Der merkwürdige Herr Freitag

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Nachdem sich Fitzgerald eine Weile in der Höhle umgesehen hatte, reichte Moolie ihm eine Holzschale mit Suppe, die schon eine Weile auf der Feuerstelle geköchelt hatte. Sie setzten sich auf zwei Holzschemel, die in der Nähe des Brunnens standen und löffelten die schmackhafte Suppe.

Fitzgerald Arlington sass genau gegenüber des Engels und konnte seinen Blick nicht abwenden. Warum hatte er kein Gesicht? Frage nicht, hatte Moolie gesagt, doch seine Gedanken kreisten um die Frage was es damit wohl auf sich hatte. Moolie bemerkte dass ihn diese Frage nicht los liess und als sie ihr Mahl beendet hatten sagte er zu Fitzgerald:" Du wirst nicht loslassen und doch fragen, deshalb werde ich es Dir lieber gleich erzählen."

Überrascht und fragend sah er Moolie an.

"Höre zu Arlington!

Dieser Engel.......das bin ich. Genauer gesagt, das war ich. Einst weilte ich im Reiche der Engel, wunderschön....
Doch ich habe mich eines Vergehens schuldig gemacht und musste zurück auf die Erde. Mein Bild wurde "eingefroren" und mir hierher mitgegeben, bis ich meine Schuld abgetragen habe, dann bekomme ich mein Gesicht wieder und darf zurück."

"Was war Dein Vergehen?", fragte Fitzgerald.

"Das geht Dich einen Scheiss an und auch wenn Du noch so bohrst, ich werde es Dir nicht sagen! Verstanden?"

Schützend ob der Wut des kleinen Mannes hob Fitzgerald die Arme. "Schon gut, schon gut! Ich hab's verstanden."

Moolie verstummte und schien eine Weile in eigene Gedanken versunken, bis er schliesslich wieder den Kopf hob und Fitzgerald ansah. Etwas Seltsames lag in seinem Blick und Fitzgerald glaubte Trauer in seinen Augen zu sehen.

"Lange bin ich nun schon hier, Arlington. Lange, nach eurer Zeitrechnung. Als ich hierher kam, herrschte Grindur über diese Gegend. Über die Menschen und die Tiere. Er war ein grausamer Geselle und schickte sich an seine Macht weiter auszubauen. Ein Gesandter des Teufels war er und ist er, doch ich habe ihm seine Macht beschnitten. Ich nahm ihm ein Auge in einem Kampf und besiegte ihn, doch konnte ich ihn nicht töten.

So haust er nun in den unteren Hallen der Höhle und treibt dort sein Unwesen. Er kam nicht wieder nach oben und ich ging nicht wieder hinunter. Doch jeder weiss von der Anwesenheit des Anderen. Er lebt von den Seelen der Menschen und nährt sich von ihrer Angst. So vergrössert er seine Macht."

"Er ist also nicht der Teufel selbst?"

"Nein. Gegen ihn selbst hätte ich nicht bestehen können. Er ist ein Handlanger des Teufels und dazu verdammt, ihm ewig zu dienen und ihm neue Seelen zu bringen. Doch einmal muss ich noch zu ihm hinunter. Ich muss ihn vernichten, um wieder zurück zu können....um mein Gesicht zurück zu bekommen.... um wieder ein Engel sein zu können... verstehst Du?"

"Ja, irgendwie...verstehe ich es, aber ich kann mir das alles nicht so recht vorstellen. Das Reich der Engel, den Handlanger des Teufels und solche Dinge."

"Ich kann es verstehen Arlington, doch es würde zu weit führen Dir dies alles zu erklären und Du könntest es auch gar nicht zur Gänze verstehen."

"Es ist an der Zeit, diesen Unhold nun zu vernichten. Deine Freunde sind in seiner Gewalt und wir könnten gemeinsam versuchen sie zu befreien und Grindur endgültig den Garaus zu machen. Er ist sehr gross und hat riesige Kräfte. Doch ist er auch langsam und meine Schnelligkeit und List hat mir einst zum Sieg verholfen. Was ich nur brauche, ist eine Ablenkung. Diese Ablenkung sollst Du sein Arlington."

