Maracanã

XXII



„Didi, filho!“ Diogos Mutter eilte ihnen entgegen und betrachtete Angela neugierig.

„Angela, das ist meine Mutter.“

Da stand sie vor ihr, Diogos Mutter, mit einem rundlichen Gesicht und dem gleichen Lächeln um den Mund wie bei Diogo. Ihre Haare ein wenig ergraut und Augen, die Angela sehr lebendig anblickten. Sie nahm Angela zur Begrüßung gleich in die Arme und führte sie dann in die Küche.

Angela setzte sich und blickte geistesabwesend zu der kleinen Blechkaffeekanne auf dem Gasherd.

Mãe! Es gab einen Überfall im Zug.“

„Und?“

„Gott sei Dank ist nichts passiert! Aber Angela ist noch unter Schock!“

Angelas Augen wanderten abwechselnd zu dem alten Eisschrank voller Rostflecken und der blau-weiβ karierten Plastiktischdecke, während Diogos Mutter Kaffee einschenkte. Sie dachte an die trostlose Busfahrt, die nach der Zugreise folgte:

Nilópolis machte auf den ersten Blick einen guten Eindruck, aber dann mussten sie in einen Bus umsteigen, und die Gegend wurde immer ärmlicher, heruntergekommene Häuschen mit Kindern, die auf lehmigen Straβen in Pfützen Fuβball spielten. Rechts ein kleiner Fluss mit Hochwasser, Plastikflaschen, Matratzen und anderer Müll schwammen darauf herum. Bei der Endstation verlieβen sie den Bus und hatten nochmals eine Viertelstunde zu gehen. Es war bereits dunkel, als sie endlich bei Diogos Haus ankamen.


„Angela! Beruhige dich! Du zitterst ja“ Diogos Mutter reichte ihr eine Tasse Kaffee. „Hier trink. So etwas passiert in Rio jeden Tag. – Wichtig ist, dass man bei den drogado, still bleibt wie eine Maus.“ Lächelnd tätschelte sie Angelas Arm.


Das Telfon klingelte. Diogo eilte hinaus in den Flur, nahm ab und kam gleich wieder.

„Es war Antónia. Sie muss heute Abend arbeiten, sonst werden sie mit den Kostümen nicht rechtzeitig fertig. - Antónia ist meine Schwester, sie arbeitet an der Praça Mauá. Die Beija Flor hat dort ein großes Lagerhaus, ganz in der Nähe vom Hafen, dort nähen sie die Karnevalskostüme.“

„Dieses Jahr heißt das Thema: „Manôa-Manaus-Amazonas“, sagte die Mutter lebhaft. „Ich werde dieses Jahr wieder mittanzen.“

„Die Kostüme bleiben bis zum Schluss das große Geheimnis“, erklärte Diogo. „Unsere Beija Flôr ist die beste Karnevalsschule und vierfacher Meister. Ich bin stolz, dass meine Mutter beim desfile mitmacht. Wir haben voriges Jahr gesiegt und werden diesmal mit unserem Amazonas-Thema auch wieder siegen“, rief er aus.

Claro, Didi!“, rief sie aus und drehte sich, füllig wie sie war, ungeniert einmal im Kreis herum und Diogo klatschte. „Meine Mutter macht bei der ala das Bahianas mit.“

„Ihr werdet Hunger haben.“ Diogos Mutter brachte frisches Stangenweiβbrot, dazu presunto, Käse, Salami und Mortadella, stellte noch Mayonnaise und Tomaten, schwarze Oliven und kleine gebackene pastéis de camarão auf den Tisch. „Durst werdet ihr auch haben!“ Geschäftig holte sie aus dem Kühlschrank eine Kanne mit frisch ausgepresstem Orangensaft und setzte sich dann endlich.

Angela staunte nicht schlecht über die Herzlichkeit und Gastfreundschaft und verfolgte amüsiert die temperamentvolle Karnevalsdebatte der beiden. Der Tisch war inzwischen voll mit Essen gepackt, mehr passte nicht darauf.


„ Wie geht es Tante Maria Luisa?“, wollte sie dann wissen.

„Es geht ihr gut, mãe, Tante Maria Luisa lässt dich schön grüβen.“

„Danke, mein Sohn. Und jetzt erzähle erst einmal, wie es beim Flamengo läuft“, bat Diogos Mutter. „Die Leute vom Olímpia haben schon ein paar Mal nach dir gefragt.“

„Olímpia ist der Club in Nilópolis, wo ich vor vielen Jahren einmal anfing.“ Diogo stopfte sich ein Weiβbrot mit Mortadella in den Mund und erzählte die Neuigkeiten seiner Mutter.

„Wann kommt Ricardo?“, fragte er kauend.

„Er ist bis nächsten Dienstag mit Vater unterwegs nach Fortaleza.“ Sie wandte sich an Angela: „Ricardo wird bei der gleichen Busgesellschaft arbeiten.“


Diogo dachte an seine Kindheit zurück, wie er mit seinem jüngeren Bruder Ricardo Fuβball spielte: António und Pedrinho waren dabei, manchmal kam auch noch Gustavo dazu. Ricardo, dem er immer den Ball wegschnappte, Ricardo konnte machen, was er wollte, er trickste ihn aus und ärgerte ihn damit. Ricardo, der ernste und verschlossene Ricardo.

„Du mit deinem verdammten Fuβball!“, rief er manchmal aufgebracht. „Ich werde arbeiten gehen, verstehst du?“, kam es vorwurfsvoll vor ein paar Monaten. Seine Augen zusammengekniffen. „Sogar deine Schwester geht arbeiten, und du denkst nur an Fuβball. Werde erst mal ein richtiger Mann, der auch seine Familie ernähren kann, so wie es unser Vater macht. Wie lange willst du noch mit dieser Illusion leben?“ Aber seine Mutter hatte ein offenes Herz für ihn. Sie glaubte an ihn, und das war schon immer so.


Diogo atmete tief ein und wieder aus. „Ich bin der Einzige, der kein Geld nach Hause bringt“, sagte er bedrückt.

„Du musst dich gedulden, Didi.“ Sie warf ihm ein Lächeln zu. „Sogar Aniz Abraham David fragte nach dir.“

„Du weißt noch gar nicht, was am letzten Sonntag beim Fußballspiel im Olímpia los war, Didi!”, begann Diogos Mutter zögernd.

Diogo hielt seiner Mutter die leere Tasse hin. Sie schenkte ihm Kaffee nach. „Stell dir mal vor, Didi, es begann als ein ganz normales Spiel. Doch als André in der ersten Halbzeit das zweite Tor für die „Kinder von Nilópolis“ schoss, protestierte der Mittelstürmer von Olímpia sofort. Er behauptete, der Ball wäre von außen ins Tor gegangen, das Netz habe ein Loch.“

„Das ist eine Schande“, rief Diogo, „dass sie immer noch nicht das Netz geflickt haben, diese bandidos de uma merda!“

„Da es aber keine Linienrichter gab, dauerte es, bis das Tor annulliert wurde. Und in der Pause haben sich alle Spieler dann wüst beschimpft. Auch die Leiter beider Clubs gingen aufeinander los.“ Ihre Stimme überschlug sich genauso vor Aufregung. „Sie begannen sich zu prügeln, und einige Betrunkene zogen ihren Revolver und schossen damit wild herum.“

„Ja, und dann?“, wollte Diogo wissen.

