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Bin heute über Umwege ebenfalls auf der Seite von Prof. Scharfetter gelandet - eine gute Quelle.der schamane - generelle erklärung von Prof. Dr. Christian Scharfetter
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Daraus:
Soziale Position
Der Schamane wird aufgrund seiner Macht gebraucht, verehrt, aber auch mit Scheu betrachtet. Er ist eine ambivalente Gestalt, unentbehrlich und zugleich gefürchtet. Durch seine paranormalen Fähigkeiten ist er eine marginale Gestalt, anders als die weltliche Zentralfigur des Stammeshäuptlings und anders als in den Hochreligionen der Priester als religiöser Funktionsträger.
Respekt vor dem echten Schamanen
In der heutigen Welt sind an manchen Orten noch Reste einstigen Schamanentums nachweisbar. Schamanismus ist ein Komplex bestimmter konstitutiver Elemente, ein Syndrom, dessen Komponenten in verschiedenem kulturellen und religiösen Kontext auftauchen können (20).
Die Achtung vor dem Funktionsträger Schamane, welcher sogar in der heutigen, globalisierten, multikulturellen, kreolisierten Welt noch überlebt und nach den Bedürfnissen seiner Sozietät wirkt (21), sollte uns bewahren vor den Verführungen der Verfälschung und des Mißbrauchs. Die Idealisierung des Schamanen (oft die Vorstufe zur plakativ-werbeträchtigen Selbstattribution durch postmoderne und New-Age-Heiler oder zum touristischen Werbegebrauch) ist ebenso verfehlt wie die Entwertung als primitiv, archaisch oder gar die Pathologisierung des Schamanentums, besonders des Weges zum Schamanen.
Kosmologie, Ethik, Anthropologie
Der Kosmos ist im Ideogramm der Menschen dieser Kultur dreigeteilt: Erdenwelt, Überwelt und Unterwelt. Der Baum, der Pfahl, auch der Fluß verbindet als 'axis mundi' die drei Welten. Der sichtbaren Diesseitswelt ist eine energetisch-animistische transintelligible Welt zugehörig. Der Schamane kann sie sehen und beeinflußen. Der Mensch ist dem Ganzen verbunden, ist systematisch eingebunden in das Ganze des Kosmos. Diese Einbindung bedeutet Eingeordnetsein und Aufgehobensein genauso wie Verpflichtung oder Rücksichtnahme auf die Geisterwelt. Es ist eine ökologisch-systemische Ethik. Der Mensch hat darauf zu achten, die Geister, die Herren der Tiere und Pflanzen, des Flußes, des Sees, der Berge, des Wetters nicht zu kränken. So hat er z. B. auf der Jagd oder auf dem Fischfang im Beutegewinn Maß zu halten und hat dem Herrn der betreffenden Tierart Opfer darzubringen. Die Knochen des erlegten oder des geopferten Tieres sind sorgsam aufzubewahren. Aus ihnen konstituiert sich neu das Leben. Die Knochen repräsentieren die Kontinuität der Sippe des Lebendigen. Im Gegensatz zur kultischen Religiosität mit ihrer Trennung von Natur und Numen, mit ihrer Vorstellung von einer organischen chronologischen Kontinuität des Lebens, von der Urzeit der Schöpfung über die Gegenwart zur Zukunft, gibt es auf dieser Stufe der magischen Religiosität keine Trennung von Natur-, Mensch- und Geisterwelt. Das Numinose ist in der ubiquitären Hierophanie allgegenwärtig. Es gibt hier nicht das Bild vom unwiderruflichen linearen Zeitablauf des Weltgeschehens. Leben und Wiedergeborenwerden, Auferstehung, Zerstückelung und Wiederherstellung, Krankheit und Gesundheit stehen in einem anderen, zyklisch-uroborischen Zusammenhang als in der Sicht der rationalistisch-aufgeklärten Kultur, in der das Weltbild des Alltagsbewußtseins dominiert.
