Mahabharata

Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 110


Vermählung des Dhritarashtra mit Gandhari

Bhishma sprach:
Unser gefeiertes Geschlecht strahlt in allen Tugenden und Erfolgen und übte lange die Herrschaft über alle anderen Monarchen der Erde aus. Durch viele tugendhafte und ruhmreiche Monarchen wird seit jeher seine Herrlichkeit erhalten. Und Vyasa, Satyavati und ich haben euch drei aufgezogen, damit die Linie erhalten bleibe. Nun ist es an uns und auch an dir, die nötigen Schritte zu unternehmen, damit sich unsere Dynastie ausweiten möge wie die See.

Ich habe von drei Jungfrauen gehört, die sich der Verbindung mit unserer Familie als würdig erwiesen haben. Eine ist die Tochter von Sura aus dem Stamm der Yadavas, eine die Tochter von Suvala und die dritte die Prinzessin von Madra. Alle diese Mädchen, mein Sohn, sind von reiner Geburt. Sie haben Schönheit und reines Blut und eignen sich in hohem Maße für eine Verbindung mit unserer Familie. Oh du Klügster unter den Menschen, ich denke, wir sollten sie für eine Vergrößerung unserer Dynastie erwählen. Sag mir, wie du darüber denkst.

Vidura erwiderte:
Du bist unser Vater und unsere Mutter. Du bist unser geachteter spiritueller Lehrer. Handle, wie es in deinen Augen das Beste für uns ist.

Vaisampayana fuhr fort:
Bald danach erfuhr Bhishma von Brahmanen, daß Gandhari, die liebliche Tochter von Suvala, nach ihrer Verehrung des Shiva von der Gottheit den Segen erhalten hatte, die Mutter von hundert Söhnen zu werden. Da sandte Bhishma Boten zum König von Gandhara mit einem Antrag für eine Hochzeit von Dhritarashtra und Gandhari. König Suvala zögerte erst, weil der Bräutigam blind war. Doch dann bedachte er das edle Blut der Kurus, ihren Ruhm und ihr Verhalten, und gab seine tugendhafte Tochter dem Dhritarashtra.

Als die keusche Gandhari erfuhr, daß Dhritarashtra blind war und ihre Eltern beschlossen hatten, sie mit ihm zu verheiraten, verband sie sich aus Liebe und Respekt für ihren zukünftigen Ehemann die Augen mit einem Tuch aus vielen Lagen. Dann brachte Shakuni, der Sohn des Suvala, seine junge und schöne Schwester zu den Kurus, und übergab sie mit den entsprechenden Riten dem Bräutigam. Gandhari wurde mit großer Achtung empfangen, und die Hochzeit wurde mit herrschaftlichem Pomp nach Bhishmas Anweisungen begangen.

Nachdem der heldenhafte Shakuni seine Schwester mit vielen kostbaren Kleidern übergeben und Bhishmas Verehrung in Empfang genommen hatte, kehrte er wieder in seine Heimat zurück. Die schöne Gandhari erfreute alle Kurus mit ihrem Verhalten und ihrer respektvollen Aufmerksamkeit. Gandhari war ihrem Ehemann immer zugetan und ehrte die Höhergestellten mit ihrem Betragen. Und rein wie sie war, bezog sie sich niemals, nicht einmal mit Worten, auf einen anderen Mann als ihren Gatten.
 
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Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 111


Die Geschichte der Pritha (Kunti), Geburt von Karna

Vaisampayana erzählte:
Es gab unter den Yadavas einen Anführer namens Sura. Er war der Vater von Vasudev (Vater von Krishna). Er hatte auch eine Tochter namens Pritha, der niemand auf Erden an Schönheit glich. Der allseits wahrhaft sprechende Sura gab aus Freundschaft seine erstgeborene Tochter seinem kinderlosen Cousin und Freund Kunti-bhoja, dem Sohn seiner Tante väterlicherseits, wie er es einst versprochen hatte. So wuchs Pritha im Hause ihres Adoptivvaters auf und kümmerte sich um die Bewirtung von Brahmanen und Gästen.

Durch ihre Achtsamkeit gewann sie sich eines Tages die Dankbarkeit eines schrecklichen Brahmanen der strengen Gelübde, welcher unter dem Namen Durvasa bekannt war, und der mit den geheimen Wahrheiten der Tugend wohl vertraut war. Er war mit ihrer ehrenden Aufmerksamkeit so zufrieden, daß der Rishi mit seiner spirituellen Macht kommendes Unglück voraussah und Pritha eine Beschwörungsformel übergab, mit der sie jeden gewünschten Himmlischen herbeirufen konnte, um sich Kinder zu erbitten.

Der Rishi sprach: „Die Himmlischen, welche du mit diesem Mantra zu dir rufst, werden sicher kommen und dir Kinder schenken.“ Das liebliche, junge Mädchen wurde sehr neugierig und rief den Sonnengott herbei. Sobald sie das Mantra ausgesprochen hatte, erblickte sie die strahlende Gottheit, welche alles in der Welt schaut und sich ihr nun näherte. Das Mädchen mit den makellosen Gliedern erschrak bei dem außerordentlichen Anblick zutiefst. Der Gott Vivaswan trat vor sie hin und sprach: „Hier bin ich, oh schwarzäugiges Mädchen. Sag mir, was ich für dich tun kann.“

Kunti sprach: „Oh du Feindebezwinger, ein gewisser Brahmane machte mir diese Beschwörungsformel zum Geschenk. Oh Herr, ich habe dich nur gerufen, um zu testen, ob die Formel auch funktioniert. Für diese Beleidigung verbeuge ich mich vor dir und bitte um deine Gnade. Eine Frau verdient immer Vergebung, was sie auch getan hat.“ Surya erwiderte: „Ich weiß, daß Durvasa dir diesen Segen gewährt hat. Doch wirf deine Besorgnis ab, du ängstliche Maid, und gewähre mir die Umarmung. Denn, du Liebliche, mein Kommen darf nicht vergebens sein. Es muß Früchte tragen. Du hast mich gerufen. Falls dies umsonst war, wird es sicher als ein Verstoß für dich gelten.“

So sprach Vivaswan viele Dinge zu dem Mädchen, um ihre Angst zu beschwichtigen. Doch die liebliche Maid stimmte seiner Bitte nicht zu, aus Zurückhaltung und Angst vor ihren Verwandten. Da sprach der Sonnengott zu ihr wieder und wieder: „Oh Prinzessin, um meinetwillen wird es für dich keine Sünde sein, meinem Wunsch zu entsprechen.“ So sprach der Erleuchter des Universums zur Tochter des Kuntibhoja, und gewann ihre Umarmung. Aus dieser Verbindung entstand sofort ein Sohn, der in der ganzen Welt als Karna bekannt wurde.