„Pedro Freitas war derjenige, der sich am schlimmsten aufführte.“

„Pedro Freitas! Und so was soll der Präsident eines Fußballvereins sein!“, rief Diogo wütend.

„Ja, Didi. Dann endlich kam die Militärpolizei, um den Krawall zu beenden, aber das Spiel wurde abgebrochen. Niemand wollte noch spielen. Ist das nicht eine Schande, mein Sohn?“ Sie schüttelte den Kopf.

„Ein trauriges Bild von unserem Club, in dem einmal Serginho spielte, bevor er zum Milan ging.“ Diogo schnaubte verächtlich.

„Aniz Abraham war es, der mir das von dem Streit erzählte“, berichtete seine Mutter weiter. „Er fragte auch, wie es dir beim Flamengo geht.“

„Aniz Abraham David ist der wichtigste und reichste Mann bei uns, Angela“. Diogo gab Zucker in seinen Kaffee und rührte um. "Er hat seinen Reichtum mit dem jogo do bicho gemacht.“

„Lotterie?“, fragte Angela.

Diogo nickte. „Ja, illegale Lotterie. Das sind diese Losverkäufer, die du an jeder Ecke stehen siehst. Auf den Losen sind Tiere drauf: Schlange, Pferd, Hund und alle möglichen anderen Tiere.“

„Was?“ Angela hob ungläubig die Brauen. „Aber die Losverkäufer stehen überall an den Ecken auf den Straßen in Rio.“

„Nicht nur in Rio! Im ganzen Land“

„Und was macht die Polizei?“

„Was glaubst du wohl?“, fragte Diogo.

„Warum verbietet die Polizei das nicht? Man sieht diese Losverkäufer überall herumlungern und laut ihre Lose anpreisen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das verstehe ich nicht.

„Die Polizei drückt wie so oft ein Auge zu. Die bekommen ihre Anteile und sind zufrieden.“

„Didi, jetzt schimpf doch nicht!“, mischte sich die Mutter ein. „Wir haben Abraham David zu verdanken, dass die Beija Flôr zur besten Sambaschule aufgestiegen ist. Außerdem habe ich diese Woche fünf Lose vom Schwein gekauft.“ Sie kicherte. „Ich habe schon zweimal

hintereinander von einem Schwein geträumt, mein Sohn. Der Losverkäufer rief immer wieder laut: Kauft die Katze, kauft die Katze!“, gestikulierte sie lebhaft mit den Händen und kicherte. „Aber ich habe vom Schwein geträumt. Vielleicht gewinnen wir ja.“

„Ja, Mutter“, pflichtete ihr Diogo bei. „Se deus quiser. - Die Beija Flôr hat viel für Nilópolis getan. Geld haben sie an ihrer Lotterie genug verdient. Aniz Abraham ist Millionär und fährt mit seinem dicken Cadillac durch die Gegend!“

„Vergiss nicht, dass du dein Fußballtraining im Olímpia auch Abraham zu verdanken hast.“

Diogo nickte. „Kommst du heute Abend mit auf die quadra, Mutter?“

„Nein, heute gehst du mit Angela.“ Sie lächelte. „Antónia wäre mitgekommen, aber die Zeit drängt, nur noch zwei Monate bis zum Umzug.“

„Was ist eine quadra?“, erkundigte sich Angela.

„Das ist der große Platz der Sambaschule, dort wird geübt. Auf die quadra passen fünfzehntausend Menschen, so viele kommen aber nur, wenn wir ein Fest haben. Heute zum Training kommen nur viertausend.“

„Viertausend? So viele kommen heute Abend?“

„Ja, bei uns in der Beija Flôr ist was los, lasse dich überraschen!“
 
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XXIII

Die Tanzgruppe Viva Samba verlieβ Rom, nach zwei Wochen erfolgreichem Gastspiel und reiste auf ihrer Tournee nach Süditalien weiter. Maysa hatte sich langsam in Italien eingelebt.

Bari gefällt mir, dachte sie. Im Süden ist es wärmer, und ich kann mich manchmal ans Meer setzen. Es gibt keine Sandstrände wie in Rio, aber ich mache dafür lange Spaziergänge mit Nelson, an der Uferpromenade.

„In der Gazetta do Esporte wird so einiges über deinen Ex-Freund, Diogo berichtet“, erzählte Nelson mir. „Er hat in den letzten Wochen dem Flamengo zum Sieg verholfen!“

Meu deus, Didi! Didi steigt auf und schafft es. Und da ist Fábio. Er scheint nicht mehr besonders interessiert an Odette zu sein, wer kommt als Nächste dran? Sei vorsichtig mit Fábio, warnte mich Nelson. Maysa lächelte. In Bari hat es sich herumgesprochen, wie gut unsere Samba Show ist. Der Nachtclub ist jeden Abend ausgebucht und Odette habe ich in den Schatten getanzt.


„Wie gefällt dir unsere kleine Spazierfahrt?“ Fábio sah zu Maysa, die ganz in ihre Gedanken vertieft war. Neben Fábio in einem Alfa zu sitzen und durch die Nacht zu fahren, erinnerte sie an Rio. Auch da saβ sie in seinem Wagen nach Beendigung der Show. So gegen zwei Uhr war es, wie heute.

Fábio fuhr in hoher Geschwindigkeit die Ausfahrtstrasse von Bari in Richtung Norden. Maysa fragte sich nervös, was er von ihr wolle.


„Sicher, Fábio.“ Sie zündete sich eine Zigarette an. „Wohin fahren wir?“

„Auf das Landgut von meinen Freunden, den Ruffinos. Sie sind in Brüssel und haben mir ihr Haus zur Verfügung gestellt.“

Nach einigen Kilometern bog Fábio links zu einem kleinen Dorf ein. Er hatte die Geschwindigkeit heruntergeschaltet und durchquerte langsam eine verlassene Dorfstrasse. Hinter dem Dorf führte ein Weg mehrere Kilometer durch Olivenhaine. Dann erschien rechts eine alte Mauer mit einem schmiedeeisernen, geöffneten Tor.
 
XXIV


Tausende von Menschen waren auf der quadra in Nilópolis versammelt, als Angela und Diogo eintrafen. Die Menge war fröhlich, laut singend entstiegen mehr und mehr Mitglieder aus den haltenden Bussen und bewegten sich in Richtung quadra.


Oi Didi“, hörte man von überall rufen. „Und der Fuβball?“, wollten sie wissen, gefolgt von Umarmungen und Schulterklopfen. Halb Nilópolis schien Didi zu kennen. Neugierige

Blicke trafen Angela. Hüftenschwingende Frauen, kokett um sich blickend, kreischten lachend auf.

„Siehst du vorne die Tribüne?“ Diogo kniff sie am Arm. „Gleich geht’s los…“

„Begebt euch alle auf eure Plätze!“ Klang es schrill aus den Lautsprechern.

Plötzlich begann das ohrenbetäubende Getrommel der batucada und riss die Menge sofort mit, die begeisternd, klatschend und mit den Füβen aufstampfend, in genauer Reihenformation zu tanzen begann. Die batucada, dachte Angela. Oh mein Gott, das ist irre! „Die bateria dos Mestres Paulinho und Plínio“, rief Diogo und versuchte mit seiner Stimme die Trommeln einiger hundert Mann zu übertönen.

