Offener Brief von Campact zum Klimawandel,
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Die Europawahl wird zur Klimawahl.
Für 48 Prozent der deutschen Wähler*innen war gestern der Klimaschutz das wahlentscheidende Thema.[1] Die Grünen feiern bundesweit ihr bestes Ergebnis aller Zeiten – SPD und Union erleben ihr schlechtestes.[2] Das unterstreicht, was Bewegungen erreichen können: Die vielfältigen Proteste am Hambacher Wald, die mutigen Streiks der Schüler*innen und zuletzt das Youtube-Video von Rezo mit seinen 12 Millionen Views haben das Thema Klimaschutz in die Mitte der Gesellschaft getragen und die Wahl entschieden.
Doch Wahlergebnisse allein ändern nichts. Jetzt muss die Politik handeln. Und zwar so konsequent, wie es Schüler*innen und Klimawissenschaftler*innen zurecht fordern: Die Politik muss das 1,5-Grad-Ziel einhalten, damit sich die Erde nicht über diese kritische Grenze hinaus erhitzt.
Wir haben vier Thesen entwickelt, was es dafür jetzt braucht.
Unsere Forderungen müssen konsequenter sein
Es ist ein Fakt aus dem Physikunterricht:
Wir dürfen die Erde nicht über die kritische Schwelle von 1,5 Grad hinaus fiebern lassen. Denn dahinter wird es richtig gefährlich. Mit jedem zusätzlichen Zehntel Grad wird es wahrscheinlicher, dass die Klimakrise kritische Kipppunkte überschreitet: Der Amazonas-Regenwald sowie die Permafrostböden in Sibirien kollabieren – und setzen jede Menge gespeicherte Treibhausgase frei.[3] Die Krise beschleunigt sich selbst. Sie wird unaufhaltbar. Genau das meint Greta Thunberg, die Initiatorin der Schulstreiks, wenn sie sagt: „Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt.“[4]
Was das für uns alle bedeutet? Die Schüler*innen haben die Klimawissenschaftler*innen gefragt. Die Antwort: Bis 2035 muss unser Land bei null CO2-Emissionen sein, wenn wir die kritische 1,5-Grad-Grenze nicht überschreiten wollen.[5]
Was für eine immense Herausforderung. Und doch ist es lediglich das, wozu sich Deutschland mit dem Pariser Klimaabkommen völkerrechtlich verpflichtet hat.[6] Da die CO2-Emissionen in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren nahezu konstant geblieben sind, müssen wir jetzt so drastisch CO2 reduzieren.[7]
Bis 2035 klimaneutral – die erste Reaktion bei Ihnen ist jetzt vielleicht: Das schaffen wir doch nicht. Das ist zu radikal, die Folgen sind zu drastisch. Aber ist dieses Ziel in Wirklichkeit nicht das einzig Realistische? Denn wir sollten uns klar machen, was passiert, wenn wir jetzt nicht alles geben.
Mit jedem Zehntel Grad mehr wird es bedrohlicher, werden immer größere Bereiche der Welt unbewohnbar. Dürren, so wie voriges Jahr, werden bei uns der Normalfall. Und woanders führen sie zu Millionen Toten.[8] Küstenregionen müssen geräumt werden, zwingen Menschen zur Flucht.[9] Je stärker sich der Planet erhitzt, desto mehr geht es letztlich um das Überleben unserer Zivilisation.
Die Klimakrise ist nicht irgendeine Krise. Sie hat das Zeug zur existentiellen Krise der Menschheit. So wie es die 70 Youtuber in ihrem Video formulierten, das in den vergangenen Tagen Millionen schauten: „Nach der Risiko-Hierarchie hat die potentielle Zerstörung unseres Planeten offensichtlich die höchste Priorität.”[10] Genau diese Sorge um ihre eigene, um unser aller Zukunft hat am Freitag 320.000 Schüler*innen alleine in Deutschland auf die Straße getrieben.[11] Sie sagen, dass bei der Lösung dieser Krise eines nicht mehr funktioniert: ein bisschen. Ein bisschen über Klimaschutz reden. Ein bisschen einsparen. Ein bisschen umsteuern. Es braucht die ganz große Veränderung, eine Transformation.
