Trauer

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Szenario 1:

Bernd (Name frei erfunden) wartet seit über eine Stunde zuhause auf seine Verlobte. Sie wohnen noch nicht zusammen, aber das soll sich bald ändern: Berndt hat sich fest vorgenommen, seiner Verlobten dieses Wochenende einen Heiratsantrag machen!
Er denkt an sie, er vermisst sie. Zärtlich streicht er mit der Hand über ihr Foto auf der Kommode und spürt die schmerzende Sehnsucht nach ihr in seiner Brust.
Er sehnt sich oft nach ihr, aber heute ist ihm besonders feierlich zumute, und die Sehnsucht so stark wie nie. Er war früh in der Stadt, hat eine Kurzreise nach Paris gebucht, und einen wunderschönen Ring ausgesucht. Berndt hat alles genau geplant: gemeinsam werden sie in dem Restaurant essen, in dem sie sich damals kennengelernt haben, dann über die Rue de Roucheè spazieren und an der alten Brücke wird er sie bitten, sich auf den Steinquader zu setzen. Er wird sich niederknien, ihre Hand nehmen und ihr erklären, wie er für sie empfindet, was sie ihm bedeutet, und das er sie unsterblich liebt! Ja, nichts will er mehr als sein ganzes Leben mit ihr zu verbringen. Mit ihr aufwachen, mit ihr reden, tanzen, weinen, lachen, leben, ihr beim lieben in die Augen sehen, als ihr Ehemann.
Ein langer Sehnsuchtsseufzer, ein Blick auf die Uhr - wo mag sie nur so lange bleiben?

Da - es klingelt. Bernds Herz rast vor Freude und Aufregung - und er selbst zur Tür hin. Er öffnet, und ist völlig überrascht: sein Engel steht mit Tränen in den Augen, völlig verheult da.
"Was ist los mit Dir? Ist Dir etwas geschehen? Du weinst ja!" flüstert er.
Sie schluchzt, sie steht vor der Tür, aber sie will nicht reinkommen.
"Es tut mir leid Bernd, aber ich kann nicht bei Dir bleiben", schluchzt sie unter Tränen. "Ich war doch heute in der Stadt, beim Arzt, und da hab ich Kai wiedergetroffen .... du weisst doch ... meine Jugendliebe... er wohnt in Kanada ... oh Berndt, es tut mir so leid für Dich, aber ich gehe mit ihm." Ein neuer Tränenstrom ergiesst sich über ihr Gesicht, sie drückt Bernd wortlos weinend die Schlüssel für seine Wohnung in die Hand, flüstert ein letztes "es tut mir so leid.. es tut mir so schrecklich leid..", dreht sich um und geht. Bald geht die Haustür im Flur, mit einem kleinen "Schnapp!" schliesst sie sich hinter ihr.


Wie traumatisiert steht Berndt da, bewegungslos, aber dicke Tränen rollen ihm über die Wangen. Wie benebelt und durch einen dicken Schleier findet er zurück in seine Wohnung, der unerträgliche Kummer schnürt ihm den Hals zu. Im Wohnzimmer angekommen sinkt er in die Knie ein, sackt zusammen in einem lautlosen Weinkrampf, den Kopf auf die Knie gelegt.
 
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Szenario 2:


Berndt sitzt zuhause. Es klingelt. Er steht auf, und geht zur Tür.
Es ist - wie erwartet - seine Verlobte. Die beiden sprechen nur kurz miteinander, dann geht seine Verlobte wieder.
Berndt geht ebenfalls wieder zurück ins Wohnzimmer, um seinen Tee zu trinken.
 
So, jetzt bist Du gefragt, Mara.

Welches Szenario beschreibt das Geschehene besser? Was ist der Unterschied ?



Du vermutest wohl schon das richtige: es geht darum, ganz im "Hier und Jetzt" zu leben.
 
Hallo Mara,

wie seltsam das Leben doch ist: da gibt es zwei Menschen, die sich nicht kennen und doch plötzlich untrennbar miteinander verbunden sind, der eine wird vom anderen getötet.

Schlimm, dieser plötzliche gewaltsame Tod. Keine Zeit und Gelegenheit, sich darauf vorzubereiten.
Schlimm, dieser Mord. Ein ganzes Leben damit zu leben, einem anderen Menschen das Leben genommen zu haben.

Michelangelo sagte zum Tod:
Ich bin ja nicht tot, ich tausche nur die Räume
und lebe in euch und geh durch eure Träume.

Gruß Dawn
 
@ Kvatar

Es geht Dir ja wohl hier nur um Bernd.

1. Die Entscheidung seiner Freundin hat ihn ja ins Jetzt gebracht – schmerzhaft aber immerhin.

2. Die Entscheidung wird verstandesmäßig zur Kenntnis genommen ohne emotionale Reaktion. Und sie geht als Verlobte – keine Klärung.

Beide Extreme sind der wahren Wirklichkeit fern. Erst die Klarheit in Verbindung mit grenzenloser Hingabe erzeugen einer tiefere Erkenntnis für die notwendige Handlung und dadurch eine durchdringende Offenbarung göttlichen Wirkens. Und da ist erstmal tiefes, tiefes Schweigen.
HIER und JETZT.

