Mahabharata

Mahabharata 1. Buch
Vidura-gamana Parva

208 - Dhritarashtras Entschluß und Viduras Reise nach Panchala

Dhritarashtra hatte alle Reden angehört und sprach:
Der gelehrte Bhishma, der ruhmreiche Drona und du, oh Vidura, ihr habt wahrhaft gesprochen und geraten, was für mich günstig ist. ... So eile dich, Vidura, und bring die Pandavas mit ihrer Mutter her. Behandle sie mit liebevoller Rücksichtnahme. Bring auch die himmlisch schöne Draupadi her. Wegen eines guten Schicksals sind Kunti und ihre Söhne am Leben. Wegen dieses glücklichen Schicksals haben sie Draupadi gewonnen. Nur aufgrund von gutem Schicksal hat sich unsere Kraft vermehrt, und Purochana ist vernichtet. Und wegen dieses glücklichen Schicksals, oh du Strahlender, ist mein großer Kummer verschwunden.

Vaisampayana fuhr fort:
Gerne reiste Vidura auf Geheiß seines Bruders zu Drupada und den Pandavas... Mit angemessenen Worten begrüßte der in den Regeln der Moral und allen Künsten zutiefst gelehrte Vidura König Drupada und schwieg dann höflich. Auch Drupada empfing Vidura wohlwollend, und gegenseitig erkundigten sie sich nach ihrem Befinden. Als Vidura die Pandavas und auch Krishna Vasudeva traf, da umarmte er sie liebevoll und sprach mit ihnen voller Zuneigung. Auch die Pandavas und Krishna grüßten den äußerst klugen Vidura voller Respekt. ...

Vidura sprach:
Höre, oh Monarch, ... König Dhritarashtra, seine Berater, Söhne und Freunde haben sich wiederholt und mit freudigem Herzen nach eurem Wohlergehen erkundigt. ... Das Bündnis mit dir macht uns glücklicher als das Erlangen eines neuen Königreiches. Nun, da du all dies weißt, gestatte den Pandavas die Rückkehr in das Königreich ihrer Vorfahren. ... Auch die Kuru Damen, alle Bürger und Diener möchten so gern Draupadi, die Prinzessin von Panchala, kennenlernen. Und ich meine, du solltest den Söhnen Pandus und ihrer Frau ohne zu Zögern den Abschied gestatten. Wenn du einverstanden bist, sende ich Dhritarashtra sogleich die Neuigkeit mit schnellen Boten. ...
 
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Rajyalabha Parva - Erhalt des Königreiches

Kapitel 209 - I
Übersiedlung nach Khandavaprastha

Drupadas Antwort
Da sprach Drupada zu Vidura: Es ist so, wie du Weiser sagst. Oh Verehrter, auch ich bin sehr glücklich über das Bündnis. Und es ist äußerst angemessen, daß diese Ruhmreichen in ihr väterliches Königreich zurückkehren sollten. Doch es ist nicht an mir, dies anzuordnen. Wenn die mutigen Söhne von Kunti, Yudhishthira, Bhima, Arjuna und die Zwillinge es selbst wünschen, und wenn Balarama und Krishna derselben Meinung sind, dann laß die Pandavas ziehen. Denn Balaram und Krishna, diese in den Geboten der Tugend gelehrten Tiger unter den Menschen, sind immer dem Wohle der Pandavas zugeneigt.

Höflich sprach da Yudhishthira: Mit all meinen jüngeren Brüdern bin ich hier und jetzt von dir abhängig, oh Monarch. Wir werden freudig tun, was du befiehlst.
Und Krishna meinte: Ich bin der Meinung, die Pandavas sollten gehen, wenn König Drupada zustimmt, der alle Regeln von Moral und Tugend kennt.

Und Drupada sprach: In Anbetracht aller Umstände stimme ich ganz und gar mit diesem Besten der Menschen, dem heldenhaften Krishna mit den starken Armen überein. Denn die ruhmreichen Söhne Pandus sind nun für mich, was sie zweifellos für Krishna-Vasudev sind. Nicht einmal Yudhishthir sucht das Wohl seiner Brüder so ernsthaft, wie es Krishna tut.

Zurück nach Hastinapura
Vaisampayana fuhr fort: So reisten die Pandavas mit Draupadi und ihrer berühmten Mutter Kunti mit Erlaubnis des ruhmreichen Drupada in die Stadt, welche nach dem Elefanten benannt ist. ... Und in alle Herzen zog Freude ein, als sie die Pandavas erblickten. So hörten die Pandavas bei ihrem langsamen Einmarsch so manchen lauten Jubelruf von ihren Wohlgesinnten. ... „Uns scheint, unser geliebter König Pandu kommt aus dem Walde zurück, um uns Gutes zu tun.“ Und manche jubelten: „Was kann uns Besseres geschehen, als daß die heldenhaften Söhne Kuntis in unsere Stadt zurückkommen? ...“

Endlich erreichten die Pandavas den Palast, ehrten die Füße Dhritarashtras und Bhishmas, und eines jeden, dem diese Ehre gebührte. Dann erkundigten sie sich nach dem Befinden aller anwesenden Bürger und betraten schließlich die Gemächer, die ihnen Dhritarashtra angewiesen hatte. Dort ruhten sie sich eine Weile aus und wurden dann wieder zu König Dhritarashtra und Bhishma gerufen.

Erhalt einer Hälfte des Königreiches
Und Dhritarashtra sprach zu Yudhishthira:
Höre, oh Sohn der Kunti mit deinen Brüdern, was ich sage. Begebt euch nach Khandavaprastha, so daß sich kein erneuter Zwist erhebe. Wenn ihr euch dort niederlaßt, dann wird euch niemand zu nahe treten. Herrscht ihr, von Arjuna beschützt, wie die Himmlischen vom Träger des Donners, über das halbe Königreich.

