Die Straßenbahnen des Grauens

Es geht weiter .....

Den nächtlichen Hilfeschreien dieser Frau war ich also entkommen.

Nich weit entfernt konnte ich schon die erleuchtete Straßenbahn sehen, die leer an der Endhaltestelle stand und auf Passagiere wartete.

Nur ein kurzer Weg für einen Menschen - doch ein langer Weg für einen Waldbaum!

Wie heißt es so schön und treffend:

"Zwischen Lipp' und Kelchesrand
Schwebt der finstern Mächte Hand."

In meinem Falle hatten die Götter zwischen mir und der Straßenbahn zwei rüstige und wohl auch streitsüchtige Rentner gesetzt, die sich gerade eben mit Macht ihre Krücken um die Ohren schlugen.

Auf dem schmalen Pfad war nicht an ihnen vorbeizukommen, ohne etwas davon abzubekommen.

Ich dachte, Vorsicht sei der bessere Teil der Weisheit, und ging einen kleinen Umweg - seitlich durchs Unterholz.

Denn war es nicht schon dieser Martin von der Familie Luther, der zu Wittenberg diese These verkündet hatte:

"Bedenke, oh Mensch! Was nützete es dir, so du gewännest alle Straßenbahnen der Stadt, und nähmest doch Schaden an deinem Schädel?"

Und eine fernöstliche Weisheit lautet:


"Oh du Fremder, der du dahineilest auf schmalem Pfade, um zu erreichen den eisernen Wagen, der dich bringen soll in die Mitte der Stadt, wo da ruhet der Karl:

Findest den gastlichen Weg versperret du von unweisen Alten, die da kämpfen den Kampf der Toren mit Krücken des Zornes, so wähle den anderen Pfad! Den Pfad des Trampelns, der dich da führet durch grünes Gebüsche, holprig wohl, aber sicher und weise!"

Und sagt selbst: Wer bin ich, dass ich Konfuzius widerspräche? Oder gar Kon Fu Tse?

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Also nahm ich den anderen Pfad ....
 
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Ich umging also diese rüstigen Rentner weiträumig.

So wie man es ja von Durchsagen im Autoradio her kennt:


*einschalt*

"Achtung, Achtung! Eine wichtige Durchsage!

In Karlsruhe-Daxlanden ist die Ortstraße 217a auf Grund einer Veranstaltung vorübergehend gesperrt.

Vorsicht! Freifliegende Krücken!

Es kann zu Schädel-Verletzungen kommen.

Waldbäume, die sich in diesem Gebiet aufhalten, werden gebeten, die Ortsstraße 217a weiträumig zu umgehen, und den Trampelpfad 745b zu wählen.

Sobald die Gefahr vorüber ist, informieren wir Sie wieder!"

*ausschalt*

Ich folgte dieser inneren Stimme - und erreichte so unverletzt die sichere Straßenbahn, die hell-erleuchtet in der Dunkelheit auf mich wartete.

Sie war noch völlig leer.

Selbst der Fahrer war ausgestiegen, um draußen im Freien seine Pause zu genießen.

Dann sah ich, wie langsam zwei künftige Passagiere auf die Straßenbahn zugingen.

Na, wer wohl?

Die beiden rüstigen Rentner, die sich inzwischen anscheinend versöhnt hatten!


Sehr friedlich wirkten sie aber dennoch nicht - eher auf der Suche nach einem neuen Opfer.

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, heißt es.

Wenn die Streithähne sich aber wieder versöhnen, tut dieser Dritte gut daran, in Deckung zu gehen

Die beiden rüstigen Rentner bestiegen die Straßenbahn ....

Wer könnte das neue Opfer sein?

Wer war denn da, außer mir?

Niemand!
 
Es geht weiter ...

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Ich stelle mir gerade einen Filmtitel vor:

"Die Straßenbahn des Grauens."

