Maracanã

VIII


Es war Sonntagnachmittag, gegen drei Uhr, als Diogo zu dem vereinbarten Treffen der Bayern München Delegation, im Flamengo fuhr.

Diogo fühlte sich wie gerade aus einer Narkose erwacht. Das Gespräch mit Angela hatte in sein Herz ein riesiges Loch gerissen. Sie hatte ihm diese unglaubliche Geschichte über Bruno erzählt. Und wo war Bruno? Diogo versuchte sie zu beruhigen, aber er glaubte Angela nicht. So brachte er sie erst einmal zum Hotel.

„Du brauchst Ruhe“, hatte er zu ihr gesagt und ihr einen Kuss auf die Wange gedrückt. Sein Vertrauen zu ihr war dahin. “Ich melde mich nach der Besprechung.“


Diogo schüttelte unwillig den Kopf. Es war jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um daran zu denken, fand er schlieβlich. Heute geht es um meine Karriere, und in ein paar Minuten werden die Weichen für mein weiteres Leben gestellt. Wie im Zeitlupentempo kam ihm die Fahrt mit dem Taxi vor. Diogo blickte hinaus auf die Lagoa Rodrigo de Freitas, weit drauβen fand gerade ein Ruderwettbewerb statt. Die Jungs in den Booten geben ihr Bestes, um so schnell wie möglich ans Ziel zu kommen. Und mein Leben? Ich habe das Gefühl, als wenn es gerade still steht. Ich sollte aufgeregt sein, ich sollte mich freuen, aber tief in mir fühle ich nichts.

„Wir sind da!“, hörte er den Taxifahrer wie aus weiter Ferne rufen. „Oi xará?“ Der Fahrer hatte sich ihm zu gewendet und blickte ihn besorgt an. „Geht es dir auch gut?“ Diogo nickte und bezahlte wortlos.


Die Deutschen erwarteten Diogo im Konferenzraum des Clubgebäudes, zusammen mit Heinzi, der gleich auf ihn zukam. „Na, mein Junge?“, meinte er und blickte ihn erwartungsvoll an. „Bist du bereit?“

„Ja, Senhor Heinzi. “ Diogo nickte.

„Das sind die Herren vom FC Bayern.“, deutete Heinzi hinüber zum Fenster. Vier Herren in mittlerem Alter standen dort und musterten Diogo. Er lächelte und ging auf sie zu. „Oi, ich bin Diogo.“ Er schüttelte lauter Hände, blickte dabei in wache blaue Augen. Alles ging sehr schnell. Marcelo und sein Onkel kamen. Der Präsident vom Flamengo erschien, und alle setzten sich an den langen Konferenztisch. Kaffee und Erfrischungsgetränke wurden gereicht. Papiere wurden unterschrieben. Dann war es soweit. Diogo brauchte nur noch seine Unterschrift unter den Vertrag zu setzen. Laufzeit auf drei Jahre mit einem so hohen Einkommen, dass ihm schwindlig wurde. „Eine Wohnung wird gestellt und ein Auto. Beginn in München am 1. April…“ Da musste Diogo lachen, als ihm der Übersetzer das sagte. Die Funktionäre blickten verdutzt zu Diogo hinüber. Der Übersetzer erklärte schnell die Situation und dann lachten sie alle. Heinzi lachte als erster, er hatte jetzt genügend Geld für den Kauf eines Apartments an der Barra, der Präsident vom Club lachte, weil er sich über die hohe Ablösungssumme vom FC Bayern freuen konnte: Die Summe war doppelt so hoch wie das Angebot von Marco Rabino aus Buenos Aires. Marcelo und sein Onkel lachten. Auch die Funktionäre aus München lachten.


IX


Claudia war überrascht, Angelas Stimme am Telefon klang niedergeschlagen.

„Was hast du Angela?“

„Kannst du zu mir kommen? Dann erzähle ich dir, was los ist.“

„Sicher komme ich.“ Claudia sah auf die Uhr. Es war kurz vor drei. „Ich bin in einer halben Stunde bei dir.“

„Danke.“


Claudia erblickte ein Wrack von einem Menschen, als Angela die Tür ihres Apartments öffnete. Das sollte Angela sein?

„Oh mein Gott, was ist denn nur passiert? Hat dich Didi geschlagen?“

„Nein, das nicht.“ Angela erzählte Claudia, stockend ihre Geschichte. Claudia hatte sie in den Arm genommen, hörte zu und unterbrach sie kaum. „Das ist ja unglaublich!“, war alles was ihr einfiel. „Ich bin fassungslos! Du hast noch Glück gehabt, weiβt du das?“ Angela nickte.

