Sich mit dem Schicksal unterhalten

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Wellenspiel

Guest
Diffus, in Kerzenschein getauchte Mystik, scheint uns alles, was nicht greifbar, nicht verlehnbar ist. In unterschiedlichster Gestalt erscheint es uns, denn was zu groß ist, um es zu erblicken, das erblicken wir in uns selbst; und in einer Konfrontation der Ängste, scheint es, treffen diese Kräfte zusammen, das Ich brennend vor Rationalität, das Nicht-Ich klirrend vor der Kälte seiner Ungewissheit.
Dann kommt ein Sturm auf, der die Barrikaden zerschmettert; für andere hingegen ist er eine nahrhafte Brise, die ihren Flügeln Aufwind verleiht.

Denn wie ein chinesisches Sprichwort schon sagt:


Wenn der Wind der Veränderung weht,
bauen die einen Mauern
und die anderen Windmühlen.
Nichts lässt sich aufhalten im Strom der Zeit, und wenngleich der Fluss mal reißend durch die Klamm rauscht und ein andermal zwischen grünen Heiden sanft und friedlich plätschert, so ist das Schicksal doch stets von derselben Hand, die es antreibt, der Quelle, die nicht versiegt und die Wasser in Bewegung hält.

Nun begibt es sich aber, dass wir alle in demselben Boot sitzen und in diesem Fluss zu unserem Glück hinzupaddeln versuchen.
Wo nun die einen einen reißenden Strom sehen und gegen ihn anzukämpfen versuchen, da erblicken die anderen ruhige Gewässer, und so wird wild und sanft, nach links und recht, mit Blicken nach vorne und nach hinten auf unterschiedlichste Weise gerudert; doch dem Ziel kommt niemand näher.

Umso fataler, wenn der Mehrheit eingeredet wird, sie sollten doch ihre eigenen Boote bauen und auf eigene Faust ihrer Wege ziehen.
Freilich, diese Lösung liegt nahe.
Und doch bringt sie nur Chaos auf dem Fluss. Denn in der allgemeinen Verwirrung wurde ganz vergessen, dass doch jeder dasselbe Ziel verfolgt und ein jeder auf demselben Fluss hinreist. Jede Abzweigung führt zurück auf den großen Hauptstrom, und alle Bemühungen, gegen den Strom zu rudern, enden in Erschöpfung.


Schicksal ist, dass alles ist, wie es ist und das auf unabänderliche Weise. Alles existiert nach Mächten, die wir nicht steuern können, denen wir nichts entgegenzusetzen haben.
Doch diese Mächte sind nicht von despotischer Gesinnung; glauben wir dies, so missverstehen wir sie. Das höchste Ziel dieser Mächte liegt in unserem eigenen Wohlergehen.
Mit unseren Vorstellungen ziehen wir Barrikaden auf, die alles auszuschließen versuchen, was jenseits liegt. Es werden Feindbilder erschaffen, indem das Selbst eingeigelt wird in einer Festung mit immer dickeren Mauern.
Stets hadern wir mit unseren Bemühungen, denn die Natur ist stark und versucht wieder und immer wieder, durch die Fugen der Steine einen Weg zu uns zu finden. Wir suchen sie abzuhalten und wir nennen das: Den Kampf ums Überleben.

Und doch; die Eigenkreation, das Bestreben zur Naturlosigkeit, ist nichts als der Versuch eines trotzigen Kindes, seiner Mutter seinen Willen aufzuzwingen.
Noch immer sind wir in der Phase, in der wir lernen müssen, dass das so nicht geht. Als Teil der Schöpfung können wir keine eigene gestalten, sondern müssen unweigerlich erkennen, dass sie uns gestaltet und nicht wir sie.
Nur der achtsame Gärtner wird die Früchte seiner Arbeit ernten können, der trampelnde Marodeur hingegen sitzt schlussendlich auf der Asche seines Tuns, verhungernd an seinem eigenen Unwillen, dem Fluss des Lebens die Richtung seiner Reise entscheiden zu lassen.

Denn wir rudern nur aus Trotz, nicht aus Weisheit. Der Fluss bestimmt die Richtung, denn er kennt unseren Weg bereits, während wir allein nur irren können.


