Seal144
Sehr aktives Mitglied
20.
„Bei allen Dschinns der Hölle! Ihr sagt uns sofort, wo ihr den Sprengstoff versteckt habt!“, schrie der Polizeibeamte Ali an und drohte wütend mit der Faust.
Ali und der Shrenk saβen im Polizeipräsidium von Al-Madina. Der Shrenk verstand von dem Verhör kein einziges Wort, konnte sich aber seinen Teil gut denken.
„Hören sie, wir sind nicht das, was sie glauben. Wir sind einfache Pilger auf der Hadsch.“ Ali rang nach Atem. Immerhin versuchte sie das den beiden Vernehmungsbeamten seit drei Stunden klarzumachen und hatte einen trockenen Mund vom vielen reden.
„Ach, erzählt das jemand anderem, aber nicht uns.“ Der Beamte stand auf und schlug vor Ali mit der Faust auf den Tisch. „Ihr seid Terroristen. Ihr seid westliche Agenten. Euer Auftrag war, die heilige Prophetenmoschee in die Luft zu jagen. Ihr wart gerade dabei, in der heiligen Masdschid an-Nabawi Moschee den Sprengstoffanschlag zu planen. Dank Allah, dem Allmächtigen, ist euch die Mutawa zuvorgekommen!“ Die Mutawa, dachte Ali, ein Schauder lief ihr über den Rücken, bei dem Gedanken. Dank Allah hatte man der Mutawa seit einigen Jahren das Recht auf Verhör entzogen.
„Ich frage euch nochmals geduldig, aber es wird nicht mehr lange dauern und meine Geduld ist zu Ende“, drohte der Beamte. „ Wer sind eure Auftraggeber?“
„Wir haben keine Auftraggeber“, antwortete Ali.
„Keine Auftraggeber?“ Der Beamte lachte. „Entweder der Mossad oder der CIA! Das finden wir schon heraus. Die Peitsche wird euch gesprächiger machen, glaubt mir!“
„Wir haben keine Auftraggeber“, versuchte es Ali erneut.
„Ach ja? Dann verratet mir mal, was habt ihr im Keller der Madschid an-Nabawi Moschee gesucht?“
„Wir sind Freunde von Karim Bin Awad und waren mit Doktor Hans Omar Pasch, seinem Architekten hier in Al-Madina. Warum erkundigt ihr euch nicht bei Karim Bin Awad oder Doktor Hans Omar Pasch?“
„Beantwortet mir die Frage, was ihr dort unten im Keller der Moschee gesucht habt!“
„Doktor Hans Omar Pasch, wollte uns das hydraulische System für die Kuppeln der Moschee zeigen. Er wurde aber von jemandem angerufen und musste kurz weg. Pasch wollte uns nur zehn Minuten allein lassen, wie er sagte. Da er aber nicht zurückkam, und es meinem Freund, dem Doktor Shrenk schlecht ging, waren wir auf der Suche nach frischer Luft.“
„Frische Luft, oder einem Versteck für den Sprengstoff?“
„Haben wir denn kein Recht auf einen Anwalt?“, erkundigte sich der Shrenk leise bei Ali.
„Mein Freund bittet um einen Anwalt“, gab Ali die Frage vom Shrenk weiter.
„Anwalt?“ Der Beamte lachte. „Das Königreich Saudi-Arabien ist ein souveräner arabisch-islamischer Staat. Seine Religion ist der Islam. Seine Verfassung ist die des Buches, des Allmächtigen Gottes, dem Heiligen Koran und der Sunna. Ihr braucht keinen Anwalt, denn der heilige Koran wird darüber entscheiden, was mit euch zu geschehen hat.“
Worauf er zum Telefon griff: „Abführen!“
„Wir sind unschuldig“, versuchte Ali die Beamten zu überzeugen. „Habt ihr denn keine Anwälte für Ausländer?“ versuchte sie es nochmals.
„Ihr werdet, wenn es soweit ist dem Richter übergeben. Und jetzt schweigt, sonst beginnen wir sofort mit der Bestrafung durch Peitschenhiebe.“
Ali beschloss sich besser an die Aufforderung zu halten und schwieg.
Peitschenhiebe? Vielleicht hätte ich besser im Al-Gharb bleiben sollen statt diese lange Kette von Abenteuern durchzustehen, fragte sich Ali.
