Mahabharata

Mahabharat Buch 3.103

Die Sura-Götter suchen Zuflucht bei dem Transzendentalen Herrn Vishnu

Die Sura-Götter sprachen: Durch deine Gunst wachsen und vermehren sich alle geborenen Wesen der vier Arten. Einmal geboren, beglücken sie die Bewohner der Himmel mit Opfergaben für die Sura-Götter und Ahnen. Auf diese Weise können die Menschen, von dir beschützt und von Angst befreit, in gegenseitiger Abhängigkeit leben und wachsen.

Doch nun droht ihnen Gefahr. Wir wissen nicht, wer die Brahmanen des Nächtens tötet. Doch wenn die Brahmanen vernichtet sind, dann wird die Erde selbst auf ihren Untergang treffen. Und wenn die Erde nicht mehr ist, wird auch der Himmel aufhören zu sein. Oh du mit den mächtigen Armen, oh Herr des Universums. Wir flehen dich an. Handle und beschütze, wenn es dir beliebt, damit die Welten nicht ihr Ende erfahren.

Vishnu antwortete: Oh ihr Sura-Götter, ich kenne den Grund für die Vernichtung der geborenen Wesen. Ich werde es euch sagen, hört mir zu mit einem Geist ohne jegliche Angst. Es existiert eine gräßliche Armee der Kalakeyas. Unter dem Befehl Vritras verwüsteten sie das ganze Universum. Doch als der kluge Indra mit den tausend Augen Vritra schlug, traten sie in den Ozean ein, um ihr Leben zu retten.

Von dort aus töten sie jede Nacht die Heiligen, um die Menschheit zu vernichten. Doch sie können nicht geschlagen werden, solange sie Zuflucht in der Tiefe des Wassers suchen. Ihr solltet über ein Mittel nachsinnen, den Ozean auszutrocknen, denn anders können die Daytias (die Söhne Ditis, die Feinde der Söhne Aditis) nicht bekämpft werden. Ich denke, nur Agastya ist in der Lage, das riesige Meer trocken zu legen.

So baten die Sura-Götter um die Erlaubnis Brahmaas und begaben sich in die Einsiedelei von Agastya, dem Sohn des Varuna, wo sie den Hochbeseelten mit dem strahlenden Angesicht trafen, wie ihm Heilige dienten, ganz wie die Götter dem Brahma. Sie traten vor den Sohn von Mitra und Varuna hin, und huldigten dem Großmütigen, Unerschütterlichen, und fromme Taten Übenden.

Die Sura-Götter sprachen: Du warst schon einmal die Zuflucht der Sura-Götter, als sie von Nahusha bedrängt wurden. Er war ein Dorn in der Welt und wurde aus den himmlischen Bereichen und vom Thron gestoßen. Und als Vindhya, dieser Beste unter den Bergen, sich plötzlich immer höher erhob, weil er sich in einen wütenden Wettkampf mit der Sonne gestürzt hatte, da hörte er nur damit auf, weil er deine Befehle nicht mißachten konnte.

Und als die Dunkelheit die Welt einhüllte, und die geborenen Wesen vom Tod zermürbt wurden, da bekamen sie dich als Beschützer und waren wieder sicher. Wann immer uns Gefahr droht, ist die Verehrung von dir unsere Zuflucht. So bitten wir dich auch heute um deinen Segen, denn du gewährst immer, worum du gebeten wirst.
 
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Mahabharat Buch 3.104

Die Sura-Götter suchen Zuflucht bei Agastya

Da bat Yudhishthira: Oh großer Heiliger, ich möchte im Detail erfahren, warum Vindhya-Berg-Gott zornvoll und daher unvernünftig seinen Gipfel so unvermutet anwachsen ließ.

Und Lomasa erzählte: Zwischen Aufgang und Untergang drehte sich die Sonne immer fort um den Monarchen der Berge, den großen Meru von goldenem Glanze. (Der Berg) Vindhya beobachtete dies wieder und wieder und sprach eines Tages zu Surya (Sonnengott): Jeden Tag drehst du dich um den Berg Meru und ehrst ihn durch diese Umrundung. Tu dies auch bei mir, oh du Lichtgewaltiger.

Doch der Sonnengott erwiderte: Nicht aus eigenem Willen ehre ich den Berg durch meine Umrundung. Jene, die das Universum schufen, gaben mir diesen Weg vor.

Diese Worte erregten den Zorn von Vindhya, und er begann, ganz schrecklich zu wachsen, denn er wollte Sonne und Mond den Weg versperren. Alle Götter kamen zu ihm und versuchten, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Doch er achtete nicht auf ihre Worte. Da begaben sich die Götter zu Agastya in seine Einsiedelei, und erzählten dem tugendhaften und mächtigen Asketen, was geschehen war.

Die Götter sprachen: Vindhya, der König der Berge, gab sich dem Zorn hin und will nun Sonne, Mond und sogar den Sternen den Weg versperren. Oh bester Brahmane, du Großzügiger. Niemand außer dir kann ihn davon abhalten. Oh bitte, laß ihn damit aufhören.

So wanderte Agastya mit seiner Gattin zum Berg Vindhya, trat vor ihn hin und sprach:
Oh bester Berg, ich möchte, daß du mir den Weg freigibst, denn ich möchte nach Süden reisen. Und warte bitte auf mich, bis ich wiederkomme. Wenn ich wieder da bin, kannst du deinen Gipfel weiter anwachsen lassen, wie es dir beliebt.

So kamen die beiden überein, doch bis zum heutigen Tag kehrte Agastya nicht aus den südlichen Bereichen zurück. Dies ist die Geschichte, wie Vindhya durch Agastyas Macht davon abgehalten wurde, sich immer weiter auszudehnen. Doch nun höre weiter, oh König, wie die Götter die Kalakeyas besiegten, nachdem sie Agastya um Hilfe baten.

Nachdem Agastya die Worte der Sura-Götter vernommen hatte, sprach der Sohn von Mitra und Varuna zu ihnen:
Warum seid ihr gekommen? Welche Gunst erbittet ihr von mir?