Vaisampayana sprach: Die Brüder waren mit den Worten Dhritarashtras einverstanden, ehrten den König und verließen Hastinapura. Sie waren mit der Hälfte des Reiches zufrieden und reisten nach Khandavaprastha, welches noch eine unerschlossene Wüstenei war. Als die Helden mit dem unvergänglichen Glanze dort von Krishna Vasudeva angeführt ankamen, verwandelten sie das Land und schufen einen zweiten Himmel.
 
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Kapitel 209 - II


Khandavaprastha

Mit Hilfe des inselgeborenen Vyasa wählten die mächtigen Wagenkrieger einen heiligen und glücksverheißenden Platz, führten dort versöhnende Riten durch und maßen ein Stück Land aus für ihre Stadt. Die Stadt erhob sich schon bald so weiß wie Wattewolken, mit einem Graben soweit wie das Meer und einer Mauer so hoch wie der Himmel. So leuchtend wie die Strahlen des Mondes glich diese vorzügliche Stadt der Hauptstadt der Nagas im unteren Königreich. Die Stadt schmückten palastartige Häuser und zahlreiche Tore, von denen jedes künstlerisch mit den ausgebreiteten Schwingen Garudas verziert war.

Und sie wurde durch Eingangstore beschützt, die so hoch wie der Mandara Berg und so massig wie Wolkenberge waren. Alles war mit zahllosen Waffen ausgestattet, so daß die Geschosse der Feinde ihnen nicht die kleinste Schramme versetzen konnten. Es gab ausreichend Pfeile und andere Geschosse wie doppelzüngige Schlangen. Die Gefechtstürme entlang der Stadtmauer waren mit trainierten und bewaffneten Männern gefüllt. Und die Mauern wurden auf ganzer Länge beständig von zahllosen Kriegern bewacht. Es gab tausende von scharfen Haken und Shatagnis (Waffen, die hundert Krieger töten konnten) und viel anderes Kriegsgerät mit großen, eisernen Rädern, welche die Stadt zierten.

Die Straßen waren breit und vorzüglich angelegt, so daß keine Angst vor Unfällen herrschte. Die Häuser waren schön und zahlreich, so daß die Stadt Amaravati glich und Indraprastha (wie Indras Stadt) genannt wurde. An einem entzückenden und glücksverheißenden Ort der Stadt erhob sich der Palast der Pandavas, welcher mit allen Arten von Reichtum angefüllt war wie der Palast des himmlischen Schatzmeisters (Kuvera). Er glich einer strahlend weißen Wolke.

Nachdem die Stadt errichtet war, kamen viele Brahmanen, welche die Veden und alle Sprachen kannten, und wünschten, dort zu wohnen. Auch kamen die Händler aus allen Richtungen in der Hoffnung auf Gewinn und Wohlstand, ebenso wie Künstler und geschickte Handwerker. Um die Stadt wurden viele bezaubernde Gärten angelegt mit blühenden und früchtetragenden Bäumen. Es gab Amras und Amratakas, Kadamvas und Asokas, Champakas und Punnagas, Nagas und Lakuchas, Panasas und Salas, Talas und Tamalas, Vakulas und Ketakas mit ihrer duftenden Last und den schönen Blüten.

Die Äste der großen Amalakas bogen sich unter dem Gewicht der Früchte. Lodhras und blühende Ankolas, Jambus und Patalas, Kunjakas und Atimuktas, Karaviras und Parijatas mischten sich mit geflügelten Wesen aller Art. Die grünen Oasen hallten immer vom Klang der liebestrunkenen Pfauen und Kokilas wider. Es gab viele Lauben zum Verweilen, so hell und rein wie Spiegel, so manche Laubhütte auf bezaubernden und künstlich angelegten Hügeln, Teiche, die bis zum Rand mit kristallklarem Wasser gefüllt waren und liebreizende Wasserstellen mit duftenden Lotuspflanzen, Lilien, weißen Schwänen, farbenfrohen Enten und Chakravakas. Ja, es gab viele kühle Wasserstellen, welche von feinen Wasserpflanzen überwachsen waren und schöne, große Teiche.

So wurde die Freude der Pandavas von Tag zu Tag größer, als sie ihre Stadt mit frommen Menschen wachsen sahen. Nachdem sich Bhishma und König Dhritarashtra ihnen gegenüber höchst tugendhaft verhalten hatten, richteten sich die Pandavas in Khandavaprastha ihren Wohnsitz ein. Mit diesen fünf mächtigen Helden, welche alle Indra glichen, war die Stadt wahrlich himmlisch geschmückt. Nachdem sich die Pandavas eingelebt hatten, verließ sie der heldenhafte Krishna mit seinem Bruder Balarama und kehrte zurück nach Dwaravati.
 
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210 - Narada schlägt einen Abkommen zwischen den Brüder vor

Janamejaya fragte:
Oh du an Askese Reicher, was taten diese großen Seelen, meine Großväter, die ruhmreichen Pandavas, nachdem sie ihr Königreich Indraprastha erhalten hatten? Wie lebten sie mit ihrer Gemahlin Draupadi zusammen? Wie kam es, daß sich kein Streit zwischen den ruhmreichen Herrschern erhob, wo sie doch alle derselben Frau verbunden waren? Ich möchte alles erfahren, oh du mit dem Reichtum an Askese, und alle Details von dem gemeinsamen Leben dieser Könige mit Draupadi.