Ich tanze in einem wogenden Meer! , dachte Angela. Fasziniert begann sie sich langsam darin mit zu bewegen. Gott, was für eine Stimmung, das ist Wahnsinn.

Ein Mann sprang mit seiner Gitarre auf die Bühne, die Menge schrie wie elektrisiert auf und klatschte Beifall.


„Neiguinho ist das“, rief Diogo ihr zu. „Unser puxador!“

Puxador?“

„Das ist der Vorsänger, er bringt uns erst richtig in Stimmung!“

Noch mehr Stimmung? Kann es noch eine Steigerung geben? Aber Neiguinhos Stimme, die aus dem Mikrofon kam, war noch lauter als die Trommeln der bateria:

Manôa-Manaus…“, begann Neiguinho zu singen und viertausend Menschen antworteten im Chor, verstärkten nochmals tausendfach die Musik und bewegten sich im Samba, hüftenschwingend führten sie Tanzschritte in einer riesigen Choreographie auf. Die Luft war geladen von Elektrizität und dem Duft von Parfüm und schwitzender Körper.

Begeistert sang Angela das Manôa- Manaus Lied mit:

…„Der Ehrgeiz kreuzte über das Meer

gebracht von den Invasoren

kam Spanien zum Ausbeuten und Unterdrücken

und säte den Samen des Schmerzes

Amazonas, heilige Erde,

von den Igarapés strömt die unversiegbare Quelle

Nahrung für den Körper und die Seele

bringt Frieden

Eldorado glänzte

im Herzen des Urwalds und der Kriegerinnen

Schönheit und Reichtum

Das Reich Tupã zieht die Fahne hoch…

Êh Manôa,

mein Kanu wird den Meeres-Fluss kreuzen

Grünes Paradies, wo Lara mich mit ihren Gesängen verführt…“


Inmitten einer Welt schwitzender Körper mit dunkler Hautfarbe, im dröhnenden Rhythmus des Sambas tanzten Angela und Diogo. Pausenlos immer wiederkehrender Rhythmus von Manôa Manaus. Der Sound von so hohem Dezibel, dass die Menschen sich heiser schrieen.

Da bemerkte Angela den Mulatten in ihrer Nähe, der sie unverhohlen angaffte. Angela blickte schnell zur Seite, gab sich wieder ganz dem Samba hin, dem elektrisierenden Rhythmus und Gesang der der Beija Flor:

„Ê! Manôa

Minha canoa vai cruzar o rio-mar

Verde paraiso é onde lara me seduz

Com seu cantar…”

Irgendwann fragte Diogo, ob sie Durst habe. Sie beschlossen hinaus zu den Erfrischungsständen zu gehen. Angela wischte sich mit dem Handrücken den Schweiβ von der Stirn. Die Luft war stickig, sie stellten sich in eine Warteschlange vor eine Getränkebude.

„Und wie gefällt es dir?“

„Es ist phantastisch! Didi!“

„Und das Amazonas-Lied von Neiguinho?“

„Einfach phantastisch“

„Da war ein Mann, der hat zu dir geschaut“, meinte er und schwieg.

Angela blickte Diogo verständnislos an, dann aber erinnerte sie sich. „Oh ja, mir ist das auch aufgefallen.“

„Hast du zu ihm geschaut?“ Diogo kaufte zwei Flaschen Wasser.

„Nein.“

„Aber warum weiβt du dann, dass er zu dir gesehen hat?“

„Ich habe es zufällig gesehen.“

Beide tranken durstig, dann gingen sie wieder zurück auf die quadra.
 
XXVI



Angela hatte sich mit Claudia in der Confeitaria Colombo verabredet. Und sie hatte nicht zuviel versprochen. Die Confeitaria Colombo war das älteste Cafe in Rio, noch aus der Zeit der Belle Epoque, mit prunkvollen Spiegeln und Lüstern aus Kristall und italienischen Marmorfuβboden.

Suchend sah Angela sich um, dann entdeckte sie Claudia endlich, die ihr von einem der hinteren Tische zuwinkte.

„Claudia.“

„Angela. Wie geht es dir? Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen.“

„Das ist wahr. Ich bin voll beschäftigt. Meine Freizeit verbringe ich auf Fuβballplätzen, schaue Didi beim Training zu und abends sind wir im Apartment deiner Schwester und lieben uns die halbe Nacht.“

„Oh, das ist Liebe und Leidenschaft in ihrer akutesten Form. Dann, wenn man keine Minute mehr ohne den anderen sein will. Richtig?“

Angela nickte. Dann kam der Kellner und brachte die Speisekarten und wartete.

„Ich verlasse mich ganz auf deine Empfehlung“, meinte Angela.

Claudia bestellte zweimal den maritimen Salat.

„Du wirst auf deine Kosten kommen, Angela. Was wollen wir trinken?“

„Weiβwein.“

Claudia bestellte den Wein und zündete sich eine Zigarette an.

„Was gibt es Neues?“, wollte Angela wissen.

„ Ich habe erst einmal bei meiner Freundin Janette Asyl gefunden. Sie ist solo und hat ein groβes Apartment an der Avenida Atlântica. Mein Dienstmädchen ist mit mir dort eingezogen, ich brauche sie, damit sie auf Juliana aufpasst.“

„Oh Claudia, das hört sich nicht so gut an. Warum bist du nicht in deiner Wohnung geblieben?“

Der Kellner brachte den Wein und stellte die Speisen auf den Tisch, erst schenkte er umständlich den Wein in die Gläser und legte dann das Besteck hin, dann begann er den Salat auf den Tellern anzurichten.





„Also erst einmal Prost auf deine neue Liebe.“ Claudia stieβ mit Angela an, als der Kellner endlich fertig war und sich entfernt hatte.

„Und auf eine glücklichere Zukunft für dich, Claudia.“

„Sicher, das wird sie sein, meine Zukunft. Ich brauche Zeit und Abstand von Andreas, und dann sehen wir weiter“, antwortete Claudia, während sie sich einen Toast mit Butter bestrich. „Ich habe mich gestern mit Andreas soweit geeinigt, dass er Juliana am Wochenende sehen darf. Aber sag mal, was hast du für Pläne mit Diogo? Ist es so ernst?“

Angela nickte. „Du möchtest ungern über eure Ehe reden, nicht wahr?“

„Ich brauche Zeit, Angela. Sie trank einen Schluck Wein. „Angela! Ich bin wirklich interessiert, von dir und Diogo zu hören.“

„Ich lebe in der Gegenwart, mehr nicht. Was soll ich für Pläne machen? Ich weiβ es selber nicht. Die alte Zauberpriesterin hat es mir doch geweissagt, dass Diogo und ich füreinander geschaffen sind.“

„Hm. Das ist ja schon mal brasilianische Mentalität. Gut so! Aber du musst ja nicht nach einem Buzios-Orakel leben und kannst frei wählen. Andererseits frage ich mich, was hat man eigentlich für Gewissheit? Ich glaubte vor sieben Jahren auch, Andreas wäre genau der Richtige.“

„Claudia!“

Claudia lächelte traurig. „Man wählt, man hat immer eine Wahl, ob es die richtige Wahl ist, dass weiβ man erst danach. Sei vorsichtig“, sagte Claudia leise. „Ich tippte das Thema bereits an.“ Sie schwieg. „Denke nicht, es liegt an meiner Stimmung oder so. Ihr seid so verschieden wie Tag und Nacht!“

„Ich weiβ, ich weiβ, aber jetzt bin ich erst einmal mit Diogo.“

Claudia stocherte schweigend in ihrem Salat herum. Dann legte sie das Besteck auf den Teller. „Soll ich dir einen Vortrag über die Seele des brasilianischen Mannes halten?“ Aus ihrer Stimme klingt nicht einmal Ironie, sie meint das ernst, dachte Angela ein wenig betroffen.

