Sägespäne

Immer wieder entzieht sich uns das Verstehen, weil wir das Verstehen nicht aufgeben wollen. Lass dich treiben. Lass dich überraschen. Dennoch stellen wir uns die Frage, was das alles soll? Warum tut uns die Quelle das an? Warum müssen wir die Phasen der Entwicklung erleben?

Ganz einfach! Weil wir nun mal Teil einer ganz bestimmten Entwicklungsphase sind. Und das soll ganz einfach sein? Ja, doch! Es wäre ja wirklich vermessen, zu sagen, dass wir – wir Menschenwesen – die wir tagtäglich Schwachsinn produzieren – die Quelle selbst sind. Würden wir anders handeln, würden wir anders wahrnehmen, wäre es vielleicht ein wenig anders. Dann wären wir vielleicht ein wenig mehr die Quelle selbst. Aber so sind wir bloß ein winziger Teil einer sehr großen und sehr langen Entwicklungsphase.

Das sagt ganz und gar nichts aus. Das kann alles bedeuten. Und eine verständliche Antwort ist es auch nicht. Wenn die Quelle ohnehin fertig ist, nichts an ihr weg- oder hinzugefügt werden kann, weil sie immer perfekt war, ist und sein wird, müsste es doch keine Entwicklungsphasen geben.

Die Quelle ist reiner Geist. Wir sind es auch. Dann sollten wir uns mal ganz ernsthaft die Frage stellen, ob wir tatsächlich Menschen (Materie) SIND oder bloß ein dämliches Menschenkostüm (Materiekostüm) tragen.

Es wäre zu einfach, zu sagen, dass alle Energiestränge leuchten müssen, da sie vorher, bevor die Entwicklung zur Materie begonnen hat, nicht geleuchtet haben. Das würde besagen, dass die Quelle der Kraft einst doch nicht perfekt war. Gut, sie war nicht materiell, sondern nur reiner Geist. Rein und unverwundbar. Aber das ist sie immer. Und darauf zielen wir doch hin, - wir die Entwicklungsphasen. Rein und unverwundbar.

Aber das sind wir ja auch in wahrer Sichtweise, da wir, würden wir die Ganzheit unseres Selbst wahrnehmen... Halt! Nicht wahrnehmen, denn die Ganzheit des Selbst SIND wir – oder wenigstens, um es hier und jetzt zu deuten, ein leuchtendes Pünktchen auf einem der unzähligen Energiestränge. Und ein Energiestrang davon bin ich, würde ich die Ganzheit meines Selbst erkennen und schließlich auch SEIN.

Noch mal: Ist die Quelle schon immer geistig UND materiell gewesen? Wenn, dann ist alles unverständlich. Das wäre ja noch schöner, würden wir diesen Verlauf, den wir gerade durchmachen, auch verstehen. Da lachen doch alle Hühner. Wirklich alle.

Der alte Mann kann sie schon von weitem sehen. Sie picken die vereinzelt wachsenden Gräser aus dem Boden, der von Schritt zu Schritt freundlicher wirkt. Nicht mehr so mondkahl. Ab und zu wächst sogar ein kleines Bäumchen entlang des schmalen Kiesweges, auf dem die beiden, der alte Mann und der kleine Michel, gehen. Es sind lustig aussehende Hühner. Ihre Federn sind bunt und sehr lang. Sie haben große Kämme auf ihren schmalen Köpfen und lange, spitze Schnäbel. Manche Schnäbel sind weiß, andere sind schwarz. Ob sie auf das Geschlecht hinweisen? Gibt es im neuen Universum verschiedene Geschlechter?

Einmal traf ein Mensch den Teufel. Der Teufel sagte, er würde dem Menschen ein ganz großes Geheimnis verraten. Das ganz große Geheimnis war, dass es im Universum nicht nur zwei, sondern drei Geschlechter gibt. Der Mensch war enttäuscht, da er sich ganz etwas anderes erwartet hatte. Etwa warum es uns gibt. Warum es das Universum gibt. Oder so was ähnliches.

Wir würden noch immer nicht verstehen, warum es all das gibt, - sagt der Mann, bleibt stehen und deuten mit einem Arm über die Landschaft. Nicht einmal, obwohl uns bewusst ist, was wir wirklich sind und dass all das nur ein abgespielter Film ist. Noch immer ist es ein Film oder ein Traum oder was immer Lebewesen nicht wirklich nennen. Im Grunde genommen ist das alles nur ein Bild von vielen, denn ein Film besteht aus lauter vielen, vielen Bildern.

Wie kann auch etwas wirklich sein, das sich laufend verändert. Die Wahrheit, die Wirklichkeit ist immer gleich.

Gut gesagt, kleiner Michel. Du vergisst aber, dass das immer Gleiche sich vielleicht sehr langsam verändern kann. Viel zu langsam, um es zu erleben, weil unsere Lebensdauer nicht ausreicht.

Die beiden sind schnell müde. Wie gesagt, im neuen Universum ist Bewegung kräfteraubend. Und ich frage mich schon wieder, warum ich mir über all das Gedanken mache. Und noch dazu aufschreibe! Es teile! Es anderen wie einen Knochen zum Fressen hinwerfe, als hätte ich die Weisheit mit dem Löffel gefressen. Ja, ja, wir sind noch immer so überheblich, zu glauben, wir hätte recht. Wir zeigen auf andere und denken, wir sind doch viel gescheiter. Wir sind es nicht. Wir sind dieselben Idioten wie alle anderen. Wenn, dann Idioten und nicht, dass die anderen gescheiter wären. Man soll nicht auf andere zeigen. Und belehren ist schon gar nicht drin. Man kann immer nur sich selbst belehren, auf sich selbst zeigen. Da wissen wir ja, was in uns so alles vorgeht, was wir am liebsten vor den anderen geheim halten möchten. Und das müssen wir nicht unbedingt ausplaudern, anderen auf die Nase binden. Also, Schluss damit! Jetzt wird nichts mehr ausgeplaudert und ausgeteilt.

Der alte Mann und der kleine Michel haben das alles erlebt. Der alte Mann war sogar mal ein Guru mit vielen Schülern. Noch heute mag er sich dafür schämen, weil er zu spät erkannt hat, dass er der Schüler und die Schüler die Gurus waren. Heute erkennt er, dass alle Schüler waren, die das Leben lehrte. Also hat unsere Sinnlosigkeit ja doch einen Sinn, wenn wir uns demütig vom Leben selbst belehren lassen würden. Wie ging dieser blöde Spruch noch mal? Ach ja: Willst du Gott zum lachen bringen, mach Pläne!