Welch nette gemütliche Situation:
Um Mitternacht allein in einer Straßenbahn mit zwei angetrunkenen Schlägern, die trotz fortgeschrittenem Alter noch recht kräftig mit ihren Krücken zuzuschlagen vermögen - und auf der Suche nach einem neuen Objekt ihrer Schlagkraft sind!

Da kommt Stimmung auf - wie man so sagt!

Vor meinem geistigen Auge erschien schon diese Schlagzeile im Lokalteil der "Badischen Neuesten Nachrichten":

Rotkreuzkräfte retten ruhigen Reisenden vor robusten rasend-rüstigen Rentnern.

Mit der Frage in der Unterzeile:

Rehabilitation ratsam?
 
Vielleicht kommt nunmehr der Penner zu Hilfe.

Nein, es war so:

Dieser Kelch ging an mir vorüber.

Mein Dank an die Götter! Bacchus oder Dionysos - wer immer auch an jenem Abend gerade Dienst hatte!

Die Straßenbahn füllte sich so langsam- und die rüstigen Rentner fanden andere Gesprächspartner, an denen sie im Bedarfsfall ihre Krücken ausprobieren konnten!

Die Straßenbahn fuhr los!

Meine Erzählung könnte hier zu Ende sein - wenn ich nicht noch an einer gottverlassenen Haltestelle hätte umsteigen müssen!
 
Diese Haltestelle des Grauens ist sogar im Internet zu finden:

http://ka.stadtwiki.net/Entenfang

Was der Link nicht sagt:
Es sind da zwei Haltestellen.
Die eine auf einm sehr belebten Platz mit - viel Traffic jeder Art.
Die andere Stelle ist in einem finsteren Niemandsland, wo sich noch nicht mal Fux und Haas "Gut Nacht!" sagen, wenn es Nacht ist!


Und es war Mitternacht, und weder Fux noch Haas zu sehen! Typisch mal wieder! Wenn man sie braucht, sind sie nie da!


Ich stand da ganz alleine rum - oder fast ganz alleine.

Nur ein Mitreisender war da - und er saß. Auf der Bank.
Er sah aus, als hätte er schon lange gesessen.
In einer Justizvollzugsanstalt vielleicht.
Sollte ich mich zu ihm setzen?


Meine innere Stimme sagte: "NEIN! Mach das nicht!"
Dazu muss ich erklären, dass ich gewöhnlich "Du" zu mir sage, denn ich kenne mich ja schon länger.


Mein Mitreisender saß da und sagte gar nix.

Aber sein Outfit war vielsagend.

Es verkündete dezent, dass Deutschland den Deutschen gehören sollte, und Ausländer doch bitte so nett sein mögen, das Land zu verlassen.

Ob ich da als Zeichen meines guten Willens nicht wenigstens diese deutsche Haltestelle hätte verlassen sollen?

Oder - was meint ihr?
 
Dazu muss man nun wissen, dass ich fast auf der ganzen Welt für einen Einheimischen gehalten werde - außer in Deutschland.

In Schottland bin ich ein Schotte, in Frankreich ein Franzose, in Spanien ein Spanier, und auch die Moslems in Sibirien haben mich dort in ihrer Moschee für einen der Ihrigen gehalten.

Nicht so in Deutschland!

Da gelte ich meist als Grieche, gerne auch mal als Perser, Afghane, oder auch Saudi-Araber.

Kongolese war ich bisher noch nicht, aber ich arbeite bereits dran!

Das Schönste war, wie ich kurz nach dem Einzug im Vorgarten meines Hauses stand, und eine neue Nachbarin vorbeikam.

Freundlich sagte sie zu mir: "Sie sind aber kein Deutscher, gell?"

Ich ließ das mal offen und frage zurück, was ich denn wohl sei.

Da outet sie mich als einen Rumänen. Zigeuner sagte sie jetzt nicht, dachte es aber vielleicht. Wer weiß?

Sie selber kam übrigens aus der Ukraine ....
 
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