Er war in eine natürliche Rüstung gehüllt, und sein Gesicht wurde von goldenen Ohrringen erhellt. Der heldenhafte Karna war der Beste von denen, die Waffen trugen. Er war mit Glück und der Schönheit eines himmlischen Kindes gesegnet. Nach der Geburt ihres Kindes gewährte der ruhmreiche Sonnengott Pritha wieder ihre Jungfräulichkeit und stieg in den Himmel auf. Mit großer Sorge betrachtete die Prinzessin aus dem Stamm des Vrishni ihren Sohn, und dachte darüber nach, was nun zu tun wäre. Aus Angst vor ihrer Familie beschloß sie, diesen Beweis ihrer Schwäche zu verheimlichen, und setzte ihr starkes Kind am Fluß aus.

Dort fand der wohlbekannte Ehemann von Radha das Kind, nahm es mit sich und brachte es seiner Frau. Die beiden Sutas erzogen den Jungen wie ihren eigenen Sohn und nannten ihn Vasusena (mit Reichtum geboren), weil er diese natürliche Rüstung und die Ohrringe trug. Er war mit großer körperlicher Stärke ausgestattet und wuchs in der Handhabung aller Waffen heran. Mit großer Kraft verehrte er die Sonne, bis sein Rücken von ihren Strahlen brannte. Und während der Stunden seiner Anbetung gab es nichts auf Erden, was dieser heldenhafte und kluge Vasusena den Brahmanen nicht gegeben hätte.

Als Indra nämlich seinem eigenen Sohn Arjuna helfen wollte, nahm er die Gestalt eines Brahmanen an und erbat von ihm seine natürliche Rüstung. Karna nahm sie ab, faltete seine Hände in Verehrung und übergab sie Indra in seiner Brahmanengestalt. Der König der Himmlischen nahm die Gabe an und war höchst erfreut über Karnas Großmut.

Und er schenkte Karna einen vorzüglichen Speer und sprach: „Der eine, und wirklich nur der eine, welchen du unter den Himmlischen, Asura Götter, Menschen, Gandharvas, Nagas oder Rakshasas besiegen willst, wird von diesem Speer sicher getötet werden.“ Der Sohn der Sonne war zuvor unter dem Namen Vasusena bekannt. Doch nachdem er sich seine angeborene Rüstung abgeschnitten hatte, nannte man ihn Karna (der Abschneider seiner eigenen Hülle).
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 112

Die Gattenwahl der Kunti

Vaisampayana sprach:
Die großäugige Tochter von Kuntibhoja war mit Schönheit und allen Fähigkeiten gesegnet. Sie folgte strengen Gelübden, war der Tugend zugetan und besaß alle guten Eigenschaften. Doch obwohl Kunti schön und jung war, und alle weiblichen Vorzüge besaß, geschah es doch, daß kein König um ihre Hand anhielt. So lud ihr Vater Kuntibhoja die Prinzen und Könige anderer Länder zu einer Gattenwahl ein, und bat seine Tochter, sich unter den Gästen ihren Ehemann zu wählen.

Die kluge Kunti betrat die Halle und erblickte Pandu, diesen Besten der Bharatas und Tiger unter den Königen, in der Menge der gekrönten Häupter. Er war so stolz wie ein Löwe, hatte eine breite Brust, die Augen eines Bullen, große Kraft und strahlte über allen anderen Monarchen, so daß er wie ein zweiter Indra schien inmitten der königlichen Versammlung. Als die liebliche Tochter von Kuntibhoja diesen Besten der Männer, Pandu, erblickte, war sie tief bewegt.

Sie trat bescheiden vor, zitterte vor Aufregung und legte Pandu den Blumenkranz um den Nacken. Als die anderen Monarchen sahen, daß Kunti Pandu zu ihrem Herrn erwählt hatte, kehrten sie auf ihren Elefanten, Pferden und Wagen wieder in ihre Königreiche zurück. Danach ließ der Vater der Braut die Hochzeitszeremonien durchführen.

Der gesegnete Kuru Prinz und die Tochter des Kuntibhoja bildeten ein Paar wie Indra und Sachi. Nach den Hochzeitsriten beschenkte der Brautvater seinen Schwiegersohn mit vielen Reichtümern und sandte ihn heim in seine Hauptstadt. Der Kuru König Pandu wurde von einer großen Heeresmacht mit Bannern und Flaggen und lobpreisenden Brahmanen und großen, segenverkündenden Rishis begleitet, als er seine Stadt erreichte. Dort angekommen, nahm er seine Königin in seine Familie auf.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 113

Pandu heiratet Madri

Einige Zeit später setzte Bhishma, der kluge Sohn des Shantanu, sein Herz daran, Pandu mit einer zweiten Frau zu verheiraten. Von einer vierfachen Armee, betagten Beratern, Brahmanen und großen Rishis begleitet reiste er zur Residenz von Shalya, dem König der Madras. Der König von Madra, dieser Bulle unter den Valhikas, ging Bhishma entgegen, um ihn willkommen zu heißen. Nach respektvoller Begrüßung bat er ihn in seinen Palast, ließ ihn auf einem weißen Teppich Platz nehmen, bot ihm Wasser zum Waschen der Füße an und all die üblichen Gaben, die seine Achtung aufzeigten.

Als Bhishma gut versorgt war, fragte der König nach dem Grund seines Besuches. Da sprach Bhishma, dieser Bewahrer der Würde der Kurus, zum König von Madra: „Oh du Feindebezwinger, wisse, daß ich um die Hand einer Maid kam. Wir haben gehört, daß du eine für ihre Schönheit und Tugend gefeierte Schwester namens Madri hast. Ich möchte sie für Pandu erwählen. Du, oh König, bist auf jede Weise würdig, dich mit uns zu vereinen, und wir sind deiner würdig. Denk sorgfältig darüber nach, und akzeptiere den Vorschlag.“

Der Herrscher von Madra erwiderte: „Ich denke, es gibt keinen besseren als jemand aus deiner Familie für eine Verbindung mit uns. Doch in unserer Familie gibt es einen Brauch, dem wir seit Ahnenzeiten her folgen. Sei er nun gut oder schlecht, ich kann ihn nicht mißachten. Er ist, so denke ich, auch dir bekannt. Darum ist es nicht an dir zu sagen: Übergib mir deine Schwester. Ich halte mich an unseren Familienbrauch und folge damit der Tugend. (Dutt: Es ist unser Familienbrauch, Tribut zu empfangen.)