Es betraten zwei weitere Beamte den Raum und forderten Ali und dem Shrenk auf, ihnen zu folgen. Während es durch ein Wirrwarr von Gängen und Treppen, ein Stockwerk hinunter ging, wollte der Shrenk wissen was los sei. „Schweigen sie“, flüsterte Ali. „Ich erzähle es ihnen später.“ Dem Shrenk schauderte, als drauβen auf dem Gefängnishof plötzlich gellende Schreie erklangen. Auch Ali zuckte zusammen. Dann wurden sie in eine Zelle hineingestoβen und hörten, wie die Tür mit lautem Krach zu fiel und von auβen verriegelt wurde.
„Oh Ali, was sollen wir tun?“ Der Shrenk war in einem jammervollen Zustand. Sein Atem ging schwer und ihm war übel. Ali ging es auch nicht besser. Sie hielt sich die Nase zu, die Zelle, in die man sie eingesperrt hatte, strotzte vor Dreck, es stank nach Schweiβ, Erbrochenem, Fäulnis und Urin.
„Das war einfach zu viel!“, entfuhr es Ali. „Der heutige Tag eine einzige Katastrophe!“ Verstohlen wischte sie sich eine Träne aus dem Gesicht. „Wie spät mag es jetzt sein?“, fragte
sie den Shrenk, der dies natürlich auch nicht wissen konnte, denn ihre Uhren hatte man ihnen abgenommen.
Wenigstens durften wir unsere Pilgerkittel anbehalten, sonst wäre es aufgeflogen, dass ich eine Frau bin, dachte Ali mit Schaudern.
Eine einzige Kette von unglücklichen Ereignissen, zählte Ali auf:
„Heute am Morgen die Geiselnahme in der Al-Haram Moschee in Makka durch Mohamed und seine Dschihadhis. Dann die Fahrt nach Al-Madina und unsere gelungene Flucht vor Mohamed.“ Ali schluchzte. „Aber nun, Shrenk, sind wir vom Regen in die Traufe, gekommen. Wir sitzen im Gefängnis, und man verdächtigt uns des Terrorismus.“
„Beruhigen sie sich, lieber Ali“, versuchte es der Doktor mit einer Stimme, die ihm fast versagte.
„Beruhigen? Wisst ihr was uns blüht?“
Der Shrenk schüttelte verneinend den Kopf, ja eigentlich schüttelte er sich am ganzen Körper, denn er ahnte, was Ali nun sagen würde.
„Die Todesstrafe! Wir werden geköpft.“
„Hm“ murmelte der Shrenk und rang nach Atem.
„Hm? Das ist alles was euch dazu einfällt? - Bei Allah dem Allmächtigen! So tun sie was Shrenk. Ihre ganze Psychoanalyse, wem nutzt sie überhaupt? Wir sitzen hier fest und es ist ihre Aufgabe etwas dagegen zu unternehmen!“
„Hm.“ Der Doktor räusperte sich und zwirbelte nachdenklich seinen Bart. „Wir kennen die psychische und psychosoziale Bedeutung von Macht aus der eigenen Kindheit. Hm. Dort war sie uns vertraut aufgrund unserer existentiellen Angewiesenheit auf versorgende, schützende und kontrollierende Elternfiguren, die uns in die Welt einführten und uns lehrten, was gut und böse ist.“
„Shrenk! Es geht hier nicht um unsere Eltern!“
„In der Tat geht es darum. So lasst mich doch ausreden.“
Ali nickte, ein wenig ungeduldig zwar, aber sie schwieg. Schlieβlich hoffte sie auf ein Wunder vom Shrenk.
„Also“, begann der Shrenk erneut:
„Elterliche Kontrolle und Steuerung waren überlebenswichtig, weil wir noch nicht über Autonomie und Urteilskraft verfügten. Die Verbindung der Macht mit kindlichen Tarnmanövern kam immer dann zustande, wenn wir als Kinder selbst zu Lüge und Abwehrmaβnahmen griffen, um uns elterlichem Zugriff und elterlichen Kontrolle zu entziehen. Versteht ihr, was ich sagen will?“
„Ja, schon. Wenn wir sagten, das war nicht ich, das war der Junge vom Nachbarn, aber was hat das mit dem Gefängnis zu tun?“
„Auch wir sind hier, wie in unsere Kindheit damals, wo wir elterlichen Abwehr- und Manipulationsstrategien ausgesetzt waren. Genau wie damals, wenn sie unsere unterlegene Position nutzten, um verzerrte Wahrnehmungen auf unserer Seite zu begünstigen.“
„Was?“
„Es ist nun einmal so, dass Sicherheit, Selbstachtung und Respekt, Gewissen, Wohlbefinden und Verantwortung diejenigen Funktionen sind, die beachtet werden müssen, wenn es um Machtkonflikte geht.“
Der Doktor schwieg und blickte angestrengt an die Decke. Ali beobachtete ihn kopfschüttelnd. Womöglich kam oben von der Decke doch noch das Wundermittel?