In seinem Trotz erkennt das Kind nicht, was zu seinem Besten ist.
Und darum wird der Trotzige nun meinen, das Schicksal wäre eine Unterdrückung des Freien Willens. Doch halt: der Freie Wille ist universal.
Es steht uns frei, trotzig zu sein. Die Konsequenzen zu verkennen heißt nicht, frei zu sein.
Freiheit ist es, die Konsequenzen allen Tuns anzunehmen und in dem Maße zu handeln, in dem man bereit ist, die Konsequenzen zu tragen. Wer sie kennt, kann mit ihnen spielen, alle Gesetze dieser Welt zu seinem Vorteil nutzen und dadurch unweigerlich zum Vorteil aller. Wer sie nur zum Eigenvorteil nutzt, der kennt sie noch nicht wirklich.

Sich mit dem Schicksal unterhalten, denn es ist unser Berater. Ihm zu folgen, denn es ist unser Führer. Ihm zu vertrauen, denn es ist unsere Mutter. Von ihm zu lernen, denn es ist unser Vater. Die eigenen Mauern einzureißen, denn es greift uns nicht an, sondern will uns liebevoll umarmen.
Das ist der Weg zur Erfüllung - und in diesem Licht verschwindet der Nebel des Mystischen und wird zur klaren, strahlenden Wahrheit.
 
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Schicksal und freier Wille sowie das scheinbare(!) Paradoxon schnell skizziert:



Schicksal ist der Willen über Willen.
Erst das Wollen bewusst wollen zu können, ist die Sprache des Schicksals zu sprechen.

Alles, was wir wollen, ist gegen das Schicksal. Es kommt immer anders, als die Vorstellungen es vor uns stellen und dabei, vor uns stehend, uns die Sicht verwehren auf das, was jenseits von ihnen liegt.
Der Wille wider der Natur - sich befreit wähnend von allen Gesetzmäßigkeiten - ist der große Tollpatsch im Menschen, der abwiegt ohne Waage, tickt ganz ohne Uhr, fließt ganz ohne Ufer.
Es ist eine Barriere, durch die das Schicksal ständig hindurchbrechen muss, was eine schmerzhafte Erfahrung nach der anderen zur Folge hat. Denn das Schicksal ist absoluter Fluss. Bauen wir einen Damm, stauen wir es nur so lange, bis es mit brachialer Gewalt überschäumt.

Wir können nichts wollen wider der Natur, ohne unsere Leiden zu vergrößern.
Mit anderen Worten: Wir können nichts wollen, ganz frei Schnauze, ohne dass Konsequenzen folgen.

Der Wille ist frei. Aber er ist nicht be-freit. Er ist eingebettet in dem Rahmen des Schicksals, und das Schicksal sagt:
Die Natur aller Dinge ist der höchste Willen.
Nur der höchste Wille ist die Waage, die Uhr und das Ufer. Willen über Willen.

Die Sprache des höchsten Willens ist universal, allgegenwärtig, die Allgemeinsprache aller Dinge.
Es ist das einzige Gesetz über alle anderen.
Schicksal ist, dass der Wille frei ist. Absolut frei! Aber in relativen Verhältnissen gebunden.

Relativ ist alles, was die Illusion der Unfreiheit erschafft.
Schicksal ist polar: es ist absolut und doch relativ.
Der Wille ist frei und doch unfrei.

Alles, was ich will, kann nicht sein und kann nicht werden! Aber wenn ich weiß, was alles sein kann, kann ich üben, wollen zu wollen.
Und dann, wenn ich wollen wollen kann, kann ich die Sprache des Schicksals sprechen.
Es reicht nicht aus, nur zu wollen, denn der Wille in seinem individuellen Spezifikum ist wie eine winzige Facette eines riesigen, sich in Kreisläufen drehenden Rades. Es muss über diese Facette hinausgegangen werden, in die gesamte Matrix der Natur.
Nur wer sie kennt, stolpert nicht durch die Dunkelheit.
Bin ich allerdings im Dunkeln, kann ich nur wünschen, wenn ich will, dass etwas werde.
 
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