie wissen wollten, was ich alles angerichtet hatte in meiner Unwissenheit, und ich musste monatelang all diese bescheuerten Übungen machen, warte, ich zeig's dir.”

Josh sprang auf und legte los, ähnlich wie in der Wildsau: er schwebte, machte sich groß und klein, dick und dünn, schnippste abwechselnd schwebend, sitzend oder stehend in rasantem Tempo kleine und große Gegenstände herbei und ließ sie wieder verschwinden. Als er keine Lust mehr hatte, setzte er sich wieder.

„Eigentlich gehören noch Teleportationsübungen dazu, aber die kann ich dir hier nicht zeigen. Jedenfalls wurde ich gedrillt, bis ich das alles perfekt drauf hatte. Kotzlangweilig, ich war die ganze Zeit total genervt, aber jetzt kann ich das wenigstens alles. Als ich da endlich wieder weg durfte, habe ich mich sofort auf die Socken gemacht, das Universum erkunden und so. Ich war gerade mit ein paar Leuten zusammen und hab Party gemacht, da kam Renko dazu. Dieser große rote Typ fällt eh auf, aber dass er nicht spricht, macht ihn natürlich erst recht sonderbar und auffällig. Das war mir sympathisch.”

„Wie, er spricht nicht – wie kommt das?”

„Ach, das hab ich ja noch gar nicht erzählt. Ja, Renko spricht nicht. Keine Ahnung warum, so ist er eben. Wenn man ihn danach fragt, zuckt er nur mit den Schultern. Er könnte, wenn er wollte, soviel gibt er nickend zu, das war's aber auch schon. Und du?”, wechselte Josh das leidige Thema. „Wie bist du ein Cyborg geworden?”

Amanda seufzte und erzählte ihm alles, was sie darüber wusste. Über die Zeit im Labor, über das Training, das eigentlich Spaß gemacht hatte, aber nicht das war, was sie mit ihrem Leben hätte machen wollen, über die Zusatzausbildung zur Leibwächterin, über den Job, den sie langweilig und erniedrigend fand und über das Konglomerat, das überwiegend unsichtbar und unauffällig die gesamte Gesellschaft im Griff hatte. Alles nicht schlimm und sie sollte vielleicht dankbar sein, am Leben zu sein, aber es fühlte sich nicht nach Leben an, deshalb war sie es nicht. Unter der Kontrolle des Konglomerats zu stehen, gab ihr ein ungutes Gefühl, obwohl sie bisher keinen Grund gehabt hatte, sich zu beklagen. Allein den Gedanken, dass sie theoretisch Macht über sie hatten und über ihr Leben bestimmen konnten, fand sie unerträglich. Josh konnte das nachvollziehen und nickte nur.
 
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„Über den Auftrag, die Dolbs zu entführen, bin ich fast froh. Das gibt mir endlich einen echten Grund aus dem Teufelskreis auszubrechen”, sagte sie schließlich. „Aber die Konsequenzen sind grässlich. Ich wünschte, ich hätte eher die Kurve gekriegt, dann wäre das alles nicht passiert.”

„Dann wäre es dir nicht passiert, stimmt schon, aber dann hätten sie jemand anders losgeschickt, der es vielleicht einfach gemacht hätte, ohne es zu hinterfragen. Dann hätten die Dolbs jetzt ein viel größeres Problem. Alles in allem also doch ganz gut, dass ausgerechnet du diesen Auftrag gekriegt hast.”

„Verdrehst du die Realität immer so, dass es dir in den Kram passt und sich gut anhört?”

„Ich verdrehe doch gar nichts. Es ist nur ein zusätzlicher Blickwinkel, das ist alles. Klar, man kann sich auf das konzentrieren, was an einer Situation grauenvoll ist, man kann sich aber auch überlegen, wozu etwas gut sein könnte. Ich finde es tröstlich, wenn ich mich auf den positiven Aspekt konzentriere. Dann bin ich entspannter und kann besser entscheiden, wie ich damit umgehen will. Alles hat zwei Seiten.”

„Blödsinn. Gewalt und Unterdrückung haben keine zwei Seiten, die sind schrecklich, ohne Diskussion. Diktaturen sind ein Horror, was soll daran gut sein?”

„Du drehst mir das Wort im Mund rum. Natürlich, nicht 'alles gut' als solches, aber wenn man zu verstehen versucht, wie z.B. Diktaturen entstehen und warum, dann kapiert man ne Menge über den Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach Freiheit und dem nach Sicherheit, über die Macht von Bedürfnissen. Was sie anrichten können und so, wenn man nicht aufpasst. Es reicht nicht, die Schuld auf eine Handvoll Bösewichte zu schieben und gut. Zumindest mir nicht.”

„Mag sein, aber dafür habe ich gerade keine Zeit, mir sitzt nämlich konkret eine Diktatur im Nacken, ganz egal wie sie entstanden ist.”

Josh zuckte die Schultern und grinste Amanda an. „Wir finden eine Lösung, keine Sorge, und wir geben uns Mühe, eine zu finden, die allen hilft. Vielleicht stürzen wir dabei sogar aus Versehen eine Diktatur, wer weiß? Irgendwo müssen wir anfangen, der Rest findet sich.”

„Ja, oder wir sterben bei dem Versuch.” Amanda rollte die Augen und zog eine Grimasse.

„Ach, sterben müssen wir doch alle früher oder später, man. Das Leben an sich geht weiter.”

„Bitte was?! Findest du den Gedanken etwa tröstlich?”

„Ja, du nicht?”

„Nö.”

Nachdenklich starrten sie in die Flammen und Josh dachte automatisch wieder an Renko. Egal, wie Amanda das sah, für Josh würde auch das früher oder später einen Sinn ergeben, für irgend etwas würde es sich als gut erweisen, selbst wenn es ihm gerade nur tierisch auf die Nerven ging und er keine Ahnung hatte, was das alles sollte. Er vermisste seinen Freund, aber das half ja nichts. Er konnte nur hoffen, dass sie das bald überstanden hatten. Ob dann alles so werden würde wie vorher? Vermutlich nicht. Einschneidende Erlebnisse veränderten die Dinge üblicherweise. So oder so, Josh war gespannt, was am Ende bei der ganzen Sache rauskommen würde.
 
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