Vaisampayana sprach:
In Glück und Freude verbrachten die Pandavas ihre Tage mit Draupadi in ihrem neu gewonnenen Königreich in Khandavaprastha. Der wahrhafte Yudhishthira mit der großen Energie hatte die Herrschaft übertragen bekommen und regierte tugendhaft das Land mit seinen Brüdern. Die weisen, tugendhaften und wahrhaften Söhne Pandus hatten alle Feinde besiegt und lebten glücklich und zufrieden. Sie hatten auf kostbaren, königlichen Sitzen Platz genommen und kamen allen Pflichten des Regierens nach. Eines Tages kam der himmlische Rishi Narada zu den königlich Thronenden. Als Yudhishthira ihn erblickte, bot er ihm sogleich seinen eigenen, schönen Sitz an.

Der Rishi nahm Platz und Yudhishthira brachte ihm das Arghya höchstpersönlich dar. Dann informierte der König den Rishi über den Zustand seines Landes, und der Rishi nahm alle dargebotenen Ehren zufrieden an. Unter den Segnungen und der Bitte des Rishi nahm nun auch Yudhishthira wieder Platz und sandte nach Draupadi, welche in den inneren Gemächern war. Sofort als die Dame von der Ankunft des Rishi erfuhr, reinigte sie sich und kam in respektvoller Haltung zum Rishi. Die tugendhafte und angemessen verschleierte Prinzessin von Panchala ehrte dessen Füße und blieb dann mit gefalteten Händen vor ihm stehen. Auch sie wurde von Narada gesegnet und dann gebeten, sich wieder zurückzuziehen. Draupadi gehorchte sofort, und Narada wandte sich nun an die fünf Pandavas allein.

Narada sprach:
Die berühmte Prinzessin von Panchala ist eure gemeinsame Ehefrau. Legt nun eine Regel fest, damit sich unter euch kein Streit erhebt. Es gab in alter Zeit zwei, in allen drei Welten gefeierte Brüder namens Sunda und Upasunda. Sie lebten zusammen und niemand war in der Lage, sie zu töten, außer sie sich gegenseitig. Sie regierten dasselbe Königreich, lebten im selben Haus, schliefen im selben Bett, saßen gemeinsam auf dem Thron und aßen vom selben Teller. Und doch töteten sie sich eines Tages wegen der schönen Tilottama. Daher, oh Yudhishthir, erhaltet eure brüderliche Liebe und Freundschaft und handelt so, daß keine Uneinigkeit zwischen euch entsteht.

Da fragte Yudhishthira:
Oh großer Muni, wessen Söhne waren die beiden Asura-Götter Sunda und Upasunda? Wie erhob sich ihr Zwist, und warum töteten sie sich gegenseitig? Wessen Tochter war Tilottama, um deren Liebe die beiden verwirrten Brüder sich umbrachten? War sie eine Apsara oder die Tochter eines Himmlischen? Oh du an Askese Reicher, wir möchten alle Einzelheiten darüber erfahren, oh Brahmane, denn unsere Neugier ist groß.
 
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211 - Narad erzählt die Geschicht von Sunda und Upasunda I

Narada antwortete:
Oh Sohn der Kunti, höre mit deinen Brüder die alte Geschichte. Ich werde sie euch genauso erzählen, wie es damals geschah. Vor langer Zeit wurde ein mächtiger Daitya namens Nikumbha im Geschlecht des großen Hiranyakashipu geboren. Diesem energetischen und starken Asura-Gott wurden zwei Söhne geboren, Sunda und Upasunda. Beide waren gewaltig und von schrecklichem Heldenmut. Die Brüder waren grimmig und hatten unaufrichtige Herzen. Sie faßten den gemeinsamen Beschluß, daß sie alle Aufgaben zusammen bewältigen wollten. Immer teilten sie des anderen Leid und Glück. Allseits sprachen sie, was dem anderen gefiel. Niemals aß einer ohne den anderen oder ging alleine fort.

Sie hatten genau dieselben Neigungen und Gewohnheiten und schienen ein Wesen zu sein, was in zwei gleiche Teile geteilt worden war. So wuchsen sie heran in großer Kraft und gemeinsamer Entschlossenheit. Ihr Ziel war die Eroberung der drei Welten, und so begaben sie sich nach angemessener Einweihung zum Berge Vindhya. Dort nahmen sie harte Entsagungen auf sich.
Für lange Zeit ertrugen sie Hunger und Durst,
hatten verfilzte Locken auf dem Haupt und trugen Bastkleidung und sammelten damit genügend asketischen Verdienst.
Sie beschmierten sich mit Asche von Kopf bis Fuß,
lebten von Luft allein
,
standen auf ihren Zehen und
opferten Stücke ihres eigenen Fleisches dem Feuer.

Mit hocherhobenen Armen und starren Augen folgten sie sehr lange Zeit ihren Gelübden. Und während ihrer Buße passierte ein wunderbarer Zwischenfall:
Der Berg Vindhya, welcher von der Macht ihrer asketischen Enthaltsamkeit lange Jahre aufgeheizt worden war, stieß aus allen Teilen seines Körpers Dampf aus.

Als die Himmlischen die Härte ihrer Enthaltsamkeit beobachteten, wurden sie unruhig. So warfen die Götter den beiden Brüdern viele Hindernisse in den Weg, um das Anwachsen ihrer Askese zu vermeiden. Sie versuchten, sie wiederholt mit Juwelen, kostbaren Dingen und den schönsten Mädchen zu verführen. Doch standhaft folgten die Brüder ihren Gelübden und brachen keinen Eid. Dann zeigten die Götter ihre illusorische Macht vor den Brüdern. Plötzlich schienen deren Schwestern, Mutter, Ehefrauen und andere Verwandte mit zerzaustem Haar und zerrissener Garderobe in Panik auf sie zuzurennen und wurden von einem Rakshasa mit einer Lanze niedergestreckt.