Nur darum, oh Feindebezwinger, kann ich dir keine Zusicherung in deiner Bitte gewähren.“ Darauf antwortete Bhishma: „Oh König, dies ist ohne Zweifel Tugend. Brahmaa selbst hat dies gesagt. Deine Ahnen folgten dem Brauch, und in ihm ist kein Fehler zu finden. Es ist bekannt, oh Shalya, daß dieser Brauch bezüglich der Würde einer Familie von den Weisen und Guten gelobt wird.“ Danach übergab Bhishma dem Shalya viel Gold, sowohl ungemünzt als auch in Münzen, viele tausend kostbare Edelsteine in allen Farben, Elefanten und Pferde, Wagen, Kleidung und Schmuck, Juwelen, Perlen und Korallen.

Mit freudigem Herzen akzeptierte Shalya die kostbaren Geschenke und übergab seine geschmückte Schwester diesem Bullen des Kuru Geschlechts. Da freute sich Bhishma, der Sohn der zum Meer strebenden Ganga, über den Erfolg seiner Mission und kehrte mit Madri in die Hauptstadt zurück, welche nach dem Elefanten benannt ist (Hastina-pura). Von den Weisen wurde ein glücksverheißender Tag nebst der besten Stunde für die Trauungszeremonie ausgesucht, und Pandu wurde mit Madri nach rechter Sitte verheiratet. Dann übergab der Kuru König seiner schönen Braut elegante Räumlichkeiten und überließ sich der angenehmen Gesellschaft seiner beiden Frauen, wie es ihm beliebte.

Nach dreißig Tagen brach der Kuru König auf, um die Welt zu erobern. Ehrend grüßte und verbeugte er sich vor Bhishma und den Älteren in der Familie nebst Dhritarashtra und bat um den Abschied. Dann begann er seinen großen Feldzug und wurde von einer riesigen Heeresmacht auf Elefanten, Pferden und Streitwagen begleitet und mit vielen Segenswünschen und erfolgsverheißenden Riten verabschiedet. Pandu marschierte mit seinem Heer gegen verschiedene Feinde. Zuerst eroberte der Tiger unter den Männern die räuberischen Stämme der Dasharnas im Osten und vermehrte den Ruhm der Kurus.

Als nächstes lenkte er seine Armee gegen Dhirgha, den Herrscher von Maghadha, der voller Stolz auf seine Stärke viele Monarchen beleidigt hatte. Er griff ihn in seiner Hauptstadt an, tötete ihn und nahm sich alle seine Schätze, Fahrzeuge und zahllose Zugtiere. Dann marschierte er gen Mithila und besiegte die Videhas. Als nächstes führte er sein Heer gegen Kasi, Sumbha und Pundra und verbreitete mit seiner Stärke und seinem Heldenmut den Ruhm der Kurus. So verschlang Pandu, dieser Feindebezwinger, wie ein mächtiges Feuer mit seinen Pfeilen und dem Glanz seiner Waffen alle Könige, die sich ihm in den Weg stellten.

Von ihm und seinem Heer bezwungen wurden sie Vasallen der Kurus. Alle Könige, die er besiegte, achteten ihn als den einzigen Helden auf Erden, gerade wie die Himmlischen Indra im Himmel achten. Mit gefalteten Händen beugten sich die Könige vor Pandu und warteten ihm auf mit Geschenken an Juwelen, kostbaren Steinen, Perlen und Korallen, viel Gold und Silber, erstklassigen Kühen, edlen Pferden, schönen Wagen und Elefanten, Kamelen, Eseln, Büffeln, auch Ziegen und Schafen, nebst Decken, wunderschönen Pelzen und Teppichen aus dem Haar des Ranku Hirsches.

Der König von Hastinapura nahm all dies an und kehrte in seine Stadt zurück zur großen Freude seiner Untertanen. Die Bürger, Könige und Minister sprachen froh: „Der Ruhm der Taten von Shantanu, diesem Tiger unter den Königen, und dem weisen Bharata war fast schon ausgestorben und wurde von Pandu wiederbelebt. Die den Kurus zuvor ihr Land und ihren Reichtum raubten, wurden von Pandu unterworfen und müssen jetzt Tribut zahlen.“ Mit Bhishma an der Spitze kamen alle Bürger dem Pandu entgegen und hießen ihren siegreichen König willkommen.

Sie mußten nicht weit laufen, als sie schon die Diener des Königs mit Schätzen beladen erblickten. Und der Zug von reichlich beladenen Fahrzeugen, Elefanten, Pferden, Streitwagen, Kamelen, Kühen und anderen Tieren war so lang, daß sie sein Ende nicht sehen konnten. Dann ehrte Pandu die Füße seines Vaters Bhishma, grüßte die Bürger und alle anderen, wie es Brauch war. Auch Bhishma umarmte den siegreich heimkehrenden Sohn und weinte Freudentränen. Dann ließ Pandu zur Freude seines Volkes Trompeten und Muschelhörner blasen und Kesselpauken schlagen, und zog mit Musik und Tusch in seine Hauptstadt ein.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 114

Pandu zieht sich in den Wald zurück, Heirat des Vidura

Auf Geheiß des Dhritarashtra bot Pandu den heldenhaft errungenen Reichtum Bhishma, Großmutter Satyavati und ihren Müttern, den Prinzessinnen von Kosal, an. Einen Anteil sandte er auch an Vidura. Auch alle anderen Verwandten bekamen von Pandu Geschenke. Sie alle waren höchst erfreut über die Gaben von Pandu. Speziell Ambalika umarmte ihren heldenmütigen Sohn und war so froh, wie Königin Sachi im Himmel sich freut, wenn sie (ihren Sohn) Jayanta umarmt. Mit dem gewonnenen Vermögen führte Dhritarashtra fünf große Opfer durch, welche hundert großen Pferdeopfern gleichkamen, und bei denen hunderten und tausenden Brahmanen reiche Gaben überlassen wurden.

Einige Zeit später zog sich Pandu, welcher damit einen Sieg über Faulheit und Lethargie gewonnen hatte, mit seinen beiden Frauen Kunti und Madri in den Wald zurück. Er verließ seinen prächtigen Palast und sein luxuriöses Bett, lebte beständig im Wald und widmete sich die ganze Zeit der Jagd von Hirschen. Er schlug sein Lager an einem entzückenden, hügligen Ort auf, welcher von riesigen Salbäumen überschattet und am südlichen Ausläufer des Himalaya gelegen war.

