Schwarzer Sand

Raschkralle

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25. Juli 2005
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Endlos scheinen die Strände Südislands.
Schwarz ist der Sand, feinkörnig, warm und glitzernd, wie Sand sein sollte, nur eben schwarz, schwarz wie Kohle.
Es ist Anfang August, halb elf Uhr nachts. Die Sonne steht tief im Westen. Bald wird sie hinter den Bergen versinken. Ich wandere entspannt, ohne Eile, denn ich weiß, es wird trotzdem nicht dunkel werden, nur sanft dämmrig.
Schwarzer Sand. Welch exotischer Anblick!
Er färbt das Meer wie ich es nie zuvor sah. Flaches Wasser auf Schwarz formt es zum Spiegel, leuchtend wie flüssiges Silber, wenn die Sonne scheint, möwengrau, wenn Wolken das Licht dämpfen. Und kalt und weiß ist der Meerschaum, der meine Füße umspült.
Keine Muscheln, keine Algen, kein Treibholz,
nur gelegentliche schwarze Kiesel, die das Meer ausspeit und einsaugt, ausspeit und einsaugt, schleift und formt, zerreibt, zermahlt zu schwarzem Sand.

Schwarzer Sand, Meer und Wind.
Von Westen kommt der Wind, heftig und rau, aber nicht kalt.
Er trägt das Meeresrauschen mit sich und die fernen Schreie von Seevögeln, sonst nichts.
Vor mir erstreckt sich der endlose Strand, Meeressilber und schwarzer Sand, sonst nichts, kein Haus, kein Baum, kein Müll, kein Mensch, ja, nicht einmal Spuren.
Schlichte, glatte, harmonische Perfektion.

Keine Spuren.
Ich drehe mich um und blinzle gegen die untergehende Sonne.
Draußen, vor der Küste ragen drei bizarre, scharfkantig nadelspitze Felstürme schwarz aus dem Silbergrau. Drei Trolle sind es, die ins Meer wateten, vom Licht der Sonne überrascht wurden und zu Stein erstarrten, so erzählen sich die Isländer.
Ansonsten ... Leere.
Leere vor mir, Leere hinter mir. Schwarzer Sandstrand ohne Spur.

Keine Spuren?
Mit nackter Zehe ziehe ich eine Linie in den nassen Sand. Das Meer speit und saugt, verwäscht sie rasch zu schwarzer, glatter Perfektion.
Bequem und schnell bin ich gewandert auf nassem, festen Sand und hinterließ keine Spuren.
So steige ich höher, dort wo das Meer nicht hinkann, stapfe durch die lose feinkörnige Wärme, gehe langsam und mühsam und hinterlasse Spuren ...,
für eine Weile.
Der Wind weht. Er schleift und verwischt, schleift und verwischt, wandelt langsam aber gewiss alles in glatte, schwarze Perfektion.
So baue ich eine kleine Pyramide aus Kieseln, ich weiß nicht warum.
Klaube lange und mühsam, schichte Stein auf Stein, um eine Spur zu hinterlassen.

Schließlich verweile ich, stehe reglos im dämmrigen Zwielicht der Nordsommernacht.
Der Schaum umspült mich.
Ich schaue auf das graue Meer, wie es saugt und speit und ich habe Tränen in den Augen.
Heiß und kalt überläuft es mich. Eine Kraft ist anwesend, plötzlich aus dem Nichts, hier im nichts. Sie ist nicht ignorierbar. Sie ist nicht leugbar. Sie ist überwältigend.
Es ist, als würde ich aufgefordert, niederzuknien und zu weinen.
Ich bleibe stehen, hilflos trotzig aber glücklich.
Ja, ich bin glücklich.

Lange stehe ich so.
Dann wandere ich weiter, bis lange nach Mitternacht.
Die Steinpyramide habe ich auf dem Rückweg nicht wieder gefunden.
Habe ich sie übersehen?
Es ist einerlei.
Es wird letztendlich keine materielle Spur von Dauer sein,
nicht die kleinste,
von mir,
von uns
im Saugen, Speien, Schleifen und Formen,
im Mahlstrom des Unbegreiflichen.
 
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