„Wer unten ist, kann von unten dirigieren. Man kann herrschen durch Leiden. Man kann herrschen durch aggressive Gefügigkeit oder durch fordernde Abhängigkeit. Man kann durch Zuschreibung von Verantwortung an die Autoritäten sich selbst entlasten.“
„Doktor! - Beim Barte des Propheten, Allah habe ihn selig, aber was hat das in irgendeiner Weise mit uns zu tun, oder wollen sie mit Selbstachtung, Respekt und Verantwortung zum Schafott schreiten und dabei herrschen durch Leiden während das Schwert auf unseren Hals niedersaust? Wem hilft euer theoretisierender Wissenschaftsdunk? Aber fahren sie fort, fahren sie ruhig fort Doktor Shrenk, so vertreiben wir uns wenigstens die kostbare Zeit, die uns von unserem Leben noch bleibt. Sobald der Ramadan zu Ende geht, werden wir geköpft, mit einem Schwert, werter Shrenk. Und falls sie es rauskriegen, dass ich eine Frau bin, bekomme ich einen Sack übergestülpt und werde mit dem Revolver erschossen und zwar inmitten auf dem Richtplatz vor einer versammelten Schar Neugieriger!“
„Wirklich?“ Der Doktor war mal wieder blass geworden, währenddessen Ali in ihrer Aufregung, ein gerötetes Gesicht bekommen hatte, sich die eigene Hinrichtung bildlich vorzustellen. „Unser Blut wird anschlieβend mit dem Schlauch abgespritzt. Und wissen sie, werter Doktor, wie oft das in Saudi Arabien passiert? Nein? Letztes Jahr waren es neunundsiebzig Hinrichtungen.“
„Wir sollten nicht so negativ denken, werter Ali“, antwortete der Doktor, wurde aber von Schreien aus dem Hof unterbrochen. Es war eindeutig ein Mann der schrie, und man hörte den Knall der Peitsche. Der Mann schrie im Rhythmus einer niedersausenden Peitsche, die im genauen Takt auf ihn einschlug. Ali und der Doktor begannen zu zählen. Dann endlich Stille gefolgt von leisem Stöhnen.
„Bei allen Dschinns der Hölle! Ihr sagt uns sofort, wo ihr den Sprengstoff versteckt habt!“, schrie der Polizeibeamte Ali an und drohte wütend mit der Faust.
Ali und der Shrenk saβen im Polizeipräsidium von Al-Madina. Der Shrenk verstand von dem Verhör kein einziges Wort, konnte sich aber seinen Teil gut denken.
„Hören sie, wir sind nicht das, was sie glauben. Wir sind einfache Pilger auf der Hadsch.“ Ali rang nach Atem. Immerhin versuchte sie das den beiden Vernehmungsbeamten seit drei Stunden klarzumachen und hatte einen trockenen Mund vom vielen reden.
„Ach, erzählt das jemand anderem, aber nicht uns.“ Der Beamte stand auf und schlug vor Ali mit der Faust auf den Tisch. „Ihr seid Terroristen. Ihr seid westliche Agenten. Euer Auftrag war, die heilige Prophetenmoschee in die Luft zu jagen. Ihr wart gerade dabei, in der heiligen Masdschid an-Nabawi Moschee den Sprengstoffanschlag zu planen. Dank Allah, dem Allmächtigen, ist euch die Mutawa zuvorgekommen!“ Die Mutawa, dachte Ali, ein Schauder lief ihr über den Rücken, bei dem Gedanken. Dank Allah hatte man der Mutawa seit einigen Jahren das Recht auf Verhör entzogen.
„Ich frage euch nochmals geduldig, aber es wird nicht mehr lange dauern und meine Geduld ist zu Ende“, drohte der Beamte. „ Wer sind eure Auftraggeber?“
„Wir haben keine Auftraggeber“, antwortete Ali.
„Keine Auftraggeber?“ Der Beamte lachte. „Entweder der Mossad oder der CIA! Das finden wir schon heraus. Die Peitsche wird euch gesprächiger machen, glaubt mir!“
„Wir haben keine Auftraggeber“, versuchte es Ali erneut.