„Über die Seele eines brasilianischen Fuβballspielers?“

„Wenn du unbedingt willst, na dann los!“

„Gut!“ Sie nickte. „In Brasilien, vor allem in Rio, besitzt die Bevölkerung einen deutlichen Frauenüberschuss. Es kommen acht Frauen auf einen einzigen Mann. Und was glaubst du, wie verwöhnt die Männer sind? Sie sind es gewohnt, die Rolle des Paschas zu spielen. Die Frauen dagegen sind aggressiv in ihrem Werben um die Männer geworden.“

„Claudia!“, kicherte Angela.

„Das Beste kommt noch. Die Anzahl der Schwulen in Rio ist enorm hoch…“

Angela prustete so laut los, dass am Nebentisch sich neugierige Köpfe herdrehten. „Ist das wirklich wahr?“, fragte sie leise.

„Ja!“

„Und?“

„Man hat den Eindruck, die Männer bekommen es mit der Angst vor den Frauen und flüchten in die Homosexualität.“

„Das ist doch der reinste Unsinn, den du dir zusammen spinnst! - Es ist inzwischen erwiesen, dass Homosexualität genetisch ist!“

„Angela!“ Claudia sah sie belustigt an. „Die Leute gucken schon wieder zu uns.“ Sie seufzte. „Vielleicht hast du ja Recht.“

„Sag, mal. Auf was willst du eigentlich hinaus?“

„Ich schildere dir gerade die Landschaft, den Nährboden für die Ehen oder Beziehungen, wie immer du es nennen willst.


Der Kellner kam und schenkte Wein nach. Claudia hatte ihren Salat kaum angerührt.

„Es geht mir darum, dich zu informieren, damit du richtig wählst. Verstehst du?“

„Ja, klar. Danke!“

„Na gut.“ Claudia sah sie an. „Der brasilianische Mann schöpft aus dem Vollen. So wie in Brasilien die Natur ist! Verschwenderisch! Und ein Fuβballspieler hier ist da nicht anders, nur eben spielt sich seine Verspieltheit beim Sport ab.“

„Wie?“

„Na ja, die Leichtigkeit des Seins, die sollte man, wenn man hier lebt, schon leben. Ein Fuβballprofi hier beherrscht sie, die Verspieltheit. Sein Sport ist ernst, aber doch Spiel, verstehst du? – Angstfrei! Vor allem angstfrei, das ist der Grund für den Erfolg der brasilianischen Fuβballprofis. Sie spielen angstfrei!“ Claudia hob ihr Glas und trank einen Schluck. „Verstehst du mich?“

„Ich glaube ja.“ Angela nickte.

„So sieht der Brasilianer auch das Leben, ein Spiel, aber er spielt dieses Spiel mit groβer Hingabe.“

Claudias Telefon läutete.

„Aha, alles klar, ich notiere.“ Claudia holte ihren Terminkalender raus und schrieb etwas auf. Dann fischte sie sich eine Zigarette und zündete sie umständlich an. „ Zwei Pax, Nachmittag 18 Uhr am Galeão, Flug 991 Continental Airways.“ Als sie schlieβlich das Telefongespräch beendet hatte, atmete sie hörbar aus. „Schon wieder Arbeit. Das war meine Agentur. Ein Transfer für Nachmittags vom Flughafen zum Copacabana Palace. Ein Ehepaar aus New York.“

„Unser täglich Brot, meine Liebe. Und? Nehmen wir es auf mit der Leichtigkeit der Brasilianer?“ Claudia zwinkerte ihr zu.


„Um aber nochmals auf Diogo zu kommen: mein Vertrag läuft im Juli aus. In dieser Zeit wird sich zeigen, ob wir zusammen bleiben oder nicht. So einfach ist das.“

„Und du glaubst wirklich, das sei so einfach?“ Claudia schüttelte unwillig den Kopf. „Aber du wirst dann schon weitersehen, nicht wahr? So ist ja Brasilien, man versucht alles irgendwie auf die Reihe zu bekommen.“

„Mein Leben hat sich verändert.“ Angela sah Claudia an. Erst lachte ich ihn noch aus, aber dann folgte ich ihm in seine Welt. Fremd, faszinierend und doch beängstigend. Wie ein Sog, dem ich mich nicht mehr entziehen kann. Die Samstagabende verbringe ich mit ihm, auf der Quadra in Nilópolis. Diogos Familie und die Nachbarn, die mich verehren; ich bin dort so eine Art blonde Fee aus dem fernen Europa…“

Oba!“ Claudia zog an ihrer Zigarette und blies den Rauch nach oben. „Diese einfachen Menschen sind eigentlich noch wie Kinder…“

Der Kellner brachte den Kaffee.

„Ich weiβ, dass meine Mutter nicht begeistert sein wird, wenn ich eines Tages mit Diogo vor ihrer Tür stehe.“

„Das kann ich mir denken. Der Rassismus ist tief in die Menschen eingegraben und das überall in der Welt. Hast du darüber einmal nachgedacht? Wirst du das auf die Dauer ertragen können?“

„Darüber habe ich wirklich nachgedacht, Claudia.“ Angela blickte abwesend hinauf zu der wunderschönen Decke aus milchigem Glas mit dem Mosaik. „Ich kann dir nur sagen, dass ich, wenn ich mit Diogo zusammenbliebe, auch dafür bereit sein werde.“
 
XXVII

Fábio passierte das Tor und fuhr den Wagen langsam durch einen Park. Ein altes Herrenhaus tauchte zwischen den Bäumen auf, angestrahlt von mehreren Scheinwerfern.

„Wie romantisch!“, rief Maysa aus. Sie vermag ihre Freude auszudrücken, dachte Fábio. Im Gegensatz zu mir, ich freue mich über nichts mehr und kann mir alles leisten. Ich kann mit jeder Frau schlafen, aber was bleibt? Sollte ich mich fest binden? Zwischen Odette und mir ist bereits alles ausgereizt. Aber da ist Maysa, die mir seit unserer ersten unliebsamen Begegnung in Rio aus dem Weg geht. Gerade das macht mich neugierig. Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich an sie denken muss. Die Männer laufen ihr alle nach, ob junge Männer, alte Männer, Geschäftsleute, Professoren, sogenannte untadelige Männer, die ihr in den Ausschnitt blicken wollen oder ihren Hintern betrachten und sie am liebsten auf der Stelle bumsen wollten. Fábio parkte den Wagen und sie stiegen aus.

„Guten Abend, Ricardo.“ Fábio begrüβte einen schlanken Mann in dunkler Livree, der sich förmlich verbeugte und die Eingangstür aufhielt.

Fábio ging hinter Maysa die Treppe zum Eingang hinauf, und er dachte daran, dass er sie haben wollte.

Maysa bestaunte das Interieur. „Setz dich“, meinte er, schaltete die Stereoanlage an und nahm neben Maysa in einem der Sofas vor dem Kamin Platz.

Der Diener kam mit einer Flasche Rotwein, öffnete sie und füllte die Gläser.