Die Gottheiten antworteten dem Heiligen: Um folgende Tat bitten wir dich: Leere den Ozean, oh Großer. Dann werden wir in der Lage sein, unsere Feinde zu schlagen, die Kalakeyas mit all ihren Gefolgsleuten.

Der Heilige sprach: So sei es. Ich werde tun, was ihr verlangt, denn das wird der Menschheit großes Glück bringen.

So gingen Agastya, die Sura-Götter und noch viele Weise, die reif an asketischer Buße waren, zum Ozean, dem Herrn der Flüsse. Viele Menschen und Schlangen, himmlische Sänger, Yakshas und Kinnaras folgten dem großen Heiligen, denn sie wollten das wunderbare Ereignis mit ansehen. Der Zug kam bald zum Meer, welches laut tobte und brüllte, die Wogen vom Wind angetrieben. Lachend tanzte der Schaum am Ufer und brach sich in den Höhlen. In seinen Wassern tummelten sich Haie und viele andere Arten von Fischen, und über der riesigen Wasserwüste segelten Scharen von Meeresvögeln.
 
Mahabharat Buch 3.105

Agastya trinkt das Meer aus

Lomasa fuhr fort: Nun sprach der Sohn des Varuna (Gott des Meeres) zu den versammelten Göttern und Heiligen:
Ich werde nun den Ozean austrinken, die Heimat des Herrn der Wasser. Dann beeilt euch, euren Teil zu vollbringen.

Nur diese wenigen Worte kamen über seine Lippen, und fest entschlossen begann er das Meer auszutrinken, während die ganze Welt ihm dabei zuschaute. Völlig verwundert beobachteten ihn auch die Götter und begannen ihn zu preisen:
Du bist unser Beschützer, die Vorsehung für die Menschen, und sogar der Schöpfer der Welten. Durch deine Gunst kann das Universum nebst den Göttern vor der Katastrophe bewahrt werden.

Die Götter lobten ihn, die himmlischen Musiker spielten, die Himmelschöre sangen, und es regnete Blumen für ihn vom Himmel. Und der Große trocknete den weiten Ozean völlig aus. Die himmlischen Heerscharen freuten sich darüber sehr, nahmen ihre auserlesenen Waffen auf und stürmten mit mutigen Herzen zum Angriff auf die Asura-Götter. Mit großer Stärke, lautem Gebrüll, schnell und unwiderstehlich erfolgte der Angriff der großen Götter. Grölend und heftig versuchten die Asura-Götter einen wilden Kampf, doch sie waren bereits (vor diesem Kampf) von der Kraft der Buße der Heiligen verbrannt, die sich selbst besiegt hatten.

Deshalb fielen die Asura-Götter schließlich unter den Schlägen der Sura-Götter, obwohl sie sich bis zum Äußersten verteidigten. Und ihre mit Broschen, Armreifen und Ohrringen aus purem Gold geschmückten Körper sahen noch im Tode so wunderschön aus wie ein blühender Palasa Baum. Nur wenige der Kalakeyas überlebten die Schlacht. Sie rissen die Göttin Erde entzwei und flohen in den tiefsten Grund der niederen Bereiche. Nach ihrem Sieg verherrlichten die Sura-Götter den mächtigen Weisen Agastya und lobten:

Oh du Mächtiger, durch dein Wohlwollen erhielten die Menschen einen großen Segen, und deine Macht besiegte die unbarmherzigen Kalakeyas. Oh Schöpfer der Wesen, fülle nun wieder das Meer, du Mächtiger. Gib das Wasser wieder frei, welches du getrunken hast.
Doch Agastya antwortete: Ich habe das Wasser bereits verdaut. Wenn ihr den Ozean wieder füllen wollt, müßt ihr ein anderes Mittel bedenken.

Nach diesen Worten des mächtigen Heiligen mit der reifen Seele überkam die Sura-Götter sowohl Erstaunen als auch Traurigkeit. Sie verabschiedeten sich voneinander, verbeugten sich vor dem mächtigen Heiligen, und auch alle geborenen Wesen gingen ihrer Wege. Die Sura-Götter nebst Vishnu begaben sich zu Brahma und berieten sich mit gefalteten Händen, wie das Meer wieder aufgefüllt werden könne.
 
Mahabharat Buch 3.106

Shiva erscheint vor König Sagar um seine Yoga-Praxis zu belohnen


Lomasa sprach: Schließlich sprach Brahmaa, der Große Vater der Menschheit (das erste bedingte Lebewesen im Universum), zu den versammelten Sura-Göttern:
Geht nur, wohin euch das Vergnügen oder eure Wünsche führen mögen, ihr Götter. Die Zeit wird einen langen Weg gehen müssen, bis der Ozean wieder den gewünschten Zustand annehmen wird. Die Gelegenheit dazu werden die männlichen Vorfahren des großen Königs Bhagirath liefern.
So gingen die Götter ihrer Wege und warteten.

Da fragte Yudhishthir: Was war der Anlaß, oh großer Heiliger? Wie kamen die Vorfahren des Bhagirath dazu? Und wie wurde der Ozean wieder mit Wasser gefüllt? Oh Heiliger, der du deine spirituelle Praxis als deinen einzigen Schatz ansiehst, oh du aus der Priesterkaste, ich wünsche alle Einzelheiten der Errungenschaften des Königs Bhagirath hören, wie du sie mir erzählst.

So begann Lomasa die Geschichte der Taten des hochbeseelten Königs Sagar zu erzählen und sprach:
In der Familie des Ikshvaku ward einst ein irdischer Herrscher namens Sagar geboren, den bezaubernde Schönheit und große Kraft auszeichneten. Er verwüstete die Ländereien der Haihayas und Talajanghas, brachte deren ganze militärische Kaste unter seine Herrschaft und regierte sein eigenes Königreich vorzüglich. Er hatte zwei Ehefrauen, die mit stolzer Schönheit und Jugend gesegnet waren: eine Prinzessin aus dem Vidharba Geschlecht und eine aus der königlichen Linie des Sivi. Dennoch hatte der König dieses ehrfurchtgebietenden Geschlechts noch keine Söhne, oh Nachfahre des Bharata.