„Ach ja? Dann verratet mir mal, was habt ihr im Keller der Madschid an-Nabawi Moschee gesucht?“
„Wir sind Freunde von Karim Bin Awad und waren mit Doktor Hans Omar Pasch, seinem Architekten hier in Al-Madina. Warum erkundigt ihr euch nicht bei Karim Bin Awad oder Doktor Hans Omar Pasch?“
„Beantwortet mir die Frage, was ihr dort unten im Keller der Moschee gesucht habt!“
„Doktor Hans Omar Pasch, wollte uns das hydraulische System für die Kuppeln der Moschee zeigen. Er wurde aber von jemandem angerufen und musste kurz weg. Pasch wollte uns nur zehn Minuten allein lassen, wie er sagte. Da er aber nicht zurückkam, und es meinem Freund, dem Doktor Shrenk schlecht ging, waren wir auf der Suche nach frischer Luft.“
„Frische Luft, oder einem Versteck für den Sprengstoff?“
„Haben wir denn kein Recht auf einen Anwalt?“, erkundigte sich der Shrenk leise bei Ali.
„Mein Freund bittet um einen Anwalt“, gab Ali die Frage vom Shrenk weiter.
„Anwalt?“ Der Beamte lachte. „Das Königreich Saudi-Arabien ist ein souveräner arabisch-islamischer Staat. Seine Religion ist der Islam. Seine Verfassung ist die des Buches, des Allmächtigen Gottes, dem Heiligen Koran und der Sunna. Ihr braucht keinen Anwalt, denn der heilige Koran wird darüber entscheiden, was mit euch zu geschehen hat.“
Worauf er zum Telefon griff: „Abführen!“
„Wir sind unschuldig“, versuchte Ali die Beamten zu überzeugen. „Habt ihr denn keine Anwälte für Ausländer?“ versuchte sie es nochmals.
„Ihr werdet, wenn es soweit ist dem Richter übergeben. Und jetzt schweigt, sonst beginnen wir sofort mit der Bestrafung durch Peitschenhiebe.“
Ali beschloss sich besser an die Aufforderung zu halten und schwieg.
Peitschenhiebe? Vielleicht hätte ich besser im Al-Gharb bleiben sollen statt diese lange Kette von Abenteuern durchzustehen, fragte sich Ali.
Es betraten zwei weitere Beamte den Raum und forderten Ali und dem Shrenk auf, ihnen zu folgen. Während es durch ein Wirrwarr von Gängen und Treppen, ein Stockwerk hinunter ging, wollte der Shrenk wissen was los sei. „Schweigen sie“, flüsterte Ali. „Ich erzähle es ihnen später.“ Dem Shrenk schauderte, als drauβen auf dem Gefängnishof plötzlich gellende Schreie erklangen. Auch Ali zuckte zusammen. Dann wurden sie in eine Zelle hineingestoβen und hörten, wie die Tür mit lautem Krach zu fiel und von auβen verriegelt wurde.
„Oh Ali, was sollen wir tun?“ Der Shrenk war in einem jammervollen Zustand. Sein Atem ging schwer und ihm war übel. Ali ging es auch nicht besser. Sie hielt sich die Nase zu, die Zelle, in die man sie eingesperrt hatte, strotzte vor Dreck, es stank nach Schweiβ, Erbrochenem, Fäulnis und Urin.
„Das war einfach zu viel!“, entfuhr es Ali. „Der heutige Tag eine einzige Katastrophe!“ Verstohlen wischte sie sich eine Träne aus dem Gesicht. „Wie spät mag es jetzt sein?“, fragte
sie den Shrenk, der dies natürlich auch nicht wissen konnte, denn ihre Uhren hatte man ihnen abgenommen.
Wenigstens durften wir unsere Pilgerkittel anbehalten, sonst wäre es aufgeflogen, dass ich eine Frau bin, dachte Ali mit Schaudern.
Eine einzige Kette von unglücklichen Ereignissen, zählte Ali auf:
„Heute am Morgen die Geiselnahme in der Al-Haram Moschee in Makka durch Mohamed und seine Dschihadhis. Dann die Fahrt nach Al-Madina und unsere gelungene Flucht vor Mohamed.“ Ali schluchzte. „Aber nun, Shrenk, sind wir vom Regen in die Traufe, gekommen. Wir sitzen im Gefängnis, und man verdächtigt uns des Terrorismus.“
„Beruhigen sie sich, lieber Ali“, versuchte es der Doktor mit einer Stimme, die ihm fast versagte.
„Beruhigen? Wisst ihr was uns blüht?“
Der Shrenk schüttelte verneinend den Kopf, ja eigentlich schüttelte er sich am ganzen Körper, denn er ahnte, was Ali nun sagen würde.
„Die Todesstrafe! Wir werden geköpft.“
„Hm“ murmelte der Shrenk und rang nach Atem.