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Er wird euch nichts sagen. Er hat immer gewartet, bis alle, wirklich alle – sogar das winzigste Teilchen – bereit sind. Erst dann hat er zugeschlagen. Erbarmungslos. Und wirksam. Vielleicht auch nachhaltig. Aber das werden wir erst sehen. Wenn wir Augen zum Sehen haben. Würden wir gar nicht brauchen, denn man sieht auch mit dem Herzen gut. Wenn wir eines haben. Die Blutpunpe ist damit nicht gemeint. Das Herz ist die Seele ist der Geist ist die Quelle.

Er weiß das und nickt lächelnd, als der alte Mann und der kleine Michel den Garten durch ein hohes, prunkvolles Tot betreten. Das Tor zum Paradies. Und mitten drin er unter einem Baum, lässig an den Baumstamm gelehnt.

Ich sehe ihn in Jeans, barfuß und mit schwarzem Trägerleibchen. Das Haar diesmal nur bis zu den Schultern lang, aber füllig und tiefschwarz. Er lächelt wieder keck und hebt die linke Augenbraue, was sein Grinsen noch frecher macht. Lausbub! Aber so was von süß.

In Wirklichkeit ist da gar nichts. Nicht mal ein alter Mann und auch kein kleiner Michel, wie wir uns das vorstellen. Und doch ist da was. Es flirrt und knirscht und arbeitet. Es geht ineinander über und gibt Wärme ab. Es macht tatsächlich Geräusche, die niemand hören kann, weil niemand da ist, der hören könnte. Das macht alles die Seele, die das Herz ist der Geist ist die Quelle. Dann ist aber Schluss. Schluss mit lustig. Die Fröhlichkeit ist nicht mehr, da es sonst auch Traurigkeit geben würde.

Die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren. Das steht zwar nicht über dem prunkvollen Tor geschrieben, aber es trifft durchaus zu. In der Hölle brauchen wir Hoffnung, aber niemals im Paradies, an dem Ort, der kein Ort ist, obwohl er das kennzeichnet, was in den Himmel führt. Der paradiesische Garten ist die letzte Stufe vor der absoluten Vereinigung. Unio mystica. Geist und Materie werden endlich eins.

Noch stehen sie unter dem Tor, aber der erste Schritt in den Garten ist getan. Sie haben ihn betreten, den Garten. Stehen mit beiden Füßen auf dem gepflegten Rasen. So stellen wir uns das gerne vor. Nur nichts verlieren. Nur nichts loslassen, denn wir brauchen die Füße zum Gehen und die Hände zum Greifen. Wir brauchen die Augen zum Sehen und den Mund zum Sprechen. Ich erwähne nicht mehr, dass es auch eine Art zum Wahrnehmen gibt, die aber gar nichts mehr mit Wahrnehmung zu tun hat, weil es etwas Unmittelbares ist.

Das werden sie aber lernen müssen, die beiden, der alte Mann und der kleine Michel, die den nächsten Schritt wagen. Hier ist Bewegung noch kräfteraubender. Und Arima lehnt noch immer am Baum und blickt irgendwie gelangweilt zur mächtigen, grünen Baumkrone hoch.

„Kommt doch endlich rein, Jungs! Ich hab nicht ewig Zeit!“

Plötzlich laufen sie los wie Kinder. Der alte Mann wirft seinen Gehstock weg, schlägt die Kampuze zurück und rennt auf Arima zu.Der kleine Michel mit seinen noch sehr kurzen Beinen überschlägt sich fast. Schließlich hängen sie an dem Schönen. Der eine links. Der andere rechts. Und Arima sagt lachend: „Willkommen zu Hause.“


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Ich erinnere mich an mich. Damals. Vor langer Zeit. Vor der Zeit. Als alles noch ganz war. Als es noch keine Erinnerungen gab. Das Ich, an das ich mich erinnere, war neugierig. Vielleicht zu neugierig. Es interessierte sich für Dinge, für die es sich besser nicht interessiert hätte. Der Gesellschaft gefiel es nicht so sehr. Artig und brav sollen sie sein, die Mädchen. Auf keinen Fall rebellisch. Und die Jungs lässt mal ganz schön Jungs sein. Aber was gibt es Schöneres als dieses Flattern im Bauch, als wären tausend Schmetterlinge am träumen, sie wären verliebte Mädchen. Oder sind es die verliebten Mädchen, die träumen? Hatten wir schon. Aber die Erinnerungen sind da. Und sie sind urteilsfrei schön.

Der alte Mann und der kleine Michel erinnern sich ebenso. Auch daran, als alles noch ganz und vor der Zeit war. Auch sie waren neugierig und nicht immer so, wie man es von ihnen erwartet hatte. Da leuchten Dinge auf den beiden Energiebändern auf, die man lieber im Dunkeln hätte lassen sollen. Sich dafür schämen? Niemals! Es gehörte zur Entwicklung.

Erkennst du jetzt, warum niemals etwas verloren gehen kann? Es ist alles festgebrannt. In und auf dem Energieband, das die Ganzheit deines Selbst darstellt. Es kann nie wieder ausgelöscht werden. Also bringt es nichts als Kummer, wenn du dich deswegen schämst. Abhaken und sagen, dass es einfach so geschehen musste. Dass du deshalb der oder die geworden bist, der oder die du bist, ist Schwachsinn. Auch wenn du anders gehandelt hättest, wärst du heute und auch morgen immer nur der oder die, der oder die du bist.

Erkennst du jetzt auch, warum ich immer sagte, dass du nicht wirklich die Ganzheit deines Selbst sein kannst, weil du nur ein Aspekt der Ganzheit deines Selbst bist. Aber du gehst nicht verloren. Niemals. Es ist, als würde sich die Ganzheit an ihre Kindheit oder an irgendein Erlebnis erinnern. Dieser Teil der Kindheit oder irgendein Erlebnis, an das sie sich erinnert, bist du. Das warst du, bist du und wirst es immer sein.