So begab er sich mit seinen beiden Gemahlinnen zum Berge Kailash, ... und widmete sich äußerst harter asketischer Buße, weil er Söhne haben wollte. Er war strikt enthaltsam und versenkte sich in kontemplativen Yoga. So schaute er bald den großzügigen Gott mit den drei Augen, diesen Vernichter der Stadt der Asura-Götter, namens Tripura, den segenspendenden Gott, den ewig Existenten, den Herrschenden, den Träger des Pinaka Bogens und des Dreizacks, die Ruhestätte des ewigen Friedens, den Herrscher alles Furchtbaren, welcher jede Gestalt annehmen konnte und den Herrn der Göttin Uma. Als König Sagar den Wünsche gewährenden Gott schaute, fiel er ihm nebst seinen beiden Gattinnen zu Füßen und sprach ein Gebet für einen Sohn.

Und Shiva sprach zufrieden zu den gerechten Dreien:
Oh Herrscher der Menschen, die Stunde bedenkend, in der du mich um Söhne betest, gewähre ich dir sechzigtausend starke, überaus stolze und mutige Söhne, welche eine deiner beiden Ehefrauen zur Welt bringen wird. Doch sie alle werden zusammen vergehen. Deine andere Gemahlin wird einen einzigen kämpferischen Sohn gebären, der dein Geschlecht fortführen wird.

Dann verschwand Gott Rudra, und König Sagar kehrte fröhlichen Herzens in seine Heimatstatt zurück. Und schon bald wurden seinen beiden Ehefrauen schwanger. Die Prinzessin von Vidarbha brachte nach angemessener Zeit eine Art Kürbis zur Welt. Und die Prinzessin von Sivi gebar einen göttlich schönen Knaben. Als der Herrscher der Erde den Kürbis wegwerfen wollte, vernahm er eine Stimme aus dem Himmel, welche ernst und feierlich verkündete:

Oh König, mach dich keiner vorschnellen Tat schuldig und gib deine Söhne nicht auf. Nimm die Samen aus dem Kürbis und leg sie in dampfende Töpfchen, die mit geklärter Butter gefüllt sind. Schon bald wirst du sechzigtausend Söhne bekommen, wie es der große Gott bestimmt hat. Wende daher deinen Geist nicht von ihnen ab.
 
Mahabharat Buch 3.107

Ansuman der Enkel Königs Sagara erreicht den Gust Kapila Munis
um seine Onkeln wieder zu beleben

Ansuman -
Nachsicht, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit



Lomasa fuhr fort: Da vertraute Sagar der Stimme aus dem Himmel und tat alles wie geheißen. Jeden Samen legte er in ein extra Gefäß mit geklärter Butter und stellte für jeden Sohn eine Amme an. Nach langer Zeit erhoben sich durch Rudras Gnade sechzigtausend überaus kräftige Söhne für den heiligen König Sagar. Sie waren fürchterlich und ihre Taten unbarmherzig. Sie konnten sich in den Himmel erheben und dort umherwandern. Ihre große Anzahl und Stärke ließ sie alles verachten, sogar die Götter. Immer waren sie zum Kampf aufgelegt und jagten in ihrem Stolz die Sura-Götter, Gandharvas, Rakshasas und all die anderen geborenen Wesen umher. Die von Sagaras Söhnen schwer geplagten Menschen vereinten sich mit den Göttern und suchten bei Brahmaa Zuflucht.

Zu ihnen sprach der Große Vater: Geht nur alle eurer Wege, denn in nicht allzu langer Zeit wird Sagaras Söhne die große und höchst schreckliche Vernichtung treffen, welche sie durch ihre Taten herbeiführen.

Nach einiger Zeit nahm König Sagar die Weihe an, um die Riten in einem Pferdeopfer durchzuführen. Das Pferd wanderte frei umher und wurde von seinen Söhnen bewacht. Doch als das Pferd zum Ozean kam, der so ohne Wasser gräßlich anzusehen war, verschwand es plötzlich, obwohl alle sorgsam aufgepaßt hatten. So nahmen die Söhne Sagaras an, daß jemand es gestohlen hatte, kehrten zu ihrem Vater heim und berichteten von dem Diebstahl und Verschwinden des Pferdes. Und ihr Vater befahl ihnen:
So geht und sucht das Pferd in allen Himmelsrichtungen.

Was seine Söhne gründlich taten. Kein Fleckchen der Erdoberfläche blieb unbesehen, doch alle sechzigtausend Söhne konnten gemeinsam weder Pferd noch Dieb ausfindig machen. Mit gefalteten Händen kamen sie wieder heim und sprachen zu ihrem Vater:
Oh Beschützer der Menschen, Herrscher der Erde, oh König, auf dein Geheiß durchsuchten wir die ganze Erde mit ihren Bergen und Wäldern, Seen und Inseln, Flüssen, Bächen und Höhlen. Doch nirgends konnten wir das Pferd oder den finden, der es gestohlen hat.

Da wurde König Sagar sehr wütend und vom Schicksal getrieben sprach er:
Geht fort! Möget ihr nicht noch einmal (erfolglos) heimkehren! Sucht erneut nach dem Pferd. Und kommt mir ohne es nicht zurück!

Seine Söhne gehorchten, und die Suche begann erneut. Diesmal entdeckten die Helden einen Riß in der Erdoberfläche, in dem sie gruben. Mit Spaten und Spitzhacke höhlten sie die Spalte immer weiter aus und gruben sich mit größter Anstrengung unter dem Meeresboden entlang. Doch das Graben und Wühlen, Reißen und Scharren von allen Seiten quälte das Reich Varunas sehr. Die Rakshasas, Asuras, Schlangen und anderen Tiere schrien vor Schmerz, als die vereinten Söhne Sagaras viele von ihnen beim Graben töteten. Überall sah man hunderte und tausende von toten Tierkörpern, abgetrennten Köpfen oder Rümpfen, zerrissenen Fellen oder gebrochenen Knochen.