„Danke, Ricardo!“ Fabio, wandte sich mit seinem Glas Maysa zu: „Tchin, tchin!“

Kurze Zeit später brachte Ricardo eine Foccacia, aromatisch duftend nach gebackenem Hefeteig, Tomaten und Oregano, und stellte sie vor ihnen auf das Tischchen.

„Haben Sie noch einen Wunsch, Signore Fábio?“, fragte der Diener.

„Danke Ricardo, Sie können schlafen gehen.“

Maysa nahm sich ein Stück von der Foccacia, während Fabio, abschätzend, Maysa über sein Weinglas hinweg beobachtete. Sie ist eine typische Mulattin, mit dem hellbraunen Körper einer Göttin, wie die Mädchen momentan gefragt sind, mit schmaler Taille und breiten Hüften, corpo violão! Ein super Gesicht mit Stupsnase und schmalen Lippen, bildschön und rassig, so bezeichnet man eine Frau, wie sie es ist, dachte er voller Ironie. Eine Frau, die einen anmacht, die man unbedingt bumsen muss, aber die man nicht heiratet. Eine Frau, die dafür da ist, die Phantasie der Männer zu beflügeln. Er zündete sich eine Zigarette an; ihm kam die verdammte scheinheilige Gesellschaft mit ihrer kranken Ambivalenz in den Sinn. Wie hat es einmal der italienische Filmregisseur Fellini bezeichnet? Du gehst berauscht hinter dem Wackelhintern der Nutte in Rom hinterher und hörst im Hintergrund mahnend die Glocken vom Sankt Petersdom läuten. Und damit verdiene ich mein Geld, und eine Menge Geld.

„Fábio? Willst du nicht von der Foccacia essen? Sie wird kalt.“


Ich will eigentlich gar nichts mehr essen, dachte er, irgendetwas muss sich in meinem Leben ändern. Aber was?

„Ja sicher, ich werde essen“, sagte Fábio freundlich und schenkte Wein nach. „Ich bin sehr zufrieden mit dir, Maysa. Du bist meine beste Tänzerin, und ich weiβ, ich habe die richtige Wahl mit dir getroffen“, begann er vorsichtig und schwieg kurz, nahm sich dann auch ein Stück Foccacia auf die Hand. „Aber ich wollte dich etwas fragen.“

„Ja?“

„Kokst du regelmäβig?“

Maysa zuckte innerlich zusammen, dann schenkte sie ihm ihr gut erprobtes Lächeln.

„Natürlich nicht. Erstens kann ich mir das nicht leisten, und dann weiβ ich, wie schädlich es ist.“

„Da bin ich beruhigt.“

„Wolltest du deswegen mit mir sprechen?“ Maysa nahm sich ein weiteres Stück Foccacia.

„Mehr oder weniger.“

„Und? Gibt es doch noch was?“

Fábio sah sie unschlüssig an.

„Ich wollte dir auch sagen, dass mir das Leid tut, was damals in Rio passierte.“

Sie sagte nichts darauf und trank einen Schluck Wein.

„Ich wusste ja nicht, dass meine Freunde so ausrasten würden. Kannst du mir verzeihen?“

Ich glaube ihm nicht, schoss es Maysa durch den Kopf. Was will er von mir? Ich muss mich vor ihm in Acht nehmen, er ist ein glatter Typ. Die Männer wollen mich nur vernaschen, ich wundere mich, dass er es noch nicht bei mir versucht hat. Da war bisher Odette.

Und wirklich, er rückt näher an mich heran, streicht über mein Haar.

„Bist du mir böse Maysa?“

„Wie kann ich dir böse sein? - Du hast doch dein Versprechen eingehalten und mich nach Europa gebracht“, antwortete sie und verzog dabei keine Miene. „Aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, mit mir ins Bett zu gehen.“ Sie stand auf und setzte sich ihm gegenüber auf einen Sessel.

Fábio blickte sie prüfend an. Damit hatte er nicht gerechnet. Sie treibt ein Spiel mit mir, also gut, spielen wir.

„Das hatte ich auch nicht vor.“ Er lächelte sie an. „Wie kommst du darauf?“

Maysa versuchte ihre Nervosität zu verbergen und holte sich eine Zigarette aus der Handtasche. Was will er? , fragte sie sich verunsichert. Jetzt kommt er und gibt mir Feuer und ich fühle seine Nähe. Ich habe seit Wochen keinen Sex, eigentlich wollte ich auch keinen mehr.

„Deine Hand zittert.“ Fábio streichelte ihren Arm.


Seine Nähe wird zur Qual, da ist wieder das Eau de Cologne… ich muss an die Nacht in Rio denken: Wie ich neben Fábio im Auto saβ… Damals war ich aufgeregt und voller Erwartungen. Ich hatte Träume, und neben mir saβ ein Mann, der mir auf einmal die Tür zu diesen Träumen öffnete. Aber die Erinnerung an jene Nacht verdränge ich lieber, diese Tür schlieβe ich immer und immer wieder, wenn sie sich öffnet.


„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, Maysa. Du sollst wissen, dass ich dein Freund bin, mehr nicht.“ Er umfasste sie hinter ihrem Kopf und zog sie sanft zu sich herüber. Fábio drückte ihr einen ganz leichten Kuss auf den Mund. Dann aber setzte er sich auf seinen Platz zurück.

„Warum so schweigsam, Maysa?“ Er trank sein Glas aus und betrachtete sie amüsiert. Sie rauchte nervös ihre Zigarette.

„Du weißt, dass ich die Machtbefugnisse habe, dich jederzeit nach Hause schicken zu können?“

„Ja.“ Sie nickte.

„Dann weißt du sicherlich auch, dass ich die Situation ausnützen könnte?“, fragte er und lächelte. „Ich brauchte nur Stoff bei dir zu finden.“ Er stand auf. „Aber das hätte für mich keinen Reiz.“ Fábio nahm die Autoschlüssel. „Gehen wir?“ Er sah auf die Uhr. „“Es ist vier Uhr! Ich bin müde.“
 
IXXX

Es war bereits dunkel. Flutlicht erhellte den Sandstrand von Leblon, als die Spieler des Flamengo mit ihrem Trainingsspiel begannen. Heute sollte es einfach nur Spiel sein, gab Carlos, der Co-Trainer gleich vor Beginn bekannt.

Ich muss an die Wochenenden zurückdenken, als ich noch am Vidigal Strand mit meinen Freunden aus der Favela trainierte, dachte Diogo. Wir hatten richtig was drauf, es war spielerisches Üben. Und jetzt ist das so weit weg. Ich staune einfach nur, was in letzter Zeit alles passiert ist. Es soll einfaches Spiel sein, damit wir die Freude nicht verlieren. Heute geht es um reinen Spaβ; ich fühle den noch warmen Sand unter meinen Füβen und meinen geliebten Ball direkt auf meiner Haut. Wir dribbeln rückwärts und vorwärts und machen unsere Tricks und schnappen uns lachend gegenseitig die Bälle weg.

Für meinen Vater war Fuβballspielen kein wirklicher Beruf. Argwöhnisch verfolgte er mein Tun, vor einigen Monaten meinte er: „Wenn du dein Leben auf dem Fuβballfeld vergeuden willst, so tue es meinetwegen, aber glaube nicht, dass ich dir Geld geben werde, wenn du nichts verdienst und später bei mir anklopfst. Willst du als armer Mann enden?“

Inzwischen hat er seine Meinung geändert und freut sich über meinen Erfolg.