"Ich?, rief Fitzgerald erschrocken aus und schlug sich mit der Hand gegen seine Brust. Was könnte ich gegen einen solchen Riesen tun?"

"Du hörst nicht zu, Arlington! Es geht lediglich um Ablenkung. Wenn Du nur seine Aufmerksamkeit einen Moment auf Dich lenkst, kann ich mein Werk vollbringen."

"Er wird mich töten!", rief Fitzgerald entsetzt.

"Nein das wird er nicht, weil er dazu nicht mehr kommen wird, denn ich werde ihn zuvor töten."

"Wie stellst Du Dir das vor? Wie willst du das machen?"

"Vertraue mir Arlington, ich erkläre Dir meinen Plan. Ausserdem bedenke, dass Du Deine Freunde jetzt befreien kannst aus den Klauen dieses Unholdes. Denn wenn wir nun zu lange warten, werden seine Kräfte sie so geschwächt haben, dass sie keine Chance mehr haben, die Welt oben wieder zu sehen."

"Wie lange haben wir Zeit?", fragte Fitzgerald.

"Du kannst eine Nacht darüber schlafen, Arlington. Morgen muss es dann geschehen. Es ist Deine freie Entscheidung. Wir können es zusammen angehen oder ich gehe alleine, aber morgen muss es sein."

Fitzgerald nickte leicht und signalisierte, dass er diese Bedenkzeit auch brauchte.

Den ganzen Abend beobachtete Fitzgerald den kleinen Mann und versuchte in ihn hinein zu spüren. Er schien sehr grosse Sehnsucht zu haben nach seinem Zuhause. Irgendwie mochte er den kleinen Mann und er vertraute ihm.

Ja! Er würde es machen. Auch wegen Bruce und Hans. Er wollte sie befreien!

Sie legten sich früh zur Ruhe und in den ersten Morgenstunden erklärte Moolie ihm seinen Plan. Kurz darauf standen sie bereits am Brunnen. Fitzgerald glitt zuerst am Seil nach unten, danach folgte ihm Moolie. Wie vereinbart ging Fitzgerald zunächst allein vor in Richtung der grossen Halle. Er hatte eine Scheissangst. Langsam ging er vorwärts und sah sich ständig zu allen Seiten um. Moolie beobachtete ihn auf seinem Weg.

Dann hatte er die mächtige Tür erreicht. Sie war geschlossen. Vorsichtig umfasste seine Hand den schmiedeeisernen Griff auf dem eine hässliche Fratze prankte. Er zog daran.

Er erschrak! Das Quitschende Geräusch musste ihn verraten haben....
 
Beide waren wir zusammen gezuckt! Wie gebannt starrten wir auf die Tasche als würden wir erwarten, dass jeden Moment etwas dort hervor kommt. Doch nichts geschah. Nur die Verschlüsse waren aufgesprungen.

Langsam drehte sich Fitzgerald Arlington zu mir um und sah mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern und konnte mir auch keinen Reim darauf machen. Konnte die Tasche irgendeinen Defekt haben? Dass die Schlösser von Zeit zu Zeit einfach aufsprangen? "Sei kein Narr," dachte ich bei mir. Diese Tasche ist alles andere als defekt. Sie ist eher eine Ausgeburt des Teufels, der hier seine Spielchen mit uns treibt. Die Geschichte von Arlington machte dies mehr als deutlich. Obwohl...., ich fragte mich ob das alles wirklich wahr sein konnte. Es war so fern der Realität, so unwahrscheinlich, so....unglaubwürdig?

Ich sah Arlington an. War er der, für den er sich ausgab? Sagte er die Wahrheit? War er vertrauenswürdig? Gut, er hatte seine Hand eingebüsst. Aber dies könnte alle möglichen Ursachen haben. Er war der Höhle und der Hölle entkommen. Hatte er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen?