Lange gruben die zornvollen Söhne Sagaras sich in die Tiefe vor, doch das Pferd konnten sie nicht finden. Doch dann, in nordöstlicher Richtung des Ozeans, als die Söhne Sagaras die niederen Welten erreicht hatten, erblickten sie endlich das Pferd frei laufend auf einer weiten Ebene. Auch erblickten sie den großen und strahlenden Kapila, der so hell wie ein großes Feuer glänzte. Der Anblick des Pferdes erregte sie freudig, doch ihr angeborener Zorn ließ sie den strahlenden Kapila mißachten. Vom Schicksal getrieben rannten sie an ihm vorbei, um das Pferd einzufangen.

Da richtete der gerechte Kapila, den die großen Weisen auch Vasudeva nennen, nur einen zornigen Blick auf die Söhne des Sagar und verbrannte die stumpfe Schar in einer einzigen Flamme. Der große Asket Narada schaute die übriggebliebene Asche, ging zu König Sagar und erzählte ihm, was geschehen war. Die furchtbare Nachricht ließ den König sehr traurig werden, und er erinnerte sich an die Worte Shivas. Dann schickte er nach seinem Enkelsohn Ansuman, den Sohn von Asamanjas, und sprach zu ihm:

Meine sechzigtausend unermeßlich starken Söhne forderten Kapilas Zorn heraus und trafen wegen mir auf ihren Tod. Oh mein Junge mit dem makellosen Charakter, deinen Vater mußte ich verbannen, um meine Pflichten als König zu erfüllen und weil ich meinen Untertanen helfen wollte.

Da fragte Yudhishthira: Oh Heiliger, dessen einziger Reichtum in der religiösen Praxis besteht, erklär mir, aus welchem Grund hat der heldenhafte Sagar seinen eigenen Sohn verbannt, wo diese Tat so schwer ist?

Lomasa antwortete: Die Prinzessin von Sivi hatte einen Sohn zur Welt gebracht, der Asamanjas genannt wurde. Ihm gefiel es, die kleinen und schwachen Kinder der Bürger an der Kehle zu packen und die gellend Schreienden in den Fluß zu werfen. Von Angst und Grauen gepackt versammelten sich die Bürger und flehten mit gefalteten Händen König Sagar an:
Oh großer König, du bist unser Schutz vor allen drohenden Gefahren aus feindlichen Attacken. Darum ist es angemessen, dich um die Abwendung der gräßlichen Gefahr zu bitten, die von deinem Sohn Asamanjas kommt.

Lange sann da König Sagar traurig nach und sprach dann zu seinen Ministern:
Mein Sohn Asamanjas soll von heute aus der Stadt verbannt sein. Wenn ihr meinen Wünschen Folge leisten wollt, dann führt diesen Befehl schnell aus.
Und die Minister handelten zügig nach den Worten des Königs. Dies war der Grund, warum König Sagar seinen eigenen Sohn fortschickte. Er wünschte das Wohl seiner Bürger. Doch höre nun, was Sagar noch zu seinem Enkel sprach.

Er sagte:
Oh mein Junge, mein Herz ist wund, weil ich deinen Vater verbannen mußte, meine anderen Söhne tot sind und niemand Erfolg hatte, das Opferpferd wiederzubringen. Oh mein Enkelsohn, mich verfolgen Trauer und Verdammnis, weil die Ausführung meiner religiösen Riten verhindert ist. Mögest du das Pferd zurückbringen und mich von dieser Hölle befreien.

So ritt Ansuman mit schwerem Herzen zu dem ausgehöhlten Spalt in der Erde und begab sich durch die Passage in die Tiefe des Meeres. Dort schaute er den ruhmreichen Kapila und das Pferd. Er beugte sein Haupt vor dem gerechten und strahlenden Heiligen bis zum Boden und erzählte ihm den Grund seines Besuchs. Dies Betragen freute Kapila sehr, und der Heilige mit der tugendhaften Seele bot dem Jüngling seine Gunst an. Dieser bat als erstes um das Pferd, damit sein Vater das Opfer weiterführen konnte. Und als zweites bat er um die Reinigung seiner Väter (eigtl. Onkel, die verstorbenen sechzigtausend Söhne Sagaras). Da sprach der mächtige Heilige Kapila zu ihm:

Ich werde dir alles gewähren, was du wünschst, oh Makelloser. Möge dir Gutes geschehen. In dir sind Nachsicht, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit fest verankert. Durch dich werden Sagaras Wünsche erfüllt, und so bist du deinem Vater ein wahrhafter Sohn. Durch dich werden die Söhne Sagaras (gereinigt) in den Himmel eingehen. Dazu wird der Sohn deines Sohnes die Gunst des Gottes Shiva gewinnen und die Ganga, welche in drei Strömen fließt, zur Erde herabbringen. Möge ein gutes Schicksal dein sein. Nimm nun das Opferpferd mit dir, mein Junge, und beende die Opferriten des großen Sagar.

Ansuman tat, wie ihm geheißen, und erreichte schon bald den Opferplatz des hochbeseelten Sagar. Dort fiel er seinem Großvater zu Füßen und erzählte ihm alles, was geschehen war, während sein Großvater liebkosend über seinem Scheitel atmete. Als jener vernahm, daß das Opferpferd wieder da war, hörte er auf zu trauern und lobte und ehrte seinen Enkelsohn. Dann beendete er das Opfer, wurde ehrend von allen Göttern gegrüßt und nahm das Meer, das Reich Varunas, an Sohnes statt an. Nachdem der lotusäugige Sagar sein Reich lange regiert hatte, setzte er seinen Enkelsohn mit aller Verantwortung auf den Thron und stieg in den Himmel auf.