„Aber Didi! Wie kann er dich so im Stich lassen?“

„Es ist sein Misstrauen, seine Eifersucht, die alles kaputt gemacht hat. Es ist endgültig vorbei, Claudia!“ Angela lächelte traurig.

„Wo ist überhaupt Didi?“

„Er hat heute das Treffen mit den Funktionären von Bayern München im Flamengo. Danach will er kommen. Wir müssen reden.“

„Dieser Bruno, ist gefährlich! Warst du beim Arzt?“

„Nein.“ Angela schüttelte den Kopf. Es ist nicht notwendig, er hat mich ja nicht mehr vergewaltigen können. Da brach Gott sei Dank der Krieg aus.“

„Und du lagst die ganze Nacht gefesselt auf diesem schäbigen Bett und um dich tobte der Drogenkrieg?“ Angela nickte und begann erneut zu weinen. „Ich glaube ein Brandy würde uns beiden gut tun. Claudia stand entschlossen auf. „Und den Hotelarzt rufe ich auch sofort an.“

„Nein, Claudia! Ich bin nicht krank. Nur das mit Didi, macht mich so traurig.“


Claudia erforschte die Frigobar. „Wir trinken Whisky, meine Liebe. Brandy gibt’s keinen und mit dem Roomservice, das dauert zu lange. Einverstanden?“

„Ja.“

„So. Trink das, es wird dir helfen. – Und mit Didi wird alles noch gut, wart es ab.“ Sie leerte das Glas in einem Zug und sah Angela forschend an. „Das mit deinem Didi wird alles noch gut“, versuchte sie Angela zu beruhigen.

„Ich hab da kein gutes Gefühl. Er war so kalt zu mir.“ Sie seufzte. Didi behauptete zwar, er wäre angespannt wegen dem Vertragsabschluss mit dem FC Bayern, aber ich glaube es ihm nicht. Ich glaube es einfach nicht.“


Angelas Telefon läutete. Es war Diogo.

Alô.“ Pause. „Geht es dir besser, Angela?“

„Ja, es geht, Didi.“

„Ich habe vorhin meinen Vertrag unterschrieben. Es ist für heute Abend ein Essen angesagt und da muss ich hin…“

„Ich freue mich für dich. Claudia ist bei mir.“

„Da bin ich beruhigt. Dann sehen wir uns morgen nach dem Training.“

„Alles klar, Didi. Morgen um zwölf?“

„Ja, ich komme ins Hotel. Tchau, Angela.“

Angela zuckte mit den Schultern. „Didi, weicht mir aus.“

„Er muss das erst einmal verdauen, gib ihm einfach Zeit. Sicher ist das alles ein bisschen viel für ihn…“

„Ach, und für mich nicht? Schlieβlich war es sein Verwandter, der mich in die Favela gelockt hat. Aber das wird jetzt alles unter den Tisch gekehrt und ich, das eigentliche Opfer, werde feindselig behandelt!“ Angela kippte entschlossen ihren Whisky genau wie Claudia, hinunter und atmete heftig.

„Ich glaube, wir können uns noch ein weiteres Glas genehmigen“, meinte Claudia, holte zwei weitere Minifläschchen und füllte die Gläser. „Beruhige dich jetzt erst mal. Ich hab da noch Hoffnung, dass alles wieder gut wird. Didi liebt dich doch…“

„Didi liebt dich doch“ ahmte Angela sie leise nach und blickte ins Leere. „Ob Didi mich wirklich liebt, dass wird sich jetzt herausstellen. Und Morgen werde ich es wissen.“
 
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XI


Es war heute einer dieser verregneten Tage im Februar, zwei Tage vor dem Karneval. Wolkenbruchartig regnete es, dann riss der Himmel ein wenig auf, aber nur für kurze Dauer, um erneut wie aus Eimern zu schütten. Diogo saβ zu Hause in Nilópolis auf der Veranda und beobachtete, wie die Tropfen herunterplatschten, ein monotones, beruhigendes Geräusch. Er dachte an sein letztes Treffen gestern Nachmittag mit Angela zurück.


Diogo hatte sich mit ihr am Strand von Vidigal verabredet, wo sie sich vor vier Monaten kennen gelernt hatten. Dort sollte es enden, so wollte er es.

„Ich kann deine Geschichte nicht glauben!“, warf er ihr vor. Seine Stimme war ruhig, er selbst war auch ruhig.

Angela sagte nichts. Sie hatte nichts zu ihrer Verteidigung zu sagen, Diogo glaubte ihr nicht, und Bruno war tot.

„Ich reise übermorgen ab“, sagte sie dann. „Wegen der traumatischen Umstände wird eine Ausnahme mit mir gemacht.“ Er fühlte einen Stich in seinem Herzen, nur ganz kurz, dann war er weg, Diogo schob ihn einfach beiseite, es nützte nichts mehr.