Dort wanderte er in völliger Freiheit umher. Der schöne Pandu durchstreifte mit seinen beiden Frauen die Wälder wie Airavata inmitten zweier Elefantenkühe. Die Bewohner der Wälder sahen diesen heldenhaften Bharata Prinzen in Gesellschaft seiner Frauen, er selbst mit schöner Rüstung angetan und geübt in allen vorzüglichen Waffenkünsten, und meinten, einen Gott unter Menschen wandern zu sehen. Auf Befehl des Dhritarashtra unterstützen die Bürger den Pandu in seiner Zurückgezogenheit emsig mit allen Dingen des Vergnügens und der Freude.

In der Zwischenzeit erfuhr Bhishma, der Sohn der zum Ozean strömenden Ganga, daß König Devaka eine junge und schöne Tochter besaß, die er mit einer Shudra Gattin bekommen hatte. Bhishma brachte sie herbei und verheiratete sie mit dem weisen Vidura. Und dieser Kuru Prinz Vidura bekam mit ihr viele Kinder, die ihm in allen Fähigkeiten glichen.
 
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Sambhava Parva des Adi Parva 115

Gandhari bringt hundert Söhne zur Welt

Vaisampayana erzählte:
Und es geschah, oh Janamejaya, daß Dhritarashtra mit Gandhari einhundert Söhne bekam, und zusätzlich noch mit einer Vaisya Gattin einen weiteren Sohn. Pandu hatte mit seinen beiden Frauen Kunti und Madri fünf Söhne, die große Wagenlenker waren und alle von Himmlischen zum Erhalt der Kuru Linie gezeugt wurden.

Da fragte Janamejaya:
Oh bester Brahmane, wie brachte Gandhari diese hundert Söhne zur Welt und wie lange benötigte sie dafür? Welche Lebensspannen waren ihnen bestimmt? Und wie geschah es, daß Dhritarashtra mit einer Vaisya Frau noch einen Sohn bekam? Wie verhielt sich Dhritarashtra zu seiner liebenden, gehorsamen und tugendhaften Gattin Gandhari? Wie wurden die Söhne des Pandu gezeugt, wo doch Pandu selbst vom Fluch eines großen Rishi gebunden war? Oh großer Asket und Gelehrter, erzähl mir alles ganz genau, denn mein Durst, alles über meine Vorfahren zu erfahren, ist noch nicht gestillt.

Und Vaisampayana hub an:
Einmal versorgte Gandhari den großen Vyasa mit respektvoller Aufmerksamkeit, als er durstig und müde in ihr Heim kam. Höchst zufrieden mit ihrer Gastfreundschaft gewährte er ihr den Segen, um den sie bat; nämlich daß sie einhundert Söhne zur Welt bringen würde, und jeder von ihnen würde seinem Vater in Stärke und Geschick in nichts nachstehen. Einige Zeit später empfing sie und trug die Bürde für zwei Jahre in ihrem Leib, ohne zu gebären. Dies machte ihr schwer zu schaffen, erst recht als sie hörte, daß Kunti bereits einem Sohn das Leben geschenkt hatte, der an Pracht der Morgensonne glich.

Sie war sehr ängstlich, daß ihre Schwangerschaft so lang war und verlor den Verstand vor Kummer, so daß sie mit Gewalt auf ihren Leib einschlug ohne das Wissen ihres Ehemannes. So kam nach zwei Jahren eine harte Masse Fleisch aus ihrem Körper, die einer Eisenkugel glich. Als sie schon drauf und dran war, die Masse wegzuwerfen, erschien Vyasa vor ihr, welcher dank seiner spirituellen Macht alles erfahren hatte. Er sprach zur Tochter von Suvala: „Was hast du getan?“

Und Gandhari antwortete ihm, ohne ihre Gefühle verbergen zu wollen: „Nachdem ich gehört hatte, daß Kunti einen sonnengleichen Sohn geboren hat, schlug ich voller Trauer auf meinen Leib ein. Oh Rishi, du hast mir den Segen von hundert Söhnen gewährt. Doch dies ist nur ein Fleischball, und kein einziger Sohn!“ Da sprach Vyasa: „Oh Tochter des Suvala, es ist, wie ich sagte, denn mein Wort kann niemals vergebens sein. Ich habe noch nie eine Lüge ausgesprochen, nicht mal im Scherz. Laß einhundert Töpfe mit geklärter Butter füllen, sie sofort herbringen und an einem verborgenen Ort aufstellen. In der Zwischenzeit besprenkle die Kugel mit kühlem Wasser.“

Vaisampayana fuhr fort:
Mit Wasser benetzt teilte sich der Klumpen in viele Teile, jeder ungefähr von der Größe eines Daumens. Die Teile wurden einzeln in die Buttertöpfe gesteckt, an einem geheimen Ort gebracht und sorgfältig bewacht. Der ruhmreiche Vyasa sprach dann zur Tochter von Suvala, daß sie die Deckel in zwei Jahren abnehmen solle. Nachdem er alles geregelt hatte, kehrte der weise Dwaipayana in die Berge des Himalaya zurück und widmete sich dort der Askese.

Zur rechten Zeit wurde so König Duryodhana aus einem der Fleischteile geboren, die in den Töpfen lagerten. Nach der Abfolge der Geburten war Yudhishthira, Kuntis erster Sohn, der Älteste. Der hochmütige Duryodhana wurde am selben Tag wie der starke Bhima, Kuntis zweiter Sohn, geboren. Sogleich wurde die Nachricht von Duryodhanas Geburt zu Bhishma und Vidura getragen. Doch sobald Duryodhana auf der Welt war, begann er wie ein Esel zu schreien und zu brüllen. In dieses Geheul stimmten alle Esel, Geier, Schakale und Krähen mit ein und begannen zu lärmen. Heftige Winde bliesen dazu, und man sah viele Feuer in alle Richtungen auflodern.

Mit großer Furcht rief König Dhritarashtra Bhishma und Vidura zu sich, und andere Wohlgesinnte der Familie nebst zahllosen Brahmanen und sprach zu ihnen: „Der älteste Prinz, Yudhishthira, ist der Stammhalter der Dynastie. Mit seiner Geburt hat er das Königreich gewonnen. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Doch wird mein Sohn, der nach ihm geboren wurde, auch König werden? Sagt mir ehrlich, was rechtens und unter diesen Umständen richtig ist.“ Sogleich nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte, begannen wieder Schakale und andere fleischfressende Tiere unheilvoll zu heulen.