Deshalb gab es die beiden Kämpfe. Der zweite war fast wichtiger als der erste. Er integrierte alles in den reinen Geist. Jetzt ist alles rein, denn der Geist kann immer nur Reinheit aufnehmen. Er erzeugt Reinheit und nimmt sie auf, damit nie etwas verloren gehen kann. Die Kämpfe waren jedoch Teil der Entwicklung, was bedeutet, dass sie in der Zeit geschahen. In der Ewigkeit gab es sie nie. Da war, ist und wird es immer Vollkommenheit geben. Aber das kannst du noch nicht verstehen. Erst wenn du vollkommen in der reinen und unverwundbaren Quelle integriert bist, was du ja bereits bist, kannst du es verstehen, weil du es bist.

Siehst du, du musst es dann nicht einmal mehr verstehen. Das, was man ist, ist man einfach. Klar, für Menschen ist das schwierig, denn sie waren nur sehr selten und von ihnen nur wenige, was sie sind. Ein Stein war immer ein Stein. Pflanzen und Bäume neigten sich der Sonne entgegen und sogen den Regen auf, weil sie so waren. Und Tiere hatten nie Masken auf oder verstellten sich.

Nun sieh dir doch ein Tier an, eine Katze, einen Hund, einen Vogel oder gar eins von den schönen großen Tieren im Zoologischen, einen Puma oder eine Giraffe! Du musst doch sehen, dass sie richtig sind, dass gar kein einziges Tier in Verlegenheit ist oder nicht weiß, was es tun und wie es sich benehmen soll. Sie wollen dir nicht schmeicheln, sie wollen dir nicht imponieren. Kein Theater. Sie sind, wie sie sind, wie Steine und Blumen oder wie Sterne am Himmel. Verstehst du?“

Hermine aus Hermann Hesses „Steppenwolf“ verstand es. Bei Menschen war es schwieriger. Sie stellten Gesetze auf, die sich gegen sie wandten, lebten ein Leben, das nie artgerecht war und zwangen auch anderen Lebewesen ein nicht artgerechtes Leben auf. Sich aber deswegen zu schämen, ist nicht drinnen. Menschen sind nun mal so gewesen. Aber sie änderten sich. Sie mussten sich ändern, denn die Entwicklung schritt erbarmungslos voran.

Der alte Mann und der kleine Michel lächeln und schmiegen sich abermals an den Schönen, der sie liebevoll in die Arme nimmt.


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Hier kann man noch barfuß gehen. Hier kann man noch aus dem Bach frisches Wasser trinken. Hier reinigt die Luft den Körper und den Geist. Vor allem den Geist.

Der Bach fließt am kleinen Dorf vorbei. Er fließt genau zwischen dem Dorf und der Dorfwiese, auf der die Kinder gefahrlos spielen, da es hier keine motorisierten Fahrzeuge gibt. Es gibt Karren, welche von den Menschenwesen selbst gezogen werden. Sie ziehen sie von einer Gasse in die andere. Das Möbelschieben haben sie aufgegeben. Jetzt ziehen sie Karren, auf denen Blumentöpfe stehen. Eine Gasse nach der anderen wird damit geschmückt. Von den offenen, imposanten Bullaugen wehen kunstvoll gestickte Vorhänge herab. Es ist ein durchaus paradiesisches Bild, wie von einer Altstadt, die neu erbaut wurde. Blitzblank saubere Pflastersteine, penetrant genau aneinander gereiht bilden die schmalen Gassen, wo manche auch etwas breiter sind, damit vor den Häusern Bänke und kleine Tischchen Platz haben, wo Gäste stets willkommen sind. Und die weiß gekalkten Häuser, vereinzelt Ziegelsteinmauern ragen sauber links und rechts der Gassen hoch, um von manchmal spitzen, aber auch flachen Dächern gekrönt zu sein.

Der Bach fließt auch an der Mondlandschaft vorbei. Hier tut sich kaum etwas, aber der Boden ist gut für Weinstöcke, aus denen fröhlicher Wein gemacht wird und Gemüse und Obstbäume. Keine Tierhaltung. Tiere halten sich noch versteckt.

Außer im paradiesisches Garten. Im weißen Pavillon reckt sich eben ein grau getigerter Kater. Arima, eigentlich Kim, erinnert sich. Es ist nun mal die Zeit der Erinnerung angebrochen. Sie muss sein, bevor alles den Bach runter fließt. Wortwörtlich, denn der Bach fließt auch durch den Paradiesgarten, ganz knapp am Pavillon und der schmucken Villa vorbei. Sieben Brücken befinden sind im Garten, wo man ganz besonders schön lustwandeln kann. Pama und Sila kommen oft vorbei, hängen sich links und rechts an Arimas Arm ein und spazieren in langen Seidenkleidern durch den Paradiesgarten, über die sieben Brücken und bewundern jedes mal die Beete mit den beeindruckend bunten Blumen.

Diesmal sind der alte Mann und der kleine Michel an Arimas Seite und hören seine Geschichte von dem Kater, der es sich auf Arimas Schoß bequem gemacht hat. Der Pavillon ist prädestiniert für das Erzählen von Geschichten. Er passt sich stets den Gästen, die in ihm Platz nehmen, an. Manche wollen bloß einfache Stühle, andere wieder bequeme Fauteuils und andere wieder liegen gerne beim Zuhören auf einer weichen Couch oder einem Liegebett. Jeder Wunsch wird sofort erfüllt ohne gedacht werden zu müssen.

Arima hockt auf einer indianisch gestickten Decke, die er einst von einem Indianer geschenkt bekam. Es ist eine Zauberdecke. Etwas, das Arima, damals noch Kim, für immer aufbewahrt hat. So wie die Erinnerung an den Kater.

Kim war eigentlich nie von den Menschen enttäuscht. Sein Herz musste nie verzeihen, weil es nie etwas zu verzeihen gab. Das kann nicht oft genug erwähnt werden, da es eine Lernaufgabe ist, die nicht gelernt werden kann. Entweder man ist so oder man ist nicht so. Es kommt immer auf das Herz an, aber nur solche Herzen haben eine Chance auf den Himmel. Das heißt nicht, dass alle andere verdammt sind, die kein solches Herz wir Kim haben. Das heißt nur, manche brauchen eben länger, bis sie bereit sind.

Aber es sei nur erwähnt, dass Kim nie von Menschen enttäuscht war und deshalb der Tierliebe mehr zugetan gewesen wäre. Das war nie der Fall, denn Kim unterschied schon damals nicht. Für ihn war immer alles gleich. Gleich göttlich.