Die Frauen schienen um die Hilfe der beiden Brüder zu flehen und kreischten: „Oh, rettet uns!“. Doch alles war vergebens, die Brüder brachen ihre Gelübde nicht. Als die Götter erkennen mußten, daß all dies nicht den geringsten Eindruck bei den Brüdern hervorrief, verschwanden sowohl die Frauen als auch der Rakshasa vor ihren Augen. Schließlich kam der Große Vater (Brahmaa) selbst, der Höchste Herr (des materiellen Universums), welcher immer dem Wohl aller Wesen zugeneigt ist, zu den großen Asuras und fragte sie nach ihrem Begehren. Da erhoben sich Sunda und Upasunda von ihrem Lager und standen mit gefalteten Händen vorm Großen Gott.

Die Brüder sprachen: Oh Großer Vater, wenn du mit unserer asketischen Enthaltsamkeit zufrieden und uns gnädig gesinnt bist, dann, oh Herr, übergib uns das Wissen um alle Waffen und die Macht der Täuschung. Wir möchten große Kraft besitzen und jede Gestalt nach Belieben annehmen können. Und schließlich, laß uns unsterblich sein.

Zu diesen Worten meinte Brahma: Außer der Unsterblichkeit gewähre ich euch alles, worum ihr bittet. Doch wählt euch eine Form des Todes, mit der ihr den Sura-Göttern gleichen mögt. Denn ihr habt diese harte Enthaltsamkeit auf euch genommen, um eines bestimmten Zweckes wegen, und so kann ich euch die Unsterblichkeit nicht gewähren. Ja, ihr wünscht euch die Unterwerfung der drei Welten. Und daher, ihr mächtigen Daityas, übergebe ich euch nicht alle Segen, die ihr euch wünscht.

Sunda und Upasunda antworteten: Oh Großer Herr, dann laß uns keinerlei Furcht vor den vielfältigen belebten und unbelebten Geschöpfen in den drei Welten haben, außer vor uns selbst.
Brahma sprach: Diese Art des Todes gewähre ich euch, wenn ihr sie begehrt.

Narada fuhr fort: So hielt sie Brahmaa von weiterer Askese ab, indem er ihre Wünsche erfüllte, und kehrte dann in seine eigenen Bereiche zurück. Nun konnte die Brüder niemand im Universum töten. Sie kehrten in ihre Heimat zurück, und alle ihre Freunde und Verwandten waren sehr froh, die beiden mit Erfolg gekrönt wieder zu sehen. Sunda und Upasunda schnitten sich die verfilzten Locken ab und trugen von nun an Kronen auf dem Haupte. Mit ihren schönen Kleidern und all dem Schmuck sahen sie sehr prächtig aus.

Sie ließen den Mond jede Nacht über ihrer Stadt aufgehen, auch wenn nicht die Zeit dafür war. Ihre Freunde und Verwandten widmeten sich mit frohen Herzen dem Vergnügen. In jedem Haus hörte man: „Iß! Trink! Gib! Sei lustig! Sing!“. Überall erscholl lauter und ausgelassener Jubel mit Händeklatschen, welches die ganze euphorische Stadt erfüllte. Und die beiden Brüder, welche jede Gestalt annehmen konnten, stürzten sich in jedes amüsante Vergnügen und bemerkten kaum, wie die Zeit verflog. Ihnen erschien ein ganzes Jahr wie nur ein einziger Tag.
 
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212 - Narad erzählt die Geschicht von Sunda und Upasunda II
Sunda und Upasunda terrorisieren die Welt

Doch sobald die Feste zum Erliegen kamen, berieten sich die Brüder Sunda und Upasunda, und mit dem Wunsch, die Herrschaft über die Welten zu erlangen, riefen sie ihre Truppen zusammen. Mit Erlaubnis ihrer Freunde und Verwandten, der Älteren des Daitya (Asura-Götter) Geschlechts und der Staatsminister hielten sie die vorbereitenden Riten für die Abreise ab und brachen in der Nacht auf, als die Konstellation Magha im Aszendenten war. Mit einer großen Streitmacht machten sie sich auf den Weg, alle in ihren Harnisch gehüllt und mit Keulen, Äxten, Lanzen und Schwertern wohl gerüstet. Mit freudigen Herzen marschierten die Helden los, und die Charanas (wenig wichtiger Götter) sangen glücksverheißende Hymnen auf ihre zu erwartenden Siege. Kampfbegierig erhoben sich die Daitya Brüder, welche nach Belieben überall wandern konnten, in die Himmel bis zur Region der Sura-Götter (die höchste Sippe Götter).

Doch die Himmlischen wußten um das Kommen der Brüder und den Segen, den ihnen die Höchste Gottheit (im Universum - Brahmaa - nicht in der Kategorie Transzendentale Persönlichkeit) gewährt hatte, und verließen den Himmel, um Zuflucht bei Brahmaa zu suchen. Mit schrecklichem Heldenmut unterwarfen die Daitya Helden daraufhin den Bereich Indras, besiegten die Völker der Yakshas und Rakshas und alle anderen Wesen des Himmels. Als nächstes eroberten die mächtigen Wagenkrieger die unteren Bereiche der Nagas, die Bewohner des Ozeans und alle Mlecha Stämme. Danach wünschten die beiden unerbittlichen Helden, die ganze Erde zu unterwerfen, riefen ihre Soldaten zusammen und gaben den grausamen Befehl:

„Brahmanen und königliche Weise kräftigen die Himmlischen mit ihren Opfergaben auf Erden. Damit sind sie Feinde der Asura-Götter. Also sollten wir uns alle zusammentun und sie vom Antlitz der Erde fegen.“ Nach diesem Befehl am östlichen Ufer des großen Ozeans begaben sich die Asura Brüder in alle Teile der Welt. Wenn sie Opfernde sahen oder Brahmanen, die beim Opfer halfen, dann töteten die mächtigen Brüder sie sofort. Wenn alle ermordet waren, gingen sie weiter. In den Einsiedeleien der Munis, welche ihre Seelen unter vollkommener Kontrolle hatten, warfen die Soldaten das Opferfeuer ins Wasser. Doch die mit Zorn ausgestoßenen Flüche der ruhmreichen Rishis waren wegen des von Brahmaa gewähren Segens wirkungslos und berührten die Asura Brüder nicht.