„Ich kann es nicht begreifen, Diogo!“ Angela hielt die Hände vor das Gesicht und weinte. „Du hast es mir deutlich genug am Sonntagmorgen gezeigt, als du mich bei deiner Tante vorfandest.“ Sie versuchte ihre Stimme unter Kontrolle zu behalten. „Du wolltest mich zwar beruhigen, aber dein Verhalten zeigte es mir mehr als deutlich, dass es aus ist zwischen uns, Didi! – Du hast kein Vertrauen zu mir. Wir haben gestern stundenlang gestritten, es ist wirklich aus mit uns.“

Diogo schwieg. Er wollte nichts mehr sagen, er wollte nicht lügen, so war es halt - und aus. Angela erhob sich. „Lebewohl, ich werde jetzt gehen.“ Sie entfernte sich mit raschen Schritten. Diogo blieb im Sand sitzen und blickte auf das Meer, welches mehr und mehr in der Dämmerung verschwand. Aber das Meer konnte ihm keinen Trost geben.



Heute Abend fliegt sie nach Deutschland, dachte Diogo. Morgen gehe ich zu Brunos Beerdigung und begrabe auch meine Geschichte mit Angela. Ich liebte sie so sehr, dass ich in ihren Armen hätte sterben können Er starrte weiterhin auf die dicken Regentropfen. Wenn der Tropfen auf die Wasserlache, die sich inzwischen auf den Fliesen der Veranda gebildet hatte, heruntertropfte, spritzte er nochmals auf. Ich werde Angela vergessen, dachte Diogo. Die Zeit wird alles heilen.



Epilog



„Da bist du ja endlich!“, empfing ihn Dona Ismelia freundlich. „Ich habe dich erwartet.“

Diogo war überrascht. Aber er wusste doch: Seine mãe de santo war eine Zauberpriesterin, natürlich wusste sie alles.

„Nun, mein Sohn, was führt dich den langen Weg von Europa zu mir?“

„Ich suche Angela, meine deutsche Freundin. Man sagte mir, sie sei hier in Rio. So habe ich mich ins nächste Flugzeug gesetzt und nach ihr gesucht, aber vergeblich.“

„Du scheinst nicht gerade glücklich zu sein.“ Diogo nickte stumm.

Dona Ismelia sog den Rauch ihrer Zigarre ein und beobachtete Diogo gelassen. „Was hältst du davon, wenn wir erst mal einen cafézinho zusammen trinken?“ Er nickte und die Ialorixá winkte einer der Frauen, die im Hintergrund standen, zu und bat um Kaffee.


„Du warst ein halbes Jahr nicht da, mein lieber Diogo. Was hast du mir aus deiner neuen Heimat zu berichten?“

„Es geht mir gut. Ich besitze alles, was ich mir wünsche, und habe Erfolg.“ Er atmete einmal tief ein und wieder aus. „Aber Angela fehlt mir. Ohne sie ist mein Leben leer.“

Der Kaffee wurde serviert. Die Ialorixá und Diogo tranken schweigend. Es war ein ruhiger Abend heute, an diesem Abend fanden keine Zeremonien im Tempel statt. Dona Ismelia stellte ihre leere Kaffeetasse ab, sie paffte nachdenklich an ihrer Zigarre und sah Diogo schweigend an. „Aber warum hast du dich von ihr getrennt, mein Sohn?“

„Weil ich ihr nicht geglaubt habe.“

„Und jetzt?“

„Egal, was war, ich bin bereit, alles zu verzeihen. Ich glaube ihr, denn ich liebe sie mehr als alles. Aber erst einmal muss ich sie finden, denn im Hotel Sheraton wohnt sie nicht.“

Die Ialorixá schwieg wieder und schien nachzudenken.

„Die Götter sind dir einmal wie so oft, gnädig gestimmt! Angela kam gestern zu mir und fragte mich um Rat.“

„Ein Wunder!“

„Angela wohnt bei ihrer Freundin und ich glaube, sie wird heute noch herkommen, ich bat sie darum.“

„Das ist ein Wunder!“ Diogo strahlte.

„Was sein soll, soll sein, ihr seid füreinander bestimmt! Angela erzählte mir ihre Geschichte und warum ihr auseinander gingt. - Du hast Angela Unrecht getan, Diogo. Deine Freundin hat viel mitmachen müssen. Es war Bruno, der sie in eine Falle lockte.“

Das Gesicht der Priesterin erhellte sich. „Da kommt sie gerade, deine deutsche Freundin Angela!“


ENDE
 
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