Kims erste große Liebe war die Musik. Das steht außer Frage, obwohl er seine geliebte Maria schon immer in seinem Herzen trug. Aber es gab noch eine Liebe, die zu dem Kater, den ihm ein Freund aus der Herberge schenkte. Der Freund hatte großes Mitleid mit Kim und konnte nicht verstehen, warum dieser so nette und schöne, junge Mann derart gequält wird, weshalb er ihm einen tierischen Freund schenkte.

Damals wusste noch niemand von Ake. Nicht einmal Kim ahnte, dass er ein Kind halb aus der Zukunft und halb aus der Gegenwart ist. Die Leuchtende Welt machte sich damals noch nicht in Kim bemerkbar.

Aber da war etwas, das ihn bezauberte. Tierliebe. Die Liebe und Treue eines Tieres, das sich vor Kims Zimmerbewohner unter dem Bett versteckte und wie eine Furie hervor stieß, als die Schläge zu hart wurden. Der Kater wollte Kim retten und gab sein Leben für ihn hin. Der Schläger packte das mutige Tier und tötete es. Dann lag es auf Kims blutiger Brust. Der Schmerz war sehr groß. Jede Träne Kims war ein Erlebnis mit dem Kater. Wie er auf seinen Schultern hockte und an seiner Seite wie ein Hund mit ihm spazieren ging. Wie er in verschiedenen Tönen miaute, als würde er seinem Freund alles mögliche erzählen. Kim verstand. Er miaute aus Spaß zurück. Es waren vielen Tränen. Aber sie alle waren den Kater wert. Mehr noch. Der Kater verdiente ein gebrochenes Herz.

Auch der alte Mann und der kleine Michel vergießen bei dieser Geschichte ein paar Tränen. Aber es gibt auch Freudentränen, wenn sie sanft über das weiche Fell des Katers auf Kims Schoß streicheln.


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"Jetzt sage ich dir einmal etwas, mein Junge. Wenn ich das alles, was du eben aufgezählt hast, nicht gerne tun würde, würde ich es auch nicht tun. Ich sagte schon, dass ich es liebe, wenn ich glückliche Menschen um mich habe. Und ich weiß, dass ihr glücklich seid, wenn ich euch diese Arbeiten hier im Haus abnehme. Ich brauche keinen Dank, denn ich habe Dank genug, wenn ihr, wie ich schon sagte, glücklich seid. Ist das jetzt voll und ganz verstanden?"

Das sagte Kim, als seine berufsgestressten Kinder ihm dankten, weil er ihnen die meiste Hausarbeit abnahm. Die große Familie lebte ja in einem großen Haus, wo alle viel Platz hatten.

Aber niemand verstand, warum Kim die Dankbarkeit nicht annehmen wollte, bzw. konnte. Maria schrieb daraufhin in ihrer Lebensbiografie (ich schrieb in ihrem Namen...):

Er spielte uns jetzt wirklich kein Theater vor. Das war und ist Kim pur. Er konnte das Universum mit all seinen Wundern verstehen, aber das jetzt ging zu weit über seinen sonst so unendlichen Horizont hinaus, denn dazu war er wirklich zu großmütig. Und für die meisten Menschen wäre er in dieser Beziehung wohl der totale Irre.

So geht es im Text weiter:

Manola seufzte und sah Jochen (ihren Mann) hilflos an.

"Siehst du, Jochen? Was habe ich dir gestern gesagt? Du kannst es ihm nicht erklären. Dazu ist er ist zu gut, - viel zu gut."

Man würde es als naiv bezeichnen. Aber gesund naiv. In der Seele gesund. Es lag eben auch daran, dass Kim nicht nur Mensch war, auch wenn seine Mutter irdisch war und nicht zukünftig wie sein Vater. Bis jetzt schrieb ich immer, dass Kim halb außerirdisch war. Dabei stimmt das gar nicht, wenn doch die Leuchtende Welt die zukünftige Erde ist. So gesehen ist er halb zukünftig. Das trifft es auch viel besser, da es derartige Menschen in der heutigen Zeit gar nicht geben kann. Nicht mal annähernd.

Aber man kann so werden. Teilweise so werden. Irgendwann. Man kann sich ein Vorbild schaffen und danach leben. Und schließlich wacht man auf und fühlt sich eingeengt wie in einer Panzerkleidung, die einem gar nicht gehört.

„Steh dazu, dass du ein Arschloch bist. Der Rest ergibt sich von selbst“, sagt Kim und recht hat er.

Es wäre nur wieder eine Maske, wenn wir so sein wollen, wie wir gar nicht sind. Auch das kann ich nicht zu oft erwähnen. Für mich. Ich weiß nicht, wie andere das empfinden. Ob es für sie richtig ist, sich nach einem Vorbild zu richten, kann ich wirklich nicht sagen. Vielleicht ist es das. Und wenn, dann sollte das unterstützt werden. Wir sind nicht alle gleich, obwohl, wenn man sich leuchtende Bänder vorstellt, besteht kaum oder viel mehr überhaupt kein Unterschied.

Sagte auch schon Don Juan zu Freund Carlos. „Was kann an einem leuchtenden Ei verändert werden? Was?“ Ein Ei gleicht dem anderen. Aber halt! So ist es gar nicht, mein lieber Don Juan. Es scheint nur so, als würde ein Ei dem anderen gleichen. In unserer Wirklichkeit ist es nämlich so, dass KEIN Ei dem anderen gleicht. Und schließlich sind leuchtende Eier auch unterschiedlich. Aber ich weiß schon, was du gemeint hast, lieber Don Juan. Es kann nichts verändert werden. Man ist wie und was man ist. Unveränderlich. Auch in der anderen Wirklichkeit. Zeitlich gesehen. In der Wahrheit ist alles gleich. Aber das kennen wir nicht. Noch lange nicht.

Ich glaube, das Schwierigste im Leben ist, sich selbst kennen zu lernen. Sich selbst zu erkennen, wie man wirklich ist. Wie man auf jeweilige Situationen reagiert. Wie man auf Menschen zugeht. Wie man zu Tieren ist. Welche Erinnerungen einen geprägt haben.