Dafür müssen wird schnell handeln, einschneidend und konsequent. Genaue Ziele müssen wir zusammen mit unseren Bündnispartnern noch ausarbeiten, aber in die hier skizzierte Richtung muss es gehen. Wir fordern:
- Einen Kohleausstieg bis allerspätestens 2030 – und eine Abschaltung der Hälfte der Kraftwerke bis Ende nächsten Jahres [12]
- Einen Preis auf alle Treibhausgasemissionen, der schnell 180 Euro pro Tonne CO2 beträgt [13]
- Ein Verbot der Neuzulassung von PKW-Verbrennungsmotoren bis 2025 und massive Investitionen in eine gute Fahrrad-Infrastruktur sowie attraktive öffentliche Verkehrsmittel, ergänzt um Elektroautos [14]
- Den Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung bis 2035. Dafür muss das Ziel der Regierung, den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf 65 Prozent zu erhöhen, schon 2025 erreicht sein. Hierfür muss der Ausbaudeckel für Sonnen- und Windkraft sofort weg.
- Öffentliche Milliarden-Investitionen in eine Dämmoffensive für den Gebäudebestand und den Ausbau der solaren Wärme-Erzeugung
- Eine Agrarwende zu einer ökologischen und bäuerlichen Landwirtschaft mit einer regionalen Erzeugung von guten Lebensmitteln
Ambitioniert sagen Sie? Stimmt. Aber auch der Größe der nötigen Transformation angemessen. Eine Herausforderung, deren Umsetzung besonders bei der industriellen Fertigung und beim Flugverkehr schwer wird. Aber für die es sich lohnt, zu kämpfen. Mit der unser Land und unsere Welt ein besserer Ort werden könnte.
Ökologie und soziale Gerechtigkeit zusammendenken
Klimapolitik darf drastisch sein – aber niemals ungerecht. Wir können nicht zulassen, dass Reiche sich leisten können, das Klima zu verpesten. Und Arme mit höheren Preisen und Mieten, mit weniger gesellschaftlicher Teilhabe belastet werden – Klimaschutz für sie zur Bedrohung wird. Genau deshalb ist Klimaschutz auch ein Frage der sozialen Gerechtigkeit.
Ökologie und Soziales sind zwei Seiten derselben Medaille. Schon jetzt müssen arme Menschen prozentual mehr Geld für den Klimaschutz ausgeben. Autofahrten zur Arbeit kosten Steuern – Flugreisen in ferne Länder nicht.
Damit Klimaschutz keine soziale Schlagseite bekommt, braucht es eine sozial-ökologische Transformation. Die Reichtum umverteilt. Mehr gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht.
Ein langfristiger Klimaschutz schließt die immer weiter auseinander gehende Schere zwischen Arm und Reich. Nur mit einem solchen großen Wurf wird Klimaschutz eine breite gesellschaftliche Unterstützung erfahren.
Hier ein paar erste Annäherungen, was das konkret heißen könnte:
- Die Einnahmen aus einer CO2-Steuer könnten vom Staat an alle Bürger*innen wieder zurückgegeben werden – pro Kopf gleich viel. Da Menschen mit geringerem Einkommen meist weniger die Umwelt belasten, hätten sie am Ende des Jahres mehr Geld im Portemonnaie. So funktioniert es in der Schweiz.[15]
- Klimafreundliches Sanieren von Gebäuden ist teuer. Vermieter*innen wollen das investierte Geld wieder reinholen und erhöhen die Miete. Indem die Modernisierungsumlage gesenkt wird, muss verhindert werden, dass sich viele Bewohner*innen ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Stattdessen muss die Sanierung mit öffentlichen Investitionen und besseren Abschreibungsmöglichkeiten gefördert werden.
- Der Nahverkehr wird ticketfrei und gleichzeitig massiv ausgebaut – finanziert über Abgaben, die vor allem die wohlhabenden Teile der Gesellschaft aufbringen. Damit wird der Umstieg vom Auto auf den Nahverkehr für Bürger*innen attraktiver und allen wird unabhängig von der Höhe ihres Einkommens der gleiche Zugang zu Mobilität eröffnet.
Eine gesellschaftliche Transformation, die Ökologie und Soziales miteinander verbindet, birgt enorme Chancen. Sie kann zu einem gesellschaftlichen Aufbruch werden, der viele Menschen begeistert. Sie kann uns hinter einer Vision einer anderen Gesellschaft vereinen. Millionen von guten Arbeitsplätzen und eine moderne Infrastruktur schaffen.
So entsteht für alle ein besseres Leben, und unser Land – wie zu Beginn der Energiewende – wird international zum Vorbild. Auf dass wir weltweit umsteuern.
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