Der evangelische Theologe Gerd Lüdemann verabschiedet sich endgültig vom Christentum - mit einem Brief an Jesus.
Die Jungfrau Maria wurde zwischen Verlobung und Ehe vergewaltigt, nicht der liebe Gott, sondern ein unbekannter Jude oder Römer ist der Vater von Jesus.
Mit dieser Ketzerei brachte der Göttinger Theologieprofessor Gerd Lüdemann, 51, im vergangenen Oktober die Oberen der lutherischen Kirchen in Niedersachsen in Rage. Jetzt legt der Hochschullehrer nach: Mit seinem neuesten Werk "Der große Betrug und was Jesus wirklich sagte und tat" will er den offenen Krach mit seinen Brüdern und Schwestern provozieren. In dem Buch leugnet Lüdemann so gut wie alle Essentials der christlichen Kirchen. Vorangestellt hat er einen "
Brief an Jesus", dessen Aussagen ihn quasi automatisch aus der Christenheit hinauskatapultieren.
In der Epistel, im vertraulichen Du abgefaßt, läßt Lüdemann den Herrn lapidar wissen, er sei "gar nicht der, als den Dich Bibel und kirchliche Tradition darstellen". "Das allermeiste, was Du der Bibel zufolge gesagt bzw. getan hast, hast Du gar nicht gesagt und getan."
Die Auferstehung Jesu hatte der Theologe schon früher geleugnet - mit dem griffigen Slogan: "Das Grab war nicht leer, sondern voll. Jesu Leichnam ist verwest." Nun macht Lüdemann Tabula rasa: Jesus war nicht Gottes Sohn, sondern bloß eine Art religiöser Vagabund, der mit seinen Anhängern ein "unstetes Wanderleben" führte, ab und zu "wie ein Magier Dämonen austrieb" und "einen grandiosen Verhaltenskodex" lehrte.
Lüdemann an Jesus: "Auch Du hast den Kelch des Todes getrunken. Du warst nicht ohne Sünde und bist nicht Gottes Sohn." Kurzum: "Deine Lehre war ein Irrtum."
Mit dem Abendmahl hat der Protestant - folgerichtig - ebenfalls nichts mehr im Sinn. Zwar habe er es jahrelang zu Jesu Gedächtnis begangen. Doch nun habe er die schmerzliche Erkenntnis gewonnen, daß Jesus es überhaupt nicht eingesetzt habe: "Das Brot, das ich aß, war nicht Dein Leib, und der Wein, den ich trank, war nicht Dein Blut."
Was die Kirche im Lauf der Zeit aus dem Ur-Jesus gemacht habe, seien lediglich "Projektionen, Wünsche und Visionen". Darauf aber "kann keine echte Religion aufgebaut werden, auch dann nicht, wenn sie so gewaltig auftritt wie die christliche Kirche".
Die "Lage von Theologie, Kirche und Bibel" sei total verfahren und für ihn nicht mehr auszuhalten. Nötig sei ein "normales Verhältnis zu Jesus": ohne Überhöhung, "auf dem Boden der Realität". Denn "das Schicksal unseres Kosmos hängt von uns Menschen ab; wir selbst müssen zu einer Ethik kommen, die nicht von Dir oder Deinem Vatergott abhängen kann".
Das weitere Schicksal des Dogmenleugners Lüdemann hängt von seinen Kirchenoberen ab. Die haben den Professor seit längerem auf dem Kieker. Vor zwei Jahren entzogen sie ihm wegen seiner ketzerischen Ansichten über die Auferstehung die Erlaubnis, fürderhin angehende Pfarrer zu examinieren. Nun fürchtet er, werde ihn der hannoversche Landesbischof Horst Hirschler mit einem Lehrbeanstandungsverfahren überziehen, um ihn von der theologischen Fakultät in Göttingen zu entfernen - in beiden Großkirchen ein seltenes Spektakel.
In den letzten 70 Jahren gingen die protestantischen Glaubenshüter in Deutschland mit solcher Schärfe lediglich gegen eine Handvoll Hochschulabweichler vor, zuletzt mußte die Dozentin für Feministische Theologie an der Gesamthochschule Kassel, Elga Sorge, vor neun Jahren ihren Posten räumen. Auf katholischer Seite sind die Fälle des Tübinger Dogmatikprofessors Hans Küng und des Paderborner Dogmatikers und Psychotherapeuten Eugen Drewermann in schlechter Erinnerung.
Freiwillig will Lüdemann von seinem Professorenamt auf keinen Fall lassen, sondern offensiv für seine Thesen kämpfen, um die Öffentlichkeit über "die wirkliche Geschichte Jesu aufzuklären". Erst recht denkt der Aufklärer nicht daran, aus der Kirche auszutreten, auch wenn er deren Existenzgrund radikal verneint. Lüdemann begründet diese Schizophrenie mit dem lapidaren Satz: "Sie müssen sich mit mir dann eben auseinandersetzen."
So ganz traut Lüdemann dem eigenen Unglauben ohnehin nicht. "Falls Du aber wirklich auf den Wolken des Himmels wiederkommen solltest", schreibt er an Jesus, "freue ich mich schon jetzt darauf, Dich endlich kennenlernen zu können. Bis dahin muß aber religiös Schluß sein mit uns beiden aus den Gründen, die ich Dir genannt habe - endgültig."
Ob und wann die finalen Erkenntnisse des Ex-Christen den Gläubigen bekanntgemacht werden, ist offen. Bislang hat Lüdemann keinen Verleger gefunden.
Alles Liebe. Gerrit