Alles Liebe
Isis
 
Ups, ich dachte ich hätte es eindeutig gemacht. Dem war wohl nicht so - entschuldigung ! :rolleyes:


Was ich darstellen wollte:


Bernd ist in beiden Szenarien DAS GLEICHE passiert, nur habe ich im ersten Beispiel die (selbsterzeugte!) Gefühlskulisse von Berndt mitbeschrieben.

Aus seiner Sicht hat Berndt dabei etwas Furchtbares erlebt, aber das Wichtige ist: der Trennungsschmerz hatte absolut NICHTS mit der wirklichen Situation zu tun. Ich weiss, dass viele darüber murren werden und das nicht einsehen werden wollen. Aber Tatsache ist: was immer Bernd erlebt hat, es waren die Auswirkungen seines Denkens, das sich gegen die Situation aufbäumte und damit Schmerz und Leid verursachte.

Um dies aufzuzeigen habe ich das zweite Beispiel gegeben. Es stellt dar, wie es auch hätte aussehen können: kein Anhaften, kein unkontrolliertes, UNBEWUSSTES Abschweifen des Denkens mit den sonst unvermeidlichen schmerzhaften Folgen.


Im zweiten Beispiel ist Berndt absolut im "Hier und Jetzt" angekommen und zeigt was es bedeutet, seine Gefühle wirklich unter Kontrolle zu haben. Ich meine damit nicht, dass man mehr oder weniger erfolgreich die Tränen niederkämpft, sondern dass man die Erregerzellen für Schmerz, Leid und Kummer direkt an der Pforte zum Herzen abweist, bevor sie Schaden anrichten können.
Berndt ist nun ganz im Augenblick angekommen, was er tut, tut er vollkommen aufmerksam im JETZT, seine Gedanken schweifen nicht ab und können seine Ruhe so nicht stören.
Während wir noch diskutieren, sitzt Berndt relaxed in seinem Wohnzimmer und macht nichts weiter, als mit aller Aufmerksamkeit seinen Tee zu trinken.


Ich möchte gerne ein weiteres Beispiel zitieren, um dies nochmal zu veranschaulichen:

Buddha erzählte in einem Sutra eine Parabel: Ein Mann, der über eine Ebene reiste, stieß auf einen Tiger. Er floh, den Tiger hinter sich. Als er an einen Abgrund kam, suchte er Halt an der Wurzel eines wilden Weinstocks und schwang sich über die Kante. Der Tiger beschnupperte ihn von oben. Zitternd schaute der Mann hinab, wo weit unten ein anderer Tiger darauf wartete, ihn zu fressen. Nur der Wein hielt ihn. Zwei Mäuse, eine weiße und eine schwarze, machten sich daran, nach und nach die Weinwurzel durchzubeißen. Der Mann sah eine saftige Erdbeere neben sich. Während er sich mit der einen Hand am Wein festhielt, pflückte er mit der anderen die Erdbeere.
Wie süß sie schmeckte!




Das bedeutet es, ganz im Augenblick zu leben.
 
@ Kvatar

Also ich sehe das etwas anders:

Sicherlich hatte der gute Bernd sich Illusionen gemacht und mußte durch die Handlung seiner Verlobten den Schmerz erleiden, natürlich auch durch seinen Widerstand. Aber der Schmerz bringt den Menschen endlich mal in das Jetzt und damit in die Situation zu lernen.

Doch um im Hier und Jetzt zu sein, ist es nicht erforderlich seine Gefühle zu kontrollieren. Kontrolle und Hier und Jetzt, das widerspricht sich einfach. Man muß den Mut haben, das Ende der Illusion und die Auflösung der Projektionen zu ertragen. Man muß den Mut haben, Fehler zu begehen. Man muß den Mut haben verletzlich zu sein und minderwertig und großherzig genug, die Fehler anderer zu entschuldigen. Man muß den Mut haben hinzunehmen. WAs kann dem Herzen denn schon schaden?
Und wenn der Mensch gefühlsmäßig geklärt ist, das Herz rein ist, kann das Ereignis erst recht das Gemüt erreichen, wo die Bewegung Gottes wahrgenommen werden kann. Und da gibt es dann keinen kalten Tee sondern wirklich die süße Erdbeere. Und die schmeckt wirklich süß!
Ohne Gottes Bewegung kein absolutes Hier und Jetzt.

Alles Liebe
Isis
 
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@Isis + Kvatar

Hallo, Ihr beiden...

ich glaube nicht, das es so einfach ist...

Mein Freund hatte erst vor 1 Woche seine Frau aus Persien nachkommen lassen. Seitdem hatte sich sein Verhalten verändert. Er nannte mich plötzlich nicht mehr "schöne Frau" sondern "Schwester". Als eine andere Kollegin mit ihm flirten wollte, sagte er: "Ich bin schon vergeben".

Warum hat er ihn erst umgebracht, nachdem es sowieso vorbei war? Noch komplexer...

Aber Ihr wußtest ja auch nicht, dass er Perser war. Die Emotionen dieser Menschen sind viel intensiver als unsere. Ehre und Stolz kommen da an erster Stelle. Aber das hat mein Freund auch gewußt. Vielleicht war es ein Eifersuchtsdrama über eine Sache, die gar nicht stattgefunden hat? Verschmähte Liebe ???

Kvatar, denkst Du, Jesus war erleuchtet?

:winken5: Mara
 
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