Liebe Weggefährtinnen und Gefährten!
Die beste Definition über Religion und Glaube ist mir bei Willigis Jäger aus Würzburg begegnet.
Er schreibt:
"Religion ist zu vergleichen mit dem Mond, der die Erde beleuchtet, aber seine Kraft von der Sonne bekommt. Er hat aus sich heraus keine Kraft. Sein Leuchten ist nur der Widerschein der Sonne. Wenn der Mond sich zwischen Sonne und Erde schiebt, gibt es eine Sonnenfinsternis, und es wird dunkel auf der Erde. Das Göttliche ist zu vergleichen mit der Sonne. Es strahlt die Religion an, damit sie dem Menschen leuchtet und ihm im Dunkel seines Suchens begleitet.
Wenn die Religion sich aber zu wichtig nimmt und sich zwischen Gott und Mensch schiebt, verdunkelt sie Gott. Es gibt eine Gottesfinsternis. Das gilt für alle Religionen.
(Quelle: Willigis Jäger, Geh den inneren Weg)
Kann man ein schöneres Bild aufzeigen?
Ich meine nein, jeder denkende Mensch ist aufgerufen, selbst seinen Weg zu suchen und zu gehen. Wem die Religion dafür hilfreich ist soll sich ihr anschließen, aber er sollte sie immer mit einem gewissen Abstand betrachten.
Deshalb bin ich auch der Meinung in der Schule sollte ein Ethikunterricht angeboten werden, in dem die verschiedenen Religionen vorgestellt werden, damit der Jugendliche in die Lage versetzt wird, die Gemeinsamkeiten und das Trennende, der unterschiedlichen Religionen und Konfessionen zu unterscheiden.
Getreu nach dem Satz des Paulus: "Prüfet alles, aber das Gute behaltet!"
Dies ist natürlich eine schier unerfüllbare Aufgabe, denn es gab über alle Zeiten hinweg viele weise Lehrer, und Pestalozzi hat uns gesagt: Es ist das Los des Menschen, daß die Wahrheit keiner hat; sie haben sie alle, aber verteilt, und wer nur bei einem lernt, vernimmt nie, was die anderen wissen!
Da im Zentrum jeder Religion die Frage nach Gott und der absoluten Wahrheit steht, wird auch im nächsten Jahrtausend für den Menschen die Suche nach Gott und der Wahrheit ein ständiges Thema bleiben. Die New-Age-Welle zeigt uns nur zu deutlich, daß das Bedürfnis nach Religion sehr wohl vorhanden ist.
Auch hier im Forum beschäftigen sich die meisten Teilnehmer damit, und möchten die Geheimnisse, welche verschleiert vor uns liegen, ergründen.
Ein Esoterik-Forum müßte strenggenommen, nur den in den unterschiedlichen Mysterien eingeweihten Adepten zugänglich sein. Zumal die Symbolik eine entscheidende Rolle spielt und dem Außenstehenden fremd und unverständlich erscheinen wird.
Was alle Mysterienbünde gemeinsam haben ist, dem/der Eingeweihten stufenweise die Weisheitslehren der Menschheit von Anbeginn aufzuzeigen, wobei die Glaubensbücher der unterschiedlichen Religionen, ein Symbol für das dem Menschen über die Propheten und andere Weise überkommenen Wissen, darstellen.
Aber ich denke, es ist sicherlich gut, dass es eine Möglichkeit wie dieses Forum gibt, suchenden Menschen Wege aufzuzeigen und sie damit anzuregen, die Welt und ihre unterschiedlichen Verführer, zum einen vorurteilslos, aber zum anderen kritisch zu vergleichen, um die Spreu vom Weizen trennen zu können.
Schon in den frühesten Zeugnissen menschlichen Lebens finden wir Hinweise auf kultisches Tun, auf die Verehrung von Geistern und Mächten, vor denen der Mensch Angst hat.
Aus Angst vor ihrem Zorn, schuf sich der Mensch Verhaltensregeln, denn er wußte in seinem tiefsten Innern, wir nennen dieses Wissen Gewissen, daß er durch sein Fehlverhalten gegen etwas verstoßen hatte, was er seinerzeit vielleicht noch nicht ausformuliert hatte, aber heute nennen wir es ganz schlicht die 10 Gebote.
Uns wurde überliefert, daß Moses diese als Gesetzestafeln am Berge Sinai von Gott erhalten habe, aber ich bin davon überzeugt, daß diese Gebote zu diesem Zeitpunkt längst religiöses Gedankengut der damaligen Kulturen war und diese nur zur Untermauerung des Glaubens so fixiert wurden.
Bereits im alten Ägypten war all das, was in den 10 Geboten gesagt wird, in dem Begriff von Maat Allgemeingut der Religion.
Man betrachtete Maat als Inkarnation der Wahrheit und der Gerechtigkeit, wofür es eine ganze Menge an Beweisen gibt. Beim Totengericht ist Maat das rechte Gewicht auf der Waage, nachdem das Herz des Toten gewogen wird, ob es maati ist, also im Sinne der Maat. Der Wesir, der oberste Richter des Landes, führte den Titel Priester der Maat. Im Sinne der Maat sprechen ist der Gegensatz von lügen.