Alle bemerkten diese schrecklichen Zeichen, und die versammelten Brahmanen mit Vidura antworteten ihm: „Oh König, du Bulle unter den Männern, wenn diese fürchterlichen Omen bei der Geburt deines ältesten Sohnes auftreten, dann ist erwiesen, daß er der Vernichter deiner Familie sein wird. Das Wohlergehen aller hängt von seiner Verbannung ab. Es wäre eine Katastrophe, ihn zu behalten. Oh König, wenn du ihn aufgibst, bleiben dir immer noch neunundneunzig Söhne. Wenn du das Wohl deiner Familie im Sinn hast, dann gib ihn auf, oh Bharata! Oh König, tue der Welt und deinem Geschlecht Gutes, und verzichte auf dieses eine Kind von dir. Es wird gesagt, daß
ein Einzelner dem Wohle der Familie geopfert werden sollte,
eine Familie dem Wohle des Dorfes,
ein Dorf dem Wohle des ganzen Landes und
die Erde selbst dem Wohle der großen Seele.


Doch Dhritarashtra hatte aus Zuneigung für seinen Sohn nicht das Herz, ihrem Ratschlag zu folgen. Innerhalb eines Monats wurden so dem Dhritarashtra einhundert Söhne und eine Tochter geboren. Doch damals, als Gandhari in einem Zustand von fortgeschrittener Schwangerschaft war, wurde Dhritarashtra von einer Dienerin aus der Vaisya Kaste begleitet. In diesem Jahr zeugte er mit ihr einen Sohn von großer Klugheit, der später Yuyutsu genannt wurde. Und weil er von einem Kshatriya gezeugt und einer Vaisya geboren worden war, wurde er auch Karana genannt.

So wurden dem Dhritarashtra die einhundert Söhne geboren, alles Helden und Wagenkrieger, eine Tochter und noch ein Sohn namens Yuyutsu mit großer Energie und Heldenmacht mit einer Vaisya Frau.
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 116

Geburt der Dushala
Janamejaya sprach:
Oh du Sündenloser, du hast mir von Anfang an alles über die Geburt der hundert Söhne des Dhritarashtra erzählt, wie es dem Segen des Rishi entsprach. Doch du hast mir noch keine Einzelheiten über die Geburt der Tochter verraten. Du hast nur erwähnt, daß zusätzlich zu den hundert Söhnen ein Sohn von einer Vaisya Frau geboren wurde und eine Tochter. Doch der große Rishi Vyasa mit der immensen Energie hat zur Tochter des Königs von Gandhara lediglich gesagt, daß sie die Mutter von hundert Söhnen sein würde. Du Ruhmreicher, wie kommt es, daß du nun von einer Tochter neben den hundert Söhnen sprichst? Wenn der Fleischklumpen vom Rishi nur in hundert Stücke geteilt wurde, und wenn Gandhari zu keiner anderen Zeit empfing, wie konnte dann Dushala geboren werden? Erklär mir das, oh Rishi. Meine Neugier ist groß.

Vaisampayana antwortete:
Oh Nachfahre der Pandavas (Söhne des Pandu), deine Frage ist gerecht, und ich werde dir erzählen, wie es geschah. Der ruhmreiche und große Rishi besprühte den Fleischklumpen mit Wasser und begann, ihn in Teile zu zerlegen. Die Amme nahm die Teile und legte sie nacheinander in die Buttertöpfe. Währenddessen fühlte die schöne und keusche Gandhari der strengen Gelübde eine Liebe, wie man sie für eine Tochter empfindet. So begann sie nachzudenken: „Kein Zweifel, ich werde hundert Söhne bekommen. Der Muni hat es gesagt, und anders kann es nicht sein. Doch ich wäre sehr glücklich, wenn mir zusätzlich noch eine jüngere Tochter geboren würde.

Dann würden meinem Ehemann auch die Welten verliehen, die man durch die Söhne einer Tochter erreicht. Und die Zuneigung, die Frauen für ihre Schwiegersöhne fühlen, ist groß. Wenn ich also noch eine Tochter hätte, dann würde ich mich zutiefst gesegnet fühlen im Kreise meiner hundert Söhne und den Söhnen meiner Tochter. Wenn ich je asketische Enthaltsamkeit übte, Almosen gab, das Homa ausführte und die Höhergestellten mit respektvoller Achtung zufriedenstellte, dann möge mir eine Tochter geboren werden.“

In diesem Moment hatte der ruhmreiche Rishi Vyasa höchstselbst den Fleischklumpen zerteilt, zählte genau einhundert Teile und sprach zur Tochter von Suvala: „Hier sind deine hundert Söhne. Ich sprach nichts Falsches zu dir. Doch hier ist ein Teil extra, damit du auch einen Sohn durch eine Tochter bekommst. Dieser Teil soll sich zu einer lieblichen und glücklichen Tochter entwickeln, wie du es dir gewünscht hast.“ Dann brachte der Asket noch einen Topf mit geklärter Butter gefüllt herbei und legte den extra Teil hinein. Und so habe ich dir, oh Bharata, alles über die Geburt der Dushala erzählt. Sag mir, oh Sündenloser, was ich dir noch erzählen soll.
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva
117

Die Namen der hundert Söhne des Dhritarashtra

Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 118

Pandu tötet einen Rishi in Hirschgestalt und wird verflucht
Janamejaya sprach:
Oh du Sprechender der Spiritualitțt, du hast alles über die außergewöhnliche Geburt der Söhne Dhritarashtras gemäß dem Segen des Rishi erzählt. Und du hast ihre Namen aufgezählt. Ja, Brahmane, das habe ich alles von dir vernommen. Doch berichte mir nun von den Pandavas. Als du von den Inkarnationen der Sura- und Asura-Götter auf Erden sprachst, hast du erwähnt, daß die Pandavas alle ruhmreich und mit göttlicher Macht versehen waren, und daß sie die Inkarnationen von Himmlischen waren. Ich möchte alles über ihre herausragenden Errungenschaften hören. Oh Vaisampayana, erzähle mir alles von ihrer Geburt an.

Vaisampayana sprach:
Nun König, eines Tages streifte Pandu durch die wildreichen Wälder südlich des Himavat und entdeckte einen stattlichen Hirsch, welcher der Anführer einer großen Herde zu sein schien, wie er sich mit einem Weibchen paarte. Als der Monarch die beiden Tiere entdeckte, durchbohrte er sie mit fünf scharfen und schnellen Pfeilen mit goldenen Federn. Doch es war kein Hirsch, den Pandu zu Boden streckte, sondern der Sohn eines Rishi mit großem asketischen Verdienst, der sich mit seiner Gefährtin in Hirschgestalt verband. Während der Begattung von Pandu durchbohrt, fiel er zu Boden, stieß menschliche Schreie aus und weinte bitterlich.