Und als die Brahmanen erkannten, daß ihre Flüche nicht den geringsten Effekt hatten, als ob Pfeile auf Steine abgeschossen werden, da gaben sie ihre Riten und Gelübde auf und verstreuten sich in alle Richtungen. Wie Schlangen, wenn sich Garuda nähert, flohen sogar die asketisch reichen Rishis mit kontrollierten Leidenschaften und allseits in göttliche Meditation versunken aus Angst vor den Asura Brüdern davon. Die heiligen Klausen waren alle verwüstet und verlassen. Die Opfergefäße waren zerbrochen und ihr heiliger Inhalt auf dem Boden verstreut. Die Welt wurde immer leerer, als ob die Wesen während der großen Auflösung ihr Ende gefunden hätten.

Als die Rishis geflohen waren oder sich unsichtbar gemacht hatten, nahmen die beiden großen Asuras verschiedene Gestalten an, um auch wirklich alle Rishis zu zerstören. Sie wurden zu tobenden Elefanten mit triefenden Schläfen, stöberten die Rishis auf, die sich an schwer zugänglichen Orten versteckt hatten, und sandten sie in die Region von Yama. Dann wurde das grausame Paar zu Löwen oder Tigern, verschwand hier und tauchte da wieder auf. Mit allen Mitteln töteten sie jeden Rishi, den sie erblickten. So kamen Opfer und Studium (der Veden) zum Erliegen, und alle Könige und Brahmanen wurden vernichtet. Die Erde kannte keine Opfer und Feste mehr. Die Menschen wehklagten, und aller Handel hörte auf. Es gab keine religiösen Riten mehr, keine geheiligten Zeremonien und keine Hochzeiten.

Die Landwirtschaft wurde vernachlässigt und das Vieh nicht mehr gepflegt. Städte und Einsiedeleien verödeten, und die mit Knochen und Skeletten übersäte Erde sah furchtbar aus. Auch die Riten zu Ehren der Ahnen hörten auf, der heilige Klang Vashat verstummte und das Rad der glücksverheißenden Handlungen kam zum Stehen. Die Erde war in schrecklicher Verfassung. Sonne und Mond, die Planeten und Sterne und alle Bewohner des Himmels sahen die Taten von Sunda und Upasunda und trauerten sehr. Nachdem sie alle Himmelsrichtungen mit solch grausamer Absicht unterworfen hatten, ließen sich die Asura Brüder ohne einen einzigen Rivalen in Kurukshetra nieder.
 
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213 - Narad erzählt die Geschichte von Sunda und Upasunda III

Tilottama wird geschaffen

Narada erzählte weiter:
Aufgrund des Schlachtens auf Erden waren die himmlischen Rishis, Siddhas und all die Hochbeseelten, welche die Eigenschaften von Shama und Dama (Kontrolle von Geist und Sinnen) besaßen, voller Sorge. Vom Mitgefühl für die Wesen der Welt bewegt, begaben sie sich mit beherrschten Leidenschaften, Sinnen und Seelen zum Großen Herrn (des Universums - Brahmaa, nicht die Transzendentale Persönlichkeit) . Dort angekommen erblickten sie den Großen Vater auf seinem Thron, alle Siddhas und Brahmarshis um ihn, auch der Gott der Götter, Mahadeva (Shiva), nebst Agni und Vayu, Sonnen- und Mond-Gott, Indra und die dem Brahma hingegebenen Rishis, die Vaikhanasas, Valakhilyas, Vanaprasthas (Waldeinsiedler), Marichipas, Ajas, Avimudas (mit Buitenen: Unzerstreute, Strahlentrinker, Ungeborene, Feuerwesen) und all die anderen großen Asketen.

Mit sorgenvollen Herzen erzählten die Herantretenden Brahmaa alle Einzelheiten über die Taten von Sunda und Upasunda. Dann überlegte der Große Vater und beschloß, was zu tun sei. Er entschied die Vernichtung der Asura Brüder und rief dazu Visvakarma herbei (der himmlische Künstler). Mit seinem alles überragenden asketischen Verdienst bat Brahmaa den vor ihm wartenden Vishvakarma: „Erschaffe eine Dame, die alle Herzen gefangen nimmt.“ Visvakarma verbeugte sich vor Brahmaa, empfing ehrfürchtig dessen Bitte und erschuf mit sorgsamer Aufmerksamkeit eine himmlische Maid.

Zuerst sammelte er alle schönen Wesen, ob belebt oder unbelebt, die in den drei Welten zu finden waren. Dann überhäufte er den Körper der entstehenden Dame mit Juwelen, damit sie selbst zum Juwel würde. So wurde diese sorgsam geschaffene Maid die Schönste in allen Welten. Jeder winzige Teil ihres Körpers zog mit seinem Reichtum an Schönheit den Blick des Betrachters auf sich. Diese schöne Dame fesselte wie die Verkörperung von Shri (die Transzendentale Frau Narayanas) selbst die Augen und Herzen aller Wesen.