Ansuman mit der tugendhaften Seele folgte den Fußspuren seines Großvaters und herrschte über das Reich bis zum Ufer des Meeres. Sein Sohn war der tugendhafte Dilipa, und nachdem Ansuman ihm alle Pflichten eines Herrschers übergeben hatte, verließ auch Ansuman sein Leben. Dilipa wußte natürlich um das Schicksal seiner Vorfahren und war darob zutiefst bekümmert. Beständig dachte er darüber nach, wie er die Söhne Sagaras in den Himmel aufsteigen lassen konnte, und unternahm viele Mühen, die Ganga herabzubringen. Doch obwohl er alles ihm Mögliche versuchte, gelang ihm nicht, was er so sehnlich erwünschte. Ihm wurde ein Sohn mit Namen Bhagirath geboren, der schön war, einem tugendhaften Leben zugetan, wahrhaft und frei von allen bösartigen Gefühlen. Dilipa ernannte ihn zum König und widmete sich einem Leben im Walde. Er folgte dem verdienstvollen Pfad der Enthaltsamkeit und ging am Ende seiner Zeit in den Himmel ein.
 
Mahabharat Buch 3.108

Bhagirath übt Askese, dass die himmlische Ganga auf der Erde herabkommt

Lomasa fuhr fort: Bhagirath wurde ein mächtiger König. Mit seinem kraftvollen Bogen und dem gewaltigen Streitwagen stand er an der Spitze der ihm nachfolgenden Könige und wurde zum Entzücken von Augen und Seele der Welten. Doch als der Starkarmige davon erfuhr, daß es seinen Vorfahren nicht gegönnt war, in die himmlisch-göttlichen Regionen aufzusteigen, da übergab er mit betrübtem Herzen alle königlichen Pflichten an seine Minister und ging zur schneebedeckten Flanke des Himalaya, um Buße zu üben. Er war entschlossen, durch ein enthaltsames Leben seine Sünden auszulöschen und damit das Wohlwollen der Göttin Ganga zu gewinnen. ...

Die Elefanten aus allen Himmelsrichtungen hatten ihre Stoßzähne überall an den Bäumen gescheuert, und die Vydyadharas-Halbgötter spazierten über die Berge. ... Und er widmete sich der lobenswerte, schweren und enthaltsamen Leben. Für tausend Jahre lebte er nur von Wasser, Früchten und Wurzeln. Nach dieser langen Zeit manifestierte die im Himmel fließende große Ganga ihr göttliches Selbst, und zeigte sich dem König in körperlicher Gestalt.

Und Ganga sprach: Oh großer König, was begehrst du von mir? Welchen Segen soll ich dir geben? Sag es mir, du lobenswerter Mensch. Ich werde tun, worum du mich bittest.

Da antwortete der König der Tochter des Himalaya: Oh du Segenspendende, du großer Fluß-Göttin, meine Vorfahren wurden von Kapila ins Reich des Todesgottes gesandt, als sie nach dem Opferpferd suchten. Als diese mächtigen sechzigtausend Söhne des Sagar auf den majestätischen Kapila trafen, vergingen sie in nur einem Augenblick. Doch nun gibt es keinen Platz für sie im Himmel. Denn solange du, große Göttin, nicht ihre Asche mit deinem Wasser benetzt, gibt es keine Erlösung für Sagaras Söhne. Oh gesegneter Strom, trage du meine Vorfahren in die himmlischen Bereiche. Für sie flehe ich um deine Gunst, oh Göttin.

Die in allen Welten geehrte Ganga freute sich über die Worte des Königs und sprach:
Oh Bhagirath, ich bin bereit zu tun, worum du mich bittest. Daran gibt es keinen Zweifel. Doch wenn ich vom Himmel auf die Erde herabkomme, wird die Macht meines Aufpralls schwer zu ertragen sein. Nun, oh Beschützer der Menschen, in allen drei Welten gibt es niemanden außer Shiva, diesen höchst lobenswerten Gott mit der dunkelblauen Kehle, der diesen Aufprall ertragen könnte. Oh König mit den starken Armen, gewinne mit deiner Enthaltsamkeit die Gunst des segengewährenden Shiva. Er wird meinen Fall mit seinem Haupt lindern und dir den Wunsch erfüllen, deinen Vorfahren zu dienen.

So begab sich der große König zum Berge Kailash und unterwarf sich weiterer schwerer Buße. Nach langer Zeit zeigte sich Shiva gnädig und gewährte ihm den segensvollen Wunsch, mit seinem Haupt die Herabkunft der Ganga aufzufangen.
 
Mahabharat Buch 3.109

Die Niederkunft der Ganga

Lomasa erzählte weiter: Der gesegnete Gott hörte die Bitte Bhagirathas, und mit dem Wunsch, den Himmlischen Gutes zu tun, antwortete er:
So sei es. Oh gerechter Beschützer der Menschen, du starkarmiger König, ich werde den Fluß der Götter auffangen, wenn sich die Reine, Gesegnete und Göttliche vom Himmel herabläßt.

Shiva erschien vor dem schneebedeckten Berg mit all seinen Gefolgsleuten, die ernste Mienen trugen und ihre Waffen allseits bereit hielten. Dann sprach er erneut zu Bhagiratha: Nun, mächtiger Prinz, bitte jetzt die lobenswerte Tochter des Königs der Berge. Ich werde ihre Herabkunft abfangen, wenn sie vom Himmel, dem dritten Bereich der Welt, hinabfällt.

Nach diesen Worten Shivas fühlte Bhagiratha eine Innigkeit im Herzen, mit der er seine tiefste Verehrung zum Ausdruck brachte und sich in Gedanken an die Ganga wandte. Da sah die entzückende Ganga, wie der große Shiva bereitstand, und kam ganz plötzlich herabgestürzt. Sogleich versammelten sich die Götter, mächtigen Weisen, Gandharvas, Naga-Schlangen und Yakshas und beobachteten das Ereignis. Die Strudel der Ganga wüteten heftig, und ihre Wasser schäumten vor wimmelnden Fischen, Krokodilen und Haien. Und Shiva empfing sie mit seinem Haupt. Eben noch glich sie einem Gürtel im Himmel, und nun schäumten ihre Wasser wie eine Perlenkette auf seiner breiten Stirn.