Andererseits sollte einen das nicht kümmern, denn die Beschäftigung mit einem selbst schwächt und es geht wertvolle Energie verloren, die man besser anderswo nutzen sollte. Scheiß drauf. Ich bin wie ich bin. Wer damit nicht zurecht kommt, ist selber schuld. Wobei Schuld hier tatsächlich lächerlich klingt. Denn wer braucht schon so was wie Persönlichkeit?

Ach, das ist aber eine starke Persönlichkeit – höre ich oft Leute sagen. Na und? Was bringt's? Klar, man sollte nicht danach fragen, was es denn bringt, wenn man sich voll und ganz der Quelle ergeben hat, die einen sanft und liebevoll führt. Ganz anders als die Persönlichkeit (das aufgeblasene Ego) in ihrem (seinem) Hass, Neid und seiner Angst. Da muss es einem doch vor sich selbst ekeln und man springt sofort in einen anderen Modus über. Dem Modus der Quelle der Kraft.

Einfach? Nicht mal ansatzweise. Hatten wir auch schon. Die Kraft verabscheut Freiwillige. Sie nimmt jene nicht an, die fliehen oder die besonders sein wollen. Sie nimmt die Demütigen. Demütig sein, ohne es sein zu wollen. Ein ganz schwieriges Unterfangen!

Dann halten wir es doch lieber wieder mal mit Freund Carlos, der da sagt: „Man muss auf der Hut sein. Der innere Schweinehund schläft nie.“ Das ist das wahre Pirschen!

Kims innere Schweinehund war gar nie vorhanden. Aber wie gesagt, - er war nie nur ein Mensch. Und Arima? Der lustwandelt mit seinen zwei neuen Freunden durch seinen paradiesischen Garten und erzählt ihnen allerlei Anekdoten aus seinem langen, langen Leben.


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Schon wieder Widersprüche? Kann nicht sein. Dann wurde da nicht genauer durchdacht. Man selbst sein, sich selbst erkennen ist nichts anderes als sich der Kraft ergeben. Und ja, auch wenn man sich selbst als Arschloch erkennt, denn uns ist es nicht gestattet zu urteilen. Na ja, so hart sollte es nicht gesagt, bzw. geschrieben werden. Natürlich ist uns alles gestattet, aber es wäre besser, wenn wir das urteilen lassen würden. Vielleicht würden wir dann die Pläne der Quelle erkennen, die ja davon überhaupt nicht betroffen ist. Sie kümmert sich einen Scheiß um diese Welt und doch hält sie uns liebevoll in ihren nicht vorhandenen Armen. Genauso wie Arima den alten Mann und den kleinen Michel in seinen (nicht vorhandenen?) Armen hält und sich ebenso wenig um die Welt kümmert.

Wir brauchen keine veränderliche Welt mehr. Wir wollen Stabilität. Wir wollen nicht mehr verletzt werden und nicht mehr verletzen. Geht das denn?

Die Menschen im Süden gehören alle ausgerottet. Sie machen nur Wirbel. Setzt man einen Diktator ab, kommt schon der Nächste. Und das Volk rebelliert ständig, obwohl jeder einzelne vom Volk genauso regieren würde, wie einer der unzähligen abgesetzten Diktatoren. Und wenn gar nichts hilft, kommen sie in die gelobten Länder und nehmen uns, die wir in den gelobten Ländern leben, Hab und Gut weg.

Geben ist seliger denn nehmen!

Schaut doch eh jeder auf sich selbst und auf seine Familie. Oder meint hier jemand, einer würde auf sein gutes Leben verzichten? Arschkriecher sind sie alle, diese Gutmenschen. Lügner und Schönredner. Wenn es mal hart auf hart kommt, werden sie die ersten sein, die um ihr Hab und Gut kämpfen.

Die ersten werden die letzten sein!

Aber wenn wir ganz genau hinhören, werden wir erkennen, wie sehr wir verarscht werden. Manipulationen bombardieren uns. Uns, das gutmütige Volk! Sie glauben, wir bekommen nichts mit. Recht haben sie. Wir bekommen auch nicht wirklich etwas mit. Dennoch haben wir alle das Gefühl, aufgestachelt zu werden. Die einen sagen, alles raus. Weil sonst nehmen sie uns alles weg. Die anderen haben den heiteren Willkommensgruß. Aber kein Heil! Das möchte ich nie wieder hören. Nicht einmal lesen. Auch wenn die Erinnerung manchmal gut tut, um nicht wiederholt zu werden.

Ja, sind wir denn heute gar politisch?

Politik hat gar nichts mit dem Volk zu tun. Es bedeutet viel mehr „Angelegenheiten des Staates“ oder „Staatsherrschaft“. Kommt übrigens aus dem Griechischen, woher auch das Wort Demokratie herstammt. Da hat das Volk schon etwas zu sagen, falls es denn etwas zu sagen hat und sich nicht bloß Worte in den Mund legen lässt.

Was nun? Was sollen wir, das Volk tun? Nichts. Am besten gar nichts. Abwarten. So wenig wie möglich brauchen. Mit dem Nötigsten zufrieden sein, denn die Zeiten werden nicht immer so bleiben, wie sie sind. Wir könnten aber auch weglaufen. Ab in den Süden. Wäre doch ein schönes Tauschgeschäft. Oder etwa nicht?

Arima lächelt. Das hat er schon alles hinter sich. Und damals war es nicht so schlimm. Nicht in der Erddimension, in der er der große Star war und Millionen von Menschen mit seiner eindrucksvollen Stimme begeisterte. Damals regierte die Liebe. Er, Kim, machte sie alle platt. Aber auch das war eine Art von Manipulation. Genau das sagte er in seiner Abschiedsrede, die er ein zweites Mal halten musste, weil die Liebe, die das Volk auslebte, nicht echt war:

"Ich hatte eigentlich vor, mich für immer ins Privatleben zurück zu ziehen", begann Kim mit seiner Rede, "das werde ich auch tun, aber vorher möchte ich noch gerne ein sehr ernstes Wort mit euch reden.

Ihr seht etwas in mir, was ich nicht bin und niemals sein kann. Ihr seht meine Ausstrahlung, die ich mir selbst nicht erklären kann, wie ich ja schon oft in unzähligen Interviews betont habe. Ihr seht den Zauber, den ich euch von der Bühne aus übermittelt habe. Okay, - ich gebe zu, dass ich außergewöhnlich war..."

Kim lächelte und sprach weiter.

