Es muss in diesen Tagen vor einem Jahr gewesen sein, das genau Datum weiß ich leider nicht, da starb mein langjähriger Hausarzt., Dr. P.
Ich bin nach einem halben Jahr wiedermal in die Praxis gekommen, da war irgendwas komisch. Die wartenden Patienten schluchzten, ein paar weinten laut und schnieften, die Männer guckten starr vor sich hin. Eine Frau trug eine Sonnenbrille, unter der ununterbrochen Tränen hervorqollen. Ich war irritiert, aber ich kam nicht drauf...
Ich stellte mich in die Schlange der Wartenden, beobachtete die beiden Schwestern, die ebenso verheult und geschafft aussahen, und dann sah ich es; das Foto vom Doc.mit dem schwarzen Band so schräg überm Bilderrahmen auf dem Anmeldetresen stehen. ... da stand dann auch das Schild für die Vertretungsärztin..
Ich habe all diese Tatsachen nicht gleich zusammenfügen können, das war so irr! Mein Doktorchen? Tot? Nee!
Wieso?
Ich hab's nicht in den Kopf gekriegt.
Ich meine, im März war noch alles ok!
Meine Tränen liefen los. Ich konnte mich gegenüber der Schwester kaum artikulieren. Ich fragte kurz nach dem Grund, sie flüstete; Tumor. Im Kopf. Ging ganz schnell.
Er wußte es wohl im März schon. Wir haben rumgealbert und gekichert wie immer. Da wußte er es schon.
Ich erinnere mich, dass er mal meinte, er wäre in letzter Zeit so vergesslich und der Kopf täte ihm häufig weh..
Wir haben uns den Spaß gemacht, wenn ich zu ihm ins Sprechzimmer kam, dass ICH gefragt habe, wie es ihm geht, und er erstmal erzählt hat, was ihn so plagt.
Er erfand bei jedem Besuch andere Kosenamen für mich.
Er hatte Zeit für mich. Für jeden Patienten. Das heißt, er nahm sich die Zeit. In letzter Zeit immer mehr. Da wußte er wohl schon, dass ER keine Zeit mehr hat.
Wenn ich zu ihm kam, haben mich oftmals schon seine Worte geheilt. Ich bin dann ohne Rezept, aber in tiefer Dankbarkeit aus der Praxis marschiert.
Wenn dann doch mal was unsicher war, redete er beruhigend auf mich ein. Manchmal habe ich gemerkt, dass er sich selbst nicht sicher war, aber er schaffte es, mir Hoffung zu machen.
Er war ein erfahrener Arzt und Mensch.Man schätze ihn sehr. Herzlich, jedem zugewand, mutig und liebenswert. Menschlich.
Vor und nach dem Dienst machte er Hausbesuche...wenn er dann mal zu spät in die Praxis kam, maulte niemand, denn man wußte, man würde genau so viel Zeit von ihm bekommen....
In diesem Jahr sollte er in Rente gehen. Er war unsicher, ob ihm das gefallen würde, aber er war aufgeregt, ob der vielen Zeit, die er für seine Familie plötzlich haben würde.
Ich habe dann sein Grab besucht, kurz nach seiner Beerdigung. Es war nicht zu übersehen. Überhäuft mit Blumen und Bändern, auf denen Dankbarkeit manifestiert war.
Ich denke so oft an ihn.Was würde er sagen? Was würde er mir raten?
Er fehlt mir.