Dann sprach der Hirsch zu Pandu:
Oh König, sogar Menschen,
welche Sklaven ihrer Lust und ihres Zornes sind,
die ihre Vernunft verloren haben und immer der Sünde zugetan sind,
begehen niemals eine so grausame Tat wie diese.

Dein individuelles Urteil kann nicht über die grundlegenden Gesetze siegen, denn die Gesetze stehen über den persönlichen Ansichten. Und die Weisen befürworten niemals eine Handlung, die den Gesetzen wiederspricht. Du bist in einem Geschlecht geboren, oh Bharata, was immer tugendhaft war. Wie konnte es nur geschehen, daß du von Verlangen und Zorn übermannt, deine Vernunft verloren hast?“

Pandu erwiderte:
Oh Hirsch, Könige verhalten sich bei der Jagd von Hirschen genauso wie beim Kampf mit Feinden. Es ist nicht recht von dir, mich dafür zu tadeln. Tiere deiner Spezies werden sowohl offen als auch heimlich getötet. Das ist die Praxis der Könige. Warum rügst du mich? Vor langer Zeit jagte Agastya während eines ausgedehnten Opfers Hirsche und widmete jeden Hirsch und jedes Reh des Waldes den Göttern im allgemeinen. Und er hat das Homa mit dem Fett eines Hirsches für sein besonderes Opfer ausgeführt. Du wurdest getroffen wie in diesem Beispiel. Warum tadelst du mich?

Der Hirsch sprach:
Oh König, Männer lassen ihre Pfeile nicht einmal auf ihre Feinde fliegen, wenn diese unvorbereitet sind.
Nur nach Erklärung der Feindschaft ist dies angemessen, und das Töten in dieser Zeit ist nicht tadelnswert.

Pandu erwiderte:
Es ist wohlbekannt, daß Männer Hirsche auf verschiedene, wirksame Weisen töten, ohne zu beachten, ob die Tiere achtsam sind oder nicht. Warum, oh Hirsch, tadelst du mich?

Da sprach der Hirsch:
Oh König, ich gebe dir keine Schuld, einen Hirsch getötet oder mich verletzt zu haben. Doch anstelle so grausam zu handeln, hättest du auf die Beendigung meiner Vereinigung warten müssen. Welcher Mann von Weisheit und Tugend ist in der Lage, ein Wesen zu töten, welches auf diese Weise beschäftigt ist? Die sexuelle Vereinigung ist jedem Wesen geboten und führt zum Wohle aller. Oh König, mit meiner Gefährtin war ich mitten in der Befriedigung meines sexuellen Verlangens. Doch du hast die Erfüllung meiner Bemühungen verhindert. Oh König der Kurus, du bist im Geschlecht der Kurus geboren, welche sich immer um weiße (reine) Taten bemühten, und solche Handlung war nicht angemessen für dich.

Oh Bharata, diese Tat muß als äußerst grausam gelten. Sie verdient universelle Ächtung, ist niederträchtig und sündig und führt ganz sicher in die Hölle. Du kennst das Vergnügen der sexuellen Vereinigung. Du kennst die Belehrungen über Moral und die Gebote der Pflicht. Du gleichst einem Himmlischen und daher ist eine Tat, die in die Hölle führt, für dich nicht angemessen. Oh König, es ist wohl deine Pflicht, alle zu bestrafen, die grausam handeln, sich in sündige Taten verstricken und sich von Tugend, Wohlstand und Liebe abwenden.

Doch mich hast du getötet, bester Mann, obwohl ich dir kein Leid antat. Ich bin ein Muni, der von Früchten und Wurzeln lebt, auch wenn ich als Hirsch erschien. Ich lebte friedvoll mit allen im Wald zusammen. Doch du hast mich getötet, oh König, und dafür wird dich sicher mein Fluch treffen. Weil du zu einem liebenden Paar grausam warst, soll der Tod dich in dem Moment einholen, wenn du selbst dieser ur-natürlichen Begierde nachgeben wirst. Ich bin der Muni Kimindama und verfüge über asketischen Verdienst. Ich folgte meinem sexuellen Begehren mit diesem Reh, weil meine Zurückhaltung mir verbat, diesem Verlangen in menschlicher Gesellschaft nachzugehen.

In Gestalt eines Hirsches wanderte ich durch die tiefen Wälder in Gemeinschaft von Rehen. Du hast mich getötet, ohne zu wissen, daß ich ein Brahmane bin. Daher überkommt dich nicht die Sünde, einen Brahmanen getötet zu haben. Doch, unsinniger Mann, weil du mich in diesem Moment getötet hast, soll mein Schicksal auch das deine sein. Wenn du lustvoll deine Ehefrau berührst und dich mit ihr vereinigst, wie ich es tat, dann sollst du wie ich in das Reich der Ahnen eingehen. Und die Gattin von dir, mit der du zum Zeitpunkt deines Todes lustvoll vereint bist, wird dir aus Zuneigung und Respekt in das unvermeidbare Reich des Königs der Toten folgen. Du hast mir Leid gebracht, als ich glücklich war. Daher wird das Leid zu dir kommen, wenn du glücklich bist.“

Mit diesen Worten gab der Hirsch trauernd sein Leben auf, und Pandu versank sogleich in tiefen Kummer.
 
Mahabharata 1. Buch
Sambhava Parva des Adi Parva 119

Die Klage des Pandu und seine Abdankung

Nachdem der Hirsch verstorben war, verfiel König Pandu mit seinen Ehefrauen in tiefes Elend und weinte bitterlich.

Und Pandu klagte:
Die von ihren eigenen Begierden irregeführten Niederträchtigen, auch wenn sie in tugendhafte Familien geboren wurden, werden vom Elend als Frucht ihrer eigenen Taten überwältigt. Ich habe vernommen, daß mein Vater, obwohl er von Shantanu mit der tugendhaften Seele gezeugt wurde, schon in seiner Jugend starb, weil er zum Sklaven der Lust geworden war. Der ruhmreiche Rishi Vyasa mit der wahrhaften Rede zeugte mich mit den Frauen dieses lustvollen Königs. Und obwohl ich ein Sohn dieses hohen Wesens bin, führe ich mit gemeinem Herzen und dem Laster zugetan ein ruheloses Leben und jage im Walde nach Hirschen.

