Grell

sikrit68

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Helene ist Schauspielerin mit privat klassischer Attüde:
Bloß nichts Grelles!
Chignon-Frisur, beiger Burberry-Mantel, zartrosa Bluse - zugeknöpft bis zum Hals.
Vor der Vorpremiere des Stücks MATA HARI, in dem sie die Hauptrolle spielen soll, ist sie bei einer Kosmetikerin entblösst und wehrlos.
Unter grellem Licht, in einer Art Zahnarztstuhl, kann sie nicht die winzigste verstopfte Pore verstecken. Dampf wabert über ihr Gesicht.
Sie ist Frau Stella wehrlos ausgeliefert. Diese stets grell und nicht wie Helene dezent Geschminkte hat heute violetten Lidschatten mit integrierten Minipailletten aufgetragen. Zusätzlich hat sie unter die Augenbrauen silbernen Highlighter getupft.
Auf der Mitte ihrer Lippen befindet sich loser Glitter.
Für Frau Stella sind die Linien von Helenes Gesicht verständlicher als Google Roadmaps. Ihr ist klar, welcher Pickel eine Eiterbeule auf der Seele wiederspiegelt.
Auf den nackten Unterarmen werden auch Helenes Tätowierungen aus ihrer Punkphase sichtbar: POISON in grüner Schrift auf dem linken, REMEDY in oranger Schrift auf dem rechten Unterarm.
Hamburg, 3 Tage später: Es ist so weit. Vorpremiere von Mata Hari. Einige Gäste versorgen sich im grellen Neonlicht der Reeperbahn beim St.Pauli-Nachtmarkt mit Spezereien.
Eines der 25 Kostüme von Mata Hari setzt sich nur aus fluoreszierenden Lichtfäden zusammen. Darunter trägt Helene nichts als Haut und Tätowierungen.
In der Pause plappern Pensionisten mit grellfarbigen Sommerschals über ihre Autobahntouren des abgelaufenen Jahres: Hamburg-Tessin in 10 Stunden.
Ahrensburg-Barcelona: 1800 Kilometer in 20 Stunden.
Im Publikum befindet sich aber auch ein unkonventioneller Modefotograf, dessen Kontrahenten Visagisten und Friseure sind. Ab und an wischt er während seiner Arbeit grelles Make-up aus Gesichtern von Models.
Marktschreierische Ankleide/Auskleide-Puppen- Darstellungen sind ihm zuwider. Materialschlachten und Farbexplosionen mag er nicht.
Er kritisiert in der Pause das Theaterstück: Das Skript sei ihm zu dünn, ohne Ironie.
Schließlich und endlich: Mata Hari wird auf der Bühne hingerichtet, haucht ihr Leben in einer Kugelsalve aus.
Finaler Vorhang.
Plötzlich! Panne! Der Vorhang geht noch einmal hoch. In grellem Bühnenlicht springt Helene quicklebendig von der Exekutionsstelle.
 
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