Die Überfahrt nach England war recht unruhig gewesen und ich hatte mir vorsichtshalber eine der bereit liegenden Tüten gegriffen, um für den Notfall vorbereitet zu sein. Fitzgerald schien das Schaukeln nichts auszumachen, lächelnd blickte er mich an. "Dauert nicht mehr lange, dann hast Du wieder festen Boden unter den Füssen."
Seit der Abreise Dutzten wir uns und obwohl dies eine unglaubliche Geschichte war, hatte ich Vertrauen zu dem sympathischen Mann gefasst und mich mit ihm auf die Reise gemacht. Fitzgerald hatte seine etwas abgerissene Kleidung gegen eine handfeste Jeans und einen Pullover getauscht und irgendwie schien mir sein Aussehen nun typisch Wiltshirelike zu sein. Der Stumpf seines Armes steckte in einer ledernen Schutzhülle und er ging ganz offen damit um.
Sein langes Haar war frisch gewaschen und am Hinterkopf zu einem Zopf zusammen gebunden. Er sah aus wie ein etwas freakiger Engländer. Die Aktentasche lag auf seinem Schoss und ich beobachtete, dass sein rechtes Bein ganz leicht wippend einem unhörbaren Takt zu folgen schien.
"Ich hatte ehrlich gesagt grosse Zweifel, dass Du mitmachen würdest Max, sagte Fitzgerald, aber nun bin ich heilfroh, dass wir endlich unterwegs sind."
"Vor kurzer Zeit noch hätte ich jeden für verrückt erklärt, der mir so eine Story aufgetischt hätte, aber heute denke ich anders darüber. Ich habe das Gefühl, dass wir beide in unserer Ahnenreihe eine Verbindung haben, so etwas wie "altes Karma" das gelöst werden will, verstehst Du?"
"Einen ähnlichen Gedanken hatte ich auch. Genau gesagt an dem Tag als ich bei Dir angeschellt hatte und Dich zum ersten Mal nah vor mir sah. Ich hatte das Gefühl, Dich schon lange zu kennen. Nur woher habe ich bislang nicht heraus finden können. Ich weiss auch nicht, ob es ein gutes oder schlechtes Erlebnis war, dass wir vielleicht mal zusammen hatten, aber naja, heute scheinst Du ja ein ganz netter Kerl zu sein..."
Wir mussten beide lachen über seine Witzlei. Aus dem mitgenommenen Rucksack griffen wir uns jeder ein belegtes Brot und stärkten uns für das nahende Abenteuer. Kurz darauf erreichten wir den Hafen. Endlich wieder Boden unter den Füssen! Zielstrebig ging Fitzgerald mit mir in Richtung Ausgang zu einem nahen Parkplatz, auf dem ein Bekannter von ihm in einem alten Ford auf uns wartete. Als er Fitzgerald und mich nahen sah, stieg er lächelnd aus um uns zu begrüssen. Seine grau/rot/blau karierte Dreiviertelhose, die Weste über dem Hemd und die Schlägermütze wiesen ihn als waschechten Mann aus Wiltshire aus. Seine roten Haare und der feurige Bart machten das Bild komplett.
"Max, das ist Harold und er hat sich netterweise bereit erklärt, uns hier abzuholen und zu fahren," stellte er uns vor.
"Ich bin Max, Hallo Harold." Ich griff seine Hand und hatte das Gefühl in einen Schraubstock geraten zu sein, so herzhaft griff er zu und schüttelte meinen Arm kräftig durch.
"Puh, entfuhr es mir als er wieder los liess und ich schüttelte meine Hand, das war bestimmt eine Tonne an Druck."
Stolz lachte Harold mich an und Fitzgerald meinte scherzhaft, dass er zu seiner Geburt bei der Verteilung der Kraft versehentlich zweimal "Hier" gerufen hätte.