„Hm? Das ist alles was euch dazu einfällt? - Bei Allah dem Allmächtigen! So tun sie was Shrenk. Ihre ganze Psychoanalyse, wem nutzt sie überhaupt? Wir sitzen hier fest und es ist ihre Aufgabe etwas dagegen zu unternehmen!“
„Hm.“ Der Doktor räusperte sich und zwirbelte nachdenklich seinen Bart. „Wir kennen die psychische und psychosoziale Bedeutung von Macht aus der eigenen Kindheit. Hm. Dort war sie uns vertraut aufgrund unserer existentiellen Angewiesenheit auf versorgende, schützende und kontrollierende Elternfiguren, die uns in die Welt einführten und uns lehrten, was gut und böse ist.“
„Shrenk! Es geht hier nicht um unsere Eltern!“
„In der Tat geht es darum. So lasst mich doch ausreden.“
Ali nickte, ein wenig ungeduldig zwar, aber sie schwieg. Schlieβlich hoffte sie auf ein Wunder vom Shrenk.
„Also“, begann der Shrenk erneut:
„Elterliche Kontrolle und Steuerung waren überlebenswichtig, weil wir noch nicht über Autonomie und Urteilskraft verfügten. Die Verbindung der Macht mit kindlichen Tarnmanövern kam immer dann zustande, wenn wir als Kinder selbst zu Lüge und Abwehrmaβnahmen griffen, um uns elterlichem Zugriff und elterlichen Kontrolle zu entziehen. Versteht ihr, was ich sagen will?“
„Ja, schon. Wenn wir sagten, das war nicht ich, das war der Junge vom Nachbarn, aber was hat das mit dem Gefängnis zu tun?“
„Auch wir sind hier, wie in unsere Kindheit damals, wo wir elterlichen Abwehr- und Manipulationsstrategien ausgesetzt waren. Genau wie damals, wenn sie unsere unterlegene Position nutzten, um verzerrte Wahrnehmungen auf unserer Seite zu begünstigen.“
„Was?“
„Es ist nun einmal so, dass Sicherheit, Selbstachtung und Respekt, Gewissen, Wohlbefinden und Verantwortung diejenigen Funktionen sind, die beachtet werden müssen, wenn es um Machtkonflikte geht.“
Der Doktor schwieg und blickte angestrengt an die Decke. Ali beobachtete ihn kopfschüttelnd. Womöglich kam oben von der Decke doch noch das Wundermittel?
„Wer unten ist, kann von unten dirigieren. Man kann herrschen durch Leiden. Man kann herrschen durch aggressive Gefügigkeit oder durch fordernde Abhängigkeit. Man kann durch Zuschreibung von Verantwortung an die Autoritäten sich selbst entlasten.“
„Doktor! - Beim Barte des Propheten, Allah habe ihn selig, aber was hat das in irgendeiner Weise mit uns zu tun, oder wollen sie mit Selbstachtung, Respekt und Verantwortung zum Schafott schreiten und dabei herrschen durch Leiden während das Schwert auf unseren Hals niedersaust? Wem hilft euer theoretisierender Wissenschaftsdunk? Aber fahren sie fort, fahren sie ruhig fort Doktor Shrenk, so vertreiben wir uns wenigstens die kostbare Zeit, die uns von unserem Leben noch bleibt. Sobald der Ramadan zu Ende geht, werden wir geköpft, mit einem Schwert, werter Shrenk. Und falls sie es rauskriegen, dass ich eine Frau bin, bekomme ich einen Sack übergestülpt und werde mit dem Revolver erschossen und zwar inmitten auf dem Richtplatz vor einer versammelten Schar Neugieriger!“
„Wirklich?“ Der Doktor war mal wieder blass geworden, währenddessen Ali in ihrer Aufregung, ein gerötetes Gesicht bekommen hatte, sich die eigene Hinrichtung bildlich vorzustellen. „Unser Blut wird anschlieβend mit dem Schlauch abgespritzt. Und wissen sie, werter Doktor, wie oft das in Saudi Arabien passiert? Nein? Letztes Jahr waren es neunundsiebzig Hinrichtungen.“
„Wir sollten nicht so negativ denken, werter Ali“, antwortete der Doktor, wurde aber von Schreien aus dem Hof unterbrochen. Es war eindeutig ein Mann der schrie, und man hörte den Knall der Peitsche. Der Mann schrie im Rhythmus einer niedersausenden Peitsche, die im genauen Takt auf ihn einschlug. Ali und der Doktor begannen zu zählen. Dann endlich Stille gefolgt von leisem Stöhnen.