Und weil sie aus jedem Juwel mit den rechten Maßen geschaffen worden war, nannte sie der Große Vater Tila-uttama (Tilottama). Sie begann ihr Leben mit einer Verbeugung vor Brahmaa, und mit gefalteten Händen fragte sie: „Oh Herr aller erschaffenen Wesen, was soll ich tun und für welche Aufgabe wurde ich geschaffen?“ Der Große Vater antwortete ihr: „Geh zu den Asuras Sunda und Upasunda, oh Tilottama. Verführe sie mit deiner berauschenden Schönheit, du Liebreizende. Handle auf solche Weise, daß die Brüder bei deinem Anblick miteinander anfangen zu streiten.“ Sie verbeugte sich vor dem Großen Vater, sprach: „So sei es.“, und umschritt in Verehrung die Menge der versammelten Götter.

Der ruhmreiche Brahmaa und Mahadeva saßen mit dem Gesicht nach Osten. Die Götter blickten nach Norden, und die Rishis saßen in alle Richtungen. Während Tilottama die Schar umrundete, waren nur Indra und der ruhmreiche Sthanu (Shiva, Mahadeva) in der Lage, einen friedlichen Geist zu bewahren. Doch als die Dame an der südlichen Seite von Mahadeva anlangte, erschien ihm ein neues Gesicht auf dieser Seite wie ein aufblühender Lotus. Und als sie in seinem Rücken war, erschien ihm noch ein Gesicht im Westen, und noch eins, als sie im Norden von ihm anlangte.

Und aus demselben Grund entfaltete Mahendra (Indra) viele, viele Augen auf allen Seiten seines Körper, welche groß und gerötet waren, bis sie tausend zählten. Und so kam es, daß Shtanu, der große Gott, vier Gesichter und Indra, der Vernichter von Vala, tausend Augen bekam. Alle anderen Rishis und Götter verdrehten sich die Köpfe nach der schönen Tilottama, als sie die Menge umrundete. Alle Blicke hafteten an Tilottamas Körper, außer die von Brahma, dem Großen Herrn selbst. Als Tilottama sich dann zu den Asuras begab, waren sich alle Himmlischen einig, daß sie mit ihrer Schönheit die Aufgabe sicher bewältigen würde. Und Brahmaa, diese erste Ursache im Universum, entließ alle Götter und Rishis.
 
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214 - Narad erzählt die Geschichte von Sunda und Upasunda III


Mein und nicht dein
!
Ich der Erste

Narada fuhr fort:
Die Asura Brüder hatten alle Strapazen der vollständigen Eroberung der drei Welten hinter sich gebracht und meinten nun, es gäbe nichts mehr für sie zu tun. Sie sammelten alle Schätze der Gandharvas, Yakshas, Nagas, Rakshasas und irdischen Könige ein und verbrachten ihre Tage in Frohsinn und Glückseligkeit. Nirgends konnten sie einen Rivalen mehr erkennen und so gaben sie alle Anstrengung auf und widmeten sich Vergnügen, Spiel und Spaß wie die Himmlischen. Im Müßiggang gaben sie sich schönen Frauen, duftenden Parfümen, blühendem Schmuck, gutem Essen, berauschenden Getränken und allem Angenehmen reichlich hin. ...

Da näherte sich Tilottama. Sie pflückte wilde Blumen und war in ein einziges Tuch roter Seide gekleidet, welches all ihren Zauber entblößte. Langsam kam sie heran und sammelte dabei Karnikaras, welche auf den Bäumen am Flußufer wuchsen. Die mächtigen Brüder hatten bereits große Mengen getrunken und waren wie versteinert beim Anblick der überragend schönen Maid. Dann sprangen sie von ihren Sitzen und rannten zur betörenden Dame. Begierig wollte jeder die Maid für sich selbst. Sunda ergriff ihre rechte und Upasunda ihre linke Hand. Vergiftet von dem erhaltenen Segen, ihrer körperlichen Kraft, ihrem Reichtum, all den Juwelen, die sie aus allen Himmelsrichtungen zusammengetragen hatten, dem vielen Wein, und verrückt vor Lust begannen sie sich gegenseitig mit gerunzelten Stirnen anzuschreien:

„Sie ist mein und steht höher als du.“, rief Sunda. „Sie ist mein und Schwägerin für dich.“, erwiderte Upasunda. Und immer wieder stritten sie: „Sie ist mein und nicht dein!“ Sogleich übermannte sie die Wut. Und von der Schönheit der Dame verführt, vergaßen sie alle Liebe und Zuneigung füreinander. Vor lauter Begierde verloren sie alle Vernunft und griffen zu den Waffen. Sich gegenseitig anschreiend: „Ich war der Erste! Ich war der Erste!“, schlugen sie aufeinander ein. Und beide fielen durch die Keule des anderen. Ihre Körper sanken blutüberströmt zu Boden und glichen zwei Sonnen, die aus dem Firmament gefallen waren. ...

Dann kam der Große Vater mit der reinen Seele höchstselbst und wurde von allen Göttern und großen Rishis begleitet. Er lobte Tilottama und versprach, ihr einen Wunsch zu erfüllen. Doch noch bevor Tilottama diesen Wunsch in Worte fassen konnte, sprach die ruhmreiche, höchste Gottheit zum Wohle aller Wesen zu ihr: „Oh schöne Dame, du sollst im Land der Adityas wandern (im Reich der Sonne). Und dein Glanz soll so überragend sein, daß dich niemand mehr anschauen kann.“ Dies war der Segen, den ihr der Große Vater gewährte. Dann gab er Indra die drei Welten zurück und begab sich wieder in seinen Bereich.

Narada sprach:
So kam es, daß die beiden sich immer zugeneigten und allseits dieselben Ziele verfolgenden Asura Brüder sich im Zorn wegen Tilottama gegenseitig umbrachten. Wenn ihr wünscht, mir etwas Gutes zu tun, dann stellt eine Regel auf, damit ihr euch nicht um Draupadi streitet. Ich rate euch dies aus Zuneigung, ihr Besten der Bharatas.