Dann nahm sie ihren Kurs zum Meer und teilte sie sich in drei Ströme. Ihre Wasser waren mit hohem Schaum bedeckt, so daß es schien, im Himmel zogen Reihen von weißen Gänsen dahin. Manchmal bewegte sich ihr Körper gewunden und krumm, und ihre Wasser stolperten und schäumten, als trüge eine betrunkene Frau ein weißes Kleid. An anderer Stelle donnerten die Wasser und ließen ihr lautes Gebrüll weithin hören. Sie nahm viele verschiedene Gestalten an, als sie aus dem Himmel stürzte und erreichte schließlich die Oberfläche der Erde. Dort sprach sie zu Bhagiratha: Nun, oh großer König, zeige mir den Weg, den ich nehmen soll. Oh Herr der Erde, um deinetwillen stieg ich zur Erde herab.

So zeigte ihr Bhagirath den Weg zum Meer, wo die Asche der mächtigen Söhne Sagaras lag, so daß die heiligen Wasser diese benetzen konnten. Der von den Menschen geehrte Shiva hatte seinen Teil der Aufgabe beendet und begab sich mit den Himmlischen zum vorzüglichen Berge Kailash zurück. Und Bhagirath gelangte mit der Ganga zum Ozean, dem Reich Varunas, welcher nun schnell wieder gefüllt wurde. Der König nahm die Ganga als Tochter an, und brachte mit zufriedenem Herzen seinen Ahnen das Wasseropfer dar. Endlich war sein Wunsch erfüllt worden.

Nun, oh Yudhishthir, habe ich dir die Geschichte der dreiarmigen Ganga erzählt, wie sie zur Erde herabgebracht wurde, um den Ozean aufzufüllen, den Agastya ausgetrunken hatte, um den Göttern zu helfen. Und ich habe dir auch erzählt, wie Vatapi, der Brahmanen-Mörder, vom mächtigen Weisen Agastya vernichtet wurde.
 
Mahabharat Buch 3.110-1

Die Pilgerreise geht weiter

Am Berg Hemakuta - Enthaltsamkeit und Zurückgezogenheit

Vaisampayana sprach:
Nun begab sich der Sohn der Kunti langsamen Schrittes zu den beiden Flüssen Nanda und Apara-nanda, welche über die Tugend verfügten, die Angst vor Sünde zu vernichten. Als der Beschützer der Menschen den heilsamen Berg Hemakuta erreichte, bemerkte er dort eine Anzahl seltsamer und unfaßbarer Dinge. Ein ausgesprochenes Wort verursachte das Zusammenballen der Wolken und Steinhagel. Wenn Menschen den Berg anschauten, wurden sie traurig und konnte ihn nicht besteigen. Die Winde bliesen dauernd, der Himmel schüttete ständig Regen aus, und überall war das Rezitieren von heiligen Geboten zu hören, doch kein Körper war zu sehen. Abends und morgens zeigte sich das gesegnete Feuer, welches die Opfergaben zu den Göttern trug. Doch Fliegen bissen beständig und unterbrachen damit die Ausübung der Buße. Eine tiefe Traurigkeit überkam die Seele nach einer Weile, und die Menschen wurden krank. Da befragte der Sohn des Pandu Lomasa nach diesen seltsamen Vorfällen.

Und Lomasa antwortete ihm: Oh Feindebezwinger, ich werde dir erzählen, was ich dazu vernommen habe. Lausche mit aufmerksamem Geist. Einst lebte auf diesem Gipfel des Rishava ein Heiliger, der auch diesen Namen trug. Sein Leben dauerte viele hundert Jahre lang, in dem er sich ganz und gar der Enthaltsamkeit widmete, aber gleichzeitig schnell erzürnbar war. Und wohl aus dem Grund, daß andere hier an diesem Ort unerwünscht zu ihm gesprochen hatten, wandte er sich zornig an der Berg und befahl ihm:
Wer auch immer hier ein Wort ausspricht, auf den sollst du Steine werfen. Und du sollst die Winde rufen, damit sie ihn davon abhalten, irgendein Geräusch zu machen.

Das waren die Worte, die der Heilige sprach. Und deswegen wird hier jedes Wort vom Brüllen der Wolken übertönt. Doch noch mehr Dinge verbot der Heilige aus Zorn. Die Überlieferung sagt, daß einst, als die Götter nach Nanda kamen, urplötzlich auch Menschen hier erschienen, welche die Götter schauen wollten. Doch die Götter mit Indra wollten nicht gesehen werden, und so machten sie den Ort schwer erreichbar mit Hindernissen in Form von Bergen. Seit dieser Zeit, oh Sohn der Kunti, können hier die Menschen nichts ansehen, was Bergen ähnelt, geschweige denn, sie erklimmen. Dieser große Berg kann von niemandem gesehen oder bestiegen werden, der kein enthaltsames Leben führt.

So beherrsche deine Zunge, oh Sohn der Kunti. Die Götter führten hier große Opferriten durch, deren Zeichen bis heute zu sehen sind. So gleicht dieses Gras hier dem heiligen Kusha Gras, und der Boden scheint damit übersät zu sein. Viele Bäume sehen wie Opferpfähle aus, an denen die Opfertiere angepflockt waren. Die Götter und Heiligen leben immer noch hier. Ihre Opferfeuer kann man morgens und abends sehen. Wer hier badet, dessen Sünden sind unverzüglich vernichtet. So führe mit deinen Brüdern deine Waschungen durch, oh Bester des Kuru Geschlechts. Wenn du dich in Nanda gewaschen hast, dann gehen wir zum Fluß Kausiki, den Ort, an dem Vishvamitra die schwerste und beste Form der Askese übte.

So reinigten der König und seine Begleiter ihre Körper im Wasser der Nanda, und wanderten weiter zum Fluß Kausiki mit seinem reinen, angenehmen und kühlen Wasser.
 