Aber der Begriff Maat umfaßt auch noch andere, viel ausgedehntere Bereiche, und es scheint, daß Wahrheit und Gerechtigkeit nur zwei besondere Aspekte der Maat gewesen sind. Als der Weltenschöpfer das All erschuf, verlieh er einer endgültig feststehenden Welt eine Form. Sicher mußte sich der Schöpfungsakt wiederholen, ebenso wie die Gier der Mächte des Chaos ewig die Welt zu verschlingen drohte. Im Innern dieser Welt aber war alles wohlgeordnet nach dem Plan Gottes. Eine größere Vollendung war für die folgenden Entwicklungsstufen nicht mehr möglich. Dieses Gleichgewicht des ganzen Weltalls, die Harmonie seiner Elemente und ihr für die Erhaltung der erschaffenen Formen unerläßlicher Zusammenhang all das nannten die Ägypter Maat. Sie ist das Ineinandergreifen der Mächte, die die allgemeine Ordnung sichern, und ihrer wesentlichen Bestandteile (z.B. die Bewegung der Gestirne am Himmel, der regelmäßige Ablauf der Jahreszeiten, die Aufeinanderfolge der Tage und das tägliche Aufgehen einer neuen Sonne). Maat reichte bis herab zu den Erscheinungsformen der menschlichen Gesellschaft, bis zur Eintracht der Menschen untereinander, ihrer religiösen Frömmigkeit und Ehrfurcht vor der Ordnung der Götter, das heißt also bis zur Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Leben und zur Wahrheit als ethischer Begriff. Maat repräsentierte also zugleich die Weltordnung und die ewigen ethischen Grundbegriffe, die sich stets in Übereinstimmung mit ihr befinden.
Mit einem chinesischen Sprichwort möchte ich nun auf die östlichen Religionen überleiten.
Würden die Menschen danach streben,
sich selber zu vervollkommnen,
statt die ganze Welt zu retten,
selbst innerlich frei zu werden,
statt die ganze Menschheit befreien zu wollen -
wieviel würden sie zur wahren Befreiung
der ganzen Menschheit beitragen.
Im chinesischen Universismus heißt es, der Meister sprach: Ihrem Triebe folgend haben die Menschen die Möglichkeit, Gutes zu tun.
Das ist es, was ich unter gut verstehe. Wenn jemand Nichtgutes tut, so ist es nicht die Schuld seiner Anlagen. Das Gefühl des Mitleids und Erbarmens ist allen Menschen eigen, und das Gefühl der Scham und des Abscheus ist allen Menschen eigen; das Gefühl der Achtung und Ehrerbietung ist allen Menschen eigen, das Gefühl der Billigung und der Mißbilligung ist allen Menschen eigen.
Das Gefühl des Mitleids und des Erbarmens ist Menschenliebe, das Gefühl der Scham und des Abscheus ist Gerechtigkeit, das Gefühl der Achtung und Ehrerbietung ist Anstand, das Gefühl der Billigung und der Mißbilligung ist Weisheit.
Menschenliebe, Gerechtigkeit, Anstand und Weisheit sind nicht von außen her in uns hinein gegossen, sie sind vielmehr unser fester Besitz nur denken wir nicht daran.
Daher heißt es: Wer sie sucht bekommt sie, wer sie beiseite läßt verliert sie.
Wenn sich die Menschen hierin so sehr voneinander unterscheiden, daß die einen doppelt, fünffach, ja unendlich mehr davon besitzen als andere, so liegt das nur daran, daß sie nicht imstande sind, ihre Fähigkeiten zu erschöpfen.
Hier wird klar das zum Ausdruck gebracht, was uns die Mysterienbünde vermitteltn möchten: Dem Sittengesetz gehorchen heißt also Menschenliebe, Gerechtigkeit, Anstand und weitere Tugenden üben und vor allem seinem Gewissen treu sein, das ist ein wesentlicher Bestandteil der Religion, in der alle Menschen übereinstimmen können.
Weiter heißt es im Universismus: Zum Göttlichen finden, heißt zu mir selber finden. Der Rechte Weg führt tief an den Kern aller Dinge. Aber die Menschen lieben die Schale. Doch wo die Paläste im Prunke glänzen, liegen die Felder brach und die Scheunen sind leer. Prunk mit Gewändern und Waffen, Üppigkeit und Großsprecherei dies alles führt zum Untergang, nicht aber zum Göttlichen.
Zu keiner Zeit der Menschheitsgeschichte war der Zugang zu religiösen Quellentexten und Heiligen Schriften so einfach und direkt möglich wie heute.
Koran, Bibel, Tao Te King, Indianische Weisheitslehren, Konfuzianischer Kodex und viele andere Lehren waren vor noch nicht allzu langer Zeit wenn überhaupt ausschließlich den Menschen des jeweiligen Kulturkreises zugänglich. Während des 20. Jhdts. hat sich diese Situation völlig verändert.