Die Pandavas schwören einen Eid bezüglich Draupadi
Vaisampayana sprach:
Da berieten sich die ruhmreichen Pandavas und schworen in Anwesenheit des himmlischen Rishi mit der unermeßlichen Energie folgenden Eid: Wenn einer von ihnen mit Draupadi allein ist, und ein anderer die beiden dabei erblickt, dann soll dieser sich für zwölf Jahre in den Wald zurückziehen und als Brahmacharin leben. Nachdem sie diese Regel aufgestellt hatten, ging der große Muni Narada höchst zufrieden davon. Und weil die Pandavas von Narada gedrängt diese Regel aufstellten und befolgten, erhob sich niemals Uneinigkeit zwischen ihnen.
 
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Arjuna-vana-vasa Parva - Arjunas Aufenthalt im Wald


Kapitel 215 - Arjuna hilft einem Brahmanen und verletzt die von den Pandavas erstellte Regel

Vaisampayana erzählte:
So lebten die Pandavas in Eintracht in ihrem Reich und brachten viele Könige unter ihre Herrschaft. Draupadi lebte hingebungsvoll für ihre fünf Ehemänner, diese Löwen unter den Männern von unermeßlicher Energie. Und wie den Fluß Sarasvati viele Elefanten aufsuchen, und die Elefanten sich am Strom erfreuen, so erfreute sich Draupadi ihrer fünf Gatten, und diese freuten sich an Draupadi. ...

Doch wie es das Schicksal wollte, geschah es eines Tages, oh König, daß Diebe das Vieh eines Brahmanen stahlen. Während die Diebe die Beute davon trieben, rannte der ärgerliche Brahmane nach Khandava-prastha und beschwerte sich bei den Pandavas.

Der Brahmane klagte:
Ihr Pandavas, meine Kühe wurden in eurem Reich von verabscheuungswürdigen und gemeinen Lumpen geraubt. Ihr müßt die Diebe verfolgen! Weh, die heilige Butter eines friedlichen Brahmanen wurde von Krähen gestohlen. ... Ein König, der sich den sechsten Teil der Ernte nimmt, und seine Untertanen nicht beschützt, wird von den Weisen als die sündigste Person in aller Welt bezeichnet. ... Die Tugend nimmt ab. ...

Arjuna hörte die bitteren Klagen des Brahmanen und besänftigte ihn sofort: „Keine Angst!“ Doch in dem Raum, in dem die Pandavas ihre Waffen aufbewahrten, war gerade Yudhishthira mit Draupadi allein. So zögerte Arjuna, in die Kammer einzutreten. Auch wollte er nicht ohne Waffen dem Brahmanen folgen. Doch der Brahmane weinte und drängte ihn unaufhörlich. Und so überlegte Arjuna eine Weile mit besorgtem Herzen:

"Nun, das Vermögen eines unschuldigen Brahmanen wurde geraubt. ...Wenn ich ihn nicht beschütze, dann wird der König von Sünde berührt wegen meiner Gleichgültigkeit. Unsere Ungerechtigkeit wird sich im Lande ausbreiten, und wir bringen damit noch größere Sünde hervor. Wenn ich den König aber mißachte und die Kammer betrete, bin ich diesem feindlosen Monarchen allerdings untreu. Und außerdem lade ich die Strafe des Exils im Walde auf mich. ... Dann habe ich keine Furcht, diese Sünde zu tragen, wenn ich (in diesem Fall) den König mißachten muß. Ich habe auch keine Furcht, wenn ich in die Wälder muß und dort vielleicht sterbe. Tugend ist wichtiger als der eigene Körper und währt auch nach dem Tode des Körpers noch lange an."

So kam Arjuna zu seinem Entschluß. Er betrat die Kammer, erklärte sich Yudhishthira, kam mit seinem Bogen wieder und sprach freudig zum Brahmanen: „Geh schnell voran, oh Brahmane, damit die hinterhältigen Räuber keinen so großen Vorsprung gewinnen. Ich werde dich begleiten und dir dein Vermögen zurückholen, ...“ Dann fuhr Arjuna mit seinem beflaggten Streitwagen, mit Harnisch und Bogen gerüstet davon, verfolgte die Diebe, durchbohrte sie mit seinen Pfeilen und jagte ihnen die Beute wieder ab. Anschließend übergab er dem Brahmanen sein Vieh. Und ruhmreich kehrte der Held in die Stadt zurück. Erst verbeugte er sich vor allen Älteren und wurde von ihnen beglückwünscht. Dann trat er vor Yudhishthira.

Arjuna sprach: "Gewähre mir den Abschied, oh Herr, damit ich dem Eid folgen kann, den ich schwor. Als ich dich mit Draupadi allein erblickte, verletzte ich unsere Regel. Und nun werde ich in den Wald gehen, denn das haben wir beschlossen."
Als Yudhishthira diese schmerzlichen Worte hörte, rief er mit bewegter Stimme und von Trauer übermannt aus: „Warum?“ Und nach einer Weile sprach der König kummervoll zu seinem Bruder Arjuna mit dem lockigen Haar (Gudakesha), der niemals ein Gelübde brach.

Yudhishthira sprach: Oh du Sündenloser, wenn ich eine Autorität bin, die es würdig ist, beachtet zu werden, dann höre mir zu, oh Held. Ich weiß ganz genau, warum du die Kammer betreten hast. ...Der jüngere Bruder sollte immer die Kammer betreten können, in welcher der ältere Bruder mit seiner Frau ist. Daran ist kein Makel. Nur der ältere Bruder handelt gegen die Regeln des Anstandes, wenn er mit seinem jüngeren Bruder und dessen Frau so verfährt. Oh bitte, trete von deinem Entschluß zurück. Tu, was ich sage. Deine Tugend ist nicht verringert worden. Du hast mich nicht mißachtet.