Kurz darauf waren wir unterwegs zu unserer gebuchten Pension in der Nähe der Höhle und auf dem ganzen Weg unterhielt uns Harold mit einem Witz nach dem anderen, so dass es nie langweilig wurde. Mit stark strapazierten Lachmuskeln kamen wir schliesslich dort an, bedankten uns bei Harold und brachten unsere Sachen auf die Zimmer. Anschliessend verbrachten wir den Abend in der gemütlichen Wirtsstube der Pansion und legten uns nach einem üppigen Essen früh zu Bett.
Ein wenig nervös war ich schon, als der Wecker am nächsten Morgen geschellt hatte. Was würde mich heute alles erwarten? Ohne Zweifel war es gefährlich was wir vor hatten. Sogar lebensgefährlich...
Fitzgerald hatte einen Wagen organisiert und nachdem wir etwas Proviant verstaut hatten, fuhren wir los. Nach etlichen Windungen über steinige Wege hielt Fitzgerald vor einem Berg, vor dem eine dornige Hecke uns trotzig den Weg versperrte. Mit einer Heckenschere und einem grossen Messer bewaffnet, machte Fitzgerald uns den Weg frei.
Nach etwa zehn Metern erreichten wir die Felswand mit dem Eingang. Ich schaute kurz zurück.
Die Hecke war wieder zugewachsen!
So schnell wie möglich durchquerten wir die Gänge und Windungen, Auf- und Abstiege, bis wir endlich am Brunnen ankamen.
"Willkommen!"
Erschrocken fuhr ich zusammen!
Langsam drehte ich mich um.
"Ich bin Moolie und freue mich, dass ihr gekommen seid."
Ein Mann klein wie ein Zwerg sah mich freundlich an. Ich blickte in gütige Augen in einem faltigen Gesicht, dass von schlohweissen Haaren und einem langen Bart umhüllt wurde. Seine hohen Schaftstiefel beherbergten kräftige kurze Beine und ein brauner Ledermantel liess ihn recht kantig aussehen. Mit wackelndem Gang kam er langsam auf uns zu.
"Dann musst Du Max sein." Seine kräftige Hand streckte sich mir entgegen.
Beherzt griff ich zu und sah ihn lächelnd an.
"So ist es. Max Mill. Ich freue mich."
"Das ist schön und ich danke Dir dass Du gekommen bist. Und ich wünsche Dir, dass Du morgen immer noch Freude hast, dass Du gekommen bist und dass unser Vorhaben erfolgreich war."
Mit den Worten "Folgt mir" drehte er sich um und watschelte voran, um uns in sein Reich zu führen. Fitzgerald und ich trotteten ihm hinterher. Unterwegs berichtete mir Fitzgerald alles, was Moolie ihm bei seinem Besuch erklärt hatte. Der Seelenfluss und was es damit auf sich hatte. Das Schicksal Moolie's und über den Unhold Grindur.
Moolie stoppte vor einer Felswand an der es nicht mehr weiter ging. Ich wusste von Fitzgerald um die seltsame Öffnung zu Moolies Reich, aber als ich es nun selber sah, überkam mich ein Gefühl der Ehrfurcht und ich fühlte mich wie in einem Märchen. Es war unglaublich!
Ich staunte beim Eintritt in die Höhle so wie Fitzgerald gestaunt hatte. Das seltsam angenehme Licht, dass nirgendwo her zukommen schien und trotzdem da war. Das klare Wasser welches vereinzelt in kleinen Rinnsalen aus den Wänden floss und dann....die Engelsfigur!
Nur ganz leicht waren Ansätze von Gesichtszügen zu erkennen und sie war wunderschön.
"Nehmt Platz," sagte Moolie und wies mit seiner kräftigen Hand auf einen Tisch und Stühle.
Als wir uns gesetzt hatten fragte er zuerst nach der Aktentasche. Fitzgerald zog sie aus dem Rucksack und legte sie auf den Tisch.
"Wir werden sie noch brauchen und ich nehme sie an mich, wenn's recht ist." Moolie nahm die Tasche und legte sie neben sich auf einen freien Stuhl. Dann wandte er sich an mich.
Teil 1