Er sah mich an. "Sie kennen den Inhalt, nicht wahr?," fragte Arlington mich.

Ich nickte. "Ja. Diese Tasche hat sich mir schon einmal geöffnet und ich frage mich warum. Ich frage mich auch, warum gerade ich sie gefunden habe und warum ich diesen merkwürdigen Herrn Freitag nicht finden kann. Scheinbar existiert er gar nicht und ich habe mir alles nur eingebildet und wache irgendwann auf aus diesem Traum. Ich frage mich was ich mit der ganzen Sache zu tun habe. Ich kenne weder diesen Herrn Freitag näher, noch Sie, noch diesen Bruce oder sonst wen. Was soll das also alles?"

"Nun, es gibt einen Grund dafür, sagte Arlington. Einen, der schon sehr weit zurück liegt. Einen, den Sie nicht kennen."

"Und der wäre?," fragte ich überrascht.

"Genau wie ich haben auch Sie einen Bezug zu England..., zu Wiltshire um genau zu sein."

"Das kann nicht sein, antwortete ich. Wiltshire, England, niemals! Ich war nie dort."

"O.K., ich erkläre es Ihnen. Hören Sie mir bitte zu."

Mit beschwichtigend erhobenen Händen erzählte mir Arlington die Geschichte.

"Vor weit über dreihundert Jahren lebte in Wiltshire der Bruder eines Lords. Lord Fennimore Fitzgerald Millfort. Sein Bruder, Maximilian Abraham Millfort war das Produkt eines Seitensprunges seiner Vaters, seiner Lordschaft Edward Godric Millfort. Der Lord liess ihn mit an seinem Hofe wohnen, doch einen Erbanspruch hatte er nicht. Er war lediglich geduldet und hatte keinen Titel. War nicht mehr als ein lästiges Anhängsel, ein Bastard."

"Worauf wollen Sie hinaus?," fragte ich neugierig.

"Warten Sie ab, wieder hob er beschwichtigend eine Hand. Maximilian Abraham Millfort war es leid ein Bastard zu sein. Er wollte etwas darstellen in seiner Welt und nicht von den Almosen seines Vaters abhängig sein. Da hörte er von einer alten Höhle in Wiltshire, in deren Tiefe unermessliche Schätze zu finden sein sollten. Unglaublicher Reichtum würde den erwarten, der es bis in die tiefsten Tiefen schaffte. Er konnte einen Stallburschen als Helfer für sein Abenteuer gewinnen, indem er ihm einen kleinen Anteil der Beute versprach. Gemeinsam stiegen sie in die Höhle ein und erreichten den Brunnen. Der Stallbursche sicherte ihn und Maximilian erreichte dann die grosse Halle."

"Er war dort?", fragte ich ungläubig.

"Ja , er war dort und er kam auch wieder heraus. Doch musste er einen Pakt mit dem Teufel schliessen um wieder ins Leben zu können. Der Teufel wollte die Seelen der Lords. Er war ganz versessen auf Adelige, weil sich für ihn in den Stammbäumen der Adeligen ein ganz besonderer Reiz und eine ganz besondere Energie befand, die um ein Vielfaches höher lag, als bei Normalsterblichen. Ihre Seelen waren für ihn etwas ganz Besonderes."

"Warum hat er ihn wieder in Freiheit gelassen?"

"Er musste ihm schwören ihm dabei zu helfen, sich der Seelen seines Vaters und seines Halbbruders zu bemächtigen. Ansonsten hätte er sein Leben verwirkt. Doch wieder oben angekommen, nagte der Zweifel an ihm und sein Gewissen meldete sich. Er schwor dem Teufel ab, verliess Wiltshire und nannte sich fortan nicht mehr Millfort sondern nur noch Mill. Max Mill."

Ich erschrak! Max Mill...das war mein Name!

"Das gibt's doch gar nicht! Das ist mein Name!"

"Ich weiss....."
 
Moolie zog seinen Umhang über seinen Kopf. Er war nicht mehr zu sehen!