"Aber doch nicht so großartig, um mich jetzt für eure Taten der Liebe und des Friedens verantwortlich zu machen. Das war ganz alleine euer Werk, mit dem ich absolut nichts zu tun habe. Ihr habt euch selbst befreit, um in einer schöneren Welt zu leben und nicht, um mir einen Gefallen zu tun. Ich lebe gut, das kann ich euch sagen, und ich kann es nicht ändern, wenn sich irgendwo auf dieser Welt die Menschen gegenseitig die Schädel einschlagen, ohne zu wissen warum.

...Wenn ich in meinen Songs auch von Helden und Rettern der Erde gesungen habe, so sind das doch nichts als Märchen und fiktive Geschichten, die in meiner Phantasie entstanden sind. Wenn ich auch nicht wie ein gewöhnlicher Mensch wirke, sondern wie unlängst in einer Musikzeitschrift geschrieben wurde, wie ein Außerirdischer, ein Engel, - so bin ich doch nicht mehr als irgend ein Künstler, der euch an meiner Phantasie teilhaben ließ.

Ihr verrennt euch da in etwas, aus dem es schwer ist, wieder heraus zu kommen. Mit der Zeit werdet ihr spüren, dass ihr am eigentlichen Leben vorbei gelaufen seid und ein ganz anderes Leben gelebt habt.

...Ich will niemanden beeinflussen. Ich bin stolz auf die Menschen, die durch ihre eigene Kraft und ihre eigene Vorstellung ihr Leben meistern.

...Gebt euch keinen Illusionen hin, sondern lebt euer eigenes Leben und kämpft auch dafür, aber friedlich und sanft. Der Friede und die Liebe fängt immer beim Einzelnen an, nicht bei Massendemonstrationen. Kämpft diesen unblutigen Kampf weiter, - aber bitte nicht meinetwegen, sondern euretwegen, eurer Kinder wegen, die einmal eine schönere Erde vorfinden sollen, wo es nicht einmal mehr Erinnerung sein sollte, dass es einmal Kriege, Hunger und Elend gegeben hat.

Findet euch selbst und den Menschen, der euch wirklich am nächsten steht, und spielt keine Rolle, sondern lebt euer eigenes Leben.

Mit dem Song 'carry on' wollte ich euch sagen, dass ihr für eure eigene Liebe und euren eigenen Frieden und für euch selbst, eintreten sollt und euch niemals entmutigen lassen sollt und euch niemals von irgendeinem Führer blenden lässt, auch wenn er noch so friedlich wirkt. Er könnte die Macht, die ihr ihm gebt, auf eine andere Art ausnutzen und seine Ideale verlieren. Ich bin kein Held, kein Führer und schon gar kein Weltverbesserer.

...Lasst euch nie wieder durch eine Täuschung sagen, wie ihr sein sollt, sondern steht zu euch selbst und liebt euch euretwegen. Färbt euch das Haar nicht mehr schwarz und macht Kim nicht zur Einheitstracht.

...Wenn ich auch in euren Phantasien der Retter bleibe, den ihr wollt, vergesst dabei nicht das wahre Leben und den Boden, auf dem ihr ab und zu stehen sollt.“

Das war verkürzt diese beeindruckende Rede, die das Volk nicht unbedingt beeindruckt hat. Menschen sind Herdentiere. Sie brauchen jemanden, der ihnen sagt, was sie tun sollen und wie sie funktionieren. Zumindest scheint es manchmal so.

Und Arima? Klar erinnert er sich an diese Rede. Immerhin ist jetzt die Zeit der Erinnerung, bis endlich alles stabil ist und rein ist und nie wieder etwas verletzt werden kann. Nie wieder!


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Der alte Mann und der kleine Michel haben auch Erinnerungen, die sie gerne teilen wollen, obwohl sie bereits geteilt sind. Die Zeit der Einheiten macht sich bereits bemerkbar. Aber was bedeutet das? Ein Leben wie bei den Borg aus Raumschiff Enterprise? Vielleicht so ähnlich, aber niemals so zwingend, denn hier wartet man auf Bereitschaft. Bis alle Lebewesen bereit sind. Bis alles bereit ist.

Der „Kurs“ besagt, solange zwischen Haben und Sein ein Unterschied besteht, hat das Ego (der falschgesinnte Geist) die Führung und nicht der reine, rechtgesinnte Geist.

Wie kann ich selbst Haben sein? Indem ich alles gebe! Alles ist eins. Alles ist gleich. Keiner weiß mehr als ein anderer. Und keiner weiß weniger als ein anderer. Keine Geheimnisse mehr. Niemand hat, denn alle sind. Das war schon bei den Leuchtenden Wesen so ähnlich. Sie konnten nicht lügen, auch wenn sie es wollten. Und doch gab es einen, der sich als ihr König ausgab und ein Dämon war. Ake, der falsche König, der dann endlich von Kim besiegt wurde. Wie war so etwas möglich? Kein Leuchtendes Wesen kann belogen oder getäuscht werden. Aber damals waren die Dämonen so hinterlistig und konnten sich dermaßen tarnen, dass nicht einmal ein Leuchtendes Wesen Verdacht schöpfte.

Das war in der alten Version der „Kim-Saga“. In der neuen Version war Ake ein Wesen der Anderen Seite, was so viel bedeutet, dass er aus einer anderen Energie bestand und deshalb mit allem in Konflikt stand, was aus der Energie Dieser Seite bestand. Aber lassen wir diese Kleinigkeiten, die eh niemand – nicht einmal ich selbst, obwohl ich es geschrieben habe – versteht.

Nun ist es aber so, dass ein Leuchtendes Wesen von einem anderen Leuchtenden Wesen oder überhaupt von einem anderen Lebewesen erst alles weiß, wenn es ihm gegenüber steht. Die Zeit der Einheiten aber bedeutet, dass jedes Lebewesen all das weiß, was auch alle anderen wissen, ohne sie erst erkennen zu müssen. Hier geht es auch nicht mehr um Wahrnehmung, sondern um das Erkennen. Erkenne dich selbst und du erkennst alles andere. So in etwa. Aber es gibt dann bald kein „ich selbst“ mehr. Auch kein Wir. Und nicht einmal ein Ich, obwohl man sagen könnte, das es dann nur mehr ein Ich gibt, in dem alles enthalten ist, was war, ist und sein wird.

