Endstation Erleuchtung: Muss das sein?
„Angeblich ist ein Weg überflüssig. Denn die Erleuchtung ist ja schon da! Doch leider gibt es ein paar Dummerchen, die das nicht kapieren. Und für diese armen Seelen, zum Beispiel für mich, scheint es dann doch so etwas wie einen Weg zu geben. Satsang ist höchstwahrscheinlich eine Station. «Wenn du immer wieder hierher kommst», verspricht Tony Parsons, «fällt das, was das Wunder der Einfachheit verdeckt hat, einfach weg.»
Ebenso wahrscheinlich ist aber, dass auf dem Weg noch etwas wartet: die so genannte dunkle Nacht der Seele. Juan de la Cruz alias Johannes vom Kreuz hat diesen Begriff vor fünfhundert Jahren erfunden. Seither ist er nicht verschwunden. Im Gegenteil. Alle oder fast alle spirituellen Lehrer und Advaitisten reden davon. Byron Katie war fresssüchtig, alkoholsüchtig, gewalttätig und wurde dann durch den Fleischwolf des Drogenentzugs gedreht, bevor sie mitten in der stationären Therapie ihr Erwachenserlebnis hatte. Eckart Tolle lebte jahrelang «in einem Zustand ständiger Angstgefühle, unterbrochen von Phasen lebensmüder Depression», bevor er eines Morgens «mit einem Gefühl absoluten Grauens» erwachte und beschloss, sich umzubringen. Da plötzlich kam das Erwachen.
Absolutes Grauen, muss das sein? Karl Renz erlebte eine Todeserfahrung und anschliessend «Jahre der Migräne und schmerzvoller körperlicher Veränderungen». Dann plötzlich «strömte reines Licht explosionsartig durch den Hinterkopf und füllte meine gesamte Wahrnehmung; in der absoluten Akzeptanz hörte die Zeit auf».
Mal unter uns: Kann das Licht nicht auch so kommen? Ohne jahrelange Migräne? Muss sie sein, diese dunkle Nacht?
Oh ja, sie sei unumgänglich, meint Satyam Nadeen, «aber das ist der Teil, von dem die Leute nichts hören wollen». Er selbst durchlebte seine mehrjährige Depression im Gefängnis, und dort, zwischen inhaftierten Gewalttätern, kam der befreiende Klick des Erwachens. Gefängnis? Gewalttäter? Reicht vielleicht auch ein unangenehmer Nachbar? John de Ruiter sah sich zwei Jahre lang «in einem unendlichen Brunnen voller Dreck», bis ihn endlich, «am Boden des Brunnens eine Art wonnevoller Resignation überkam».
Ja, kann man denn nicht auch einfach so resignieren? Ohne Dunkelheit und Dreck? Francis Lucille berichtet, körperlich habe sich sein Widerstand vertieft, «und allmählich enthüllte sich eine wachsende Angst, die zu einem intensiven Entsetzen wuchs, bis ich fühlte, dass mein Tod unmittelbar bevorstand». Erst als er bereit war, «in das grosse Nichts des Todes zu springen, liess mich das Entsetzen los». Aber nicht er selbst starb, sondern «der Ich-Gedanke schien zu flackern wie die Flamme einer Öllampe, der der Brennstoff ausgeht – um plötzlich in der ewigen Herrlichkeit des Seins zu verschwinden».
Na, bitte. Von mir aus kann der Ich-Gedanke sofort erlöschen, ich habe nichts dagegen! Ich tausche ihn ohne weiteren Widerstand gegen die Herrlichkeit des Seins. Muss denn dafür jemand sterben, den es doch, nach allgemeiner Advaita-Übereinkunft, ohnehin nicht gibt?
Tja, so scheint es. Ramana Maharshi, Übervater aller heutigen Satsanglehrer, hatte ja ebenfalls seine dunkle Nacht, sein Todeserlebnis. Anschliessend setzte er sich noch ein paar Jahre in eine düstere Höhle. Richtig so, meint auch Gangaji. In tiefster Qual müsse irgendwann die Bereitschaft auftauchen: «Ich werde hier aushalten und mich nicht bewegen.» Wer sich bewegt, hat verloren.
Na, ich gehe einen anderen Weg. Ich sammle dunkle Augenblicke, so wie man Rabattmarken sammelt. Den Nachbarn, den Autounfall vor zwei Jahren, die schlaflose Nacht gestern, den Streit mit meiner Frau, die Niederlage im Tennis, den Wertverlust meiner Aktien, die Bänderdehnung rechts, den Besuch bei meiner Schwiegermutter, die Rückenbeschwerden, den Ausfall des Fernsehens während der Live-Übertragung… Also, wirklich – langsam ist es genug! Viele dunkle Augenblicke sind doch wohl mehr als gleichwertig gegenüber einer dunklen Nacht der Seele!
Hallo? Herrlichkeit des Daseins? Hast du das gehört? Bitte melden!
Selma satyamnitya.wordpress
alles Liebe