Leise schlich er hinter Arlington durch die offene Tür, den Engelsbogen unter seinem Umhang versteckt. Fitzgerald Arlington bewegte sich langsam und vorsichtig weiter in Richtung Halleninneres. Dann bog er um die Ecke und sein Blut gefror ihm in seinen Adern!

Er sah IHM direkt ins Gesicht!



Höhnisches Gelächter schlug ihm entgegen. Unfähig sich auch nur zu rühren starrte er die Ausgeburt des Teufels paralysiert an. Blut tropfte aus seinem Maul und lief an seinen langen Reisszähne herunter. In der rechten Hand hielt er eine Art Hellebarde. Sie musste ob ihrer Grösse Tonnen wiegen, doch bewegte er sie mit spielerischer Leichtigkeit. Und dann sah er sie. Die leblosen Körper von Bruce und Hans neben den Füssen des Ungeheuers. Zerfetzt und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Angewiedert wandte er den Blick ab. Sie waren zu spät gekommen! Es fühlte sich an wie ein tiefer Stich in sein Herz.

"Ooooh welche Ehre in meinem bescheidenen Heim....Ein Adelsgeschlecht."

Seine Stimme war so tief und mächtig, dass die Höhlenwände erbebten. Ein höhnisches Grinsen überzog sein ekelhaftes Äusseres.

Plötzlich spürte Arlington etwas neben sich. Es war Moolie! Er drängte ihn dazu zur anderen Seite zu gehen. Langsam bewegte er sich zur rechten Seite der Halle, um den Blick des Unholds abzulenken.

"Du kommst etwas spät, Eindringling. Ich hatte schon meinen Spass mit Deinen Freunden wie Du siehst und bin nun hocherfreut über Dein Kommen. Dass ich heute noch ein weiteres Opfer dargebracht bekomme, habe ich nicht vermutet. Nein, Du wirst nicht dasselbe Schicksal erleiden wie Deine beiden Freunde. Für Dich habe ich mir etwas anderes ausgedacht....

"SCHAU MICH AN!", herrschte er ihn an.

Seine Stimme brachte alles zum Beben und kleine Steinsplitter fielen von der Hallendecke herab.

Kraft seiner Gedanken zwang er Arlington, ihm mitten auf seine Stirn zu sehen. Das blutende Pentagramm zog ihn sofort in seinen Bann und innerhalb von Sekunden war er willenlos.

Moolie hatte sich in Position gebracht. Knieend brachte er den Bogen in Anschlag, legte den silbernen Pfeil ein und zielte. Die Mitte des Pentagrammes musste es sein, sonst war alles umsonst. Hochkonzentriert visierte er sein Ziel an. Noch ein wenig mehr spannen...

Dann verliess der Pfeil die Sehne. Das leichte Sirren war dem Unhold nicht entgangen und er hob seinen Kopf aufhorchend etwas an. Zu spät! Klatschend schlug der Pfeil ein....

Unterhalb der Pentagrammmitte!

"Uuuuuaaarrrrggh!"

Der Urlaut brachte die ganze Halle zum Beben! Sich windend packte der Unhold den Pfeil und wollte ihn heraus ziehen, doch die Widerhaken gaben ihn nicht frei. Mit einer Hand versuchte er den Pfeil herauszuziehen, mit der anderen Hand griff er die Hellebarde und schlug wie wild damit um sich.

Moolie wurde klar dass er versagt hatte. Er wollte einen weiteren Pfeil hervorholen und verlor seinen Umhang. Arlington sah die aufkommende Gefahr und sprang herüber, um den Umhang aufzuheben. Eben griff er danach, als die Hellebarde mit einem Aufschrei des Unholds zu Boden sauste. Stechender Schmerz fuhr in seinen Arm und er sah seine Hand abgetrennt vor sich auf dem Boden liegen. Trotz des irrsinnigen Schmerzes griff er geistesgegenwärtig mit der anderen Hand den Umhang und warf ihn Moolie herüber.

Dann verlor er das Bewusstsein....
 
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