Esoterisch, Geheim, Mündlich überliefert im Sinne von nicht zugänglich gibt es nicht mehr.
Wir können uns heute ein nahezu lückenloses Wissen über alle geistlichen und geistigen Strömungen aller Kulturen verschaffen. Inwieweit diese totale Zugänglichkeit der Quellen, aus denen die Denker und Lehrer aller Religionen geschöpft haben, die Menschheitsentwicklung weiter bringt, bleibt ungewiß und ist sicherlich nur individuell zu beantworten.
Im islamischen Kulturkreis entstand eine ökumenische Glaubensgemeinschaft, deren Gründer Mirza Ali Mohammed aus Schirza war, der auf Betreiben der persischen Mollah 1852 hingerichtet wurde.
Er hielt sich, ähnlich wie einst Mohammed, für den letzten Propheten und betrachtete seine Schriften als göttliche Offenbarung.
Diese Bahªi-Religion verficht folgende 12 Grundsätze:
1.) die Menschen sollen die religiöse Wahrheit selbständig erforschen;
2.) sie sollen Vorurteile jeder Art ablegen;
3.) die ganze Menschheit muß als Einheit betrachtet werden;
4.) der Weltfriede muß verwirklicht werden;
5.) alle Religionen haben die selbe Grundlage;
6.) die Religion muß die Ursache der Einheit und Eintracht der Menschen sein;
7.) die Religion muß mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen;
8.) die Religion soll sich nicht mit politischen Fragen befassen;
9.) die Gleichheit der Menschen muß vom Gesetz anerkannt werden;
10.) es muß gleiches Recht für Mann und Frau hinsichtlich der Erziehung und Ausbildung bestehen;
11.) die soziale Frage muß gelöst werden;
12.) die Macht des Heiligen Geistes ist es, welche die geistige Entwicklung herbeiführt.
Entsprechend diesen Grundsätzen will die Bahªi-Gemeinde die Menschen ihren bisherigen Religionsgemeinschaften nicht entfremden.
Und in den Gottesdiensten der Sufi Society liegen auf dem Altar die heiligen Bücher der verschiedenen Religionen, denen die Lesungen entnommen werden.
Zu Beginn des Gottesdienstes werden sieben auf dem Altar stehende Kerzen entzündet, von denen sechs die Religionen der Hindu, Buddhisten, Zoroastrier, der Juden, Christen und Muslime symbolisieren, während die siebte denen geweiht ist, die bekannt oder unbekannt, das Licht der Wahrheit hochgehalten haben.
Cayetano Arroyo de Flores sagt in seinem Buch Gespräche mit Abul-Beka: Wisset, Brüder, daß der Meister der Gerechtigkeit, ebenso wie Buddha, Mohammed, Krishna, Hermes, Pythagoras . . . und andere, der schlafenden Menschheit die Lebensfackel brachte; doch viele erblickten sie halb im Schlummer. Als sie nun versuchten, ihre Brüder im Geschauten zu unterweisen, vermittelten sie ihnen ihre Träume anstelle der Wirklichkeit.
Wer wach ist und wachsam, versteht meine Worte. Die Fülle besitzt, wer, unzufrieden mit den Riten seines ererbten Glaubens, die Einheit gesucht hat, die allen Bekenntnissen gemeinsam ist. Denn er ist schon aus dem Lebensraum erwacht und reckt seine Glieder.
Noch mehr verdient die Glückseligkeit, wer über die Wahrheit, die man ihn gelehrt hatte, hinausging und voller Aufgeschlossenheit weiter suchte, ohne der Versuchung nachzugeben, mit dem Strom zu schwimmen.
Denn, wer der WAHRHEIT seine Wahrheit geopfert hat, wird sie eines Tages vollständig besitzen."
Zusammenfassend möchte ich zum Schluß das Religiöse an dem Bilde des uns allen bekannten Rades eines Ackerwagens aufzeigen.
Der äußere Reifen sind alle Menschen in ihren verschiedensten Religionen.
Die Speichen stellen die einzelnen Religionen und Lehren, mit ihren Propheten und Heiligen, also den Weg, dar.
Die Nabe ist die Verdichtung dessen, was alle gemeinsam lehren, nur eben in unterschiedlichen Interpretationen. Und die Achse ist Gott, um den sich alles dreht.
Unser aller Weg geht vom äußeren Reifen über die Speichen zur Nabe, um in die unmittelbare Nähe Gottes zu kommen.
Wie ein Orchester durch die Vielzahl der unterschiedlichen Instrumente eine harmonische Musik spielt, die Laute erst durch die verschiedenen Saiten eine Melodie ermöglicht; so ist die Vielfalt der Religionen in den unterschiedlichsten Gottesverehrungen, das, was Jesus mit dem Wort: In meines Vaters Haus gibt es viele Zimmer ausgesprochen hat.
Mit freundschaftlichen Grüßen
Jan Amos