Arjuna erwiderte: Gerade von dir habe ich gelernt, daß es in der Pflichterfüllung keine Ausflüchte gibt. Ich kann mich nicht von der Wahrhaftigkeit abwenden, denn die Wahrhaftigkeit ist meine Waffe.
So erhielt er die Erlaubnis des Königs und bereitete sich auf ein Leben im Walde für zwölf Jahre vor.
 
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Arjuna-vana-vasa Parva - Arjunas Aufenthalt im Wald


216 - Arjunas Exil im Wald, seine Heirat mit Ulupi

Vaisampayana sprach:
Als der starkarmige Arjuna, ... in den Wald zog, da folgten dem ruhmreichen Helden vedenkundige Brahmanen in einiger Entfernung. Darunter waren alle Arten von Brahmanen - jene, welche die Veden und die Vedangas kannten, die der Anbetung des Höchsten Geistes folgten, musisch Begabte, Erzähler von Puranas und anderen heiligen Geschichten, Asketen, Schüler, die dem Zölibat folgten, Waldeinsiedler, Brahmanen, welche liebenswürdig die himmlischen Geschichten darbrachten und noch viele andere angenehm sprechende Menschen. So reiste Arjuna wie Indra, dem die Maruts folgen. ... Als er schließlich an der Quelle der Ganga angekommen war, dachte der mächtige Held daran, sich hier niederzulassen.

... . Täglich nahmen die gelehrten, ihren Gelübden treuen und niemals vom rechten Pfad abweichenden Brahmanen ihr reinigendes Bad im heiligen Strom, opferten dem Feuer geklärte Butter und Blumen und ehrten es mit vielen Mantras. So wurde die Gegend, in der die Ganga in die Ebene strömt, wunderschön. Eines Tages begab sich Arjuna wie üblich zum Fluß, um seine Reinigungen durchzuführen. Danach opferte er den Ahnen Wasser. Als er den Fluß wieder verlassen wollte, um nun seine Opferriten vor dem Feuer durchzuführen, wurde der langarmige Held von der sehnsuchtsvollen Ulupi, der Tochter des Naga Königs, unter Wasser gezogen.

Sie trug den Sohn des Pandu in den schönen Palast ihres Vaters Kauravya. Auch dort brannte ein Opferfeuer, und der Sohn der Kunti beendete seine Riten mit Hingabe. Agni war sehr zufrieden, wie furchtlos Arjuna die Opfergaben in seine manifeste Form goß. Als Arjuna alle seine Riten beendet hatte, wandte er sich an die Tochter des Naga Königs und sprach lächelnd zu ihr: „Oh schönes Mädchen, welch voreilige Tat hast du begangen, du Zarte? Wem gehört dieses schöne Land? Wer bist du und wessen Tochter?“

Ulupi antwortete:
Es gibt einen Naga namens Kauravya, welcher der Airavata Linie entstammt. Ich bin, oh Prinz, seine Tochter, und mein Name ist Ulupi. Als ich dich, oh du Tiger unter den Männern, in den Strom gleiten sah, als du deine Waschungen vollführtest, da stahl mir der Gott der Liebe die Vernunft. Oh du Sündenloser, ich bin noch unverheiratet. Wegen dir bedrängt mich der Gott des Begehrens, oh Nachkomme der Kurus. Gewähre mir Befriedigung und gib dich mir hin.

Arjuna antwortete:
Ich stehe unter dem Befehl von Yudhishthira, dem Gerechten, und folge dem Gelübde des Brahmacharin für zwölf Jahre. Ich bin nicht frei zu handeln, wie es mir beliebt. Doch, du Wasserjungfer, wenn ich könnte, würde ich dir gern Vergnügen schenken. Niemals habe ich die Unwahrheit gesprochen. Sag mir daher, oh Naga Maid, wie ich mich verhalten mag, so daß ich deinen Wunsch erfüllen kann und mich nicht der Lüge oder Pflichtverletzung schuldig mache.

Ulupi sprach: Ich weiß, oh Sohn des Pandu, warum du über die Erde wanderst und auf Geheiß deines Bruders ein Leben als Brahmacharin führst.... Deine Tugend kann keine Minderung erfahren. Außerdem ist es eine Pflicht, oh du mit den großen Augen, daß man den Geplagten hilft. Deine Tugend wird nicht verringert, wenn du mich erlöst. Und selbst, wenn deine Tugend ein wenig abnimmt, oh Arjuna, gewinnst du großen Verdienst, indem du mich rettest. Wisse, ich bin deine Verehrerin, oh Partha. Gib dich mir hin, denn dies ist die Meinung der Weisen. Wenn du mich nicht annimmst, werde ich mich selbst vernichten. Gewinne dir großen Verdienst, oh Langarmiger, indem du mein Leben rettest... Es gehört sich für dich, meinen Wunsch zu erfüllen und dich mir hinzugeben.

Vaisampayana sprach:
Nach diesen Worten der Naga Prinzessin folgte der Sohn der Kunti ihrem Wunsch, und seine Motivation war Tugend. So verbrachte der mächtige Arjuna die Nacht im Hause der Nagas und erhob sich mit der Sonne am nächsten Morgen. Von Ulupi begleitet kehrte er aus dem Palast von Kauravya in die Region zurück, wo die Ganga in die Ebene eintritt. Die bescheidene Ulupi nahm dort Abschied von ihm, und kehrte in ihr Reich zurück. Doch zuvor gewährte sie ihm den Segen, daß er im Wasser unbesiegbar sein würde: „Jedes amphibische Wesen soll von dir besiegt werden.“
 
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