Mahabharat Buch 3.110-2

Die Geburt von Rishyasring und der Beginn der Dürre im Lande Anga

Hier sprach Lomasa: Dies ist die reine und göttliche Kausiki, oh Anführer des Bharata Stammes. Und dort ist die entzückende Einsiedelei des Vishvamitra deutlich sichtbar. Dies ist die heilige Einsiedelei des Kasyapa mit der großen Seele, dessen Enkel Rishyasring der Buße hingegeben war und seine Leidenschaften unter Kontrolle hatte. Durch die Kraft seine Buße ließ er Indra Regen spenden. Ja, dieser göttliche Vernichter der Asura-Götter Bala und Vritra respektierte ihn sehr und schickte Regen nach langer Dürre. Dies war ein großes Wunder im Land des Lomapad. Und als das Getreide wieder wuchs, gab König Lomapad dem Rishyasring seine Tochter Santa zur Ehefrau, wie der Sonnengott seine Tochter Savitri verheiratete.

Yudhishthira fragte: Wie kam es, daß Rishya-sring, der Enkelsohn Kasyapas, von einer Hirschkuh geboren wurde? Und warum war er heilig, obwohl er das Ergebnis einer tadelnswerten sexuellen Verbindung war? Wieso respektierte Indra den scharfsinnigen Jungen, und schüttete Regen über einem trockenen Land aus? War die reine Prinzessin Santa wirklich so schön, daß sie das Herz dessen bezaubern konnte, der von einer Hirschkuh geboren wurde? Es wird auch gesagt, daß König Lomapad ein tugendhafter Weiser war. Aus welchem Grund hielt Indra den Regen in seinem Land zurück? Oh Heiliger, bitte erklär mir all das ganz genau, denn ich möchte alles über die Taten von Rishyasring erfahren.

Lomasa antwortete: So vernimm denn, wie Rishyasring mit dem gefürchteten Namen dem Vibhandaka als Sohn geboren wurde, der ein Heiliger in der Brahmanen-Klasse war, seine Seele mittels Enthaltsamkeit gezügelt hatte, dessen Samen niemals fehlte, seine Familie fortzuführen und der gelehrt und strahlend war wie der Herr der Wesen. Sein Vater war hochgeehrt, und der Sohn verfügte ebenfalls über einen mächtigen Geist. Bereits als Jüngling gewann er die Achtung der Altehrwürdigen.

Eines Tages wanderte Vibhandaka, der Sohn Kasyapas, zu einem See und übte dort Buße. Für lange Zeit plagte sich der Göttergleiche. Als er einmal seinen Mund im See ausspülte, da erblickte er die himmlische Nymphe Urvasi, und sein Samen schoß aus ihm heraus ins Wasser. Eine Hirschkuh, die auch zum See gekommen war, trank durstig das Wasser mitsamt dem Samen und wurde schwanger. Sie war einst eine Tochter der Götter, und vor langer, langer Zeit hatte Brahma zu ihr gesprochen:
Du wirst eine Hirschkuh sein und in dieser Gestalt einen Heiligen gebären. Dies wird dich befreien.

Und weil es das Schicksal so fügte, und das Wort des Schöpfers niemals unwahr ist, gebar die Hirschkuh dem Vibhandaka einen heiligen Sohn. Dieser Rishyasring war immer der Buße zugetan und verbrachte seine Tage im Wald. Er trug ein Horn auf seiner Stirn und bekam daher den Namen Rishyasring. Außer seinem Vater bekam ihn in dieser Wildnis niemand zu Gesicht, und so war sein Geist vollkommen den Pflichten eines keuschen und enthaltsamen Lebens zugetan.

Zu dieser Zeit lebte im Lande Anga ein Herrscher namens Lomapad, der ein Freund Dasarathas war. Doch aus Anhänglichkeit zum Vergnügen war er einst unaufrichtig zu einem Brahmanen gewesen, und so mied ihn die ganze Priesterkaste. So hatte er auch keinen Priester im Palast, und Indra nahm davon Abstand, seinem Land Regen zu senden. Das Volk litt sehr unter der Dürre und König Lomapad befragte viele enthaltsame, fähige und gelehrte Brahmanen, wie der Himmel wieder Regen gewähren könnte.

Und einer von ihnen, der Beste, sagte: Oh König, die Brahmanen zürnen mit dir. Tue etwas, um sie zu besänftigen. Und dann hole Rishyasring zu dir, den Sohn eines Heiligen, der im Walde lebt. Er weiß nichts von weiblicher Erotik und Lust und hat stets die Heiterkeit der Einfalt. Wenn er, der in der Übung der Enthaltsamkeit aufgewachsen ist, dein Land betritt, werden die Himmel wieder Regen gewähren. Daran besteht kein Zweifel.

So entschuldigte sich der König für seine Sünden und besänftigte die Brahmanen. Er ging zu ihnen, und kam erst zurück, als sie besänftigt waren. So war auch sein Volk wieder glücklich, als er nach Hause kam. Dann beriet er sich mit seinen Ministern, doch es war äußerst schwer, einen geeigneten Plan zu ersinnen, Rishyasring zu sich zu bringen. Doch schließlich wurde mit den gelehrten und erfahrenen Ministern beschlossen, eine Schar gerissener Freudenmädchen zu rufen.

Als jene vor dem König erschienen, sprach der Herrscher zu ihnen:
Ihr lieblichen Mädchen und Frauen, ihr müßt einen Weg finden, Rishyasring, den Sohn eines Heiligen zu verzaubern und sein Vertrauen zu gewinnen. Dann mögt ihr ihn zu mir bringen.

Doch die Mädchen ließen traurig und verloren die Köpfe hängen, denn sie fürchteten sowohl den gräßlichen Fluch des asketischen Vaters von Rishyasring als auch den Zorn des Königs. Fast alle lehnten den Auftrag ab, weil dessen Ausführung nicht in ihrer Macht stünde.