Ach, die wahrhaften Götter haben mich verlassen! Ich sollte nun nach Erlösung suchen. Doch die großen Hindernisse auf dem Weg dahin sind die Begierden nach Kindern und anderen weltlichen Dingen. Ich sollte die Brahmacharya Art zu leben annehmen und meinem Vater auf seinem unvergänglichen Wege folgen. Dann werde ich durch strenge Buße gewiß meine Leidenschaften beherrschen lernen. Ich sollte meine Ehefrauen und anderen Verwandten verlassen, mein Haupt scheren und allein über die Erde wandern.

Ich werde die Bäume um den Erhalt meiner Existenz bitten.
Ich werde jedem Objekt der Zu- und Abneigung entsagen,
meinen Körper mit Staub bedecken,
und nur Bäume oder verlassene Häuser sollen mir Unterkunft bieten.

Niemals werde ich mich dann dem Einfluß von Leid oder Freude unterwerfen.
Und Verleumdung und Lob werden mir im selben Licht erscheinen.
Ich werde weder Lob noch Segnungen suchen.
Ich werde mit allem zufrieden sein und keiner Geschenke bedürfen.

Ich werde niemanden verspotten oder meine Stirn über jemanden runzeln.
Dafür werde ich immer heiter sein und dem Wohle aller Wesen zugetan.
Ich werde kein Wesen verletzen, sei es mit der Gabe der Bewegung ausgestattet oder nicht.
Ich werde alle gleich behandeln, als wären es meine eigenen Kinder.

Pro Tag werde ich nur bei fünf bis zehn Familien um Nahrung bitten,
und wenn es mir dann nicht gelingt, Almosen zu bekommen, werde ich ohne Essen weitergehen.
Lieber schränke ich mich ein, als daß ich jemanden zweimal bitte.
Wenn ich keinerlei Nahrung nach einer Runde von sieben bis zehn Häusern bekomme, werde ich meine Runde nicht aus Habsucht vergrößern.
Doch ob es mir gelingt, Almosen einzusammeln oder nicht, immer werde ich gleichermaßen unbewegt bleiben, wie ein großer Asket.

Ob man mir den einen Arm mit einem Beil abhackt oder den anderen mit Sandelpaste einschmiert, das wird von mir gleich geachtet werden.
Ich werde niemandem Wohlstand oder Elend wünschen.
Das Leben wird mich nicht erfreuen und der Tod mir nicht mißfallen.
Ich werde mir weder wünschen, daß ich lebe, noch daß ich sterbe.

Ich werde mein Herz von allen Sünden reinwaschen und all die geheimen Riten verinnerlichen,
welche zur Glückseligkeit führen und von Menschen in verheißungsvollen Momenten, Tagen und Zeiten ausgeübt werden.
Ich werde mich auch von allen religiösen und Gewinn-versprechenden Taten fernhalten, sowie von den Handlungen, die zur Befriedigung der Sinne führen.

Von allen Sünden und Fallstricken der Welt befreit, werde ich wie der Wind niemandes Untertan sein.
Auf dem Pfad der Furchtlosigkeit werde ich wandern und mich erhalten, bis ich schließlich mein Leben niederlege.
Die Kraft, Kinder zu zeugen, wurde mir genommen. Und fest an diesen vorgegebenen Pfad gebunden, will ich nicht mehr davon abweichen und nie wieder die gewöhnlichen Wege der Welt betreten, die voller Elend sind.
Ob die Welt es wahrhaben will oder nicht,
schon wenn jemand einen bettelnden Blick auf andere wirft, verhält er sich nicht besser wie ein Hund.

Vaisampayana fuhr fort:
So weinte und klagte der König, schaute seufzend auf seine beiden Ehefrauen Kunti und Madri und sprach zu ihnen: „Informiert die Prinzessin von Kosal, Vidura, den König und unsere Freunde, die ehrenwerte Satyavati, Bhishma, unseren Familienpriester, die ruhmreichen, somatrinkenden Brahmanen der strengen Gelübde und alle älteren Bürger, die von uns abhängen, daß Pandu sich in die Wälder zurückgezogen hat, um ein Leben in Askese zu führen.“

Da sprachen sowohl Kunti als auch Madri zum festentschlossenen Pandu in angemessenen Worten: „Oh du Bulle unter den Bharatas, es gibt viele Arten zu leben, die du nun annehmen und deine strenge Buße mit uns, deinen dir anvertrauten Gattinnen, ausüben kannst. Und in denen du die Erlösung deines Körpers und den Himmel als Belohnung erreichen, ja sogar Herr des Himmels werden kannst. Wir werden auch in Gesellschaft unseres Herrn und zu seinem Wohl unsere Leidenschaften beherrschen. Wir sagen allem Luxus Lebewohl und werden uns unter die Herrschaft schwerer Buße stellen. Oh König, du Weiser, wenn du uns aufgibst, werden wir noch am selben Tag diese Welt verlassen.“

Pandu antwortete:
Wenn euer Entschluß aus der Tugend kommt, dann werde ich mit euch beiden dem unvergänglichen Pfad meines Vaters folgen. Ich werde dem Luxus der Städte und Paläste entsagen, mich in Bast kleiden, von Früchten und Wurzeln leben und strengster Askese folgend durch die Wälder wandern. Beim Bade am Morgen und am Abend werde ich das Homa ausführen. Ich werde meinen Körper abmagern, indem ich nur sehr wenig esse. Ich werde Lumpen und Felle tragen und verfilzte Locken auf dem Kopf haben. Ich werde mich Hitze und Kälte aussetzen und Hunger und Durst nicht achten.

Durch strenge Enthaltsamkeit werde ich abnehmen. In der Einsamkeit werde ich in Kontemplation versunken sein. Ich werde die Früchte reif oder unreif essen, wie ich sie finde. Ich werde den Ahnen und Göttern nur Worte, Wasser und Früchte der Wildnis opfern. Ich werde keinen Bewohner des Waldes verletzen, ja nicht einmal anschauen, ebenso meine Verwandten oder irgendwelche anderen Bewohner der Städte und Dörfer. Bis ich meinen Körper ablege, werde ich der Praxis entsprechend den Vanaprasta Geboten (der Waldeinsiedler) folgen und immer nach Höherem suchen.

