Placebo-Effekt

In einem ihrer berühmtesten Experimente lud sie Anfang der achtziger Jahre alte Herren um die achtzig in ein ehemaliges Kloster in New Hampshire ein. Dort war alles so eingerichtet wie zu jener Zeit, als die Probanden zwanzig Jahre jünger waren. Uralte Bücher und Magazine lagen herum, im Fernsehen lief Rauchende Colts, und abends diskutierten die Testpersonen scheinbar zeitgenössische Themen wie die kubanische Revolution.

Die Männer waren aufgefordert worden, sich über die Ereignisse jener Zeit so zu unterhalten, als fänden sie ganz aktuell statt. Eigentlich waren die Probanden es gewohnt, betreut und gepflegt zu werden. Jetzt lebten sie plötzlich eine Woche lang in einer Umgebung, die in keiner Weise dem entsprach, was als "altersgerecht" galt: Mahlzeiten etwa wurden nicht zur festgelegten Stunde serviert, sondern mussten selbst zubereitet werden, und anschließend machten die Achtzigjährigen den Abwasch. Und, o Wunder: Nach sieben Tagen in der Zeitkapsel waren die Probanden beweglicher geworden, schnitten in den Hör-, Seh- und Intelligenztests deutlich besser ab als die Kontrollgruppe. Als sei auch das Altern bloß eine Frage der eigenen Einstellung.

In welchem Ausmaß der Geist den Körper beeinflusst, zeigen auch die Versuche des amerikanischen Sozialpsychologen John Bargh: Er ließ die Teilnehmer einer Experimentalgruppe Kreuzworträtsel lösen, die negative Stereotype über das Älterwerden enthielten – etwa "schwerhörig", "grau", "Hautfalten". Eine Kontrollgruppe löste Rätsel mit neutralen Wörtern. Danach wurden alle Probanden in ein anderes Gebäude geschickt, und die Forscher stoppten heimlich die Zeit, die jeder für den Weg benötigte. Und siehe da: Diejenigen, die sich mit Begriffen aus der Welt der Senioren beschäftigt hatten, liefen nachweislich langsamer als die anderen. "Priming-Effekte" nennen Psychologen das Phänomen, dass Wörter oder Bilder beim Menschen spezifische Assoziationen an frühere Erfahrungen auslösen und so sein Verhalten beeinflussen. "Priming aktiviert Gedanken, die wir unaufmerksam aufgenommen und verinnerlicht haben", sagt Ellen Langer. ...

Langer manipulierte das Zeitgefühl ihrer zuckerkranken Probanden mithilfe präparierter Uhren, auf denen die Zeiger langsamer liefen. Erstaunlicherweise reagierte die Biochemie des Körpers auf die behauptete und nicht auf die echte Zeit: Der Blutzuckerspiegel fiel, wenn die Uhr den gewohnten Zeitpunkt vorgaukelte, und nicht etwa, wenn der gewohnte Zeitpunkt tatsächlich erreicht war.
http://www.zeit.de/zeit-magazin/2016/22/gedanken-fantasie-denken-einbildung
 
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