Ausgelassen vollführten die Spieler lachend ihre magischen Tricks. Diogo dribbelte und zauberte, dass es eine Freude war, und vergaβ die Zeit. Er vergaβ die Gedanken über seinen Vater und die Vergangenheit. Die Zukunft war viel wichtiger, am kommenden Sonntag im Maracanã, wenn wir gegen Botafogo spielen, dachte Diogo.

Der Schlusspfiff ertönte, die Spieler rannten zum Meer und spritzten sich gegenseitig nass.

Axé!“, rief Zequinha und fuchtelte wie ein Wilder mit den Armen.

Axé! , antworteten einige. „Wir siegen am Sonntag! Axé! Axé!“

Mengão, meu Mengão!“, riefen die Spieler und begannen spontan die Hymne ihres Clubs zu singen: „Einmal Flamengo, immer Flamengo… Flamengo werde ich immer sein…“
Um neun Uhr abends stiegen Diogo und Marcelo in den Bus zur Favela Rocinha.
Wie vertraut mir die Gegend geworden ist, dachte Diogo und blickte hinaus auf die Apartmenthäuser der Reichen vom Stadtteil Gávea mit den prunkvollen Vorgärten voller exotischer Pflanzen und Palmen und Hauseingängen mit uniformierten Wächtern davor.

Diese luxuriöse Umgebung ist für mich schon wie selbstverständlich geworden, stellte Diogo fest. Abends gehe ich oft mit Angela in Ipanema spazieren, wir kaufen uns ein Eis und schauen in die Schaufenster der Boutiquen. Letzte Woche habe ich mir ein T-Shirt von Company gekauft, es war sehr teuer, aber ich bekam ja Geld von Nike.

Diogo bemerkte, wie die Hochhäuser mit ihren Marmorfassaden verschwunden waren, dafür tauchten rechts und links die Berghänge mit den Hütten der Favela Rocinha auf.

Marcelo tippte Diogo auf die Schulter. „Wir müssen aussteigen. – Wir sind da!“ Diogo lächelte. Komisch, dachte er, als ob ich mich in zwei Welten bewege und nicht mehr so ganz genau weiβ, in welche Welt ich wirklich gehöre.

„Ich komme in Feindesland“, witzelte Diogo leise.

„Du weiβt, eine Favela hat tausend Augen, aber mit mir wirst von den olheiros akzeptiert, den Halbwüchsigen, die hier Schmiere stehen“, raunte ihm Marcelo zu, als sie aus dem Bus stiegen.
 
„Bei euch ist es ja richtig zivilisiert!“ Diogo folgte Marcelo in eines der kleinen Sträβchen, das sich den Berg hinaufschlängelte. „Ihr habt sogar asphaltierte Straβen und Geschäfte.“

Claro mano! Aber nur auf den Hauptsraβen; hier wird genauso dicht gedrängt gebaut.

Obwohl wir Kanalisation haben, stinkt es wie in den anderen Favelas. Der Gestank nach Müll und nach Scheiβe bringt mich noch um!“ Marcelo winkte einem Jungen auf der anderen Straβenseite zu.

Oi Marcelo! Ist das der Neue vom Mengão?“, rief der Junge und kam herüber.

Oi Robertinho!“ Marcelo klopfte ihm auf die Schulter. „Das ist Diogo!“

Robertinho legte die Hand auf sein Herz und sah Diogo an. „Mengão sempre no nosso coração!”

Diogo blickte in das Gesicht eines Jungen mit Krauskopf. Seine Augen gefallen mir nicht, dachte Diogo. Ich weiβ nicht genau, was es ist, aber ich habe das Gefühl, diese Augen haben Schreckliches gesehen, nur wenn er lacht, wirkt er wie ein normales Kind.

„Ich werde am Sonntag für euch die Daumen drücken. – Mengão wird Botafogo schlagen!“ Robertinho winkte und verschwand vor sich hin pfeifend.


„Die wissen nicht, dass du in Vidigal bist.“, murmelte Marcelo. „Aber du weiβt, Flamengo ist der Lieblingsclub der Rocinha, also, mache dir keine Sorgen, Robertinho ist ein olheiro, einer der besonders gefährlichen.“ Marcelo begann mit Diogo den Aufstieg der steilen Gasse zu seinem Häuschen. Sie versuchten einige Straβenköter zu verscheuchen, die kläffend hinter ihnen her liefen. Schreiende Kinder spielten Fuβball, und aus den Fenstern drang der Lärm sämtlicher Fernsehkanäle von Rio. Es roch nach Essen, und man hörte Tellerklappern und Geräusche aus den Küchen der Häuser, dann lautes Gebrüll und Schreie einer Frau.

Marcelo, gegen den Lärm völlig immun, blieb kurz stehen und sagte zu Diogo: „Man sagt, Robertinho habe einige Menschen umgebracht! – Aber sei unbesorgt, es ging um Racheakte der favelados untereinander. Die Menschen lieben dich hier. Ich erzählte allen, dass du in

Nilópolis wohnst. Wenn hier einer von Vidigal einfach so hereinkäme…“ Marcelo machte eine eindeutige Bewegung des Aufschlitzens an der Gurgel und kicherte.


„Da sind wir schon!“ Als Marcelo die Haustür öffnete, drang ihnen laute Funkmusik entgegen.

Oi Roselyn, Didi ist da!“ rief Marcelo seiner Schwester zu.

Marcelos Schwester, ein junges Mädchen in Shorts und türkisfarbenem T-Shirt sprang auf und kam Diogo neugierig begrüβen.

„Du bist der Spieler vom Mengão, über den Marcelo nur noch redet?“ Sie streckte sich zuDiogo hoch und umarmte ihn. „Schön, dich kennen zu lernen!“

Oi Roselyn!“ Sie ist Marcelo wie aus dem Gesicht geschnitten, fand Diogo. Die grünen

Augen, dunkelblondes, glattes Haar, ja, sogar die gleiche Stupsnase.

„Ja, Rose!“ Marcelo zwinkerte ihr zu. „Und jetzt willst du bestimmt Afro Reggae weiterhören?“ Roselyn nickte. „Es sind die neuesten Videoclips, sie wurden letzte Woche bei Roc aufgenommen.“ Sie verschwand wieder vor dem Fernseher.

Oba! Ihr habt ja einen eigenen Fernsehsender hier.“

„TV Roc!“ Marcelo kratzte sich am Hinterkopf. „Dante hat Millionen ausgegeben, um die Rocinha zu verkabeln, er kauft die neuesten Filme ein und produziert eigene Clips in der Rocinha.“

„Diogo?“, rief Roselyn.

„Ja?“

„Kommst du mit deiner deutschen Freundin morgen zum Konzert?“

„Vielleicht…“

„Marcelo! – Onkel Sergio hat angerufen, er sagte, er kommt erst nach zehn.“

„Wollen wir morgen wirklich zum Funk-Ball?“, fragte Marcelo seinen Freund, auf dem Weg zu seinem Zimmer.

