Zum einen ist Deutschland kein "christliches Land", sondern säkular. Insofern würde ich mich auch tatsächlich dagegen wehren, automatisch als Christ deklariert zu werden. Darüber hinaus werden wir aber tatsächlich in diverse Tatsachen hineingeboren, ohne ihnen aktiv zuzustimmen - z.B. in die Gesetzeslage des Landes, in dem wir geboren sind. Die Eltern und die Verwandtschaft sucht man sich im allgemeinen auch nicht aus.
Ich würde es selbst auch nicht ein christliches Land nennen wollen (wäre natürlich selber dagegen, wie du dir denken kannst), aber ich sehe auch nicht, dass das hier ein Land der Organspender ist, wo es für etwas so spezielles wie eine Organspende keine Zustimmung braucht. Das widerspricht allen vorherigen Gesetzen, die wir zu Störung der Totenruhe haben/hatten. Und dabei geht man schon davon aus, dass derjenige wirklich tot ist, was alles andere als wirklich klar ist.
Wie groß schätzt Du denn den Anteil ein?
Und was heißt "willig"? Ich bin auch nicht sehr eppicht drauf, ein Organspender zu sein, weil ich noch lange leben und meine Organe selbst verwenden will. Für den möglichen undfür mich persönlich unglücklichen Fall, den ich mir NICHT wünsche, dass ich selbst sehr wahrscheinlich keine sinnvolle Verwendung für meine Organe mehr habe, sie aber noch für jemanden anderen brauchbar sind... tja, dann sind diese meine Organe bei diesem Menschen sinnvoller aufgehoben.
Ich denke nicht, dass mehr als 50% für eine Organspende wären. Und wie ich hier schon sagte ist kein JA natürlich ein NEIN.
Dein weiteres Argument mag zwar korrekt sein, aber ich habe andere Gründe warum ich nicht zur Chimäre gemacht werden will.
Davon abgesehen könnte auch das Problem auftreten, wo man sie eventuell doch noch gebrauchen könnte (siehe Threadbeginn), weil man gar nicht sicher tot ist. Aber das ist für mich nicht einmal der entscheidende Punkt.
Würde das die besagte Trägheit schon überwinden? Und warum wäre das in Deinen Augen noch keine Nötigung?
Irgendwann ist eben auch klar, dass die Person einfach kein Interesse daran hat Organe zu spenden, wenn nichts "hilft" die angebliche Trägheit zu überwinden.
Das wäre noch keine Nötigung, weil man das Formular auch liegen lassen kann, so wie man nicht alles kaufen muss, was im Geschäft herumliegt.
Nötigung wäre es wenn jemand an der Haustür klingelt und darum bittet einen Spenderausweis auszufüllen, so wie die Zeugen Jehovas quasi. Oder wenn der Staat jeden automatisch zum Organspender macht eben, was hier zuletzt das Hauptthema war.
Naturalistischer Fehlschluss. Die Natur hat keine Intention - etwas passiert einfach. Und biologisch betrachtet hat es ebenfalls keinerlei Auswirkungen, die wir negativ bewerten, wenn nicht alle Organe beim Tod mit-sterben, sondern einige andernorts noch wieder sinnvoll eingesetzt werden.
Es geht nicht darum, dass das moralisch so sein soll, sondern darum ob etwas die Normalität ist oder eben nicht. Die Wissenschaft profitiert auch davon, wenn man jeden Toten der Forschung zur Verfügung stellt. Aber für mich ist klar, dass in beiden Fällen eine Zustimmung nötig ist.
Ich habe alles aufgezählt um zu demonstrieren, dass man nicht einfach erklären kann, dass gegen Natur, Kultur und Historie plötzlich jeder automatisch ein Organspender sein soll. Und dass Leute eben eine Erwartungshaltung haben, was mit ihrem Körper nach dem Tod passiert. Organspende entspricht nicht dieser Erwartungshaltung. Und wenn man das trotzdem so festsetzt ohne überhaupt zu fragen, dann ist das Erschleichung.
Auch Kulturen verändern sich mit der Zeit. Und warum sollte eine Totenzeremonie nur dann gut sein, wenn der Verstorbene, um den es geht, komplett im Sarg liegt?
Historisch ist die Digitalisierung und die Telekommunikation auch nicht viel älter.
Mit der Widerspruchsregelung werden solche Traditionen verletzt, Totenruhe inklusive.
Weiß nicht, auf was du mit dem zweiten Teil hinaus willst? Könnte aber was konstruieren, wo ich auch sagen würde, dass das ohne Zustimmung nicht ok ist. Wenn ein Schauspieler stirbt, und irgendein Regisseur bringt ihn quasi als digitale "lebensechte" Kopie in einen neuen Film (so als ob er mitgespielt hätte), da würde ich dann auch sagen, dass Persönlichkeitsrechte verletzt wurden.
Mit dieser Art von Argumenten wäre es auch nicht normal, dass Menschen in Internetforen ihre Meinungen kundtun, ja nicht einmal, dass sie über größerer Entfernungen als Hörweite miteinander reden, und auch nicht, dass es Menschen gibt, die lieber Sex mit gleichgeschlechtlichen Partnern haben.
Ich denke aber wirklich nicht, dass sich in unserer Gesellschaft durchgesetzt hätte, dass die Totenruhe keine Bedeutung mehr hat.
Ansonsten würde ich auch sagen, dass jemand quasi standardmäßig nicht homosexuell ist. "Hast du eine Freundin?" bei einem Mann scheint für mich ok zu sein, wenn ich keine weitere Info habe. "Hast du einen Freund?" macht nur Sinn, wenn bekannt ist, dass derjenige schwul ist. Aber da wir niemanden nach dem Tod vermählen usw. ist das auch schwer in Bezug zu setzen.
Wie gesagt, es ist in unserer Gesellschaft normal, dass wir nicht an den Körper von Verstorbenen gehen und diesen ausnehmen. Die Widerspruchsregelung ist komplett in Konflikt mit Gesetzen zur Totenruhe und der generellen Idee der Bevölkerung was nach dem Tod mit ihrem Körper passiert. Schweigen ist da definitiv keine Zustimmung.
Wie schon gesagt: Das bringt Kriterien in den Abwägungsprozess, die nicht medizinisch sind. So bekommen dann u.U. Menschen ein Spenderorgan, obwohl es bei anderen medizinisch evtl. "indizierter" gewesen wäre.
Ja, natürlich, was sinnvoll ist. Warum sollte jemand profitieren, der sich davor immer dagegen ausgesprochen hat?
Wenn ich selber wüsste, dass meine Organe dann jemand bekommt, der mir sympathisch wäre, dann würde ich da vermutlich auch anders denken. Aber es ist unmöglich, das zu garantieren. Und ich will nicht als Chimäre mit jemandem weiter existieren und wohl auch spirituell verbunden werden, den ich nicht leiden kann. Da ist mir viel zu viel Verbindung dabei.