Aber noch haben wir die Zeit der Erinnerung und der alte Mann, wie auch der kleine Michel erzählen etwas aus dem Leben. Aus dem Leben. Aus irgendeinem Leben und doch erinnern sich die beiden so daran, als wäre es aus ihrem eigenen Leben.

Am schönsten sind doch die Kindheitserinnerungen. Vor allem, wenn es eine schöne Kindheit war. Natürlich nicht immer, denn mit der Schule begann der Ernst des Lebens, wie meine Mutter immer drohend sagte. Und mir schauderte. Daran erinnere ich mich wirklich. Der Ernst des Lebens. Das hörte sich furchtbar an für mich. Kein Wunder, wenn ich schon damals eine negative Einstellung zur Schule und zu den Lehrern hatte. Dem Lehrer oder der Lehrerin muss man Respekt zollen. Und der Lehrer oder die Lehrerin haben immer recht. Aber wir wollen uns doch an etwas Schönes aus der Kindheit erinnern.

Man weiß es doch schon. Menschen, die mich kennen, wissen, wo meine schönste Zeit war. In einem Garten, in dem viele, viele kleine Bäume standen, auf denen viele, viele süße Früchte wuchsen. Ob es diesen Garten und die schöne Villa unterhalb noch gibt? Es ist schon so lange her, als ich das letzte Mal durch das Schmiedeeisentor ging und auf dem Kiesweg durch einen Blumengarten auf das Haus (eher Villa) zulief, vor dessen Eingangstür mein Großvater wartete und mich stürmisch in seine Arme stürzte. Das war die Sommerzeit. Die schönste Zeit meines Kinderlebens. Und vielleicht auch die schönste Zeit meines Lebens, weil ich sie nie vergessen kann. Ich sehe die Blumen noch immer vor mir – unzählige Dahlien, Tulpen, Vergissmeinnicht und viele andere kunstvoll arrangiert von den kennenden Händen meiner Stiefgroßmutter. Meine leibliche Großmutter mütterlicherseits kannte ich nicht. Sie starb, als meine Mutter erst 14 Jahre alt war.

Ich mochte meine Stiefgroßmutter. Fast genauso wie meinen Großvater, mit dem ich vormittags immer in den Marillengarten hoch ging und wir es uns dann noch weiter oben in der Wiese bequem machten und eine gute Jause hatten, die er stets für uns beide einpackte. Dann blickten wir hinunter in die Stadt und hatten Ausblick in einen Gefängnishof, wo die Gefangenen immer um die gleiche Zeit unter strenger Aufsicht ihre Runden drehten. Mein Großvater sagte mir, das sind Schwerverbrecher. Und ich hatte keine Angst, nicht einmal ein ungutes Gefühl, als hätte meine Mutter gesagt, dass jetzt der Ernst des Lebens beginnt.

Der alte Mann und der kleine Michel erzählen es Arima und Arima nickt. Er kennt ja die Geschichte. Ich habe sie ihm erzählt und auch, dass ich Großvater tot gesehen habe, weil mich jemand hoch hob und in den Sarg, in dem er lag, blicken ließ. Ich habe los geschrien, dass das nicht mein Großvater ist, dass ich jetzt sofort zu meinem richtigen Großvater will. Seit damals ist mir der Tod nicht geheuer. Und wenn jemand sagt, dass es keinen Tod gibt, weil es auch dieses Leben nicht gibt, ist das sehr schwer zu fassen für mich. Arima weiß das. Und ich sehe sein tröstendes und vor allem geduldiges Lächeln.


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Verloren gegangenes taucht wieder auf. Man ist sich seiner Sache zwar nicht mehr sicher, aber es stärkt den Glauben, erkannt zu haben, was wichtig ist und was nicht wichtig ist. Erkennen ist wichtiger geworden als wahrnehmen. Durch das Erkennen lässt sich alles leichter unterscheiden, bis es keinen Grund mehr zum Unterscheiden gibt.

Der alte Mann und der kleine Michel blicken zum Tor zurück, durch das sie geschritten sind. Hier heißt es nicht: Schau niemals zurück. Das Zurück hat uns ausgemacht. Uns alle. Das können wir uns nicht nehmen lassen. Das, was hinter diesem Tor geschah, das sind wir jetzt. Wir sind das Geschehen. Jetzt gibt es keinen Unterschied zwischen Haben und Sein. So will es das natürliche Gesetz.

Es ist nicht das Gesetz der Natur, denn die Natur unterscheidet. Fressbar und nicht fressbar. Das ist alles. Mehr zu wissen ist nicht wichtig. Vielleicht schauen wir noch ein wenig auf unser Revier und verteidigen es, wenn nötig. Nötig ist es immer. Man weiß ja nie, wer zu Besuch kommt.

Wir wollen nichts mehr fressen und schon gar nichts mehr verteidigen. Wir teilen. Wir teilen alles auf, damit jeder alles hat. Das wäre das wahre Naturgesetz. Das hat sich nie durchgesetzt, weil alle fresswütig und verteidigungswütig geworden sind. Aber wir mussten es erleben, um festzustellen, dass es zum wegwerfen und zum vergessen ist. Nicht brauchbar. Und das nach Millionen von Jahren erkannt. Lange hat es gedauert.

Lichtnahrung wäre auch nicht das Wahre gewesen. Für manche war es vielleicht stimmig, aber niemals teilbar für alle, damit jeder alles hat. Wir fressen nicht einmal Licht, denn wir sind satt.

Die Stimmen wie einst von den Föten. Sind wir wieder am Anfang?

Der alte Mann und der kleine Michel. Wer sind die beiden überhaupt? Was stellen sie dar? Das, was vom menschlichen Sein übrig geblieben ist. Hatten wir schon. Ich weiß. Das waren jene Wanderer, die bereit waren und von geflügelten Wesen (die Geschichte: „Im Westen nichts Neues“), wie auch von Arima, unterrichtet wurden. Pama entwickelte sich aus ihnen. Pama und die Mondlandschaft, die sich zu einem fruchtbaren Acker entwickelt hat. Die Mondlandschaft, nicht Pama. Pama ist noch Pama, aber auch sie, das fruchtbare Doppelwesen, wird sich noch weiter entwickeln.

Der alte Mann und der kleine Michel sind also das, was vom menschlichen Sein übrig geblieben ist. Es muss so sein. Noch immer halte ich mich am Menschsein fest, weil ich nichts anderes zu (er)kennen glaube.