„Wenn ich nicht zu müde bin. - Angela will unbedingt und redet die ganze Zeit schon darüber „Claro amigo! Mir geht es genauso. Ich bin noch nicht sicher, ob ich mitgehe, Sandra kann nicht, sie hat eine Familienfeier.“ Marcelo öffnete die Tür zu seinem Zimmer. „Roselyn ist erst sechzehn, aber sie wird von ihrem Freund begleitet, da machen sich Drogendealer nicht so leicht an sie ran, und ich kann beruhigt schlafen gehen.“

Das Zimmer von Marcelo war winzig. In einem Regal standen die Pokale, die er bisher gewonnen hatte, die Wände waren mit signierten Fotos von Fuβballidolen bedeckt. Rechts in der Ecke waren die alten Spieler des Flamengo versammelt, Diogo hatte sie gleich entdeckt und betrachtete sie nachdenklich.

„Marcelo?

„Ja?“

„Wie lange spielst du schon im Mengão?“

„Es sind inzwischen zwölf Jahre.“ Er atmete ein Mal kräftig ein und aus. „Die Zeit vergeht.“

„Ja, aber diese Idole sind unsterblich!“

„Júnior, Zizinho…“

„Zizinho hatte nur zehn Minuten, um den Flamengo von seinem Talent zu überzeugen, als Leonidas sich verletzte!“ Diogo schüttelte den Kopf. „Ich bekam eine halbe Stunde, nur dass Paquetá sich lieber am Sack kratzte, anstatt mir beim Spiel zuzusehen!“

„Schau hier, Leônidas! Er kam vom Botafogo, das war 1934, als er zum Flamengo wechselte, weil Botafogo keinen schwarzen Spieler wollte!“ Marcelo stieβ unwillig den Atem aus. „So war es noch vor siebzig Jahren, unglaublich. Sie nannten Leônidas liebevoll den schwarzen Diamant.“

Diogos Augen blieben ehrfürchtig auf dem Foto des berühmtesten Stürmer der Geschichte des Flamengo haften. „Domingos da Guia!“ Er begann seine Karriere noch sehr jung bei den Boca Juniors in Buenos Aires“, erinnerte er sich. Sein Blick wanderte weiter zu Zico. Sein Zico, der ihm diese ungeheure Kraft gab und ihn dort hinbrachte, wo er heute stand.

„Didi, du bist schweigsam, was ist?“

Diogo zuckte mit den Schultern. „Ich war vorhin beim Training am Strand schon melancholisch und dachte an die Zeit zurück, wo ich noch unbeschwert am Vidigal Strand spielte. Ich glaube, diese Zeit kommt nicht mehr zurück. Du fragst dich halt, wo ist sie geblieben? Auf einmal war sie weg, jene Zeit…“

„Alles hat seinen Preis, das weiβt du genau. Nur darum stehst du heute dort, wo du stehst! – Schau hier die anderen; da ist Garrincha!“

„Garrincha, der übergefühlsbetonte, voller Exzesse…“

„Wie oft war er verheiratet?“, fragte Marcelo belustigt.

„Es waren unzählige Liebschaften und uneheliche Kinder; er verließ Frau und Kinder wegen Elsa Soares. Elsa Soares, die schwarze Königin des Bossa Nova! Was für ein Paar, die berühmte Sängerin, und Garrincha, der Fuβballkönig.“

„Sie alle verblassen, wenn man an Pelé denkt, Pelé, der Gott aller Götter! Pelé! Auch er hatte Liebesprobleme.“

„Pelé war wie kein anderer genial am Ball, aber mit den Frauen….“

„Pelé hat 1961 und 1962 den Südamerikanischen Pokal, die Taça Libertadores, gewonnen, Marcelo. – Wir sollten es ihm nachtun!“

„Noch drei Monate bis dahin.“ Marcelo grinste und zeigte dann auf das Bild von Valdir Perreira. „Da ist Didi, ihn verehre ich besonders und sein Name ist deiner würdig…“

„Valdir Perreira!“ Diogo pfiff durch die Zähne. „Auch der Prinz von Äthiopien genannt, unser groβer Didi! - Meine Freunde gaben mir den Namen Didi“, meinte Diogo verlegen. „Er spielte 1962 beim Real Madrid. Mein groβes Idol war und bleibt aber Zico!“

„Sie alle sind unsterblich, Didi!“ Marcelo schob ein paar Kleidungstücke auf seinem Bett zur Seite und forderte Diogo auf sich zu setzen.

Schweigend saβen sie da und betrachteten eine Weile die Fotografien der alten Fuβballkönige.

„Ich bin mit Zico befreundet“, sagte Marcelo schlieβlich.

„Wirklich?“

„Zico kommt zum Karneval, dann stell ich ihn dir vor.“

Diogo schaute überrascht. „Und? – Zico kommt aus Japan wegen dem Karneval?“

Marcelo lachte. „Auch, aber er kommt wegen seiner Fuβballschule und will dort nach dem Rechten sehen.“ Marcelo sah auf die Uhr. „Halb zehn, bis mein Onkel kommt, wird es etwas dauern. – Wir gehen solange in die Küche und trinken Kaffee.“


Marcelo nahm die Blechkanne vom Herd, schenkte Kaffee ein und setzte sich dann auf die Kannte des Küchentisches. „Paulinho macht mir Sorgen, Didi!“

„Schon wieder?“ Diogo hob belustigt die Brauen.

„Andrade hat mir verraten, dass Paulinho gegen dich einen trabalho macht…“

Diogo erstarrte. „Bist du sicher?“

„Andrade hat ihn aus dem terreiro vom pai Léo herauskommen sehen.“ Marcelo schwieg.

„Dort wird schwarze Magie gemacht. – Du musst dich magisch schützen…“
 
Alô!“
„Endlich, tio!“ Marcelo sprang auf, um seinen Onkel zu begrüβen. Senhor Sérgio erschien an der Tür und setzte sich ein wenig schwerfällig mit an den Küchentisch.

Marcelo stellte seinem Onkel einen Teller mit Bohnen und Reis hin. Sein Onkel nickte. „Und ihr?

„Wir haben im Club unser Essen bekommen, Onkel.“

Senhor Sérgio rührte seinen Teller kaum an. „Das ist heute wieder eine Hitze!“, beklagte er sich. Umständlich nahm er seine Brille ab und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiβ vom Gesicht. „Tut mir Leid, dass ich euch so lange habe warten lassen, aber ich hatte jede Menge Arbeit zu erledigen.“


Tio, ich habe Diogo von dir erzählt. - Du als Buchhalter weiβt über Rechnungen und Verträge gut Bescheid. – Ich sagte ihm, dass du mich berätst; - Diogo braucht unbedingt eine Vertrauensperson, bevor die Haie sich an ihn heranmachen…“


Nachdem sein Onkel mit dem Essen fertig war, brachte Marcel ihm einen Kaffee.

„Danke, Marcelo.“ Senhor Sérgio sah Diogo aufmerksam an, während er besonders sorgfältig den Zucker in seiner Tasse umrührte.



„Wären Sie damit einverstanden, Senhor Sérgio?“ Diogo fasste sich an die Nasenspitze und errötete ein wenig.