Der Körper des Menschen, sein Skelett, enthält die Elemente der Welt, geschwisterlich allem Lebendigen verbunden und auch in alles verwandelbar. Seine 'vis vitalis', das was ihn lebendig macht, ist seine Körperseele. Neben der Körperseele gibt es noch mehrere andere Seelen. Diese können den Leib verlassen, ohne daß dieser deshalb absterben muß. Diese "Freiseele" verläßt den Leib des Schamanen in der Ekstase. Sie ist es, die auf Reisen geht. Die Freiseele des Schamanen kann sich verwandeln in andere Wesen, meist Tiere. Bei manchen sibirischen Schamanen beginnt die Lehrzeit schon vorgeburtlich. Der noch nicht geborene Schamane sieht vom Baum oder Berg aus die Krankheitsgeister und ihre Wege. Er wird von den schamanischen Vorfahren zerstückelt, sein Fleisch (der weibliche Anteil) und seine Knochen (der männliche Anteil und der Garant der Sippenkontinuität) werden an die Krankheitsgeister verteilt. Der zukünftige Schamane kann nur die Krankheiten heilen, deren Geister von seinem zerstückelten Körper gegessen haben. Die Skelettierung setzt die Seele frei, in andere Welten zu gehen. Die Knochen werden dann wieder zusammengesetzt und mit Fleisch von Verwandten belebt. Das garantiert die Kontinuität des schamanischen Wissens um die Macht in der Sippe (17).
Literatur
1) Findeisen, H. & Gehrts, H.: Die Schamanen. 2. Aufl. Köln 1983, S. 13.
2) Lewis, I. M.: What is a Shaman? In: Hoppál, M.(Ed.). Shamanism in Eurasia. Göttingen 1984, S. 5.
3) Eliade, M.: Schamanismus und archaische Ekstasetechnik. Frankfurt/M. 1975, S. 14.
4) Lommel, A.: Schamanen und Medizinmänner. München 1965.
5) Califano, M.: El chamanismo mataco. In: Scripta Ethnologica 3 (1975): 7-60.
6) Larraya, F. P.: Lo irracionál en la cultura. Buenos Aires 1982, Vol. II, p. 312.
7) Baer, G.. Ein besonderes Merkmal des südamerikanischen Schamanen. In: Zeitschrift für Ethnologie 94 (1969): 284-292.
8) Ackerknecht, E.. Psychopathology, Primitive Medicine and Primitive culture. In: Bulletin of the History of Medicine 14 (1943): 30-67.
9) Eliade, M.: Schamanismus und archaische Ekstasetechnik. Frankfurt/M. 1975, S. 519.
10) Hultkrantz, A.: Ecological and Phenomenological Aspects of Shamanism. In: Diószegi, V./ Hoppál, M. (eds.): Shamanism in Siberia. Budapest 1978, 27-58.
11) Lewis, I. M.: Ecstatic Religion. Harmondsworth 1971, p. 18.
12) Dittrich, A. & Scharfetter, C. (Hrsg.): Ethnopsychotherapie. Stuttgart 1987; Price-Williams, D.: Shamanism and altered states of consciousness. In: Anthropology of Consciousness 5 (1994): 1-15.
13) Hultkrantz, A.: Ecological and Phenomenological Aspects of Shamanism. In: Diószegi, V./ Hoppál, M. (eds.): Shamanism in Siberia. Budapest 1978, 27-58.
14) Friedrich, A. & Buddruss, G.: Schamanengeschichten aus Sibirien. 2. Aufl. Berlin 1987, S. 45-78.
15) Graceva, G. N.: A Nganasan Shaman Costume. In: Diószegi, V. & Hoppál, M. (eds.). Shamanism in Siberia. Budapest 1978, S. 315.
16) Friedrich, A. & Buddruss, G.: Schamanengeschichten aus Sibirien. 2. Aufl. Berlin 1987, S. 71-88.
17) Friedrich, A. & Buddruss, G.: Schamanengeschichten aus Sibirien. 2. Aufl. Berlin 1987, S. 27-30.
18) Hultkrantz, A.: Ecological and Phenomenological Aspects of Shamanism. In: Diószegi, V./ Hoppál, M. (eds.): Shamanism in Siberia. Budapest 1978, p. 54.
19) Findeisen, H. & Gehrts, H.: Die Schamanen. 2. Aufl. Köln 1983, S. 140; Eliade, M.: Schamanismus und archaische Ekstasetechnik. Frankfurt/M. 1975, S. 248; Nioradze, G.: Der Schamanismus bei den sibirischen Völkern. Stuttgart 1925, S. 58.
20) Eliade, M.: Schamanismus und archaische Ekstasetechnik. Frankfurt/M. 1975, S. 360; Halifax, J.: Die andere Wirklichkeit der Schamanen. Bern 1981; Halifax, J.: Schamanen. Frankfurt/M. 1983; Lommel, A.: Schamanen und Medizinmänner. München 1965; Nicholson, S. (ed.): Shamanism. Wheaton, ILL. 1987.
21) Nicholson, S. (ed.): Shamanism. Wheaton, ILL 1987.