Nur eine alte und ergraute Dame sprach zum König:
Ich werde versuchen, den einen, dessen ganzer Reichtum einzig und allein in Askese besteht, zu dir zu bringen. Doch du mußt mir einiges dafür zur Verfügung stellen, denn ich habe einen Plan. Wenn du das tust, mag ich erfolgreich sein.

So gab der König den Befehl, daß ihr alles, gebracht werden sollte, wonach sie bat. Auch gab er ihr Reichtum und Juwelen vielerlei Art. Und die Alte nahm eine Schar junger und schöner Mädchen mit sich und begab sich ohne Verzögerungen in den Wald.
 
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Mahabharat Buch 3.111

Verführung eines meditierenden Asketen ist eine große Sünde

Lomasa erzählte weiter:
Zuvor ließ sie mit Zustimmung des Königs eine schwimmende Einsiedelei bauen, welche mit künstlichen Bäume, vielen Blumen und Früchten ausgestattet war. Auch Kletterpflanzen und Büsche schmiegten sich in das entzückende Bild, und alles war hübsch und zauberhaft. Auf dem Fluß trieben sie zur Einsiedelei von Kasyapas Sohn und vertäuten unweit davon das Boot. Dann sandte die Alte Boten aus, die Ort und Zeit erkunden sollten, wann der Vater regelmäßig ausging. Bald ergab sich eine Gelegenheit, welche ihrem Plan entsprach und sie sandte ihre Tochter aus, welche eine Kurtisane war und klugen Sinnes. Das schlaue Töchterchen umschritt die Einsiedelei der Asketen, bis sie den Sohn des Heiligen entdeckte.

Und die Kurtisane sprach zu ihm:
Ich hoffe, oh Asket, daß mit den religiösen Anhängern alles in Ordnung ist. Ich hoffe auch, du hast genügend Früchte und Wurzeln und erfreust dich an deiner Wohnstätte. Ich kam nur vorbei, um dir einen Besuch abzustatten. Entfaltet sich auch die Praxis der Buße unter den Asketen in vermehrendem Maße? Ich hoffe auch, der Geist deines Vaters ist kraftvoll und zufrieden mit dir. Oh Rishyasring aus der Priesterkaste, verfolgst du auch deine Studien in angemessener Weise?

Rishyasring antwortete:
Du strahlst in einem Glanz, als ob du reines Licht wärst. Ich erachte dich der Gehorsamkeit für würdig. Ich werde dir Wasser bringen zum Waschen der Füße, und leckere Früchte, die du bestimmt gern magst, denn dies hat mich meine Dharma gelehrt. Bitte setz dich nieder und fühl dich wohl auf dieser Matte aus heiligem Gras, die mit schwarzem Hirschfell bedeckt und daher bequem ist. Wo ist deine Einsiedelei? Oh Brahmane, dein Gesicht gleicht einem Gott. Wie heißt das spezielle religiöse Gelübde, dem du gerade zu folgen scheinst?

Die Kurtisane antwortete:
Oh Enkelsohn des Kasyapa, auf der anderen Seite des Hügels in etwa drei Yojanas Entfernung liegt meine Einsiedelei. Es ist ein malerischer Ort. Und auf jede Ehre zu verzichten, ist das Gelübde, das mir das Schicksal dort gegeben hat. So werde ich auch dies Wasser zum Waschen meiner Füße nicht berühren. Denn ich bin der Verehrung von Menschen wie dir nicht würdig. Oh Brahmane, meine religiösen Gelübde verlangen nur eins, nämlich daß ich dich umarmen muß.

Doch Rishyasring erwiderte:
Oh laß mich dir süße und reife Früchte bringen, wie Gallnüsse, Kirschpflaumen, Karushas, Ingudas aus sandiger Erde und Feigen. Mögen sie dir schmecken.

Doch sie lehnte alles Eßbare ab, und gab ihm ihrerseits Nahrung, die für einen Asketen zwar ungeeignet war, doch für Rishyasring wunderschön ausschaute und ihm gefiel. Auch reichte sie ihm schwer und süß duftende Blumenkränze, schöne und schimmernde Kleidung und vorzüglichen Trunk. Dann lachte und spielte sie vor ihm voller Vergnügen und biegsam wie eine Gerte mit einem Ball. Manchmal berührte sie ihn und nahm ihn in die Arme. Oder sie zog die Zweige von blühenden Bäumen zu sich herab, brach sie und überreichte ihm die Sal-, Asoka- und Tilaka- Blüten. Auch tat sie schüchtern und versuchte alles, um den Sohn des großen Asketen zu verführen.

Als sie bemerkte, daß sie das Herz des Jungen berührt hatte, schmiegte sie ihren Körper an den seinen, warf ihm berauschte Blicke zu und zog sich dann langsam zurück unter dem Vorwand, daß sie nun dem Feuer opfern müsse. Nach ihrem Weggang wurde Rishyasring von Liebe überwältigt, und er war wie betäubt. Die Gedanken flogen ständig zu ihr, und er fühlte sich ganz leer. Er begann zu seufzen und sah sehr traurig aus, als sein Vater Vibhandaka heimkam. Dieser hatte dunkle Augen wie ein Löwe. Sein Körper war mit Haar bis zu den Fingerspitzen bedeckt. Immer war er mit den seiner Kaste angemessenen Studien beschäftigt, und sein Leben war rein und der religiösen Meditation gewidmet. Nun sah er seinen Sohn einsam sitzend, trübsinnig und traurig. Mit aufgewühltem Geist und nach oben gewandtem Blick seufzte er ein ums andere Mal.

So sprach der Vater zum Sohn:
Mein Junge, warum hast du heute nicht das Holz fürs Feuer gehackt? Ich hoffe, du hast die Gaben im Opferfeuer verbrannt, all die Opferkellen und Löffel poliert und das Kalb zur Mutter gebracht, deren Milch uns mit Opfergaben versorgt. Du bist heute gar nicht wie sonst. Warum bist du so traurig? Du bist nachdenklich und hast deinen Eifer verloren. Also frag ich dich, wer war heute hier?
 
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