„Machst du es, tio?“ Marcelo sah seinen Onkel bittend an. „Bitte, tio. Didi hat sonst niemand und braucht dringend jemand, der ihn berät.“

Vamos ver. Wie ihr seht, an Arbeit fehlt es mir wirklich nicht…“

„Sobald ich mehr als den Mindestlohn verdiene, bin ich gerne bereit, zehn Prozent meiner Einnahmen zu zahlen.“

„Gut, mein Sohn. – Marcelo berate ich ja auch.“ Er atmete einmal tief ein und aus. „Gut, abgemacht! Aber nur, weil ich schon immer ein groβer Fan vom Mengão war und ihr beiden dicke Freunde seid.“ Er hob die Brauen und lächelte ein wenig nachsichtig. „Gewinn bringt mir das Ganze nicht, auβer noch mehr Arbeit…“ Sérgio trank seinen Kaffee und seufzte. „Ich werde dich beraten, Diogo, aber Geld will ich keines von dir. Wenn der groβe Vertrag kommt…“ Er lachte. „Dann bekomme ich zehn Prozent. Aber erst dann!“

„Danke, tio! So wie Didi spielt, wird er vielleicht berühmt, und du dadurch reich!“

„Jungs, ich bin ein einfacher Mann, der ganz gut rechnen kann, und kein Träumer. – Wenn ich Diogo helfe, so geschieht das aus Freundschaft!“

„Also abgemacht, tio?“

„Abgemacht!“
 
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Angela schaute durch das offene Fenster hinunter auf die Avenida Rainha Elisabeth, der Verkehr hatte noch nicht abgenommen und die Hitze auch nicht.

„Hast du von dem Überfall der Banditen aus Vidigal gehört?“ Angela drehte sich zu Diogo um.

„Was? Wann war das?“

„Ich hörte es eben im Radio, als ich mit dem Taxi kam…“

„Und?“

„Schwerbewaffnete Banditen haben einen falsa blitz gestartet! Sie haben sich als Polizisten verkleidet und sperrten die Avenida Niemayer. So haben sie mehrere Autos gekapert und sind mit den Autos geflohen; stell dir vor, ich wäre zehn Minuten später aus dem Hotel gekommen und da hinein geraten!“ Angela lachte nervös.

„Das hört sich nicht gut an!“ Diogo sprang auf und schaltete den Fernseher an. „Womöglich

wollen sie zur Rocinha.“ Diogo sah zu ihr. „Ich gehe auf keinen Fall zu dem Funkkonzert mit dir! Das ist zu gefährlich. Was hast du, Angela?“

„Was soll los sein?“ Sie zuckte mit den Schultern. Wieder wird nichts aus dem Funkkonzert, dachte sie enttäuscht. Enttäuscht auch darüber, was sich vorhin abgespielt hatte:


Das Taxi hielt am General Osório Platz. Sie bezahlte und stieg aus.

Ich werde im Delikatessenladen noch ein paar Kleinigkeiten für das Abendessen besorgen, entschloss sie sich und überquerte die Straβe, kaufte ein. Voll bepackt mit Einkaufstüten eilte sie zum Apartment von Claudias Schwester.

Ob Diogo heute mal pünktlich ist? , fragte sie sich im Lift. Voriges Mal musste ich eine ganze Stunde auf ihn warten, er kam vom Training nicht rechtzeitig weg. Es passiert immer öfter, dass Didi sich verspätet und seine Zeit fast nur noch dem Fuβball widmet. Was soll ich tun? Ich weiβ, dass seine ganze Zukunft davon abhängt. Sie atmete einmal tief ein und schloss die Wohnungstür auf.

Sie musste schmunzeln. Didi lag hingestreckt auf dem schwarzen Designer-Sofa und verfolgte gerade ein Fuβballspiel im Fernsehen.

„Angela!“ Er kam, um sie zu begrüβen. Sie fielen sich in die Arme. Er riss ihr ungestüm die Kleider vom Leibe. Sie liebten sich gleich auf dem Teppich vor dem Sofa. Der Fernseher lief weiter und die Fuβballspieler spielten weiter.


Meine Liebe zu ihm ist wie unstillbarer Durst. Es ist wie Durst. Seine Küsse müssen diesen Durst stillen. Und jetzt schafft er es, mich dorthin zu bringen, wo es kein Getrenntsein mehr gibt, dachte sie und fühlte sich ihm so unsagbar nah. Es war etwas Leichtes, Schwebendes, was in sie hineinkam, so als wäre es seine Seele, die sie besuchte. Aber nach und nach drang der Lärm vom Fernseher zu ihr und sie musste lachen, sie lachte und lachte.

„Warum lachst du?“, fragte Diogo erstaunt.

„Das Fuβballspiel! Es ist noch immer nicht zu Ende.“

Diogo setzte sich auf und verfolgte den weiteren Verlauf des Spiels.

„Corinthians führt gegen Botafogo eins zu null. Es ist die siebzigste Minute!“, kommentierte er. Sie erhob sich kurz entschlossen. „Ich gehe duschen“, sagte sie und warf ihm eine Kusshand zu.

„Almir hat ein Tor geschossen“, hörte sie ihn ausrufen, gefolgt von Händeklatschen.




Angela setzte sich an den Tisch. „Du bist seltsam, Angela. Was hast du?“ Diogo kam wieder zum Tisch, nahm eine Scheibe Weiβbrot und strich Entenleberpastete darauf. „Ich brauche mal wieder meine schwarzen Bohnen“, meinte er vorsichtig. „Sonst habe ich einfach das Gefühl, nicht richtig satt zu werden…“

„So? Bin ich seltsam?“ Sie nahm ihr Glas, stand auf und ging zum Fenster. „Und deine schwarzen Bohnen? Kann es sein, dass nach dem Fuβball in deinem Leben schwarze Bohnen gleich an zweiter Stelle stehen und schwarze Bohnen wichtiger sind als ich?“

„Wir Brasilianer sind es so gewohnt“, meinte er entschuldigend. „Ich bin ein einfacher Mensch aus dem Volk und bin mit schwarzen Bohnen aufgewachsen.“

Sie lachte bitter. „Dann geh am besten wieder dorthin, wo du schwarze Bohnen bekommst! -

Kann es vielleicht auch sein, Didi, dass in deinem Leben kein Platz mehr für mich ist?“ Angela war zornig.

„Wie kannst du nur so etwas sagen?“, fragte er aufgebracht. „Ich könnte dir genauso vorwerfen, dass du mich nicht wirklich liebst.“

„Was?“ Sie drehte sich zu ihm und sah ihn perplex an. „Was meinst du damit? Ich verbringe jede freie Minute mit dir auf irgendwelchen Fuβballplätzen und du sagst mir so etwas?“

„Meinst du etwa, ich sei dumm? Didi, der dumme Fuβballspieler? - Ich habe genau gesehen, wie du diesen Mulatten angesehen hast, als ich mit dir das erste Mal auf der Quadra in Nilópolis tanzte!“ Er schrie ihr den letzten Satz wutentbrannt ins Gesicht.

Didi hatte etwas Ungeheuerliches von sich gegeben und mich angeschrieen, dachte Angela. „Du bist krank, Didi!“

„Ihr habt keine Hemmungen in Europa. Ich weiβ, wie leichtfertig die Frauen bei euch sind. Bruno hatte mich noch gewarnt, aber ich wollte nicht auf ihn hören.“

„Das reicht!“, rief Angela und beschloss zu gehen.

„Wo willst du hin?“, fragte er wütend, während sie sich anzog.

„Zurück ins Hotel.“

„Oh nein, das wirst du nicht tun.“ Er kam zu ihr und hielt sie fest. „Du glaubst doch nicht, dass ich dich einfach so gehen lasse?“

„Doch, Didi! Du wirst mich gehen lassen. Sonst ist es aus!“, rief Angela und riss sich von ihm los, dann stürmte sie zur Tür.
 
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