Und dann sind da noch die Stimmen, die immer lauter werden. Sie locken den alten Mann und den kleinen Michel durch den paradiesischen Garten, vorbei an der prunkvollen Villa und zu einer Anhöhe hoch, die einen phantastischen Ausblick gewährt. Nein, keine Gefängnismauern und auch keine Stadt. Ebenso wenig eine beeindruckende Landschaft. Die haben sie hinter sich. Vom höchsten Punkt der Anhöhe erheben sich geisterhafte Treppen, die scheinbar in die Unendlichkeit führen. Von dort oben, ganz weit weg, erklingen leise Stimmen. Sie locken nicht wirklich. Sie sagen nur was Sache ist: „Lernt zu sein.“


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Manche Stimmen sagen auch: „Erkennt!“ Wenn das so einfach wäre. Natürlich nicht mit dem Körper. Auch nicht mit dem Körpergeist. Das ist derjenige aus dem Gehirn. Aber er kann umgeschult werden. Genau darum geht es. „Schult euren Geist um und erkennt!“

Der alte Mann und der kleine Michel überlegen, ob sie die Treppe hoch steigen sollen, um die Stimmen besser zu verstehen. Aber vielleicht geht es auch darum, das geistige Gehör zu schulen, um einmal alles zu hören. Einmal? Das ist zu sehr verfälscht, denn es gibt nur ein Immer. Immer und ewig, auch wenn das Zeitbegriffe sind. Zeit und Raum lösen sich auf. Immer wieder. Teilweise und manchmal sogar ganz.

Was passiert, wenn ich eine andere Wirklichkeit wahrnehme? Was passiert, z.B., wenn ich in Los Angeles eine andere Wirklichkeit wahrnehme. So fragte Freund Carlos und Don Juan antwortete: „Los Angeles wird verschwinden, du aber wirst bleiben.“

Das Wahre erkennen. Den Geist. Das Reine und Unverwundbare. Das Wort wurde nie zu Fleisch. Da haben sie uns angelogen. Das haben sie Worte geschmiedet, um uns zu knechten. Religionen mögen Geschenke der Quelle der Kraft sein, aber Dogmen knechten. Vielleicht sollte man es gar nicht Religion nennen, sondern Spiritualität. Aber das wären nur Wortklaubereien. Und das wollen wir nicht mehr. Wir spielen mit den Worten. Machen sie wieder zu Geist und sehen zu, wie Freund Carlos in Los Angeles verschwindet und trotzdem bleibt.

Der alte Mann und der kleine Michel bleiben auch. Sie stehen am Fuß der Himmelstreppe und lauschen inbrünstig den Stimmen.


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Die Treppe, die Wolken, der Himmel – alles sieht so nah aus. Als müsse man bloß die Hände ausstrecken und könne sie berühren. Alles berühren. Die Treppe, die Wolken und den Himmel. Es ist eine sehr seltsame Perspektive. Als würden sich Dimensionen aufrollen und sich vermehren wie Kaninchen. Aus einer werden tausende. Und in jeder hockt ein Lebewesen, das für die jeweilige Dimension verantwortlich ist.

Der alte Mann berührt die Treppe, die Wolken und den Himmel. Die Plane gibt nach und fällt aus mehreren hundert Metern herab auf den Hügel, auf dem der alte Mann und der kleine Michel stehen. Hinter der Plane sitzt das Filmteam und einer von ihnen schreit: „Cut!“ (Es erinnert ein wenig an den Film „Die Truman Show“.)

Gott ist nicht der Regisseur. Er sieht bloß zu, wie umständlich der Film gedreht wird. Ab und zu kann man sein Lachen hören. Und manchmal spürt man sein Wundern. Er wundert sich und lacht, um nicht weinen zu müssen. Gott will seine Schäfchen im Trockenen wissen und nicht hinter einer Plane, wo sie ihre Kunststücke herzeigen müssen, weil die Regisseure das so wollen.

Es gibt einige Regisseure, wo man meinen möchte, nichts gegen sie unternehmen zu können. Stürzt sie endlich vom Thron! Nehmt ihnen das Zepter weg! Wir brauchen keine Könige, keine Regenten und schon gar keine Regisseure, obwohl wir es so gerne haben, wenn man uns sagt, was wir tun sollen.

Der alte Mann und der kleine Michel durchschauen natürlich den Trick mit der Plane. Die Scheinwerfer blenden ein wenig. Das Ego blendet immer. Genauso wie die kreisenden Gedanken, die zu nichts führen. Eben weil sie kreisen und ständig an einen (un)möglichen Ausgangspunkt zurück kehren.

Wer läuft schon gerne im Kreis? Aber das ist dieses Leben. Es wiederholt sich alles. Ob es sich um Mode oder Wissenschaft handelt, ist einerlei. Alles schon da gewesen, wenn auch auf eine andere Art und vielleicht ein wenig weiter entwickelt. Glücklich macht es nicht. Aber darauf kommt es an. Von wegen, man ist seines eigenen Lebens Schmied. Dazu müsste man erst alle Regenten und vor allem alle Regisseure, wie Tontechniker und vor allem alle Tricktechniker aufdecken.

Die Tricktechniker sind die schlimmsten. Sie agieren nämlich im Hintergrund und sind sehr schwer aufzuspüren. Man meint vermeintlich, es sei die innere Stimme, die einem etwas einreden will. Von wegen! Es ist einer der unzähligen Tricktechniker. Manchmal stacheln sie uns auf. „Polarisieren“ nennt man das heute. Und wir lassen uns darauf ein, stehen auf und wollen gegen nichts rebellieren. Gegen nichts! Ruhe bewahren und lächeln. Einfach nur lächeln, denn es passiert nichts. Nicht wirklich. Alles nur Trickfilmerei.

Wenn etwas zwei Seiten oder gar mehr hat, - Hände weg! Alles Illusion. Alles Lüge. Wenn etwas aber klar ersichtlich ist, wie etwa die Plane, die nun dem alten Mann und dem kleinen Michel zu Füßen liegt, schnell aufheben, wegtragen und eingraben, um nie wieder entdeckt zu werden. Entdeckt haben wir etwas anderes. Und nun jagen wir sie, die vermeintlichen Stimmen, denn Gott spricht nicht. Er lacht nur. Um nicht weinen zu müssen.


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