Vaisampayana sprach:
Nachdem der Kuru König dies zu seinen Frauen gesprochen hatte, verschenkte er das große Juwel in seinem Diadem an Brahmanen, auch die Halskette aus kostbarem Gold, die Armreifen, die großen Ohrringe, die kostbaren Kleider und allen Schmuck seiner Frauen. Dann rief er seine Diener herbei und befahl ihnen: „Kehrt nach Hastinapura heim und erzählt allen, daß Pandu mit seinen Frauen in die Wälder gegangen ist und allem Wohlstand, Begehren, Glück und sogar dem sexuellen Genuß entsagt hat.“

Da begannen alle Gefolgsleute und Diener des Königs mit viel „Weh!“ und „Ach!“ zu klagen. Als sie den Monarchen verließen, rannen ihnen heiße Tränen über die Wangen. Schnell eilten sie nach Hastinapura und brachten alle Sachen des Königs heim. Als Dhritarashtra von ihnen erfuhr, was geschehen war, weinte er um seinen Bruder. Und er brütete über dessen leidvollem Schicksal, so daß die Behaglichkeit von Betten, Sesseln und Speisen ihm wenig Genuß spenden konnte.

Nachdem Pandu all seine Diener fortgeschickt hatte, begab er sich mit seinen beiden Ehefrauen zum Berg Nagashata und lebte von Früchten und Wurzeln. Danach wanderte Pandu zum Chaitraratha und überquerte Kalakuta. Schließlich überwand er den Himavat und kam in Gandhamadana an. Unter dem Schutz von Mahabhutas, Siddhas und großen Rishis lebte er mal in der Ebene und mal auf einem Bergeshang. Dann reiste er zum See von Indradyumna, überquerte den Berg Hansakuta und wanderte zum Berg mit den hundert Gipfeln und übte dort strenge Buße.
 
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Die Schulden womit man geboren wird und Pandu

Vaisampayana erzählte:
Der mit großer Energie gesegnete Pandu widmete sich nun der Askese. In kurzer Zeit schon wurde er zum Liebling aller Siddhas und Charanas, die wie er im Walde lebten. Er gab sich dem Dienst an seinen spirituellen Meistern hin, war frei von Eitelkeit, hatte seinen Geist unter vollendeter Kontrolle und seine Leidenschaften besiegt. So schien der Prinz fähig aus eigener Energie in den Himmel aufzusteigen und gewann sich große asketische Kraft. Manche der Rishis nannten ihn Bruder, manche Freund und andere wiederum schätzten ihn wie einen Sohn. Nach langer Zeit sammelte er großen asketischen Verdienst, und verbunden mit einem Leben ohne Sünde glich Pandu einem Brahmarshi (obwohl er doch von Geburt her ein Kshatriya (Krieger) war).

Eines Tages kamen die großen Rishis der strengen Gelübde bei Neumond zusammen, um Brahma zu schauen. Als sie ihre Reise beginnen wollten, fragte Pandu: „Ihr vorzüglichen Redegewandten, wohin geht ihr?“ Die Rishis antworteten: „Es findet heute im Reich Brahmaas (das erste erschaffene Lebewesen in einem Universum) eine große Zusammenkunft von Himmlischen, Rishis und Ahnen statt. Wir sehnen uns danach, Brahmaa zu schauen und werden hingehen.“ Da erhob sich Pandu sogleich und wünschte, auch den Himmel zu schauen mit all seinen großen Rishis. Doch als er mit seinen beiden Frauen den Asketen folgen wollten, sprachen sie zu ihm: „Auf unserem Marsch gen Norden besteigen wir den König der Berge.

Auf seiner entzückenden Brust gibt es viele Bereiche, die für normale Sterbliche unerreichbar sind. Es sind die Rückzugsorte der Götter, Gandharvas und Apsaras mit palastartigen Häusern, die sich zu Hunderten aneinanderschmiegen und vom Klang lieblicher Musik widerhallen. Auch der Garten Kuveras liegt dort, auf sowohl ebenem als auch unebenem Boden, an den Ufern gewaltiger Flüsse und in tiefen Höhlen. Es gibt auch viele Gegenden, wo immer Schnee liegt und nirgends Pflanzen oder Tiere gedeihen.

Oft sind die Regenschauer so heftig, daß das Land unbegehbar ist für Menschen und niemand dort wohnen kann. Nicht zu reden von anderen Wesen. Nicht einmal Vögel können sie durchqueren. Nur Luft kann dort wandern, und die einzigen Wesen, die es auch können, sind Siddhas und große Rishis. Wie sollen diese Prinzessinnen die Höhen des Königs der Berge ersteigen? Sie sind Schmerz nicht gewöhnt und werden gepeinigt zu Boden sinken. Daher komm nicht mit uns, du Bulle der Bharatas.“

Pandu erwiderte:
Oh ihr Glücklichen, es wird gesagt, daß jemand ohne Sohn keinen Einlaß in den Himmel bekommt. Und ich habe keinen Sohn! Voller Verzweiflung spreche ich zu euch. Euer Reichtum ist die Askese, und ich war nicht in der Lage, meine Schuld an den Ahnen zu begleichen. Es ist gewiß, daß mit der Auflösung meines Körpers auch meine Vorfahren vergehen. Die Menschen werden mit vier Schulden auf Erden geboren: die Schuld an ihren verstorbenen Ahnen, an den Göttern, Rishis und anderen Menschen.

Mit Gerechtigkeit muß man sich von ihnen befreien. Die Weisen haben erklärt, daß es für die, welche diese Schulden nicht zur rechten Zeit begleichen, keine Glückseligkeit im Himmel gibt.
Die Götter befriedet man durch Opfer,
die Rishis durch Studium, Meditation und Askese,
die Ahnen durch das Zeugen von Kindern und durch die Opfergabe des Begräbniskuchens,
und andere Menschen durch ein freundliches und mitfühlendes Leben.

Ich habe meine Verpflichtung an die Rishis, Götter und Menschen rechtens erfüllt. Doch meine Ahnen werden sicher mit der Auflösung meines Körpers vergehen. Ihr Asketen, von dieser Schuld bin ich noch nicht befreit. Die besten Männer werden in diese Welt geboren, um Kinder zu zeugen und diese Schuld zu bezahlen. Ich möchte euch fragen, ob meine Frauen Kinder bekommen sollten, so wie ich selbst durch den überragenden Rishi aus der Vereinigung mit den Frauen meines Vaters entstand?

Die Rishis antworteten:
Oh König mit der tugendhaften Seele, für dich sind sündenlose, mit gutem Schicksal gesegnete und den Göttern gleichende Kinder vorgesehen. Das können wir mit unseren prophetischen Augen sehen. Daher, du Tiger unter den Männer, handle selbst, wie es das Schicksal dir aufzeigt. Kluge Menschen, die achtsam und bedächtig handeln, gewinnen sich immer gute Früchte. Bemühe dich also, oh König. Deine Früchte sind klar sichtbar. Wahrlich, du wirst fähige und angenehme Nachkommenschaft bekommen.
 
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